26 Mrz
Sylvester Stallone ist nicht unbedingt für anspruchsvolle Filmkost bekannt, auch wenn er zweifelsohne im Lauf seiner Karriere an einigen sehr beachtlichen Filmen mitgewirkt hat. Seine bekannteste Rolle ist sicherlich die des ewigen Underdogs Rocky Balboa, die in einem solchen Maße Eingang in die amerikanische Popkultur gefunden hat, dass der entsprechende Wikipedia-Artikel mit dem Hinweis versehen ist, der fiktionale Charakter Rockys müsse etwas besser verdeutlicht werden.
Allseits bekannt ist auch, dass Stallone die Idee zu Rocky während eines Boxkampfs zwischen dem amtierenden Weltmeister und haushohen Favoriten Muhammad Ali und dessen aussichtlosem Herausforderer Chuck Wepner kam. Stallone machte nie ein Hehl daraus, dass Wepner das Vorbild für Rocky Balboa gewesen war, so dass Wepner 2002 sogar auf Beteiligung an den Einspielergebnissen klagte. Die Hintergründe der Figur Rocky sind bestens bekannt und dokumentiert, auch, dass Rocky Marciano, einer der größten Boxer aller Zeiten, für den griffigen Vornamen Pate stand.
Nur, wie kam der Nachname für die Figur zustande? Dazu hab ich auch nach zwei Abenden Suche nichts gefunden. Aber wer weiß, vielleicht hatte Sly ja diese kurze Szene des im Sommer 1972 erstmals in den USA gezeigten Ozu-Klassikers Später Frühling gesehen:
Vielleicht aber auch nicht… 😉
Original: Sen to Chihiro no kamikakushi (2001), von Hayao Miyazaki
Die kleine Chihiro und ihre Eltern geraten beim Umzug in ihr neues Zuhause versehentlich in einen aufgegebenen Vergnügungspark. Chihiro ahnt, dass etwas nicht stimmt, aber ihre Eltern machen sich bedenkenlos über die in einer Imbissbude aufgetischten Köstlichkeiten her. Im Herzen des Vergnügungsparks liegt jedoch ein von der Hexe Yubaba geführtes Badehaus für Geister und Götter, und für diese waren die Speisen bestimmt. Zur Strafe verwandelt Yubaba Chihiros Eltern in Schweine.
Der völlig verstörten und eingeschüchterten Chihiro gelingt es jedoch mit Hilfe von Haku, Zauberlehrling und rechte Hand Yubabas, eine Arbeit in dem Badehaus zu erhalten, wodurch sie dem Zauber entgeht. Nun muss sie eine Reihe von Hindernissen überwinden und Abenteuer bestehen, um ihre Eltern wieder in Menschen zurückzuverwandeln. Und auch Haku ist von einem Geheimnis umgeben, das es zu entwirren gilt.
Wieder einmal gelingt es Hayao Miyazaki, eine faszinierende, mitreißende sowie außergewöhnlich detailreiche und daher glaubwürdige und real wirkende Welt zu erschaffen. Das Badehaus mit seinen Fahrstuhlschächten, Vorratskellern, Küchen, Dampfbädern und den unzähligen merkwürdig-grotesken Bewohnern ist ein Kosmos ganz für sich und ein intuitiv nachvollziehbarer noch dazu, so dass kaum etwas dem Zuschauer explizit mittels der üblichen Lückenfüller-Dialoge erklärt werden muss.
So fantastisch diese Geisterwelt auch sein mag, Chihiros Reise ins Zauberland ist der erste und einzige Film Miyazakis, der ausdrücklich im Japan der Gegenwart spielt. Das wird gleich am Anfang klar, als Chihiro und ihre Eltern in einem schicken Audi zu ihrem neuen Zuhause unterwegs sind. Insofern hält die Parallelwelt des Badehauses der japanischen Gesellschaft den Spiegel vor und lehrt Chihiro – stellvertretend übrigens für die verzogenen Töchter eines Freundes von Miyazaki, die ihn zu dem Film inspiriert hatten – wichtige Lektionen über das Leben und traditionelle Werte sowie den Umgang mit Menschen.
Damit kritisiert der Film auch außergewöhnlich direkt den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft. Hatte Miyazaki in seinen früheren Filmen seine Agenda (Achtung vor Menschen und der Umwelt, Ablehnung von Gewalt und Macht) zwar unübersehbar aber doch eher indirekt transportiert, wird er hier an einigen Stellen sehr deutlich, fast drastisch in seiner Verurteilung der modernen Lebens- und Denkweisen. Über all die Symbole und Anspielungen und wie man sie interpretieren könnte ließe sich problemlos ein ganzes Buch schreiben, ich werde mich hier auf drei mir besonders zentral erscheinende Punkte konzentrieren: Erziehung, Konsumorientierung, Mangel an Werten und Traditionen.
Schon am Beginn des Films steht die Kritik an der Erziehung. Chihiro hat überhaupt keinen Bezug zu ihren kulturellen Wurzeln, kleine Schreine am Wegesrand erkennt sie nicht, Skulpturen ängstigen sie, weil sie ihr fremd sind und sie deren Bedeutung nicht kennt. Zudem mangelt es ihr an grundlegenden Umgangsformen: Sie ist völlig verzogen, nörgelt die ganze Zeit, ist unselbständig und muss daran erinnert werden, sich zu bedanken.
Diese Defizite in der Erziehung sind das Ergebnis eines gestörten Verhältnisses von Eltern und Kindern. Es fehlt Chihiro offensichtlich an Zuwendung und Verständnis und auch ihre Ängste beim Betreten des Vergnügungsparks werden von ihren Eltern ignoriert. Chihiro wirkt in dieser Eröffnungssequenz des Films fast wie ein Anhängsel ihrer Eltern, die allein auf ihr eigenes Wohlergehen fixiert sind.
Dieser konsumorientierte Materialismus bringt dann die ganze Handlung ins Rollen: Die Eltern machen sich ohne auch nur einen Moment zu zögern über die für die Götter gedachten Speisen her, Bedenken wischt der Vater mit dem Hinweis auf seine Kreditkarten beiseite. Im Weltbild der Eltern ist alles käuflich, und Kreditkarten lösen jedes Problem. Schnell wird aus dem vorsichtigen Kosten der Gerichte ein wahrhaft tierisches Fressen, das bereits die Entmenschlichung mittels der Verwandlung in Schweine andeutet.
Materialismus und Gier sind Elemente, die sich durch den ganzen Film ziehen. Auch die Hexe Yubaba ist auf Reichtum und weltliche Güter fixiert und die Bewohner und Angestellten des Badhauses geraten völlig außer sich, als ihnen von einem unerwarteten Besucher, dem Ohngesicht, Goldnuggets angeboten werden. Bedenkenlos erfüllen sie diesem daraufhin jeden Wunsch. Angespornt von der Willfährigkeit entwickelt Ohngesicht einen unstillbaren Heißhunger und verschlingt blind alles an Speisen, was ihm geboten wird. Dadurch bläht er sich immer weiter auf und nimmt monströse Züge an, bis Chihiro ihm einen magischen Kloß zu essen gibt.
Diesen Kloß hatte sie zuvor als Dank von einem Flussgeist geschenkt bekommen, den sie von Abfällen befreit hatte. Denn die Konsequenz der Konsumorientierung und des Materialismus ist eine Geringschätzung gegenüber der Umwelt und logischerweise deren Verschmutzung. So trifft der Flussgeist zuerst als Faulgott im Badehaus ein, eine stinkende Schleimspur hinter sich herziehend. Als Chihiro ihn in ein Bad verfrachtet, entdeckt sie eine Art Dorn in ihm, den sie gemeinsam mit anderen herausziehen kann und der sich als Lenker eines Fahrrads entpuppt, das zusammen mit Tonnen anderen Mülls den Flussgeist in einen stinkenden, schmutzstarrenden Faulgott verwandelte.
Vom Müll der modernen Konsumgesellschaft befreit, erscheint der Flussgeist Chihiro in der Form einer Noh-Maske, Symbol für das alte, traditionelle Japan. Daher ist diese Episode für mich das spirituelle Zentrum des Films: Neben der Thematisierung der Umweltschutzproblematik, die sich bei Miyazaki regelmäßig wiederfindet, gibt es hier noch eine weitere, tiefergehende Ebene.
Es wird nämlich nicht nur der Fluss und damit die Natur gereinigt, sondern in gemeinsamer Anstrengung vereint befreien Protagonistin und Antagonistin die Versinnbildlichung der Kultur und Tradition Japans von all dem Schmutz und Abfall, mit dem diese heute bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet ist. Die Besinnung auf althergebrachte Werte, die bereits in der Kritik an Chihiros mangelhafter Erziehung anklang, wird hier im Symbol der Noh-Maske auf den Punkt gebracht und angemahnt.
Mit jedem der erfolgreich absolvierten Abenteuer wächst Chihiro ein Stückchen, wird sich nicht nur ihrer selbst sondern auch ihrer Mitmenschen und ihrer Umwelt bewusster und wird vom hilfsbedürftigen Tollpatsch selbst zu einer großen Hilfe für andere. Bereits in Kikis kleiner Lieferservice stand die Entwicklung und geistig-moralische Reifung eines jungen Mädchens im Zentrum eines Miyazaki-Films.
In Chihiros Reise ins Zauberland geht der Meister nun noch einen Schritt weiter: Chihiros Entwicklung von der verwöhnten Göre zu einem gereiften Mädchen ist nicht nur ein individuelles Beispiel und ein Ansporn, sondern eine kritische Auseinandersetzung mit dem Lebensstil einer ganzen Kultur. Wie nebenbei trägt die Besinnung auf alte Werte und Moralvorstellungen dazu bei, dass Chihiro erfolgreich ihre Eltern befreien kann.
Dass der Film wunderschön gezeichnet und animiert ist, mit einer Vielzahl liebenswert-skurriler Charaktere aufwartet (es gibt auch ein Wiedersehen mit den makuro kurosuke aus Mein Nachbar Totoro) und überaus unterhaltsam ist, brauche ich wohl nicht weiter auszuführen. Darüber hinaus ist er für mich der vielschichtigste und engagierteste Miyazaki überhaupt, und damit natürlich auch Anwärter auf den Titel des besten Miyazaki.
Eigentlich ist die Debatte um den Yasukuni-Schrein in Tokyo, die in schöner Regelmäßigkeit aufpoppt und die Beziehungen Japans zu seinen Nachbarn belastet, durch und durch politisch. Aber jetzt ist auch das Filmbusiness davon betroffen: Ein großes Kino in Tokyo hat die Aufführung des bereits auf der Berlinale gezeigten Dokumentarfilms Yasukuni wegen Drohungen rechter Extremisten abgesagt.
Der Film, der u.a. von einem Förderprogramm der japanischen Regierung mitfinanziert wurde und bereits vorab in einer Spezialvorführung von 80 Abgeordneten der Regierungspartei LDP gesehen wurde, soll am 12. April in die japanischen Kinos kommen und hätte ursprünglich auch im neuen Renommier-Multiplex Shinjuku Wald9 der Firma T-Joy gezeigt werden sollen. Diese Vorführungen wurden nun abgesagt, mit widersprüchlichen Begründungen:
„T-Joy told us that it was due to a problem in its screening schedule,“ said an official of Argo Pictures [die Verleih-Firma]. „But the other three theatres still plan to show the movie.“ A T-Joy official contacted by AFP declined to comment. But Kyodo News quoted a T-Joy official as saying the film may cause ‚trouble.‘ „The film is talked about so much that it may create trouble and we don’t want to cause inconvenience to building tenants,“ the official was quoted as saying.
Mit „inconveniece“ dürften wohl Proteste, Aktionen und Drohungen rechter Extremisten gemeint sein. Denn bereits seit einiger Zeit werden der seit 1989 in Japan lebende chinesische Regisseur Li Ying (der zuerst mit Dokumentationen über Tibet auf sich aufmerksam machte) und sein Team mit Morddrohungen eingeschüchtert. Li, der seit 1997 an der Dokumentation gearbeitet hatte, will sich davon aber nicht beeindrucken lassen:
While he is taking precautions to protect himself and his team, Li said he is going ahead with the film’s Japanese release through distributor Nai Entertainment. „I have spent 10 years making this movie,“ he said. „The issues in the film are key to many of the problems Japan faces in dealing with the war and dealing with the rest of Asia. Compared to that (my personal safety) is unimportant.“
Wenn man sich in die Ereignisse rund um die Absage des Kinos etwas einliest, wird einem schnell bewusst, wie sehr Japan heute noch von seiner Geschichte und insbesondere von der mangelnden Auseinandersetzung mit dieser Geschichte und der daraus erwachsenden Verantwortung geplagt wird. Kein Vergleich mit der Situation hierzulande!
Was nun das Filmgeschäft betrifft: Eigentlich müssten sich die Kinos, die planen den Film zu zeigen, angesichts all der kostenlosen Publicity schön die Hände reiben und diese nach Möglichkeit ausnutzen, um Leute in die Vorstellungen zu locken. Insofern ist die Absage wirtschaftlich auch nicht wirklich nachvollziehbar. Im speziellen Fall dieses wohl brandneuen Multiplexes könnte ich mir vielleicht noch vorstellen, dass man seinen Namen nicht in Zusammenhang mit eventuellen Ausschreitungen bringen will, weil das die Zielgruppe (Familien, Teens) abschrecken könnte und schlecht fürs Image wäre. Das wäre die „positive“ Interpretation.
Die weniger schöne Vermutung wäre, dass in Japan bezüglich der eigenen kriegerischen Vergangenheit und speziell des Yasukuni-Schreins bereits ein gesamtgesellschaftliches Klima vorherrscht, welches das Thema tabuisiert und gewissermaßen einen vorauseilenden Gehorsam notwendig macht. Das wäre natürlich fatal und würde nichts Gutes ahnen lassen für die immer noch problematische Aussöhnung mit Korea und China! Vielleicht wissen dazu Leser in bzw. aus Japan mehr?
Einen sehr ausführlichen Bericht über den Film selbst, der die Geschichte und besondere Bedeutung des Schreins aus dem Blickwinkel des letzten noch lebenden Schmieds der Yasukuni-Schwerter beleuchtet, sowie seine Hintergründe findet ihr bei asahi (der Zeitung, nicht dem Bier). Und eine wie immer lesenswerte Kritik bei Thomas.
Via ryuganji
16 Mrz
Heute vor 15 Jahren, am 16. März 1993, starb Chishu Ryu, der über mehrere Jahrzehnte aus dem japanischen Filmbusiness nicht wegzudenken war und in seiner langen Karriere in fast 200 Filmen spielte. Untrennbar verbunden ist sein Wirken mit Yasujiro Ozu, für den er 1928 in Wakodo no yume erstmals vor die Kamera trat und allein bis 1936 überwiegend kleinere Rollen in weiteren 13 Filmen übernahm. Bis hierher hatte Ryu fast ausschließlich mit Ozu zusammengearbeitet, dessen Produktivität während der Kriegsjahre aber stark zurückging.
So sammelte Ryu nun Erfahrungen mit anderen Regisseuren, darunter Heinosuke Gosho, Hiroshi Shimizu, Keisuke Kinoshita und Hiroshi Inagaki. Unvergessen bleibt er jedoch als die Vater- und Großvaterfigur schlechthin aus Ozus Nachkriegsfilmen: Erstmals übernahm er diese 1942 in Es war einmal ein Vater und dann 1949 in Später Frühling als Witwer, der seine Tochter endlich verheiraten möchte, sowie anschließend in zahlreichen weiteren Meisterwerken. Er verlieh diesen Vätern und Großvätern immer eine ausgesprochen menschliche, ihre Position als zu respektierendes Familienoberhaupt mildernde Note. Dazu spielte er mit ihren Schwächen, ließ sie manchmal etwas weltfremd, vergeistigt oder unselbständig erscheinen.
Auffallend dabei ist, dass Ryu in dieser Phase immer deutlich ältere Männer spielte, als seinem eigenen Alter entsprach. In Später Frühling beispielsweise ist sein Charakter 56, der 1904 geborene Ryu selbst aber lediglich 45. In Tokyo Story ist diese Diskrepanz noch ausgeprägter, hier spielt er einen Großvater weit jenseits der 60, während er selbst noch keine 50 war. Außer in diesen Filmen Ozus trat er noch in vielen weiteren Produktionen auf, übernahm dabei jedoch nur selten Hauptrollen.
Nach Ozus Tod 1963 folgte nur noch eine große Rolle, die des japanischen Premierministers in dem epischen Weltkriegsdrama The Emperor and the General. Bald darauf begann ein ganz neuer Abschnitt seiner Karriere, als er die Rolle des gutmütigen Priesters in der nicht enden wollenden Tora san-Reihe übernahm und diese von 1969 bis 1992 insgesamt 42 Mal spielte!
Wichtige Filme Ryus:
1928 – Wakodo no yume
1936 – The Only Son
1942 – Es war einmal ein Vater
1949 – Später Frühling
1951 – Carmen comes home
1953 – Tokyo Story
1956 – Early Spring
1958 – The Rickshaw Man
1959 – Good Morning
1962 – An Autumn Afternoon
1967 – The Emperor and the General
1969 – It’s tough being a man (Tora san 1)
1984 – The Funeral
1990 – Akira Kurosawa’s Dreams
1992 – Tora san 45
David Bordwell war die letzten Tage in Japan unterwegs und hat aufregendes zu berichten: Er hatte nämlich Gelegenheit, einen kürzlich in den Archiven von Shochiku entdeckten und im japanischen Fernsehen gezeigten Film namens Miss Okichi (im Original Ojo Okichi) aus dem Jahr 1935 zu sehen. Kenji Mizoguchi wird als Regisseur genannt, zusammen mit bzw. nach Tatsunosuke Takashima (der die Drehbücher für mehrere Filme Mizoguchis geschrieben hatte), Hauptdarstellerin ist Isuzu Yamada und zum Plot schreibt David:
A bit like The Downfall of Osen (Orizuru Osen, 1935), this film centers on a woman who€™s a cat€™s paw for a gang involved in shady dealings. Okichi, played by Yamada Isuzu (whose bosom I nestle against in my earlier entry), is pulling scams for the sake of her lover. But she falls out with the gang and takes pity on one of the young men whom she victimizes.
Abgesehen von der mizoguchiesken Auseinandersetzung mit einer Frau, die sich für einen Mann aufopfert, weist Miss Okichi wohl einige weitere typische Elemente auf. Selbst wenn noch nicht klar ist, wie groß sein Anteil an dem Film letztlich war, klingt das nach einer sehr spannenden Entdeckung (und nach reichlich Arbeit für Filmhistoriker). Wer weiß, welche Schätze noch in den Archiven schlummern!
Neben diesem wohl absoluten Höhepunkt seiner Reise erzählt David von Besuchen in Toeis Filmpark, Gesprächen mit alten Kollegen und Schülern und in einem früheren Posting von einer Konferenz sowie dem Besuch am Grab Yasujiro Ozus.
Auf der Suche nach den besten japanischen Filmen hab ich mich nach den Filmpreisen Mainichi und Kinema Junpo sowie den internationalen Kritikern den gemeinen Konsumenten und deren Meinung zugewandt, sprich: dem IMDb Rating, auf dessen Basis ich die 100 besten japanischen Filme in den Augen der Zuschauer rausgesucht habe.
Dazu habe ich die genannten drei Listen zusammengeworfen, Dopplungen entfernt und so viel wie möglich fehlende Filme, die mindestens 25 votes bekommen haben, ergänzt. Leider gibt es keine Möglichkeit bei IMDb, statistische Auswertungen der Top-Listen nach Ländern sortiert zu machen, hatte mich extra testweise für einen Pro-Account registriert und beim Support nachgefragt, ist aber nicht drin. Daher leidet die Liste natürlich an Unvollständigkeit! Wer noch weitere Filme kennt, die auf Grund des Ratings aufgenommen werden müssten (derzeit mindestens eine Durchschnittsbewertung von 7,7), kann einfach den Link in die Kommentare posten.
Natürlich finden sich an der Spitze die üblichen Verdächtigen wie Kurosawa, Ozu, Mizoguchi, die jeweils mit mehreren Filmen unter den Top 20 vertreten sind. Am Besten schneidet aber Masaki Kobayashi ab, von dem sich gleich 5 Filme (Harakiri, Samurai Rebellion und seine Human Condition-Trilogie) an der Spitze tummeln! Hierbei kommt ihnen sicherlich eine Eigentümlichkeit des IMDb-Rankings zu Gute, die sich auch bei anderen Filmen positiv auswirkt: Filme mit geringer Bekanntheit sind in aller Regel begünstigt, weil sie hauptsächlich von Fankreisen bewertet werden und daher weniger negative Bewertungen bekommen.
Dadurch erkläre ich mir auch die guten Positionen so unbekannter Filme wie Yuki yukite shingun, Nikudan oder von Ozus The Only Son, welcher der am besten bewertete Film Ozus überhaupt ist, dabei aber nicht mal 200 votes bekommen hat. Wie alle anderen Rankings auch ist natürlich auch dieses sehr kritisch zu sehen und kann kontrovers diskutiert werden. Interessant ist es aber allemal, stößt man so doch immer wieder auf bisher unbekannte Perlen.
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12 Mrz
Original: Banshun (1949), von Yasujiro Ozu
In seinem dritten Nachkriegsfilm, dem Auftakt der sogenannten Noriko-Trilogie, lässt Ozu die Kriegsereignisse (die seine beiden vorherigen Filme sehr stark geprägt hatten) hinter sich und legte den Grundstein für alle seine weiteren Werke.
Die 27jährige Noriko (Setsuko Hara) und ihr verwitweter Vater Shukichi (Chishu Ryu) leben harmonisch zusammen und haben eine sehr enge Bindung. Doch Shukichi ist sich bewusst, dass es für Noriko an der Zeit ist, zu heiraten. Die will davon aber nichts wissen, teils weil sie ihren Vater nicht allein lassen will, teils auf Grund abschreckender Beispiele wie ihrer geschiedenen Freundin Aya (Yumeji Tsukioka). Erst als Shukichi sanften Druck ausübt und beginnt, für sich selbst eine erneute Ehe in Betracht zu ziehen, kann er Noriko von einer Heirat überzeugen.
Der entscheidende Moment des Films ist ein Gespräch zwischen den beiden auf ihrer Abschiedsreise nach Kyoto. Obwohl Noriko der Hochzeit bereits zugestimmt hat, bekommt sie während der Reise Zweifel daran, ob sie in einer Ehe ähnlich glücklich sein könnte wie im Leben mit ihrem Vater und will ihre Entscheidung zurücknehmen. In einem langen Monolog (wie ich ihn selten bei Ozu gesehen habe) macht Shukichi deutlich, dass Glücklichsein einem nicht gegeben wird, sondern dass man es sich erarbeiten muss, gerade in einer Ehe. Denn in deren Zentrum stünde nicht das Glück, sondern der Neubeginn eines gemeinsamen Lebens, über das man dann den Weg zum Glück finden könne.
Damit bringt er eine der zentralen Botschaften des Films auf den Punkt, nämlich die, welche sich mit dem großen Thema Ehe befasst. Ozu beleuchtet dieses in Später Frühling aus einer Reihe von Perspektiven: Vorneweg natürlich Noriko, die eine Hochzeit zwar vage mit Glück assoziiert, aber andererseits auch vor der dadurch hervorgerufenen Veränderung in ihrem Leben zurückschreckt. Dann ihre Freundin Aya, die ein sehr pragmatisch-modernes Verhältnis zur Ehe hat und Noriko rät, sich einfach scheiden zu lassen, wenn ihr Mann nicht spurt.
Shukichi sieht die Ehe dagegen als eine schlichte Notwendigkeit um sicherzustellen, dass Noriko für den Fall seines Todes gut versorgt ist. In seiner traditionellen Sicht geht er davon aus, dass Mann und Frau sich zusammenraufen und sich das Glück erarbeiten. Alle diese Ansichten stehen gleichberechtigt nebeneinander, auch wenn am Ende Noriko in eine traditionell arrangierte Ehe einwilligt, die für sie die richtige Variante sein mag, womit sich aber keine universelle Wertung verbindet.
Das zweite große Thema des Films ist die Loslösung der Kinder von ihren Eltern, in diesem Fall der Tochter vom Vater. Die Hochzeit von Noriko ist trotz der damit für sie verbundenen Selbstüberwindung im Kern positiv, da ein Aufbruch zu etwas Neuem. Dem Abschied der Kinder dagegen haftet nichts positives an: Die traurig-melancholische Schlussszene des Films, in der Shukichi erschöpft in das nun leere Haus heimkehrt, allein am Tisch sitzend einen Apfel schält und dann stumm in sich zusammensinkt, bevor der Film mit einem Bild der Meeresbrandung endet, ist einfach herzzerreissend!
Typisch für Ozu, aber so auffallend wie in kaum einem anderen seiner Filme, sind die Auslassungen entscheidender Handlungselemente. Das beginnt mit dem arrangierten Date, bei dem Noriko ihren Zukünftigen kennenlernen soll, das Thema vieler Gespräche ist, sich aber off-screen ereignet. Der ganze Rest des Films läuft dann auf Norikos Hochzeit als Höhepunkt zu, aber als diese dann bevorsteht und Noriko sich im Hochzeitskleid von ihrem Vater verabschiedet, schneidet Ozu statt zu der Zeremonie in eine Bar, in der sich Shukichi und Aya anschließend unterhalten. So haben wir Norikos Bräutigam im ganzen Film nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, obwohl die ganze Zeit über ihn geredet wird!
Dazu passt natürlich Ozus anekdotischer Erzählstil, der sich weniger an einem roten Handlungsfaden orientiert als vielmehr an für die Charakterausformung entscheidenden einzelnen Gesprächen und kleinen, alltäglichen Ereignissen. Ebenfalls typisch sind die kaum vorhandenen zeitlichen Bezüge, was es dem Zuschauer nahezu unmöglich macht, die Dauer der Handlung einzuschätzen (es könnten ein paar Monate, genausogut aber auch nur 14 Tage sein).
Auch die weiteren bekannten Elemente seiner Filme sind alle vorhanden, von der niedrigen Kamera über die ungewöhnliche Nutzung des Raums, die überleitenden Stillleben, die familienbezogene Thematik bis zu der Verengung des Bildes und den altbekannten Mitwirkenden – nicht zu vergessen die trocknende Wäsche. Wobei Setsuko Hara hier eine ungewöhnlich lebendige, fast jugendlich-naive Noriko gibt, im Gegensatz zu den eher gereiften Frauenrollen die sie sonst bei Ozu übernahm. Etwas ungewöhnlich erschienen mir auch einige Szenen im Freien (ein Spaziergang und ein Fahrradausflug), in denen für Ozu ungewöhnliche Kamerafahrten zum Einsatz kamen.
Und dann gibt es in Später Frühling noch ein Motiv, das sich durch den ganzen Film zieht: japanische Traditionen und Zeremonien. Gleich die Eröffnungssequenz beginnt mit einer Teezeremonie (siehe den obigen Screenshot), später besuchen Noriko und Shukichi eine Noh-Vorstellung, die ausführlichst gezeigt wird. Dann die Reise nach Kyoto, bei der Vater und Tochter japanische Wahrzeichen wie den Kiyomizu-Tempel und den berühmten Steingarten von Ryoan-ji besuchen und natürlich am Ende die traditionelle Hochzeit.
So ganz weiß ich nicht, wie ich das einordnen soll, dazu kenne ich mich mit der Bedeutung dieser Zeremonien und besonders des Noh-Stückes nicht aus. Aber ich könnte mir denken, dass Ozu damit vier Jahre nach Kriegsende und nach Filmen, die einen starken Bezug zum Krieg und seinen Folgen hatten, symbolisch wieder in die „japanische“ Normalität zurückkehren und die Bedeutung japanischer Traditionen angesichts des raschen gesellschaftlichen Wandels unter der amerikanischen Besatzung herausstreichen wollte. Somit sehe ich den Film in einem Subtext auch als politisches Statement.
Überhaupt ist Später Frühling für mich persönlich der Film aus Ozus Werk, der mich bisher am tiefsten berührt hat. Zusammen mit all den anderen bereits angesprochenen Punkten macht ihn das für mich definitiv zu einem seiner herausragendsten Werke neben Tokyo Story.
Die neue Website der Nippon Connection 2008 ist jetzt online! Infos zu den Festivallocations stehen zur Verfügung, den Spielplan gibts als pdf-Download und natürlich Überblicke über das Programm in den fünf Sparten: Nippon Cinema, Cinema Award, Nippon Digital, Nippon Retro und Nippon Culture. Das Wichtigste, nämlich Informationen zu den Filmen, fehlt leider noch komplett! Ebenso sieht es aus was die Gäste und besonders die Tickets betrifft (der Kartenvorverkauf beginnt am 19. März).
Ziemlich schwach finde ich allerdings den Bereich Links bei NC, der offenbar seit Jahren nicht mehr aktualisiert wurde. Ein Blick ins Archiv zeigt, dass die Linkliste absolut identisch mit der von 2005 ist, was dann auch die ganzen Links ins Leere und solche Merkwürdigkeiten wie den Link auf diese Seite erklärt – nichts gegen deren Macher Till, der einen guten Filmgeschmack hat und sich offenbar wirklich Mühe mit der Seite gegeben hatte… vor 7 oder 8 Jahren! Für das größte japanische Filmfestival der Welt (laut Pressemitteilung von vor 2 Wochen) ist das mal so richtig peinlich!
Die Website selbst, auf die ich dieses Jahr natürlich ein besonderes Auge werfe, kommt sehr übersichtlich daher, ganz in blau und weiss mit ein paar auffallenden pinkfarbenen Akzenten. Also wird die neue Seite fürs Japanische Filmfestival Hamburg blau dann wahrscheinlich eher meiden 😉