17 Dez
Original: Chugoku no chojin (1998), von Takashi Miike
Nachdem Takashi Miike zuvor vor allem durch seine blutigen Gangster-Filme, allen voran die Triad Society-Trilogie, auf sich aufmerksam gemacht hatte, wandte er sich mit The Bird People in China einem völlig anderen Thema und Stil zu und gab damit eine beeindruckende Kostprobe seiner erstaunlichen Vielseitigkeit. Dieser Film brachte ihm schlagartig auch die Anerkennung von internationalen Kritikerkreisen.
Der Angestellte Wada (Masahiro Motoki) wird von seiner Firma auf die Suche nach einer Jade-Mine tief im ländlichen China geschickt. Kaum angekommen, gerät er an den Yakuza Ujie (Renji Ishibashi), der für seinen Clan, dem Wadas Firma Geld schuldet, Anteile an der Mine sichern soll. Unter Führung des Chinesen Shen (Mako) machen sich der stets übellaunige Ujie und der völlig verunsicherte Wada auf ihre beschwerliche Reise. Diese führt sie von schlaglochübersäten Staubpisten über eine Floßfahrt schließlich steile Gebirgspfade hinauf, bis sie trotz des zwischenzeitlichen Gedächtnisverlustes ihres Führers das Dorf erreichen, in dem sich die Jade-Mine befindet.
Dort werden die beiden Großstadtmenschen nicht nur von der atemberaubenden Natur überwältigt, sondern auch von der einfachen Schönheit des Lebens der Menschen. Besonders Wada ist fasziniert von Si-Chang (Li Li Wang), einer Einwohnerin des Dorfes, die ein Lied singt, dessen Melodie und Text ihm seltsam bekannt vorkommen und die zudem die Kinder des Dorfes im Fliegen unterrichtet. Als Shen sein Gedächtnis zurückgewinnt und somit die Heimreise bevorsteht, kommt es zum Konflikt mit Ujie, der das Dorf, die Menschen und ihre traditionelle Kultur vor der mit der Ausbeutung der Mine verbundenen Ankunft der Zivilisation bewahren will.
Was zunächst wie eine Mischung aus Buddy-Komödie und Abenteuerfilm beginnt, entwickelt sich völlig überraschend in eine tiefschürfende Auseinandersetzung mit Gefühlen, Schuld, Träumen und Fragen nach dem Sinn oder Unsinn unserer modernen, technikversierten Zivilisation. Die grandiosen Naturszenarien der südchinesischen Berge kontrastiert Miike mit dem nur in ganz wenigen Szenen gezeigten Japan, das ausschließlich aus hektischen Menschenmassen, Betonlandschaften und überfüllten Pendlerzügen zu bestehen scheint.
Der Film schweift aber nie in eine unkritische Lobhudelei für Naturschutz oder in einseitige Zivilisationskritik ab. Im Gegenteil zeigt er an Einzelschicksalen deutlich, welche Nachteile das scheinbar so idyllische Landleben der Bauern hat, wo ein einfaches Fieber lebenslange Taubheit nach sich ziehen kann und weist auch darauf hin, dass nur mittels moderner Technologie das Besuchen solcher Idylle möglich ist. Freude und Glück ebenso wie Leid finden sich letztlich in beiden Welten.
Sehr spannend ist jedenfalls auch die Entwicklung der beiden Hauptcharaktere zu verfolgen: Der scheinbar so gewissenlose Ujie wird allnächtlich von Alpträumen und Schuldgefühlen geplagt und überdeckt dies lediglich durch seine Rüpelhaftigkeit, die angesichts der ursprünglichen Natur und Lebensweise der Menschen in einen ausgewachsenen Hass auf all das, was er hinter sich gelassen hat und was er mit Zivilisation verbindet, ausartet. Wada dagegen wächst an den Erlebnissen und an der Auseinandersetzung mit Ujie, wird vom unterwürfigen Angestellten zu einem selbstbewussten Menschen, der für sich (mit Hilfe von Si-Chang) schließlich den Sinn des Lebens findet.
Das Fliegen als ewiger Traum der Menschheit ist das dominante Motiv des Films, der mit den Worten „Ich habe 10.000 Mal geschlafen, aber nie davon geträumt, fliegen zu können wie ein Vogel“ beginnt. Für mich wird dieses Motiv im Film zu einem Symbol für ein erfülltes, glückliches Leben, das sich alle wünschen, wonach alle streben, das aber nicht durch noch so große Anstrengungen sondern nur durch eine bestimmte Lebenseinstellung erreicht werden kann.
Ein großer Teil der Interpretation des Films hängt jedoch von seinem Ende und besonders der faszinierenden Schlussszene ab, die ich hier aber nicht verraten will. Ich werde daher an dieser Stelle der Auseinandersetzung mit dem Film nicht mehr weiter ins Detail gehen – was mir aber zugegebermaßen sehr schwer fällt, er schreit einfach nach einer ausführlichen Interpretation – vielleicht in den Kommentaren?
Zwar ist The Bird People in China wie auch die anderen Miike-Filme, die ich bisher gesehen habe, voller Symbole und Anspielungen, er bleibt dabei aber recht gut zugänglich (kein Vergleich etwa zu Big Bang Love). Der Film ist ein großartiges Werk und in meinen Augen ein absolutes Muss, auch für Cineasten, die von Miikes bluttriefenden Filmen eher abgeschreckt wurden.
7 Kommentare for "The Bird People in China"
Ich habe den Film nun hier auf DVD liegen und werde ihn mir sobald ich Zeit habe anschauen. Eigentlich war ich bis jetzt nie so richtig von Takashi Miike-Filmen begeistert, Filme wie „Ichi – The Killer“ bieten nun auch nicht wirklich viel Stoff zur Reflexion. „Audition“ war da schon etwas besser, und ein paar der weniger beachteten Miikes hatten ein paar nette Sachen zu bieten, aber insgesamt ist der Funken bis jetzt noch nicht übergesprungen. Nun, mal sehen was ich nach dem Film zu sagen habe…;-)
@Klaus: Die Tage hatte ich die Gelegenheit, gleich zwei Filme von Hirokazu Kore-Eda zu sehen. Dad waren „Maboroshi“ und „After Life“. Grandios! Vielleicht kennst du ja schon „Nobody Knows“, ich glaube das ists ein bekanntester Film. Jedenfalls sind die beiden jetzt von mir gesehenen auch einfach nur genial, ich hoffe von dem Mann wird man noch mehr zu sehen bekommen…
Die ganzen gewalttriefenden Yakuzafilme von Miike habe ich bisher absichtlich außen vor gelassen. Die 4 oder 5 „anderen“ Miikes die ich gesehen habe waren allesamt hochinteressante, gute bis herausragende Filme, mit The Bird People in China als vorläufigem Höhepunkt. Wenn du den gesehen hast und du dann noch nicht Feuer gefangen hast, wirst du wohl nie ein Miike-Fan 😉
Von Koreeda kenne ich Hana yori mo naho, der mich in seiner ungewöhnlichen Betrachtungsweise von Samurai etwas an Humanity and Paper Balloons erinnert hat. Ein sehr schöner Film, der mich auch sehr neugierig auf mehr von Koreeda gemacht hat!
Hi Klaus,
ich hatte inzwischen Gelegenheit den Film zu sehen, muss aber leider sagen, dass ich ihn jetzt nicht so toll fand. Nach der ersten halbe Stunde war ich wirklich beinahe dran, den Film auszuschalten. Von den Dialogen und den Charakteren her war das schon ziemlich oberflächlich. Aber erfreulicherweise ging es dann wirklich etwas aufwärts, alleine die schönen Landschaftsaufnahmen sind sicherlich einen Blick wert, wenn mich auch die ein oder andere CGI-Aufnahme störte. Auch der ganze Plot ist, im Grunde genommen, doch nichts anderes als Hollywood. Dazu die melodramatischen Einlagen mit der passenden Musik dazu. Hollywood. Aber ganz schlecht machen will ich ihn nun auch nicht…das Schlußbild war schon stimmig und lässt gewiss einige Deutungen zu, aber das war dann halt nicht genug.
Zur Deutung dieses Schlußbildes würde ich dann einfach mal einwerfen, dass sie nun letztendlich doch noch ihr Glück im Leben erreicht haben?! Oder was meinst du?
Einer meiner Lieblingsmiikes. Poetisch schöne. Gute Kritik 🙂
@ Björn
Danke! Ist auch für mich der Miike, der mir am besten gefallen hat. Am beeindruckendsten oder – im positiven Sinne – krassesten (im englischen gibt es das herrliche Wort „mindboggling“) fand ich dann aber doch Audition.
@ Marcel
Ich seh schon, aus dir mach ich meiner Lebtag keinen Miike-Fan mehr… 😉
Was die Dialoge angeht hast du sicherlich Recht, die spielen bei Miike aber imho generell eine ziemlich untergeordnete Rolle. Das tut der Charakterentwicklung aber keinen Abbruch. Schau dir z.B. Ujie an, über dessen Alpträume im ganzen Film kein einziges Wort fällt, und trotzdem wird nach der Traumsequenz mit der Schießerei alles klar, die Schuldgefühle, die Abscheu die er sich selbst und der Welt empfindet und aus der heraus sich sowohl sein rüpelhaftes Verhalten als auch der spätere „Amoklauf“ erklären und absolut Sinn machen. Das ist eine Art der Charaktermotivation und -definition, die ich nicht gerade als oberflächlich bezeichnen würde.
Und mit dem CGI-Einsatz meinst du wahrscheinlich die Szene mit dem Floß? Auch nicht gerade die typische Art, wie in Hollywood CGI eingesetzt wird, das für gewöhnlich als Eye-Candy dient. Miike nutzt es, um ein Floß für ein paar Sekunden von unten zu zeigen. Ziemlich unspektakulär und hollywood-untypisch würde ich sagen…
Und zur Schlussszene: Ja, das Fliegen deute ich als ein Symbol für ein erfülltes, glückliches Leben. Ganz wichtig dabei ist aber, dass es nicht nur die Kinder aus dem Dorf sind, die das Fliegen „lernen“, sondern auch Wada, der sich ja für ein normales Leben in der japanischen Großstadt entscheidet (in einer Szene sieht man ihn für einen Sekundenbruchteil mit Flügeln hoch über der Stadt auf einem Wolkenkratzer stehen). Diese Botschaft, dass ein erfülltes Leben sowohl in unserer hochtechnisierten Zivilisation als auch in einfachsten Verhältnissen möglich ist und immer auf einen selbst ankommt, ist sicherlich ein immer wieder anzutreffendes Thema von Filmen. Aber wie Miike sich dem annimmt, den Traum vom Fliegen mit dem Traum vom erfüllten Leben und dem Einklang mit der Natur und sich selbst gleichsetzt und das auf diese Art umzusetzen, das finde ich genial.
[…] die einzige Parallele zu einem weiteren Film Miikes aus dem Jahr 1998, dem sehr viel bekannteren The Bird People in China. Hier entdeckt ebenfalls ein Yakuza etwas, für dessen Schutz er bereit ist, sich […]
2registered
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