Noch in dieser Woche wechsle ich Job und Arbeitgeber, eine Veränderung in meinem Berufsleben, die bei aller Freude über die neue Herausforderung natürlich auch Auswirkungen auf mein Privatleben haben wird. In den ersten Wochen und Monaten im neuen Job werde ich sicherlich einige Zugeständnisse machen müssen, um erstmal in der neuen Umgebung richtig Fuß zu fassen. Darunter wird dann auch der Blog leiden, denn den (doch ganz erheblichen) Aufwand an Zeit, den ich inzwischen fürs Bloggen verwende, werde ich wohl nicht beibehalten können. Deshalb gehe ich davon aus, dass in der nächsten Zeit auch mal eine Woche ganz ohne neuen Artikel vergehen kann.
Aber auch was die Themen meiner Posts angeht, werde ich Konsequenzen ziehen. In der letzten Zeit habe ich mich ja mit einer großen Bandbreite vom klassischen Mizoguchi über den spektakulären Miike bis hin zu Anime-Serien beschäftigt, was eigentlich auch meinem breiten Interesse an der Kinokultur und Filmszene Japans entspricht. Mangels Zeit werde ich mich hier aber etwas einschränken und in der näheren Zukunft – notgedrungen – nun wieder stärker auf die Wurzeln, sprich: die Klassiker, besinnen.
Einige meiner geschätzten Leser werden das sicher gern hören!? 😉
11 Aug
Rei Ayanami ist die dritte Pilotin neben Shinji und Asuka und zugleich die undurchsichtigste Gestalt im ohnehin nebulösen NGE-Kosmos. Lange konnte ich mir überhaupt keinen Reim auf sie machen, bis ich kürzlich von einem guten Freund und Anime-Fan eine mögliche Deutung erzählt bekam, auf der aufbauend ich endlich zu einer sinnvollen (?) Interpretation gefunden habe. Danke Stefan!
Rei zeigt so gut wie nie Emotionen, ihre Gesichtszüge bleiben permanent unverändert – erst gegen Ende der Serie sieht man sie mal kurz lächeln – und ihre Stimme ist immer gleich monoton. Mit ihren Mitschülern und anderen Mitmenschen hat sie kaum Kontakt, sie ist introvertiert und wirkt auf Grund ihres neutral-distanzierten Umgangs mit anderen Menschen fast schüchtern. Sie lebt allein in einer an ein Krankenhauszimmer oder eine Gefängniszelle erinnernden kleinen Wohnung.
Über ihre Vergangenheit und ihre Herkunft werden nur vage Andeutungen gemacht, die darauf hinweisen, dass sie eine geklonte Version von Shinjis verstorbener Mutter Yui ist. In einer der letzten Folgen opfert sie sich, um Shinji zu retten, nur um wenig später in einer neuen „Kopie“ ihres Körpers, in den ihr Geist implantiert wurde, wieder aufzutauchen. Zu dieser rätselhaften Person passt, dass „rei“ im Japanischen auch „null“ bedeutet. Aber nicht nur der Zuschauer steht bezüglich Rei oft vor einem Rätsel, auch sie selbst hinterfragt wiederholt ihre Identität, den Zweck ihrer Existenz und sich selbst.
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Mit ihrer Introvertiertheit und Ausgeglichenheit ist Rei das genaue Gegenteil von Asuka, für die diese Gegensätze im Lauf der Serie immer mehr zum Anlass von Ablehnung, ja Aggressivität werden. Weil Rei kaum Gefühle zeigt und widerspruchslos Befehle akzeptiert und umsetzt, beschimpft Asuka sie häufig als seelenlose Puppe oder Roboter. Rei lässt dies völlig kalt, von ihrer Seite besteht keinerlei Interesse an Asuka, von ihrer „professionellen“ Zusammenarbeit als Piloten natürlich abgesehen.
Völlig anders entwickelt sich ihr Verhältnis zu Shinji. Der ist von der ersten Begegnung an von der geheimnisvollen Rei fasziniert, weiß aber nicht so recht, worauf diese Faszination basiert und was er damit anfangen soll. Sein Interesse an ihrer Person, seine Zuneigung und dass er sich für sie einsetzt, ihr im Kampf sogar das Leben rettet, können die Distanziertheit und Gefühlslosigkeit schließlich durchbrechen. Ihm gegenüber kann Rei erstmals Dankbarkeit, Zuneigung und so etwas wie Freundschaft entwickeln.
Diese freundschaftlich-sorgende Beziehung erhält vor dem Hintergrund, dass Rei fast so etwas wie eine Wiedergeburt von Shinjis Mutter ist, eine ganz besondere Note. Die fast übernatürliche Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübt, wird so verständlich. Da auch sexuelle Aspekte zu dieser Anziehungskraft beitragen, wird die ohnehin komplexe Beziehung der beiden noch durch einen ödipalen Aspekt erweitert.
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Neben Reis zurückhaltendem, manchmal fast unterwürfigem Auftreten sind ihre scheinbar unzerstörbare Loyalität zu Gendo, Shinjis Vater, und die Bereitschaft, sich selbst zu Gunsten eines größeren Ziels bis zur Selbstaufgabe einzusetzen, kombiniert mit großer Willensstärke die herausragenden Eigenschaften, die ihre Person ausmachen. Damit entspricht sie in vieler Hinsicht dem klassischen japanischen Idealbild der Ehefrau.
Da sie jedoch gleichzeitig als weitgehend emotionsloser Klon präsentiert wird, immer wieder von Zweifeln bezüglich ihrer Identität und des Sinns ihres Daseins geplagt wird, erscheinen diese typischen Ideale in einem ganz anderen Licht. Verstärkt wird diese Kritik noch dadurch, dass Rei sich nach dem Tag sehnt, an dem sie wieder eins werden kann mit dem Nichts, also dem Ende ihrer Existenz. Diese tiefe Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer eigentlich von vielen klassischen Idealvorstellungen geprägten Persönlichkeit wird so zu einer beißenden Kritik an eben diesen Idealen.
Die weiteren Artikel der NGE-Reihe:
8 Aug
Heute ist ein schwerer Tag für mich, ich muss wirklich ganz stark sein, denn ich werde 30! Jetzt kann ich mir zwar den Spitznamen „Sanjuro“ zulegen, aber so wirklich glücklich macht mich das auch nicht. Aufmunternder war da schon eine sehr liebe Glückwunschkarte von Freunden, die ich heute morgen aus dem Briefkasten gefischt habe:
Wir stehen dir an deinem schweren Tag natürlich seelisch und moralisch bei und verkneifen uns jeglichen dummen Spruch über dein fortgeschrittenes Alter. Daher senden wir einfach herzliche Geburtstagsgrüße und wünschen uns, dass du so bleibst, wie du bist: jugendlich-attraktiv, welt- und redegewandt, unglaublich sexy und erfolgreich – aber vor allem: immer ein wenig älter als wir…
Die habens wirklich drauf, erst Bauchpinselei vom allerfeinsten und dann im Nachgang, wenn man nicht mehr damit rechnet, noch mal schön im Vorbeigehen den Ellbogencheck rausholen! 😉
Um erst gar keine Depressionen aufkommen zu lassen, möchte ich mir heute noch selbst einen blogbezogenen Wunsch erfüllen, und zwar ein Filmquiz, das ich im Lauf des Tages starten werde. Angesichts der besonderen Umstände hat sicher jeder Verständnis, dass es sich in diesem Fall auch mal um nicht-japanische Filme handeln darf, oder?
Kürzlich wurde ich von einem aufmerksamen Leser darauf hingewiesen, dass nicht wie von mir geschrieben An Inlet of muddy water von Kinema Junpo zum besten Film des Jahres 1954 gekürt worden wäre, sondern Vierundzwanzig Augen. Nun hatte ich die von mir gepostete Liste von IMDb übernommen, deren Datenbank sich bisher als durchaus verlässlich erwiesen hatte. Doch die Quellenangaben von Konrad (der mich auf den Fehler aufmerksam gemacht hatte) klangen ebenfalls seriös und so habe ich mich nochmal auf die Suche gemacht und tatsächlich eine japanische Seite gefunden, auf der nicht nur die Sieger sondern alle von KJ prämierten Filme jeden Jahres aufgeführt sind. Und das sogar seit 1924, also noch weiter zurückreichend als bei IMDb.
Mit meinen rudimentären Japanischkenntnissen habe ich mir dann zusammengereimt, dass die IMDb-Liste und die japanische Liste jeweils um ein Jahr voneinander abweichen: Die Reihenfolge der Sieger ist dieselbe, aber IMDb weist sie jeweils ein Jahr später aus (Vierundzwanzig Augen also für 1955 statt 1954, Floating Clouds für 1956 statt 1955). Leider bin ich nicht in der Lage, hier eine endgültige Aussage treffen zu können, welche Angaben richtig sind, dazu müsste ich wahrscheinlich einfach vernüftig Japanisch sprechen, lesen und verstehen können. Trotzdem sehe ich dies als eine lehrreiche Episode. Man sollte sich einfach nie einseitig auf eine Quelle verlassen, auch wenn diese noch so renommiert und scheinbar zuverlässig ist wie IMDb.
Falls du weitere Infos zu Kinema Junpo hast oder der japanischen Seite noch weitere Geheimnisse entlocken kannst, wäre ich sehr verbunden! Auch wenn du ähnliche Erlebnisse mit IMDb hattest und vielleicht selbst schon mal einen Fehler entdeckt hast: Rein damit in die Kommentare. Und besten Dank natürlich auch an Konrad, der mich überhaupt erst darauf aufmerksam gemacht hat!
3 Aug
Der 14-jährige Shinji ist der einzige männliche zentrale Charakter und zugleich der Hauptcharakter in NGE. Er ist ein ziemlich schüchterner, in sich gekehrter Junge, der sich mit Hilfe seines Walkmans von der Außenwelt und seinen Mitmenschen abschließt und sich doch nach deren Anerkennung sehnt. Nach dem Tode seiner Mutter, die bei einem Experiment mit einem der EVAs starb, wurde er von seinem Vater Gendo als Kleinkind in eine Pflegefamilie abgeschoben, worunter er und die Entwicklung seiner Persönlichkeit stark litten.
Entsprechend ist ein großes Thema der Serie die zerbrochene, zwiespältige Beziehung Shinjis zu seinem Vater, der Shinji nur als Mittel zum Zweck zu gebrauchen scheint, nie für ihn da war, auch weiter unerreichbar bleibt und an einer emotionalen Beziehung nicht interessiert wirkt. Shinji dagegen schwankt zwischen der Sehnsucht nach Anerkennung durch seinen Vater und dem Hass auf denselben Vater, dem er seine schwierige Kindheit, sein nicht-existentes Selbstbewusstsein und den Tod der Mutter anlastet.
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So kommt es immer wieder zu Szenen, in denen Shinji halbherzig die Konfrontation mit seinem Vater sucht, nur um im letzten Moment vor der Auseinandersetzung mit ihm zurückzuschrecken. Anlässlich eines gemeinsamen Besuchs am Grab der Mutter scheint für einen Augenblick eine Annäherung von Vater und Sohn möglich, doch keiner der beiden ist in der Lage, seine Gefühle zu verbalisieren und es bleibt beim Austausch von Floskeln. Umgekehrt schreckt Shinji aber auch lange vor dem endgültigen Bruch mit seinem Vater zurück.
Umgekehrt wird Shinji aus der Sicht seines Vaters als eine einzige große Enttäuschung präsentiert, als ein Feigling, der vor der Pflicht, der Verantwortung, der Realität davonläuft. Das von Misstrauen und enttäuschten Erwartungen geprägte Verhältnis der beiden wird noch zusätzlich belastet durch das zwar mysteriöse, aber dem Anschein nach enge Verhältnis zwischen Gendo und Rei Ayanami, der dritten Pilotin, die in vieler Hinsicht das exakte Gegenteil Shinjis ist und nicht zuletzt deshalb von ihm bewundert aber auch beneidet wird. Denn sie erscheint wie ein Ersatz für Shinji, als das Kind, das Shinji nie sein konnte oder durfte.
Doch nicht nur sein Vater nimmt Shinji als Enttäuschung wahr, insbesondere von seiner Hassliebe Asuka (die Beziehung der beiden steht im Zentrum des Kinofilms The End of Evangelion, mehr dazu ein andermal) wird er permanent als Idiot, Versager und Weichei beschimpft. Aber auch er selbst sieht sich und seine Existenz als nutzlos und wertlos und begreift deshalb seine Funktion als Pilot eines EVA – nach anfänglicher Ablehnung – als seine große Chance, sich zu beweisen und endlich die Anerkennung von den Menschen zu erhalten, nach der er sich so sehnt. Dass Shinji dann am Ende der Serie gegen einen ihm nahestehenden Freund kämpfen und ihn töten muss, lässt plötzlich auch diese scheinbar sinnstiftende Fähigkeit, seine einzige herausragende Fähigkeit, in einem düsteren, zerstörerischen Licht erscheinen und stürzt ihn in eine tiefe Krise.
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Ein weiterer Komplex in Shinjis umfangreicher Sammlung ist sein gestörtes Verhältnis zu Frauen. Obwohl sich sein Leben hauptsächlich zwischen den drei weiblichen Hauptcharakteren Asuka, Rei und Misato abspielt und er alle drei – aus unterschiedlichen Gründen – respektiert, fast bewundert, ist er doch nicht in der Lage, sich und seine Gefühlswelt zu öffnen, sich anzuvertrauen und normale Beziehungen aufzubauen. Und das, obwohl gerade Misato wiederholt versucht, auf seine Gefühle einzugehen, ihn zu trösten, zu unterstützen und in jeder Beziehung die natürliche Ersatzmutter abgäbe.
Das Verhältnis zu den beiden gleichaltrigen Pilotinnen Rei und Asuka ist sehr viel komplexer, spielen hier doch auch sexuelle Aspekte eine gewichtige Rolle. Es gibt mehrere peinlich-anzügliche Szenen mit Rei, in denen Shinji am liebsten vor Scham im Boden versinken würde, während Rei völlig stoisch bleibt – ganz im Gegensatz zu Asuka, die in vergleichbaren Situationen schallende Ohrfeigen verteilt. So geben die beiden heranwachsenden Frauen ihm immer wieder Rätsel auf, die noch verstärkt werden durch seine eigene Unsicherheit und seine Unfähigkeit, sich über seine Gefühle klar zu werden und diese zu artikulieren.
So ist die von Ängsten getriebene, von Zweifeln zerrissene Figur des Shinji Ikari letztlich die Summe aller männlichen Makel und Ängste, gewissermaßen die verkörperte Impotenz. Dass ein solcher Charakter die Hauptperson darstellt, steht meiner Meinung nach symptomatisch für das – nicht nur in Japan – in seinen Grundfesten erschütterte Rollenschema des „modernen“ Mannes.
Die weiteren Artikel der NGE-Reihe:
1 Aug
Wie mein cineastisch veranlagter Leser sicher weiß, verstarben vorgestern – also am 30. Juli – innerhalb weniger Stunden zwei der herausragendsten Regisseure der Kinogeschichte: Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni. Beide hatten mit ihren Werken der 1950er und 60er Jahre Kinogeschichte geschrieben und nicht nur das europäische Autorenkino entscheidend geprägt.
Doch der Anlass dieses Posts (eigentlich wollte ich heute Abend den nächsten Beitrag meiner NGE-Reihe zu Shinji Ikari schreiben) ist nicht so sehr der Tod dieser beiden Meisterregisseure, sondern vielmehr meine Enttäuschung, als ich eben meinen Feedreader öffnete und feststellen musste, dass von den etwa 25 deutschen und englischen Blogs rund um Filme und Kino, die ich abonniert habe, sich nur ein einziger in den letzten beiden Tagen mit diesem Verlust für das Weltkino beschäftigt hat! OK, viele dieser Blogs haben teilweise thematisch sehr spezielle Schwerpunkte, so dass ich mir klar war, dass die beiden Todesfälle hier oder dort niemals Thema sein würden. Aber ein einziges Blogpost zu Bergmans Tod? Und keines zu Antonioni? Zwei Fragen drängen sich mir da auf: Sollte ich das eine oder andere Feed-Abo vielleicht überdenken? Und können Blogs – auch wenn sie noch so gut gemacht sind – klassische Medien ersetzen?
Erstere Frage werde ich jetzt hier nicht en détail erörtern, nur soviel: Ich war positiv überrascht von den Fünf Filmfreunden, deren exzellent gemachter Blog mir bisher für ein Abo zu mainstreamig war, die aber zwei anständige Nachrufe brachten und auch das Finale von Antonionis Zabriskie Point, diesen Meilenstein der Filmgeschichte, einbanden. Die zweite Frage muss für heute wohl mit einem klaren Nein beantwortet werden. Und so greife ich nach längerer Zeit mal wieder zur Süddeutschen, empfehle den Bergman-Nachruf von Fritz Göttler und den dazu passenden Aufriss der Biographie des großen Schweden sowie einen Rückblick auf Leben und Werk Antonionis.