30 Apr
Original: Shubun (1950) von Akira Kurosawa
Für die meisten Regisseure wäre dies ein ganz vorzeigbarer Film, für Kurosawas Standards ist er ein Debakel. Skandal sollte ein Protestfilm gegen die nach dem Krieg um sich greifenden Auswüchse der Yellowpress werden, verfehlt dieses Ziel aus mehreren Gründen aber meilenweit.
Der erste liegt im Verlauf des Plots begründet: Der Maler Aoye (Toshiro Mifune) begegnet bei seiner Arbeit in den Bergen der bekannten Sängerin Miyako Saijo (Shirley Yamaguchi), die ihren Bus verpasst hat und der er deshalb anbietet, sie auf seinem Motorrad mitzunehmen. Beide übernachten im selben Hotel und werden dort gemeinsam von Paparazzi fotografiert. Das Foto wird zu einer Affäre aufgebauscht, worauf Aoye die Zeitschrift verklagt und dazu den Anwalt Hiruta (Takashi Shimura) engagiert.
Der ist ein totaler Versager und gibt den Bestechungsversuchen des Herausgebers der Zeitschrift nach. Hirutas an Tuberkulose erkrankte Tochter ahnt jedoch, dass ihr Vater nicht ehrlich zu Aoye ist, was die ohnehin vorhandenen Gewissensbisse des Anwalts noch verstärkt. Nach dem überraschenden Tod der Tochter nimmt Hiruta sich ein Herz und beichtet vor Gericht die Bestechung, das Magazin wird verurteilt und Hirutas Seelenheil ist gerettet.
Schon aus dieser kurzen Zusammenfassung ist erkennbar, dass durch das Auftreten des Anwalts Hiruta der Film komplett auf den Kopf gestellt wird. Die eigentliche Skandalgeschichte, der Kampf gegen das Unwesen der Paparazzi und gewissenlose Journalisten, wird durch Hirutas verzweifelten Kampf mit sich selbst einfach beiseite gewischt und zum bloßen Hintergrund degradiert. In den Gerichtsszenen am Ende des Films wird somit nicht über den Skandal gerichtet, sondern eigentlich über Hiruta, was auch die Inszenierung seiner abschließenden Beichte zum Ausdruck bringt.
Nicht ganz unschuld an dieser gänzlich unerwarteten Entwicklung des Films dürfte die brillante Leistung von Takashi Shimura sein, der schon mit seinem ersten Auftritt alle anderen Charaktere in den Schatten stellt. Sowohl seine guten Seiten als liebender Vater und angesichts der Verzerrung der Wahrheit durch die Paparazzi empörter Anwalt, wie seine schlechten als schwacher, der Verlockung des Geldes erlegener Mann werden von Shimura eindringlich und mit großer Präsenz vorgetragen.
Dass Shimuras Leistung so herausragt liegt aber sicher auch an der zweiten großen Schwäche des Films, den einseitigen, schablonenhaft gezeichneten anderen Figuren: Der Maler Aoye ist einfach nur ein netter Kerl, der Herausgeber der Zeitschrift ein durchtriebener, skrupelloser Lügner und die Tochter Hirutas eine engelsgleiche Verkörperung des Guten. Die Sängerin Saijo wird zur reinen Staffage und taucht in der zweiten Hälfte des Films kaum noch auf. Durch diese holzschnitthafte Darstellung der Kontrahenten verliert Skandal den für einen guten Protestfilm notwendigen Realismus und die Glaubwürdigkeit.
Kurosawas außergewöhnliches Talent blitzt dennoch in einigen Szenen auf, beispielsweise als Aoye in der Redaktion des Magazins den Artikel über seine angebliche Affäre im Beisein des Herausgebers das erste Mal liest. Wie Kurosawa hier allein mit kontrastierenden Großaufnahmen der beiden Darsteller Spannung aufbaut ist aller Ehren wert. Oder in den Gerichtsszenen am Ende des Films, als alle Anwesenden auf Hirutas abschließende Stellungnahme warten, während dieser zusammengekauert wie ein eingeschüchtertes Tier auf seinem Platz sitzt und die Stille immer unerträglicher wird.
Die Flachheit der Charaktere, besonders die einseitig negative Darstellung der Journalisten ist um so verwunderlicher, wenn man bedenkt, wie wichtig Kurosawa in seinen anderen Filmen die Relativität von Gut und Böse sind und wie viel Wert er im Allgemeinen auf vielschichtige, komplexe Charaktere legt.
Trotz dieser Schwächen ist Skandal aber in Relation zum Gesamtwerk des Regisseurs gesehen trotzdem ein interessanter nd sehenswerter Film. Denn in so mancher Hinsicht ist in der Figur von Hiruta die des Beamten Watanabe aus Ikiru angelegt. Außerdem passiert Kurosawa in seinem zweiten großen Protestfilm Die Bösen schlafen gut genau dasselbe wie in Skandal, er zeigt sich von der Entwicklung eines Charakters so fasziniert, dass der Film seine Balance verliert und vom ursprünglichen Thema abzuschweifen beginnt. Aber dazu ein andermal mehr.
3 Kommentare for "Skandal"
Hi,
also so ganz kann ich deine Kritik zu dem Film nicht teilen. Für mich ist es zum Beispiel gerade sehr erfreulich, wenn ein Film von der Narration sich ein wenig entfernt und sich mehr und mehr mit seinen Charakteren beschäftigt. Steht in einem Film die Geschichte im Vordergrund, sieht man ihn sich vielleicht zwei bis drei mal an, aber wenn ein Film sich mehr mit seinen Charakteren beschäftigt, so sicherlich doch öfters. Als Beispiel kann man hier natürlich Ozu anführen. Die Handlung ist in vielen Ozu Filmen nicht wirklich nennenswert bzw. wichtig, das wichtige sind die Figuren, und aufgrund dieser (und anderer Dinge) sieht man sich Ozu-Filme immer und immer wieder gerne an. Auch Kurosawas Filme könnte man meist auf ein paar Sätze Handlung beschränken („Sieben Samurai“ etc.), doch auch diese Filme ziehen viel von ihrem Wert aus den tollen Charakteren. Und „Skandal“ ist von daher für mich ein ziemlich guter Film in mancherlei Hinsicht. Es gibt ein wenig naive Nebenpersonen – aber die, welche im Mittelpunkt stehen, sind wieder sehr schön ausgearbeitet. Und eine ziemlich gute Entwicklung von Filmen wie „No regrets for our youth“ (obwohl auch dieser interessante Aspekte besitzt) hat Kurosawa auch durchgemacht.
Klar ist „Skandal“ kein schlechter Film! Nur verglichen mit dem, was ich sonst von Kurosawa gewohnt bin, ist er wirklich schwach. Das Problem liegt ja auch nicht darin, dass der Film sich in die Charaktere vertiefen würde, sondern dass er total inkonsequent ist: nach ca. einem Drittel des Films taucht plötzlich ein NEUER Charakter auf, der dann völlig überraschend den Rest des Films dominiert.
Konsequenterweise hätte AK den Anfang des Films weglassen und sich von Anfang an mit Hiruta beschäftigen müssen. Dann würde es auch nichts ausmachen, dass die anderen Charaktere flach bzw. einseitig sind (weil es dann kein auf Glaubwürdigkeit seiner Botschaft angewiesener Protestfilm gegen die Auswüche der Yellowpress gewesen wäre) und es wäre ein wirklich guter Film geworden.
In dieser mangelnden Konsequenz liegt auch der Hauptunterschied zu „Kein Bedauern für meine Jugend“, der imho sehr viel besser als „Skandal“ ist, eben weil er sich konsequent mit der Entwicklung und der Persönlichkeit von Yukie beschäftigt.
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