6 Nov
Zu diesem Fazit gelangt Robert Castle in seinem Artikel über die Zatoichi-Filmserie der 1960er und 1970er Jahre, der gerade in der neuesten Ausgabe vom Bright Lights Film Journal erschienen ist.
Er berichtet von Castles Überraschung, als er durch Takeshi Kitanos „Zatoichi“ von den 25 Vorgängerfilmen um den blinden Schwertkämpfer Ichi erfuhr und wie er die Serie lieben lernte. Ich habe einige mir wichtig erscheinende Aussagen des (englischen) Artikels zusammengefasst, eine sehr gute Übersicht über den Inhalt der ganzen Ausgabe hat Thomas zusammengestellt. Und bei twitchfilm gibt’s übrigens eine Review zu den auf DVD erscheinenden TV-Folgen von Zatoichi.
Was zeichnet also Ichi, den Held von 25 Filmen, aus?
Als das Paradoxon der Serie bezeichnet Robert Castle, dass Ichi trotz all dieser positiven, friedfertigen Eigenschaften immer wieder mit absolut mörderischer Gewalt konfrontiert wird. Die Urheber dieser Gewalt müssen jedoch immer mit dem Leben bezahlen. Damit werde Ichi zum idealen Helden der kleinen Leute, so Castle.
Das überraschendste an der Serie scheint zu sein, dass trotz der 25 Teile anscheinend kein Verfall, keine schematischen Wiederholungen auftreten, dass es den Produtzenten im Gegenteil immer wieder gelang, durch kleine Kniffe die Serie zu beleben.
Daher das Fazit: Zatoichi forever!
Ein Muss für jeden Cineasten! Zum Auftakt ihrer Filmreihe „Verstädterung in Asien und Afrika“ zeigt die Uni Hamburg am 16.11. Yasujiro Ozus Klassiker „Tokyo Monogatari“. Obendrauf gibt es vor dem Film einen Vortrag von Dr. Miriam Rohde, Japanologin am Asien-Afrika-Institut der Universtität. Laut Flyer befasst sich die Reihe mit „dem Einfluss der Stadt auf das individuelle Leben, mit Problemen, die daraus resultieren, und mit dem Gegensatz zwischen Stadt – Land.“
Da bleibt nur noch eins zu sagen: Ikimashō!
INFO: Donnerstag, 16.11. ab 18.30 Uhr
Raum 121/122 (Ostflügel) des Hauptgebäudes in der Edmund-Siemers-Allee 1
Habe gerade entdeckt, dass das Bright Lights Journal seine Artikel zum japanischen Kino auch online zugänglich macht. Wer also tiefgehende, gut geschriebene Rezensionen, Interviews oder Ankündigungen neuer DVD-Sammlungen oder was auch immer nachlesen möchte, und sich an der englischen Sprache nicht stört, ist dort genau richtig.
Es werden von der von mir vergötterten schwarz-weiß-Ära bis zu Takashi Miike eine breite Bandbreite an Themen abgedeckt, die Artikel sind zum Teil aber schon mehrere Jahre alt. Ich find’s super und hab den Link auch gleich zur Blogroll hinzugefügt.
18 Okt
Originaltitel: Nijūshi no hitomi (1954), von Keisuke Kinoshita
Einer der großen Klassiker des frühen japanischen Nachkriegskinos: Eine mitreißende, emotionale und todtraurige Chronik einer Lehrerin und ihrer ersten zwölf Schüler in 20 Jahren turbulenter Geschichte. Definitiv nichts für schwache Tränendrüsen!
Handlung
Die junge Lehrerin Hisako Ôishi (Hideko Takamine) beginnt ihr erstes Unterrichtsjahr an einer kleinen Schule eines verschlafenen Dorfs auf der Insel Shodo. Wegen ihrer modernen Erscheinung stößt sie zunächst auf Ablehnung bei vielen Dörflern, doch die zwölf Schüler ihrer ersten Klasse schließen sie schnell ins Herz. Eine enge Verbundenheit zwischen den Kindern und Hisako entsteht, die auch intakt bleibt, als sie an die weiterführende Schule in der Stadt wechselt.
Fünf Jahre später folgen ihr die Kinder dorthin, Schulausflüge und erste Bürden des Erwachsenwerdens schweißen Hisako und ihre Schüler immer enger zusammen. Jedoch beginnen die Ereignisse auf der Weltbühne, die Idylle zu überschatten: Wegen der Weltwirtschaftskrise verarmen manche Familien, die Mädchen müssen zum Unterhalt beitragen und die Jungen wollen zur Armee, die in China einmarschierte. Wegen der immer drastischeren Zensur entscheidet sich Hisako schweren Herzens, den Schuldienst zu verlassen, da sie den Krieg ablehnt und ihre Schüler nicht mit nationalistischen Parolen unterrichten will.
Der dritte Akt ist geprägt durch die Kriegsjahre, Tod und Trauer sind allgegenwärtig, der Alltag der Menschen wurde von den Wogen der Ereignisse fortgerissen. Hisako verliert ihre Mutter, ihren Mann und ihre jüngste Tochter, bedrückende Friedhofsbesuche ersetzen die frühere ländliche Idylle. Nach Kriegsende kehrt Hisako in den Schuldienst zurück. Zu ihren Erstklässlern gehören auch Kinder von einigen der Überlebenden ihrer ersten zwölf Schüler, die sie kurz darauf zu einem Wiedersehenstreffen einladen, bei dem alle in Erinnungen an die unbeschwerte Kindheit schwelgen.
Kritik
Auch wenn der Schluss etwas zu sehr auf die Tränendrüse drückt, „Vierundzwanzig Augen“ ist ein großer Film. Obwohl die Kamera immer auf Distanz bleibt, entsteht sehr schnell eine enge Identifikation mit Hisako und ihren Schülern. So sehr man die anfänglich idyllische Stimmung genießt, so sehr leidet man mit den Kindern und ihren Familien unter den später folgenden Schicksalsschlägen.
Charakteristisch für Bildkomposition und Stimmung des Films ist die Einbeziehung der landschaftlichen Umgebung. Schon die Titelsequenz zeigt Wellen des Meeres, auf denen man sich die Personen der Handlung wie Korken schwimmend vorstellen kann. Stellvertretend für diese symbolträchtige Verwendung von natürlichen Gegebenheiten erscheint mir besonders die Beerdigungsszene von Hisakos Mutter, eine großartig komponierten Einstellung: Die gesamte Breite des Bildes nimmt eine Reihe von Grabsteinen ein, dahinter verschwimmen Meer und Himmel im Nichts. Davor schwanken die Ähren eines Getreidefelds im Wind. Die Trauernden queren vor dem Friedhof und die Furchen des Feldes, die den Blick über die Menschen und den Friedhof zum Fluchtpunkt im Nirgendwo führen. Sensationell!
Neben der Hilflosigkeit einfacher Menschen angesichts des Schicksals und der Geschichte, ist besonders die Sinnlosigkeit des Krieges ein großes Thema des Films. Immer wieder ermahnt Hisako ihre Schüler und ihre Kinder, dass ein einfaches Leben erstrebenswerter ist als ein heldenhafter Tod. So wird „Vierundzwanzig Augen“ auch zu einer Abrechnung mit der militaristischen Vergangenheit Japans. Ein großer Film, der übrigens an Originalschauplätzen mit zwölf Geschwisterpaaren als Darsteller der Kinder gedreht wurde und alltägliche und zugleich doch geschichtsträchtige Geschichten einfacher Menschen erzählt.
13 Okt
Das Hamburger Filmfest ist für dieses Jahr vorüber und meine anfängliche Enttäuschung wurde leider nicht wieder wettgemacht. Ganz im Gegenteil, sie ist noch deutlich größer geworden, was vor allem an der Programmgestaltung und Organisation lag:
OK, ich muss bei all der Schelte zugeben, dass ich wegen einer ekligen Erkältung ein paar Tage verpasst habe, und somit selbst Schuld bin wenn mir gute Filme entgangen sind. Aber bei einer vernünftigen Programmplanung hätte ich mir den einen oder anderen in einer Wiederholung ansehen können. Naja, vielleicht gerät das hier ja in die richtigen Hände und nächstes Jahr wird’s besser.
11 Okt
Dank den aufmerksamen Jungs vom filmtagebuch bin ich auf den neuen Blog von David Bordwell, Filmtheoretiker und exzellenter Kenner nicht nur des japanischen Kinos, aufmerksam geworden. Und Bordwell erzählt gleich, warum er auf dem laufenden Filmfestival in Vancouver so viele asiatische Filme anschaut: Weil sie einfach besser sind!
Besonders gut gefallen haben ihm anscheinend „Hana“ (Original: Hana yori no maho) von Hirokazu Koreeda, die koreanischen Filme „My scary Girl“ und „No mercy for the rude“, „I don’t want to sleep alone“ des taiwanesischen Regisseurs Tsai Ming-liang sowie Kim Kyong-Mooks „Faceless Things“. Besser schonmal die Augen offenhalten, vielleicht lässt sich der eine oder andere ja auch mal in unseren Breiten bestaunen!
5 Okt
Hiroshi Teshigahara war der erste japanische Regisseur, der für einen Oscar nominiert wurde. Er wurde am 28. Januar 1927 in Tokyo geboren. Wie seine älteren Kollegen Kenji Mizoguchi und Akira Kurosawa machte er seine ersten künstlerischen Schritte als Maler, mit einem besonderen Interesse für den Surrealismus.
Seine ersten Filme waren Dokumentarfilme, einer davon über Hokusai, den berühmten Meister der japanischen Holzdruckkunst. Mit Hilfe seines Vaters Sofu Teshigahara, Gründer einer der berühmtesten Ikebana-Schulen Japans, machte Teshigahara sich unabhängig von den etablierten Filmgesellschaften und baute ein eigenes Produktionsstudio auf.
1962 drehte er seinen ersten abendfüllenden Spielfilm, „Otoshiana“ oder „The Pitfall“. Wie bei fast allen weiteren Filmen die noch folgen sollten, arbeitete er dabei mit dem Schriftsteller Kobo Abe zusammen, auf dessen Buch der Film basierte. Sein zweiter Film, Die Frau in den Dünen, wurde sein erfolgreichster. Wieder liegt dem Film ein Drehbuch von Abe zugrunde: Ein Lehrer verirrt sich auf der Suche nach seltenen Insekten in einer ländlichen Küstengegend und bittet einige Dofbewohner, ihn über die Nacht aufzunehmen. Die Dörfler bringen ihn zu einem kleinen Haus in einer Sandmulde, wo er fortan zusammen mit einer einsamen Frau zu leben gezwungen ist. Jede Nacht müssen die beiden den Sand der sich ausdehnenden Dünen schaufeln, um die Existenz des Dorfes zu sichern. Es handelt sich um ein außergewöhnliches Werk, eine klare Analyse gesellschaftlicher Prozesse und ein Kunstwerk von geradezu poetischer Schönheit gleichermaßen. Als erster japanischer Regisseur wurde Hiroshi Teshigahara für Die Frau in den Dünen für den Oscar nominiert; in Japan landete der Film auf Platz 1 der Top-10-Liste von Kinema Jumpo.
Die für Teshigahara typische Verbindung von Elementen aus Dokumentarfilm und Spielfilm verkörpert am stärksten „Summer Soldiers“, ein Film über Deserteure der US-Armee, die in Japan untertauchen. Die Verschmelzung der beiden Filmarten betrachtete Teshigahara dabei nicht als intentionalen Schritt sondern als Selbstverständlichkeit, wie er in einem Interview mit Joan Mellen erklärte: „Die wahre Bedeutung eines Dokumentarfilms liegt nicht darin, objektive Aufnahmen zu machen, sondern in der Interpretation des Regisseurs (…) Man muss dieses menschliche Element hinzufügen, sonst wird der Film niemals Kunst.“
Nach dem Tod seines Vaters übernahm Teshigahara 1980 die Leitung der Ikebana-Schule und zog sich weitgehend aus der Filmszene zurück, lediglich drei weitere Filme entstanden in der Folge. Hiroshi Teshigahara starb am 14. April 2001 in Tokyo an Leukämie.
Zu seinen bekanntesten Filmen gehören:
1953: Hokusai
1962: Otoshiana (engl.: The Pitfall)
1964: Die Frau in den Dünen
1966: Tanin no kao (engl.: The Face of Another)
1968: Moetsukita chizu (engl.: The charred Map)
1972: Summer Soldiers
1989: Rikyu – Der Teemeister
Originaltitel: Yuke yuke nidome no shojo (1969), von Koji Wakamatsu
Ein verstörender Blick in die Abgründe der menschlichen Seele: Sexualität, Begierde, Hass, Gewalt, Freundschaft, Tod bilden einen Mahlstrom, dem man sich nicht entziehen kann, wozu die großartige Schwarzweiss-Fotografie ihren Teil beiträgt.
Handlung
Das Flachdach eines Hochhauses ist das Setting dieses Films, ein Junge (Michio Akiyama) und ein Mädchen (Mimi Kozakura) sind die Akteure. Eine ganz normale Großstadt-Teeniegeschichte könnte man meinen, doch normal ist an diesem Film nichts. Das Mädchen Popo wird zu Beginn von einer Gang Rowdys vergewaltigt, es ist bereits das zweite Mal, dass ihr gewaltsam Sex aufgezwungen wird. Der Junge Tsukio, der selbst ein gestörtes Verhältnis zu seiner Sexualität hat, wird Zeuge des Verbrechens. Er spricht Popo an, sie bittet ihn, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Er verspricht ihr, sie zu töten, wenn sie ihm einen Grund dafür nennen kann.
Für kurze Momente finden die beiden so etwas wie eine unschuldige Freundschaft, doch jeder Ansatz einer Normalisierung der Situation wird sofort brutal zerstört: Tsukio offenbart Popo (und dem schockierten Zuschauer), dass er unmittelbar vorher selbst Opfer sexueller Nötigung wurde, und alle Beteiligten in einem Blutbad ermordet hat. Als die Rowdys wieder auftauchen, ereilt sie nach und nach dasselbe Schicksal. Am Ende springen Tsukio und Popo gemeinsam, und lassen all ihre Leiden endgültig hinter sich.
Kritik
„Yuke yuke“ ist fast durchgängig in schwarzweiß gedreht. Lediglich die erinnerte erste Vergewaltigung Popos an einem Strand, eine Szenerie die der berühmten Strandkussszene von Burt Lancaster und Deborah Kerr nachempfunden ist, und das von Tsukio an seinen Peinigern angerichtete Massaker werden in Farbe gezeigt. Die Schwarzweißbilder bestechen dabei durch eine außergewöhnliche, schlichte Schönheit.
Immer wieder arbeitet Wakamatsu Symbole der Reinheit oder Reinigung in den Film ein, so etwa weiße, zum Trocknen aufgehängte Laken oder die sich im Regen waschende Popo. Beim Sehen des Films beschleicht den Zuschauer schnell das Gefühl, dass hier alles Symbol ist: Die Dialoge nehmen nie die Form echter Gespräche an, vielmehr sind sie Verlautbarungen, Akklamationen gepeinigter Seelen. Die häufigen Sexszenen sind bar jeder Erotik, sie sind reine Verkörperungen eines gestörten Verhältnisses von Sexualität und Gewalt, von Ausbeutung des Schwachen durch den Starken.
So wird „Yuke yuke“, Ende der 60er Jahre entstanden, zu einer bedrückenden Anklage der Illusion von freier Sexualität. Wakamatsu schuf einen Film, der seine Aktualität nicht verloren hat und der trotz der low-budget-Produktion, trotz der kurzen Laufzeit von 68 Minuten als gleichermaßen schön und doch erschreckend im Gedächtnis bleibt.