Original: Shizukanaru kettō (1949) von Akira Kurosawa

Während einer Operation in einem Kriegslazarett schneidet sich der Arzt Fujisaki (Toshiro Mifune) und steckt sich anschließend bei seinem Patienten mit der Syphilis an. Nach Kriegsende kehrt er in die Klinik seines Vaters und zu seiner Verlobten Misao (Miki Sanjo) zurück und unterzieht sich heimlich einer Therapie. Doch ihm ist klar, dass es Jahre dauern wird, bis er die Krankheit überwunden haben wird. Obwohl es ihm beinahe das Herz zerreißt beendet er daher die Verlobung ohne Angabe von Gründen, damit Misao mit einem anderen Mann glücklich werden kann.

Seine Krankheit bleibt aber nicht allen verborgen: Eine der Krankenschwestern (Noriko Sengoku) überrascht ihn, als er sich eine Injektion setzt. Sie vermutet, dass er sich die Syphilis in einem Bordell zugezogen hat und verachtet ihn deshalb zunächst. Doch als sie die Wahrheit erfährt und versteht welche Überwindung es ihn kostet, Misao zu ihrem eigenen besten ziehen zu lassen, betrachtet sie Fujisaki mehr und mehr als einen Heiligen. Entsprechend groß ist ihre Empörung, als der Mann in der Klinik auftaucht, bei dem Fujisaki sich angesteckt hatte – und der ohne seine Krankheit behandeln zu lassen seine Frau geschwängert hat.

Quiet Duel Screenshot 01

In vieler Hinsicht ist The Quiet Duel ein Musterbeispiel aus dem frühen Werk Kurosawas. Wie schon im Jahr zuvor in Der trunkene Engel dient ihm eine Krankheit als Metapher für den Zustand der Gesellschaft – dass es nun die Syphilis statt der Tuberkulose ist, lässt vermuten, dass die sozialkritische Haltung des Regisseurs eher noch zugenommen hat. Auch das Schüler-Meister-Verhältnis ist in stark zurückgenommener Form in der Verehrung der Krankenschwester für den Arzt vorhanden.

Und seinen Helden lässt er wieder gegen die Auswüchse verantwortungslosen, schändlichen Handelns ankämpfen, verkörpert durch den Syphilis-Patienten, der die Gefahren der Krankheit herunterspielt, ihre Konsequenzen nicht akzeptieren will und ohne Rücksicht auf die Gesundheit seiner Frau mit ihr schläft. Zugleich muss Fujisaki aber auch einen Kampf mit sich selbst austragen, um nicht genau so zu handeln. Dieses Ringen zwischen seiner verantwortungsvollen, fürsorgenden und selbstlosen Seite und den Instinkten und Begierden in ihm ist das eigentliche, titelgebende stille Duell.

Quiet Duel Screenshot 2

Ein großes Problem des Films ist jedoch, dass dieses Duell mit Ausnahme von zwei kurzen Momenten (Fujisakis Beichte an die Krankenschwester und sein Abschied von Misao) nicht wirklich fesselt und speziell in den Szenen mit Misao häufig ins melodramatische abdriftet. Zudem will die Überhöhung des Arztes in heiligengleiche Gefilde einfach nicht so recht gelingen und wirkt gerade in den finalen Szenen schon fast unfreiwillig komisch. Fünfzehn Jahre später gelang Kurosawa dann mit dem eigenwilligen Arzt Niide in Rotbart eine perfekte Mischung aus übermenschlicher, aber zugleich augenzwinkernder Arztfigur.

Interessant ist, dass Kurosawas Wahl für die Rolle des Arztes auf Toshiro Mifune fiel, der in seiner bis dahin kurzen Karriere praktisch nur Gangster gespielt hatte. Doch Kurosawa glaubte an sein Talent und wollte ihm die Chance geben, sich mit dieser völlig anderen Rolle weiterzuentwickeln und setzte sich gegen die Bedenken des Studios durch. Mifune spielt zwar exzellent, dennoch fällt es mir jedesmal wieder schwer, ihm diesen rationalen, beherrschten und fast intellektuellen Arzt abzunehmen – die überbordende Emotionalität seiner meisten anderen Rollen wiegt einfach sehr schwer.

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Kurosawa selbst schreibt in seiner Autobiographie mit großer Begeisterung von den Dreharbeiten an The Quiet Duel, gesteht aber ein, dass er mit dem Ergebnis nicht wirklich zufrieden war und es ihm nicht gelang, seine Botschaft wie gewünscht zu vermitteln. So ist der Film zwar keiner der großen Kurosawas und hat mit einigen Unzulänglichkeiten zu kämpfen. Dennoch bietet er auch einige interessante Highlights, allen voran die eröffnenden Szenen im Kriegslazarett mit ihrer enorm dichten Atmosphäre sowie einen jungen Toshiro Mifune in einer ziemlich ungewohnten Rolle.

Da ich nach wie vor stressbedingt selbst nichts auf die Reihe bringe hier im Blog, schicke ich mal wieder die anderen vor:

  • Micha ist von A certain Killer sehr angetan: Plot, Bilder, Darsteller, Gesellschaftskritik, alles scheint hier zu passen, wozu wahrscheinlich auch das Drehbuch von Yasuzo Masumura beigetragen haben dürfte. Ich bin auf jeden Fall neugierig geworden und werde mich mal nach einer DVD umschauen.
  • David Bordwell ist ja bereits hinlänglich als großer Verehrer von Yasujiro Ozu bekannt, man denke nur an sein – leider vergriffenes – Standardwerk „Ozu and the Poetics of Cinema“. Jetzt hat er einen ursprünglich 2003 im Rahmen des Hong Kong International Film Festival erschienenen Essay in seinem Blog veröffentlicht: A modest extravagance – 4 looks at Ozu
  • Jamie schreibt bei Criterion Confessions über eine Bluray, die auch ohne seine begeisternde Kritik ganz weit oben auf meinem Einkaufszettel steht: Branded to kill.
  • Und zu guter letzt noch ein „Neuling“, denn Ad Blankestijns Japan Navigator-Blog war mir bisher vor allem für seine detailliert, liebevoll und kenntnisreich geschriebenen Reiseberichte und -tipps bekannt. Seit kurzem schreibt er offenbar auch über Filme und da fiel mir besonders sein Beitrag über Teinosuke Kinugasas A Page of Madness auf – denn der Film selbst scheint Ad gar nicht mal so sehr zu überzeugen, trotzdem hat er einiges an wissenswerten Hintergrundinfos dazu zusammengetragen.

So, und nächstes Jahr komme ich dann hoffentlich auch mal wieder selbst zum Schreiben!

Madadayo

Original: Madadayo (1993) von Akira Kurosawa

Madadayo war die letzte Regiearbeit Kurosawas, in welcher der 1998 verstorbene Großmeister des japanischen Kinos die Schlachtfelder früherer Filme wie Ran, Kagemusha oder Die Sieben Samurai hinter sich lässt. Statt dessen widmet er sich der Geschichte des Deutschprofessors Uchida und seiner ihn verehrenden Schüler. Eine Handlung im eigentlichen Sinne fehlt dem Film, vielmehr setzt er sich aus Episoden und Anekdoten zusammen, die den Professor und seine Schüler vom Anfang der 1940er bis in die 1960er Jahre hinein verbinden.

Madadayo Screenshot 1

Zu Beginn des Films zieht Uchida (Tatsuo Matsumara) sich überraschend aus der Lehrtätigkeit zurück, um sich ganz seinem literarischen Schaffen widmen zu können. Wir sehen die ersten ausgelassenen Besuche bei ihm, Saufgelage und das Schwelgen in alten Geschichten. Dann wird das Haus Uchidas von Bomben zerstört, er und seine Frau erleben das Ende des Krieges und die amerikanische Besatzung in einer kleinen Hütte.

Doch den Frohsinn und die Lebensfreude kann das nicht beeinträchtigen, und kaum ist der Krieg vorüber, helfen die Schüler ihnen beim Wiederaufbau. Außerdem wird jedes Jahr der Geburtstag des Professors gebührend gefeiert, mit einem zentralen Ritual bei dem ihn die Schüler fragen „Mahda-kai?“ („Fertig?“) und er antwortet: „Mahda-dayo!“ („Noch nicht!“).

Madadayo Screenshot 2

Mit Madadayo schuf Kurosawa ein einfühlsames Porträt eines lebensfrohen, aufgeweckten und liebenswerten Menschen, der sich seine positive Haltung zum Leben und zu anderen Menschen auch angesichts von Verlusten im Krieg und zunehmender Beschwernisse des Alterns bewahrt. Durch sein kindlich-sympathisches Wesen, seine Aufgeschlossenheit und seine unterhaltsamen Weisheiten bereichert er auch das Leben der Menschen um ihn herum, insbesondere seiner Ehefrau und seiner Schüler. Und die zahlen es ihm mit viel Liebe, Zuwendung und Unterstützung zurück.

Die Dialoge sind dabei oft durch eine gewisse oberflächliche Komik geprägt und bewegen sich teilweise am Rande der Belanglosigkeit. Die eigentlich entscheidenden Hinweise auf die Beziehungen der Charaktere zueinander und die unendliche Wertschätzung, die dem Professor vor allem von seinen Schülern aber auch von vielen anderen Menschen entgegengebracht wird, werden oft ohne Worte und statt dessen durch Gesten und Handeln zum Ausdruck gebracht – wie es der japanischen Sitte entspricht.

Madadayo Screenshot 3

Kurosawa wurde seinem Ruf des Perfektionisten einmal mehr gerecht und legte bei den Dreharbeiten größten Wert auf Details, um die für die Aussage des Films und die Darstellung der Charaktere so wichtigen Stimmungen einfangen zu können. Für die Dreharbeiten an der wunderbare Szene, in der Uchida und seine Frau in ihrer kleinen Hütte den Gang der Jahreszeiten verfolgen, wurde beispielsweise keineswegs Kunstschnee verwendet. Vielmehr entstanden die Aufnahmen tatsächlich im Abstand von mehreren Monaten unter realen Witterungsbedingungen – ein enormer Aufwand angesichts der paar Sekunden im fertigen Film.

Der Titel „Madadayo“ stammt von den Rufen japanischer Kinder beim Versteckspiel: Die Suchenden rufen „Mahda-kai“ und das sich versteckende Kind „Mahda-dayo“, bis es ein gutes Versteck gefunden hat. Dies wird auch in der letzten Szene zum Höhepunkt des Films, als der alte Uchida erschöpft von einer weiteren Feier mit seinen Schülern im Schlaf von den Spielen der Kindheit träumt – ein Ende von geradezu betörender Schönheit!

Madadayo Screenshot 4

Madadayo wird damit zum Ausdruck des unbedingten Lebenswillens, des Sich-versteckens vor dem – letztlich unausweichlichen – Tod. Doch mehr als das zeigt der Film vor allem, wie einfach ein schönes Leben sein kann: Gemütliche Gespräche und ausgelassene Saufgelage mit Freunden, besinnliches Betrachten des Mondes, Freude an Tier und Natur, eine harmonische und liebevolle Ehe – da wird selbst ein Weltkrieg zur Nebensache, und die größte Katastrophe ist das Verschwinden der geliebten Hauskatze.

Verglichen mit den mitreißenden, atemlosen und teils verstörenden tour-de-force Filmen, die wir aus Kurosawas Werk sonst kennen, ist Madadayo ein ganz schöner Langweiler. Die meiste Zeit sitzen ein paar Leute einfach nur herum und hören einem alten Mann zu. Andererseits ist es aber wahrscheinlich der „japanischste“ Film, den er je gedreht hat – ein würdiges Alterswerk eines Regisseurs, dem von seinen Landsleuten oft vorgeworfen worden war, ein „westlicher“ Regisseur zu sein.

Dies ist die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Artikels, der ursprünglich am 26. September 2006 veröffentlicht wurde.

Puh, die letzten Wochen waren ganz schön stressig! Und zumindest bis zum Weihnachtsurlaub wird das noch so bleiben… Also falls sich jemand wundert: Es gibt mich noch, ich hab nur derzeit ziemlich wenig Zeit zum Posten. Für den Start der Kurosawa-Retrospektive in Hamburg am Sonntag muss ich noch meine Einführung vorbereiten, was zum job-bedingten Stress noch dazu kommt. Daher heute nur ganz kurz Verweise auf zwei Blogs, die ich (mehr oder weniger) neu entdeckt habe:

  • Endlich noch ein Blog, der ein ausgeprägtes Faible für die Klassiker hat: Ozu Teapot. Wobei es sich allerdings um einen Fotoblog handelt, der Screenshots, Stills, Poster und allerlei anderes Bildmaterial zusammenträgt. Namensgeber des Blogs ist zwar Ozu, und japanische Klassiker machen auch den Großteil des Materials aus (wie etwa diese wunderschöne Montage), aber daneben finden sich auch Bilder von Filmen aus aller Welt. Und zwar inzwischen mehr als 1000!
  • Viele kennen Helen McCarthy wahrscheinlich als Autorin des Standardwerks Hayao Miyazaki: Master of Japanese Animation, aber sie bloggt auch über Themen rund um Anime, die Anime-Industrie, Manga, das Internet und vieles mehr unter dem herrlich selbstironischen Titel A Face Made for Radio. Highly recommended!

So, das war’s für heute schon wieder. Vielleicht schaffe ich am Wochenende mal wieder eine Rezension, mich juckt es auch so langsam ganz schön in den Fingern! 🙂

Es ist erst ein paar Jahre her, da waren hochwertige Editionen von Filmen Shohei Imamuras bei uns im Westen schier unmöglich zu bekommen. Criterion hatte vor fast 10 Jahren mal The Pornographers herausgebracht, und natürlich gab es den preisgekrönten The Eel in verschiedenen Fassungen. Wer aber einen etwas tieferen Einblick in sein Werk bekommen wollte, der konnte lange suchen. Diese Dunklen Zeiten liegen hinter uns: Criterion legte die beeindruckende Pigs, Pimps and Prostitutes-Box mit drei seiner bekanntesten Filme auf, und die Masters of Cinema Series hat allein seit dem Sommer vier Filme herausgebracht, darunter zuletzt A Man vanishes und Die Ballade von Narayama.

Doch dabei soll es nicht bleiben, es ist bereits der nächste Doppelpack angekündigt: The Insect Woman und Nishi-Ginza Station sollen auf einer Dual Format Edition erscheinen, und zwar am 20. Februar (bei Amazon UK kann man sie schon vorbestellen). Ich kann gar nicht beschreiben wie sehr es mich freut, dass diese großartigen Filme dieses herausragenden Vertreters der japanischen New Wave nun in solchen hochqualitativen Editionen zu uns kommen! Ich drücke jedenfalls ganz fest die Daumen, dass die Puste auch noch für ähnlich edle Ausgaben von Black Rain und Eijanaika reicht!

Original: Ichiban utsukushiku (1944) von Akira Kurosawa

Eine Gruppe junger Mädchen stellt in einer Fabrik Präzisionslinsen für Kampfflugzeuge her, es ist ihr Beitrag zur Kriegsanstrengung Japans. Im Kampf gegen die materielle Übermacht der Gegner wird das Produktionsziel für die Arbeiter von der Fabrikleitung verdoppelt, das der Arbeiterinnen aber nur um 50% erhöht. Empört darüber, dass ihnen nur so wenig zugetraut wird, setzen die Mädchen mittels ihrer Anführerin Watanabe (Yoko Yaguchi) eine stärkere Erhöhung durch. Doch um dieses Ziel auch zu erreichen, müssen Krankheiten, Unfälle und nicht zuletzt auch Streitigkeiten und Neid innerhalb der Gruppe überwunden werden. Dabei wird Watanabe von der Herbergsmutter Mizushima (Takako Irie) unterstützt, die sich rührend um die Mädchen kümmert.

The most beautiful Screenshot 01

Nach dem großen Erfolg von Sanshiro Sugata erhielt Kurosawa den Auftrag für einen Propagandafilm, der den Geist der Nation feiern und bestärken sollte. Wie viele Regisseure wählte er dafür einen dokumentarischen Ansatz und war darum bemüht, den Alltag der Mädchen in der Fabrik so realitätsgetreu (und dennoch mit dem Propagandaziel vereinbar) darzustellen, wie möglich. Dazu ließ er alle Schauspielerinnen tatsächlich in einem Wohnheim auf dem Fabrikgelände unterbringen, Marschieren und Musizieren. Die Dreharbeiten müssen allen Berichten der Beteiligten zufolge hochgradig anstrengend gewesen sein.

Was hinter dem Film steht, wird noch vor Filmbeginn klar, da prangt nämlich ein Schriftzug „Greift den Feind an und zerstört ihn“ – martialische Töne, die Am allerschönsten interessanterweise fast völlig ignoriert. Denn Kurosawa erzählt die Geschichte einer kleinen Gruppe Menschen, die sich ganz und gar in den Dienst einer Sache stellen. Ihr Gegner ist eine unerbittliche Produktivitätskurve in einem Diagramm, die zugleich als Stimmungsindikator dient. Sind Konflikte auszustehen oder Unglücksfälle zu überwinden, geht es mit der Kurve abwärts, feiert die Gruppe die Rückkehr eines Mitglieds oder hat sie Spaß beim Volleyball, geht es aufwärts.

Dass die Mädchen am Ende erfolgreich ihr Ziel erreichen, haben sie zum großen Teil ihrer Anführerin Watanabe zu verdanken. Die geht (wunderbar gespielt von Kurosawas späterer Ehefrau Yoko Yaguchi) mal vermittelnd, mal anspornend, mal mit strenger Hand voran und muss dabei selbst einen inneren Konflikt austragen: Soll sie ihre im Sterben liegende Mutter besuchen, oder ihrer Pflicht gegenüber der Sache nachkommen?

The most beautiful Screenshot 02

Nach dem Krieg sah Kurosawa seine eigene Rolle als Instrument der Propaganda für das Regime und einen wahnwitzigen Krieg sehr kritisch und schämte sich, dass ihm der Mut zu Widerstand gefehlt und er sich sogar bei den Zensoren eingeschmeichelt hatte. Den Film selbst bezeichnete er in seiner Autobiographie zwar nicht als bedeutend, aber als einen seiner Liebsten, nicht zuletzt wegen der Erinnerungen an die außerordentlich enge Zusammenarbeit.

Bei aller Kritik angesichts des propagandistischen Subtextes ist Am allerschönsten ein Film, der auf spannende Weise zeigt, wie eine Gruppe von Menschen mit sich und schwierigen Umständen ringt und im Dienst einer Sache über sich selbst hinauswächst. Und das ist nunmal klassischer Kurosawa.

Wenn es um Veröffentlichungen japanischer Filme und Anime geht, ging mein Blick bisher meist westwärts über den Teich, nach UK und Amerika. Dabei habe ich offensichtlich lange Zeit eine echte Perle übersehen, nämlich das australische Label Madman. Zwar sind die Aussies von ihrem Anspruch, sowohl was die cineastische Qualität der Filme als auch die Ausstattung der DVDs angeht, nicht mit Criterion oder Masters of Cinema vergleichbar. Dafür sind sie aber viel breiter aufgestellt: Mit etwa 150 Spielfilmen wird ein weites Spektrum von Klassikern á la Mizoguchi über Godzilla-Filme bis hin zu modernem Trash wie Big Tits Zombie abgedeckt und Anime stellen sogar einen eigenen Channel innerhalb des Portfolios.

Mein Eindruck nach dem ersten Testkauf war durchweg positiv: Die DVDs sind schön gestaltet, bieten gute Qualität und teilweise auch sehr ordentliche Extras, ohne wie gesagt allerdings mit den Platzhirschen mithalten zu können. Richtig begeistert war ich vom Versand: Nur gut eine Woche nach der Bestellung hatte ich die Lieferung im Briefkasten, und zwar zollfrei! Einziges Manko sind die etwas happigen Preise, mit etwa 20-25 Euro pro DVD muss man rechnen.

Wer damit kein Problem hat, und die Bereitschaft (bzw. den passenden Player) mitbringt, seine Sammlung um einen weiteren Regionalcode zu erweitern, der sollte sich Madman auf jeden Fall genau ansehen. Es könnte sich lohnen!

Original: Hachigatsu no kyoshikyoku (1991) von Akira Kurosawa

Vier Kinder verbringen den Sommer bei ihrer Großmutter Kane (Sachiko Murase) in Nagasaki, während ihre Eltern einen lange vergessenen Bruder Kanes in Hawaii besuchen, der es inzwischen zu Reichtum gebracht hat. Durch die Erzählungen der Großmutter und Ausflüge nach Nagasaki und in die Umgebung tauchen sie ein in die Geschichte ihrer Familie und des Atombombenabwurfs auf die Stadt, bei dem auch ihr Großvater ums Leben kam.

Als die Verwandten in Amerika davon erfahren, reist der Neffe Clark (Richard Gere) zum bevorstehenden Todestag des Großvaters am 9. August an und versetzt damit die Familie in Alarmstimmung. Völlig umsonst, wie sich herausstellt, denn anstatt durch die Bedeutung der Atombombe in der Familiengeschichte abgeschreckt zu sein, nimmt Clark aufrichtig Anteil an Kanes Trauer. Für die alte Dame werden die Erinnerungen jedoch immer realer – bis sie ganz in die Vergangenheit eintaucht.

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Rhapsodie im August wurde teils als oberlehrerhaft, teils als anti-amerikanisch kritisiert. Doch diese Kritik betrachtet den Film sehr oberflächlich und übersieht damit zum einen, dass der Abwurf der Atombombe keineswegs den Amerikanern vorgeworfen wird. Vielmehr wird sie und das Leid, das sie über die Menschen gebracht hat, als Bestandteil des Krieges gesehen und der Krieg in seiner Gesamtheit verurteilt. Zudem wird die Person von Clark – und damit stellvertretend auch Amerika – sehr positiv und sympathisch dargestellt.

Zum anderen geht es Kurosawa in seinen Filmen immer um die Menschen und wie sie selbst im Angesicht dramatischer Beschwernis Sinn und Glück finden. Dafür steht sinnbildlich auch das lange Leben von Kane, die trotz ihrer grausamen Erfahrungen letztlich ein zufriedenes Leben geführt hat und sich nun im hohen Alter an ihren Enkeln, leckeren Bohnen und der Schönheit des Mondscheins erfreut.

Kritisiert werden vielmehr die Erwachsenen, die ihrer amerikanischen Verwandtschaft genau die Probleme im Umgang mit der Atombombe und den Überlebenden unterstellen, die es in Japan gibt. Als Clark dann jedoch aufrichtig mit den Trauernden mitfühlt und keinerlei Berührungsängste hat, fallen sie aus allen Wolken.

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Während ich diese Kritik an Kurosawas vorletztem Film also nicht gelten lasse, hat er dafür andere Schwächen. Die größte ist zweifellos, dass nach etwas mehr als der Hälfte ein völliger Bruch durch Rhapsodie im August geht. Standen in den ersten ca. 50 Minuten ganz Kane und die vier Kinder und ihre gemeinsame Reise in die Geschichte der Familie im Zentrum, wird mit dem Auftauchen zuerst der Erwachsenen und dann von Clark all das völlig beiseite gewischt und die Perspektive gewechselt. Was bei den Kindern eine sympathisch-unbedarfte Herangehensweise an die Vergangenheit war, wirkt nun streckenweise aufgesetzt, bemüht und hölzern.

Ganz unbenommen hat der Film – wie könnte es bei einem Kurosawa auch anders sein – aber auch einige sehr starke Momente. Zu nennen wäre etwa der Blick auf die Ameisen während des Trauergottesdienstes, deren langer Karawane die Kamera bis zu einer wunderschön erblühten Rose folgt. Und natürlich der Schluss, als sich Kane mit ihrem Regenschirm dem Taifun entgegenwirft und Abschied von der Realität nimmt. Eine wunderschön inszenierte Szene, bei sich Kurosawa auch ein bisschen selbst zitiert.

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Alles in allem ist Rhapsodie im August aus meiner Sicht dennoch einer der schwächsten Filme in Kurosawas Opus, aber gegen seine großen Meisterwerke können natürlich 99% aller Filme nicht anstinken, das kann also eigentlich kein vernünftiger Maßstab sein. Der Film hat Licht und Schatten, etwas mehr Stringenz und Konzentration auf die Figur der Kane hätte ihm gut getan, aber er setzt sich mit einem sehr schwierigen und emotionalen Thema auseinander und regt dabei auf interessante und angenehme Weise zum Nachdenken an.