2 Sep
Original: Meshi (1951) von Mikio Naruse
Diese Verfilmung einer Vorlage von Fumiko Hayashi, Naruses Lieblings- schriftstellerin, an deren Drehbuch auch der spätere Literaturnobelpreisträger Yasunari Kawabata mitwirkte, war Naruses erster großer Nachkriegserfolg. Garant dafür dürfte nicht zuletzt Hauptdarstellerin Setsuko Hara gewesen sein.
Hara spielt die ursprünglich aus Tokyo stammende Hausfrau Michiyo, die nun mit ihrem Ehemann Hatsunosuke (Ken Uehara), einem unterbezahlten Wertpapierhändler, in Osaka lebt. Eines Tages kommt Hatsunosukes Nichte Satoko (Yukiko Shimazaki) zu Besuch, die von Michiyo zunächst herzlich aufgenommen wird. Das junge, ungebundene Mädchen, das noch nichts über Verantwortung und die Härten des Lebens weiß und das Leben so gut es geht genießt, führt Michiyo jedoch bald die Eintönigkeit ihres Hausfrauendaseins und ihrer Ehe eindrücklich vor Augen.
Dazu kommt die große Aufmerksamkeit, die ihr Ehemann seiner hübschen Nichte zukommen lässt, so dass Michiyo zunehmend eifersüchtig wird, ihr Leben als unerfüllt und vergeudet wahrnimmt und sich in einer Sackgasse sieht. Schließlich packt Michiyo ihre Sachen und reist nach Tokyo zu ihrer Familie, begleitet von Satoko. Hatsunosuke, der von all dem völlig überrumpelt wird, bleibt verständnislos im schnell im Chaos versinkenden Haus zurück. Michiyo ist unterdessen hin- und hergerissen zwischen der Möglichkeit, in Tokyo zu bleiben und dort eine Arbeit zu suchen, oder zu ihrem Mann in ihr altes Leben zurückzukehren.
Schließlich sind es wieder Satoko und ihr zielloses, sprunghaftes Verhalten sowie der daraus erwachsende Ärger mit ihren Eltern, die Michiyo ins Grübeln bringen und eine Entscheidung in ihr reifen lassen. Ihr wird klar, dass sie im Gegensatz zu dem jungen Mädchen ihren Platz im Leben gefunden hat und nicht noch einmal von vorn beginnen will. Wie häufig in Naruses Filmen wird dieser entscheidende Moment unter freiem Himmel in einer offenen Landschaft inszeniert und steht somit im starken Kontrast zum eingeengten Alltag der Protagonistin.
Als dann auch noch Hatsunosuke nach Tokyo kommt, vorgeblich wegen einer Geschäftsreise, und die beiden sich nach längerer Zeit wieder begegnen, löst sich die angesammelte Spannung zwischen den Eheleuten schnell und sie finden sogar ein Stück des ursprünglichen gemeinsamen Glücks wieder.
Symbolisiert wird dies durch einen gemeinsamen Besuch in einer Bar, bei dem die beiden das erste Mal im Film überhaupt gemeinsam lachend zu sehen sind. Dabei etabliert Naruse eine auffällige Parallele zu einer ganz ähnlichen früheren Szene, in der Michiyo von einem an ihr interessierten entfernten Verwandten zum Essen eingeladen wurde, zu einer Zeit, als sie noch mit dem Gedanken spielte, auf der Suche nach Glück ein neues Leben zu beginnen.
Überhaupt arbeitet Naruse in Repast sehr häufig mit parallelen Szenen, die durch mehr oder weniger subtile Abweichungen und Änderungen die sich wandelnde Stimmung der Charaktere und ihr Verhältnis zueinander unterstreichen. Sehr typisch dafür wäre etwa die Eröffnungssequenz, in der (ein Markenzeichen Naruses) die engen Straßen und kleinen Häuser des Viertels in Osaka zu sehen sind, die am Anfang sehr sympathisch, freundlich und liebenswert erscheinen. Eine spätere fast exakte Wiederholung transportiert dann aber eine komplett andere Stimmung und trägt damit zur Charakterisierung von Michiyos Leben als eintönig, freudlos und ausweglos bei.
Neben der außergewöhnlichen Fähigkeit Naruses, seinen Filmen durch die besondere Aufmerksamkeit für kleine Details eine sehr dichte Atmosphäre zu verleihen, ist es besonders die großartige Setsuko Hara, die Repast zum Leben erweckt. Indem sie die zweifelnde, am Scheideweg ihres Lebens stehende Hausfrau nicht nur glaubwürdig sondern sehr nuanciert spielt und ihr mittels ihres unnachahmlichen Lächelns in vielen Szenen etwas zutiefst rätselhaftes verleiht, wird der gesamte Film sehr wahrhaftig und unaufgesetzt.
Aus heutiger Sicht mag jedoch die durch den Schluss scheinbar vermittelte Botschaft des Films („Vielleicht liegt das Glück einer Frau ja darin, sich für ihren Mann aufzuopfern“) vielen – und da nehme ich mich nicht aus – übel aufstoßen. Allerdings bin ich mit Naruses Werken vertraut und weiß sehr wohl, dass ihm Frauenschicksale und die Frauen angetane Ungerechtigkeit sehr am Herzen liegen, weshalb ich Repast unter etwas anderen Gesichtspunkten betrachte.
Im Gegensatz zu vielen anderen Protagonistinnen Naruses ist Michiyo nämlich in der glücklichen Lage, ihr Schicksal selbst bestimmen zu können. Sie wird nicht wie die Bardame Keiko in When a Woman ascends the stairs oder wie die Witwe Yae in Summer Clouds durch äußeren Druck seitens der Familie, finanzielle Nöte oder gesellschaftliche Zwänge am Ausbrechen aus ihrem festgefahrenen Leben gehindert. Ganz im Gegenteil, Michiyos Familie ist sehr verständnisvoll und geduldig, und dass sie und ihr Mann ein eher karges Leben führen spielt keine Rolle bei ihrer Entscheidung. Sie folgt einfach ihren Gefühlen, tut das was ihr als richtig erscheint und genießt damit eine Freiheit, die fast allen anderen Frauenfiguren Naruses verwehrt blieb.
4 Kommentare for "Repast"
Eine schöne Kritik zu einem tollen Film. Leider ist es schon etwas her, dass ich den Film sah (kurz nach Erscheinen der MoC-Box) und ich habe ihn damals auch nur einmal gesehen, daher kann ich leider nicht detailliert auf den Film mit eingehen. Der beste der drei Filme aus der Kollektion war er zwar für mich nicht (das ist „Sound of the Mountain“), aber doch ein sehr lohnenswerter Film.
Klaus, kennst du schon „Floating Clouds“ von Naruse? Den habe ich zurzeit hier. Den würde ich mir die nächsten Tage dann mal ansehen. Hättest du noch eine gute Kritik dazu parat wäre das das I-Tüpfelchen. 😉
Tja, schade dass du den Film nicht mehr so gut im Gedächtnis hast. Aber wenn du ihn mal wieder raus holst, kannst du ja jederzeit auf meinen Beitrag zurückkommen, ich würde mich freuen!
Sound of the mountain hab ich noch vor mir! und auch noch ein paar ganz frühe Filme aus den 30ern. 🙂
Ukigumo kenne ich leider nicht, und so wie ich das sehe, ist der auch nur in Japan erhältlich. Wo hast du den denn aufgetrieben?? Würde mich natürlich brennend interessieren…
Großartig, wie Naruse aus diesem Minimum an Handlung derartig viele Nuancen herausarbeitet – das alles scheint so mühelos, so routiniert.
Setsuko Hara ist, da stimme ich zu, die treibende Kraft in diesem Film (Naruses Stil ist eben, obwohl äußerst streng, sehr subtil).
Ãœber das Ende kann man diskutieren – muss aber bedenken, dass dieser Film noch in der Nachkriegszeit, noch während der US-Besatzung entstand – es ist ein „Happy End“, dessen „tiefes Unglück“ (sie liebt ihren Mann eigentlich nicht) in der sehr ermäßigten Vorstellung vom Glück liegt, das unter den bescheidenen Umständen möglich erscheint.
Hi Rene,
woran machst du deine – recht eindeutig klingende – Aussage fest, Michiyo würde ihren Mann nicht lieben?
Auf die Frage, ob und wie sehr sie ihren Mann noch liebt, sehe ich nämlich keine klare Antwort. Sie hat ihn auf jeden Fall ursprünglich aus Liebe geheiratet (für das damalige Japan beileibe keine Selbstverständlichkeit) und meiner Meinung nach am Ende des Film ein Stück weit diese frühere Liebe wiedergefunden (die Schlüsselszenen hierfür wären der gemeinsame Barbesuch und das Zerreissen des Briefes im Zug). Dank Setsuko Haras undurchschaubarem, interpretierbarem Lächeln bleibt aber bis zum Schluss eine gewisse Ambivalenz in Michiyos Gefühlswelt erhalten. Da bin ich auf jeden Fall bei dir.
Hier kommt deine Meinung rein: