10 Jul
Original: Ôdishon (1999), von Takashi Miike
Tja, Miike hat es mal wieder geschafft, zwei Genres, von denen man eigentlich glaubt, sie würden sich gegenseitig ausschließen, zu einem umwerfenden – und magenumstülpenden – Film zu vereinen, nämlich öde Romanze und krassen Horror.
Jahre nach dem Tod seiner Frau nimmt Shigeharu Aoyama (Ryo Ishibashi) den Vorschlag eines befreundeten Filmproduzenten an, mittels eines Vorsprechens für eine Filmrolle eine Frau für ihn zu suchen. Schnell ist Aoyama von einer Kandidatin fasziniert, die ihrer Bewerbung einen sehr persönlichen Brief beilegte, in dem sie von ihren Erfahrungen mit Verlust berichtet. Nach dem Vorsprechen nimmt er Kontakt mit Asami (Eihi Shiina) auf, die beiden treffen sich wiederholt, finden Gefallen aneinander und verlieben sich.
Doch als die beiden eine gemeinsame Reise machen, das erste Mal miteinander schlafen und Asami anschließend einfach verschwindet, fallen plötzlich immer mehr Schatten auf die junge Frau. Aoyama nimmt ihre Spur auf, entdeckt dabei rätselhafte Morde und verschwundene oder verstümmelte Personen in Asamis Vergangenheit und wird schließlich selbst zum Opfer.
Ist die Geschichte des trauernden, mit seinem Sohn zusammenlebenden Witwers auf Freiersfüßen anfangs noch ganz nett zu verfolgen, schleppt sich Audition im zweiten Akt, als Asami und Aoyama sich näher kommen, nur noch zäh dahin. Ich habe nur weitergekuckt, weil ich wusste, dass zum Ende hin noch irgendetwas heftiges passieren musste, und so kam es dann auch… da braucht es wirklich starke Nerven und einen noch stärkeren Magen!
So künstlich und um des reinen Effekts willen die Folterszenen auch wirken, sie sind für den Film und für das Verständnis von Aoyama doch elementar. Entsteht durch sie doch eine Situation, in der Asami aus ihrer Rolle als passives, auf Telefonanrufe wartendes Objekt männlicher Begierde ausbrechen kann und zum aktiven Subjekt wird. Und das auf eine so radikale, perfide Art und Weise, dass trotz der Kritik an Aoyamas frauenverachtendem, fingiertem Vorsprechen, trotz Asamis offenbar furchtbarer Kindheit zu keinem Zeitpunkt auch nur der kleinste Funken von Verständnis für ihr Verhalten (wie bei der Sympathie für den in gleicher Münze zurückzahlenden Underdog) aufkommt.
Da dieser letzte Akt des Films von zahlreichen Traumsequenzen durchsetzt ist und man schnell den Überblick verliert, was nun Realität ist und was nicht, bleibt viel Raum für Spekulation und Interpretation. Als unverbesserlicher Optimist, der sich für den einsamen Witwer ebenso wie für das schüchterne Mädchen ein Happy-End wünscht, liegt meine Sympathie bei der „es war alles nur ein Traum“-Variante. Und die geht so…
Von dem Moment an, als die beiden in ihrem Hotel miteinander schliefen, geschieht alles weitere nur in Aoyamas Traum. All die makabren Rätsel um Asami bis hin zu seiner Verstümmelung durch sie sind alles Ausdrücke seines gestörten Verhältnisses zu Frauen, das wiederum mit dem Tod seiner Frau zusammenhängt. Immer wieder plagen ihn Gewissensbisse wegen der Instrumentalisierung des Vorsprechens aber auch aus einem grundlegenden Gefühl der Untreue seiner Frau gegenüber.
Alptraumhafte Sequenzen sexueller Fantasien, in denen seine Putzfrau und die Freundin seines Sohnes auftauchen, deuten ebenso auf dieses schlechte Gewissen hin wie der Umstand, dass Aoyama in allen Szenen schwarz trägt (und Asami weiß). Ein kurzer Moment ganz zu Beginn, als Aoyama zuhause am Schreibtisch die Kandidatinnen für das Vorsprechen durchgeht und dazu das Foto seiner Frau umdreht, macht dies besonders deutlich.
So ist Audition trotz der zwischenzeitlich etwas durchhängenden Story und den zum Ende hin eingesetzten Schockeffekten ein hochinteressantes, vielschichtiges Werk, das neben dem Verhältnis von Mann und Frau und dessen Manipulation durch Macht und Einfluss auch Themen wie Verlust und Tod, Kindesmisshandlung sowie Einsamkeit in unserer modernen Welt anreißt. Man muss Miikes Fähigkeit, unglaublich viel Überraschendes in einen zunächst scheinbar konventionellen Film hineinzupacken und dabei wild Genres durcheinander zu werfen, einfach bewundern!
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