Tokyo Sonata

Original: Tokyo Sonata (2008) von Kiyoshi Kurosawa

Dank einer freundlichen Filmvorführerin, die zuerst sehr verantwortungsvoll sicherstellte, dass alle regulären Karteninhaber in der Vorstellung waren, dann aber doch noch eine kleine Gruppe akkreditierter Besucher in den Saal von Orfeos Erben schleichen ließ, konnte ich mir gestern Abend die Wiederholung von Tokyo Sonata auf der Nippon Connection ansehen. Und ich muss gestehen, dass ich nach all dem Buzz und Hype, der in den letzten Monaten um den Film gemacht wurden, etwas enttäuscht bin. Aber der Reihe nach.

Der leitende Angestellte Ryuhei Sasaki (Teruyuki Kagawa) erfährt, dass seine Abteilung aufgelöst und nach China verlagert wird, um Kosten zu sparen. Unfähig, sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen, tut er so, als wäre alles beim Alten und geht weiter jeden Morgen „zur Arbeit“, damit seine Frau Megumi (Kyoko Koizumi) und seine beiden Söhne nichts mitbekommen. Während Ryuhei panisch bemüht ist, durch Rituale des Alltags Normalität vorzugaukeln und seine Autorität als Familienernährer zu wahren, zerfällt diese Autorität angesichts der Suche aller Familienmitglieder nach Sinn im Leben mehr und mehr.

Tokyo Sonata beginnt zunächst als bitterböse Gesellschaftssatire, voll ätzender Kritik an einem kapitalistischen System, für das Menschen nur Ressourcen sind und in dem ein Mann ohne Arbeit irgendwo zwischen „wertlos“ und „aussätzig“ eingestuft wird. Ungläubig und hilflos muss Ryuhei mitansehen, wie eine schneidige junge Chinesin – die aber auch nur instrumentalisiert wird – ihm den Job abknöpft, wie er eiskalt abserviert wird und sich auf einem Arbeitsmarkt wiederfindet, der ihm nur Tagelöhnerdienste zu bieten hat.

Doch dann verschiebt sich der Fokus des Films mehr auf die Familie Sasaki, deren ältester Sohn sich rast- und ziellos die Nächte um die Ohren schlägt, bis er auf die Idee kommt, sich freiwillig für die US-Armee zu melden. Auch der jüngere Sohn sorgt für Ärger, weil er heimlich gegen den Willen seines Vaters Klavierunterricht nimmt. Dazwischen versucht Mutter Megumi, ihre Familie irgendwie zusammenzuhalten und gleichzeitig auch für sich einen Neuanfang zu finden.

In dieser Phase nimmt der Film mehr den Charakter eines Familiendramas an, das zunächst mit leisen Tönen und feinen Beobachtungen beginnt und mit der Eskalation der persönlichen Konflikte Tempo aufnimmt. Dann jedoch passieren merkwürdige Dinge: Eine Entführung, ein mysteriöses Geldpaket in einer Kaufhaustoilette, ein Autounfall, eine Nacht im Gefängnis wegen Schwarzfahrens – der Film, der zuvor bereits den Umschwung von der Gesellschaftssatire zum Familiendrama verkraften musste, gerät nun aus den Fugen.

Tokyo Sonata ist sicherlich ein guter Film voller wunderbarer Ideen, der sich vieler Themen unserer Zeit kritisch annimmt und von enorm starken Darstellern (allen voran Kyoko Koizumi) getragen wird. Aber ihm fehlt die rote Linie, der Rahmen, der alles zusammenfasst und an seinen rechten Platz setzt. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Regisseur Kurosawa, der mit intelligenten Horrorfilmen berühmt geworden ist, sich für seinen ersten großen „ernsten“ Film zu viel auf einmal vorgenommen hat. Das große Meisterwerk, als das der Film immer mal wieder bezeichnet wird, ist er noch nicht. Aber das Potenzial ist da. Ich bin schon auf das nächste Projekt von Kiyoshi Kurosawa gespannt!

Original: Gion Bayashi (1953) von Kenji Mizoguchi

Nach dem Tod ihrer Mutter sucht die 16jährige Eiko (Ayako Wakao) Zuflucht in dem Geisha-Haus, in dem ihre Mutter einst arbeitete. Dort nimmt die respektierte und etwas traditionelle Miyoharu (Michiyo Kogure) sie unter ihre Fittiche und ermöglicht ihr die teure Ausbildung zur Geisha, die Eiko in Rekordzeit ablegt.

Bei ihrem Debut begegnen Miyoharu und Eiko (nun unter ihrem Künstlernamen Miyoei) dem Geschäftsmann Kusuda, einem wichtigen Stammkunden. Kusuda (Seizaburo Kawazu) versucht gerade, einen Regierungsauftrag an Land zu ziehen und beglückt dazu den zuständigen Beamten mit allerlei schönen Dingen €“ unter anderem Geisha-Darbietungen. Kusuda entgeht nicht, dass der Beamte ein Auge auf Miyoharu geworfen hat, und lädt sie und Miyoei zu einem Besuch in Tokyo ein. Nicht ahnend, dass Kusuda seinem Kunden eine Nacht mit Miyoharu versprochen hat, nehmen die beiden die Einladung an. Als der Plan jedoch auffliegt ist die Empörung groß, und als sich Miyoei auch noch den Annäherungsversuchen Kusudas gewaltsam erwehrt, kommt es schließlich zum Eklat.

Zum Auftakt von Gion Bayashi, während Eiko in den verschiedensten Künsten vom Blumenstecken über Tanz bis zum Shamisen-Spiel unterrichtet wird, wird das traditionelle Bild der Geisha als Künstlerin zelebriert. In einer Szene spricht eine Lehrerin sogar ausdrücklich davon, dass Geishas neben dem Fujiyama das Sinnbild Japans und japanischer Kultur schlechthin seien. Nachdem Mizoguchi dieses Bild sorgsam aufgebaut hat, macht er sich im weiteren Verlauf des Films daran, es Stück für Stück zu zertrümmern und dem Zuschauer vor Augen zu führen, wie sehr Geishas als Ware und Verhandlungsmasse instrumentalisiert und dabei auf ihren Körper reduziert werden.

Diesen Gegensatz aus Anspruch und Realität verstärkt Mizoguchi besonders dadurch, dass er dem ersten Drittel des Films mit Eikos Aufnahme im Geisha-Haus, der Suche nach einem Bürgen, ihrer Ausbildung inklusive frühem Aufstehen und schließlich ihrer Einführung in die „Gesellschaft“, viele kleine Details mitgibt und so einen schon fast halbdokumentarischen Charakter verleiht. So gewinnt der Film eine große Authentizität und Glaubwürdigkeit, welche sich dann auch auf die Darstellung der Schattenseiten überträgt.

Bei der Ausleuchtung dieser Schattenseiten ist besonders erschütternd, dass keineswegs nur die Geschäftsmänner, die Sex zur Durchsetzung ihrer Deals nutzen, die Integrität der Geishas unterminieren. Vielmehr werden die größeren Strukturen, in denen die Geishas ihrer Arbeit nachgehen, offengelegt: Seniorität, finanzielle Abhängigkeiten, Intransparenzen, Machtkalkül und kaltes Profitdenken regieren hier wie anderswo auch. Letztlich wird Miyoharus Widerstand von einer wohlhabenden und einflussreichen ehemalige Geisha und Förderin mittels massivem Druckes gebrochen: Um finanziell zu überleben und Eikos Zukunft nicht zu runieren, gibt Miyoharu ihre Würde und Integrität auf und willigt letztlich in Kusudas Plan ein.

Dabei unterstreicht Mizoguchi die vielfältigen Abhängigkeiten, das Ausgeliefertsein der Geishas, mittels eindringlicher Bilder. Immer wieder zeigt er Miyoharu und Eiko allein oder gemeinsam durch einen engen, dunklen Tunnel gehen oder von ihren Kunden durch Vorhänge oder Stellwände visuell getrennt.

Jenseits dieser kritischen Betrachtung der Welt der Geishas besticht der Film aber auch mit zwei großartigen Hauptdarstellerinnen, die wunderbar harmonieren. Ayako Wakao gibt ihrem Charakter eine herrliche jugendliche Naivität, Aufgewecktheit und Liebenswürdigkeit mit, während Michiyo Kogure ihre Rolle bei aller Erfahrenheit und Abgeklärtheit mit großer Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft, aber auch mit spürbarer Verzeiflung und innerer Zerrissenheit angesichts der Bedrohung ihrer Integrität und ihres Selbstverständnisses ausstattet. Wie diese beiden unterschiedlichen Frauen zu Freundinnen werden, und – vergeblich – versuchen, dem Druck standzuhalten, gibt dem sozialkritischen Gion Bayashi ein sehr menschliches Antlitz.

Die Nippon Connection in Frankfurt sucht noch dringend freiwillige Helfer und Leute, die eine Unterkunft für Gäste bereitstellen können. Besonders groß scheint der Bedarf an Gästebetreuern zu sein:

Am begehrtesten sind Leute, die unsere japanischen Gäste durch die Gegend fahren, die dafür sorgen, dass unsere Gäste was zu essen bekommen, die die Videokunst-Ausstellung im Mousonturm betreuen und sich als „Mädchen“ für alles zur Verfügung stellen.

Helfer werden mit allem Notwendigen versorgt und können kostenlos die Filme ansehen! Aus meiner eigenen Erfahrung vom JFFH kann ich jedem, der in der Frankfurter Region wohnt und Zeit hat nur dringend empfehlen, mitzumachen! Speziell Gästebetreuung macht einen Riesenspaß, diese Gelegenheit solltet ihr euch nicht entgehen lassen!

Wer bereit ist, meldet sich einfach unter helfer[at]nipponconnection.com, und wer noch ein Zimmer frei hat für Gäste des Festivals schreibt an info[at]nipponconnection.com!

So, noch ein Arbeitstag dann beginnt der Osterurlaub und das heisst dieses Jahr auch: Der Besuch auf der Nippon Connection steht kurz bevor! Das wird das erste Mal, dass ich auf dem größten japanischen Filmfest (der Welt? Europas? Deutschlands?) vorbeischaue, und ich bin schon sehr sehr gespannt, naturlich auf die Filme aber ebenso darauf, was die Organisatoren dort so alles auf die Beine stellen, wie die Dinge dort laufen und was neben den Filmen noch alles geboten wird.

Ich werde zwei Tage in Frankfurt sein, und zwar Donnerstag und Freitag, und habe mir folgende Filme vorgenommen:

Donnerstag:
16:00 Tokyo Zokei University Special
19:45 Still Walking (Kore-eda)
22:15 Tokyo Sonata (Kurosawa)

Freitag:
14:00 Osaka Hamlet (Mitsuishi)
17:00 The Kiss (Manda)

Chris MaGee vom Toronto J-Film Pow-Wow ist auch dabei (wenn er seine Erkältung noch auskuriert bekommt)! Wer noch? Jemand Lust auf ein Bierchen oder Yakitori? 🙂

Tja, manchmal frag ich mich echt, ob ich Tomaten auf den Augen habe! Seit gut einem halben Jahr führt Stefan nun schon den Ghiblianer-Blog, und ich habs erst kürzlich bemerkt… eine Schande! Anime-Blogs gibts ja auch auf Deutsch jede Menge, aber einen Ghibli-Blog, der nicht nur die bekannten Miyazaki sondern auch weniger populäre Titel wie Dabei ist das endlich ein deutschsprachiger Blog, der sich ganz dem Studio Ghibli widmet. Stefan schreibt ganz aus der Perspektive des Fans und geht auch auf Hintergründe ein wie etwa der Vorlage zu Gedo senki. Außerdem ist Stefan Open Source-Fan, was ihn gleich noch sympathischer macht (OO rules!) 😉

Cherry Blossom Eiga dagegen hat mit Anime ziemlich wenig am Hut. Hier stehen eher die klassischen Genre-Filme im Vordergrund, also durch Pappstädte trampelnde Männer in Gummianzügen und coole Gangster. Außerdem gibt es die mit viel Liebe gepflegte Kategorie DVD-Releases, die wunderbar darüber auf dem Laufenden hält, wann welcher japanische Film wo erscheint.

Original: Omoide poro poro (1991) von Isao Takahata

Neben Hayao Miyazaki wird Isao Takahata als Mitbegründer des Studio Ghibli gerne mal vergessen, und seine Filme sind – mit Ausnahme vielleicht von Die letzten Glühwürmchen – auch sehr viel weniger bekannt. Aber Takahata ist nicht nur einer der besten Freunde und engsten Mitarbeiter Miyazakis, er ist ihm auch künstlerisch absolut ebenbürtig. Memories of Yesterday ist dafür eindrucksvoller Beleg.

Die Tokyoter Angestellte Taeko bereitet sich auf ihren jährlichen Besuch bei einer befreundeten Familie auf dem Land vor. Zum Unverständnis aller fährt sie dorthin, um tatsächlich der Landarbeit nachzugehen: Sie freut sich darauf, Kühe zu melken, Reis zu pflanzen und Diesteln zu pflücken. Unterwegs auf der Zugfahrt drängen sich ihr dann eine Reihe Kindheitserinnerungen auf, so dass sie auf der Reise regelrecht von ihrem 10-jährigen Ich begleitet wird.

Bei der Ankunft wird sie von Toshio, einem jungen Öko-Bauern und guten Freund ihrer Gastfamilie abgeholt. Sofort ist Taeko von der Freude Toshios an der Arbeit mit der Natur und seiner Entschlossenheit und klaren Ansichten über den Umgang mit der Natur und das Leben ganz allgemein fasziniert. Doch so sehr sie die Arbeit auf dem Feld und die Ausflüge mit Toshio auch genießt, immer mehr Erinnerungen an ihre Kindheit – Hänseleien in der Schule, das erste Verliebtsein, Streitereien mit ihren Schwestern – holen sie ein und lassen sie zunehmend an sich zweifeln. Sie teilt viele ihrer Erinnerungen mit Toshio, neben dem sie sich einerseits zwar geborgen fühlt, andererseits aber verglichen mit ihm auch unreif, und das obwohl sie älter ist als er. Als sie am Abend vor ihrer Abreise plötzlich von ihrer Gastfamilie gefragt wird, ob sie nicht bleiben und Toshio heiraten möchte, brechen ihre inneren Konflikte hervor und sie muss sich endlich entscheiden, wie sie ihr Leben leben will.

Nun kommt aber erst der eigentliche Geniestreich Takahatas und wer den Film noch sehen und ganz genießen will sollte hier erstmal nicht weiterlesen und diesen und den nächsten Absatz besser überspringen: Er lässt Taeko nämlich am nächsten Morgen sich zunächst verabschieden und die Rückreise nach Tokyo antreten. Während die Abspanntitel zu laufen beginnen, denken wir, der Film ist zu Ende, sind verblüfft angesichts dieses unerwarteten und unbefriedigenden Ausgangs. Doch wie Taeko im Zug nach Tokyo sitzt und grübelnd vor sich hin starrt, kommt durch das offene Fenster plötzlich ein Schmetterling herein und mit ihm wieder einmal alle Erinnerungen. Beim nächsten Halt des Zuges steigt Taeko dann aus, kehrt um und bleibt bei Toshio.

Was hat es mit diesem hochgradig ungewöhnlichen und sehr emotionalen Ende des Films auf sich? Takahata will damit meiner Meinung nach zum Ausdruck bringen, dass es nie zu spät ist, das Richtige zu tun und sich für ein Leben zu entscheiden, das einem Erfüllung bietet.

Am Anfang des Films ist Taeko eine gewöhnliche, alleinstehende Mittzwanzigerin mit einem Job, der sie nur ernährt, ihr aber nichts bedeutet und deren Mutter sich langsam Sorgen macht, ob sie noch unter die Haube kommt. Sie lebt ziel- und haltlos vor sich hin und merkt es nicht einmal. Die über den ganzen Film verteilten Erinnerungen an ihre nicht immer ganz einfache aber letztlich völlig normale Kindheit, mit denen sich die allermeisten Nachkriegsjapaner sofort identifizieren dürften, bestätigen sie als symbolhafte Vertreterin einer ganzen Generation. Einer Generation, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um zu merken, dass sie stagniert und es versäumt hat, einen Platz im Leben und wahre Erfüllung zu finden.

Der Schlüssel für den Film ist dabei der Schmetterling. Das Bild des Schmetterlings taucht bereits relativ früh in einer Szene auf, in der die junge Taeko und ihre Mitschülerinnen in Sexualkunde und über die Entwicklung ihres Körpers in der Pubertät aufgeklärt werden. Während zwei Schmetterlinge gen Himmel flattern, sinniert die kleine Taeko darüber, wie sie jetzt vielleicht aus einer Raupe zu einem Schmetterling wird.

Und während dieses körperliche Erblühen ganz von selbst und ohne ihr Zutun erfolgt, bleibt ein vergleichbarer charakterlicher Quantensprung aus, sie versäumt es, sich mit ihren Erfahrungen, Träumen, Sehnsüchten auseinander zu setzen und daraus die eigentlich offensichtlichen Konsequenzen für ihr Leben zu ziehen. Bis zu diesem Moment auf der Rückfahrt nach Tokyo, als wieder der Schmetterling symbolhaft für den Beginn einer neuen Phase ihres Lebens steht.

Takahata wird öfters vorgeworfen, mit Memories of Yesterday das Leben auf dem Land in Harmonie mit der Natur zu idealisieren und unkritisch als erstrebenswerte alternative Lebensform zu unserer modernen Industriegesellschaft zu propagieren. Ich kann verstehen, dass angesichts der traumhaft schönen Bilder von Taeko und ihren Freunden in der freien Natur dieser Eindruck entstehen kann.

Doch zum einen ist dies ein Stilmittel, um einen möglichst klaren Gegensatz zwischen den in schlichten Pastellfarben gehaltenen Erinnerungen Taekos auf der einen und ihrem normalen Leben zu etablieren. Zum anderen wird mehrfach klar, dass es weniger das Leben auf dem Land als solches ist, was Taeko fasziniert und magisch anzieht, sondern vielmehr der Umstand, dass dieses Leben ihr und Toshio Erfüllung gibt. Dies ist der entscheidende Punkt, und nicht, welcher Lebensstil es ist, aus dem man diese Erfüllung zieht.

Was jenseits der Message des Films und der atemberaubenden Bilder an Memories of Yesterday fasziniert ist seine Darstellung von und Verankerung in der Realität. Die Charaktere und ihre Beziehungen sind zu einem Grad menschlich und authentisch, wie es selten in irgendeinem Film ist, geschweige denn in einem Anime. Dadurch berührt Takahatas Film den Zuschauer auf einer persönlich-emotionalen Ebene, welche die Filme von Miyazaki mit ihren Fantasiewelten und zumeist außergewöhnlichen Charakteren niemals erreichen könnten.

In dieser Hinsicht bewegt sich Takahata eher auf einer Linie mit den alten Meistern wie Mikio Naruse und vor allem Yasujiro Ozu. Speziell an Ozus Filme erinnert Memories of Yesterday nicht nur wegen der Darstellung des Familienlebens in der Wirtschaftswunderzeit, sondern auch weil Takahata dessen Opening Titles ebenfalls mit Sackleinen unterlegt. Takahata hat hier ein absolutes Meisterwerk geschaffen, das leider viel zu oft übersehen wird.

So, jetzt ist es raus, das Programm der diesjährigen NipponConnection! Der Oscar-Gewinner Okuribito ist leider nicht dabei, da haben die Kollegen wohl den seit der Preisverleihung durch die Decke gegangenen Preis dieses Films zu spüren bekommen. Mit Tokyo Sonata, All Around Us, Love Exposure, Still Walking und Nightmare Detective 2 sind aber die anderen großen Namen fast vollständig versammelt, und unter den eher Unbekannten verstecken sich bestimmt auch noch einige wunderbare Perlen!

Und hier die Gesamtübersicht:

  • 20th Century Boys (Niju seiki shonen), R: Yukihiko TSUTSUMI, J 2008
  • A Normal Life, Please (Jikken ningyo dami ozuma), R: Tokachi TSUCHIYA, J 2008
  • ABC Short Films, R: Kazuyuki IZUTSU, Kazuki OMORI, Junji SAKAMOTO, Sang Il LEE, Yoichi SAI, J 2008
  • Ain’t No Tomorrows (Oretachi ni asu wa naissu), R: Yuki TANADA, J 2008
  • All Around Us (Gururi no koto), R: Ryosuke HASHIGUCHI, J 2008
  • Animation Soup Special & Live Performance
  • Benshi Brilliance! Hirono YAMADA€™s Benshi Heaven von und mit Hirono YAMADA
  • Catman, R: Ryosuke AOIKE (Anime-Kurzfilme)
  • Detroit Metal City, R: Toshio LEE, J 2008
  • digista vol. VII, J 2008 (Kurzfilme)
  • The First Seven Days (Saisho no nanokakan), R: Hisashi SAITO, J 2008
  • Genius Party Beyond, R: Masahiro MAEDA, Koji MORIMOTO, Kazuto NAKAZAWA, Shinya OHIRA,
  • Tatsuyuki TANAKA, J 2008
  • Genius Party, R: Atsuko FUKUSHIMA, Shoji KAWAMORI, Shinji KIMURA, Yoji FUKUYAMA, Hideki FUTAMURA, Masaaki YUASA, Shinichiro WATANABE, J 2007
  • Goodbye (Hebano), R: Bunyo KIMURA , J 2008
  • GS Wonderland, R: Ryuichi HONDA, J 2008
  • Hells, R: Yoshinobu YAMAKAWA, J 2008, OmeU
  • Kanna€™s Big Success! (Kanna-san daiseiko desu!), R: Koichi INOUE, J 2008
  • The Kiss (Seppun), R: Kunitoshi MANDA, J 2008
  • Koji MAEDA Special (Kurzfilme)
  • Koo-Ki Special (Werbeclips)
  • Locked Out, R: Yasunobu TAKAHASHI, J 2008
  • Love Exposure (Ai no mukidashi), R: Sion SONO, J 2008
  • Mental (Seishin), R: Kazuhiro SODA, J/USA 2008
  • mime-mime, R: Yukiko SODE, J 2007
  • Musabi Student Film Explosion (Kurzfilme)
  • Parting Present (Omiyage / Mibojin no mofuku €“hoshii no€¦), R: Mamoru WATANABE, J 2008
  • Mononoke (Episode 10-12 €žBakeneko€œ), R: Kenji NAKAMURA, J 2007
  • Naked of Defenses (Mubobi), R: Masahide ICHII, J 2007
  • Nightmare Detective 2 (Akumu tantei 2), R: Shinya TSUKAMOTO, J 2008
  • Non-Ko (Nonko 36 sai kaji tetsudai), R: Kazuyoshi KUMAKIRI, J 2008
  • Open Art Special: Hiroyuki NAKANO
  • Osaka Hamlet (Osaka hamuretto), R: Fujiro MITSUISHI, J 2008
  • Peaches! (Momo matsuri) (Kurzfilmprogramm)
  • Punch the Blue Sky (Aozora ponchi), R: Go SHIBATA, J 2008
  • Pussy Soup (Neko ramen taisho), R: Minoru KAWASAKI, J 2008
  • Serial Dad (Komori seikatsu kojo club), R: Ikki KATASHIMA, J 2008
  • Still Walking (Aruitemo aruitemo), R: Hirokazu KORE-EDA, J 2008
  • Talk, Talk, Talk (Shaberedomo shaberedomo), R: Hideyuki HIRAYAMA, J 2007
  • Tokyo Zokei University Special (Kurzfilme)
  • Tokyo Sonata, R: Kiyoshi KUROSAWA, Japan/ Niederlande/ Hong Kong 2008
  • The Twilight Samurai (Tasogare seibei), R: Yoji YAMADA, J 2002
  • The Two in Tracksuits (Jaji no futari), R: Yoshihiro NAKAMURA, J 2008
  • Vacation (Kyuka), R: Hajime KADOI, J 2008
  • Yariman (Bara / Ya.ri.ma.n.), R: Rei SAKAMOTO

Und dann gibt es ja auch noch die Pink Eiga Retrospektive:

  • Blue Film Woman (Buru firumu no onna, dir.), R: Kan MUKAI, J 1969
  • Raigyo, R: Takahisa ZEZE, J 1997
  • Gushing Prayer (Funshutsu kigan €“ 15sai no baishunfu), R: Masao ADACHI, J 1971
  • Secret Hot Spring Resort: Starfish at Night (Maruhi yu no machi: yoru no hitode), R: Mamoru WATANABE, J 1970
  • Abnormal Family: Older Brother€™s Bride, R: Masayuki SUO, J 1984
  • S&M Hunter (Jigoku no ropa 2: Kinbaku SM 18-sai), R: Shuji KATAOKA, J 1989
  • No Love Juice: Rustling in the Bed (Fuwa-fuwa to beddo no ue de), R: Kosuke TAKEDA, J 1999
  • Tears of Ecstasy, R: Hiroyuki OKI, J 1995

Der Oscar für Okuribito war für viele eine Überraschung, nicht zuletzt für die Macher des Films selbst. Nach der Oscar-Verleihung nahmen Kinos überall in Japan den eigentlich bereits im Herbst gelaufenen Film wieder ins Programm, die Menschen strömten in Massen in die Kinos und katapultierten den Film direkt auf Nummer 1 der Kino-Charts.

Chris vom Toronto J-Film Pow-Wow stellt sich nun angesichts der unerwarteten Preisverleihung die Frage, ob Okuribito eine neue „Goldene Ära“ des japanischen Films einläuten könnte. Er vergleicht die gegenwärtige Siutation dabei besonders mit dem Überraschungserfolg von Rashomon bei den Filmfestspielen von Venedig vor knapp 60 Jahren und vermutet bzw. hofft, dass ähnlich wie damals Filmemacher und clevere Geschäftsleute nun versuchen werden, die „Erfolgsformel“ von Okuribito zu reproduzieren:

Personally, I have to hold out hope that what happened in the early 1950s could under the right circumstances somehow happen again. I don’t think any of us could deny that 2008 was a high watermark year for Japanese cinema, but now we just have to see if the flood will continue and if the world will be receptive if it does.

Dabei lässt er außer Acht, dass die Regisseure, von denen die Goldene Ära der 1950er geprägt wurde, entweder bereits seit langem in der Industrie waren und bereits in den 1930ern großartige Filme produziert hatten (Ozu, Mizoguchi, Naruse, Yamamoto, Inagaki) oder Schüler dieser Filmemacher waren (Kurosawa, Honda, Kinoshita, Ichikawa). Insofern hatte die damalige Goldene Ära relativ wenig damit zu tun, dass Rashomon zufällig einen renommierten internationalen Preis gewann. Vielmehr war diese Ära Ergebnis der Verfassung der japanischen Filmindustrie selbst, die damals vor Talenten nur so strotzte und diese dank eines umsatzstarken Heimatmarktes sich austoben lassen konnte.

Und hier sehe ich die eigentliche Parallele im Hintergrund: In den letzten 20, 25 Jahren haben sich in Japan eine Reihe hochtalentierter Filmemacher etabliert, deren Filme sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern Anerkennung fanden. Ich denke da an einen Yoji Yamada, Hirokazu Kore-eda, Takeshi Kitano, Kiyoshi Kurosawa, Shinji Aoyama oder Sion Sono und natürlich die Anime-Künstler Hayao Miyazaki, Isao Takahata oder Mamoru Oshii. Der Oscar für Okuribito ist gewissermaßen die Bestätigung für deren Arbeit.

Insofern liegt die Bedeutung des Oscars eher darin, dass die Werke dieser Filmemacher jetzt stärker wahrgenommen werden und bessere Chancen haben, ein internationales Publikum zu erreichen. Denn auf dem heimischen Markt hat sich die „neue“ Goldene Ära in den letzten Jahren ja bereits in den stark gestiegenen Zuschauerzahlen für japanische Produktionen niedergeschlagen. Natürlich gilt es, diese Chance zu nutzen. Grundsätzlich ist das Fundament für eine solche Ära also zweifellos bereits vorhanden. Davon zeugen auch die verschiedenen japanischen Filmfeste, die in den 90ern überall auf der Welt entstanden sind und sich in den letzten Jahren einer rasant steigenden Beliebtheit erfreuen.

Die kritische Frage ist für mich vielmehr, ob es gelingt, den zusätzlichen Schwung des Oscar-Gewinns in positive künstlerische Energie umzuwandeln, ob junge Talente nachkommen und eine Chance erhalten, oder ob jetzt möglicherweise unrealistische Erfolgserwartungen geschürt werden, die jegliche Kreativität ersticken. Der Versuch, die „Erfolgsformel“ von Okuribito zu kopieren, könnte bereits ein erster Schritt in eine solche Sackgasse sein.