16 Feb
Original: Midareru, (1964) von Mikio Naruse
Der Film beginnt mit einer großartigen Szene, in der Naruse gleichermaßen den Rahmen für die Handlung setzt und die Veränderungen im Japan der 60er Jahre thematisiert: Ein Werbewagen fährt durch eine Kleinstadt und kündigt Sonderangebote eines neuen Supermarkts an. Dabei fährt er auch am Lebensmittelladen von Reiko (Hideko Takamine) vorbei, wo die Geschäfte immer schlechter laufen. Reiko lebt bei der Familie ihres verstorbenen Ehemanns, dessen Mutter und Schwestern sie überreden wollen, wieder zu heiraten. Aber sie fühlt sich ihrem Mann, dessen Familie und dem kleinen Laden, den sie nach dem Krieg aufgebaut hat, tief verbunden.
Die Situation wird zusätzlich belastet, als ihr ihr Schwager Koji (Yuzo Kayama), vorgeblich ein Taugenichts und Glücksspieler, seine Liebe beichtet. Es wird offensichtlich, dass sein früheres Verhalten Versuche der Ablenkung waren. Nachdem die Wahrheit heraus ist, beginnt er im Laden mitzuhelfen (was aber immer wieder zu peinlichen Situationen mit Reiko führt) und ändert seinen Lebenswandel vollständig. Er plant sogar, den kleinen Laden abzureißen und einen Supermarkt zu eröffnen, den er gemeinsam mit Reiko führen will. Seine Familie lehnt Reikos Beteiligung aus finanziellen Erwägungen aber ab. Koji betrachtet den Laden jedoch als Reikos Lebensinhalt und will diesen auf keinen Fall zerstören. Als Reiko erfährt, dass sie einer Verbesserung der Situation der Familie im Wege steht, kündigt sie überraschend an, in ihre Heimat zurückzukehren und zu heiraten. Koji glaubt ihr nicht und begleitet sie auf der Fahrt nach Norden, bei der sich die beiden langsam näher kommen. Sie unterbrechen die Reise und Reiko dankt Koji für seine Liebe und Zuneigung, teilt ihm aber mit, dass sie sich an ihren Ehemann gebunden fühlt. Sie bittet ihn, am nächsten Morgen abzureisen, worauf Koji davon stürmt, sich betrinkt und in eine Schlucht stürzt.
Naruse greift in Yearning bereits bekannte Themen auf: Die eheliche Bindung, die Abhängigkeit der Ehefrau – besonders der Witwe – von der Familie ihres Ehemanns, unerfüllbare Liebe und finanzielle Nöte (deren Ursachen dieses Mal aber mit den rapiden Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft klar benannt werden). Er geht dabei allerdings noch einen Schritt weiter als in den früheren Filmen. Die Bindung Reikos an ihren Ehemann bestimmt sogar noch lange nach dessen Tod ihr Schicksal und grenzt sie in ihrer individuellen Freiheit ein, hat damit letztlich Konsequenzen über die unmittelbar Betroffenen hinaus und verursacht indirekt sogar den Tod Kojis.
Betrachtet man die Liebe Kojis als Reikos Chance auf ein neues Leben, bekommt die Schlussszene, in der Reiko völlig außer sich hinter der Bahre mit Kojis Leiche, die sich aber immer weiter entfernt, herläuft, eine zusätzliche Bedeutung: Denn Reiko vergießt keine Tränen, in ihrem Gesicht spiegeln sich nicht nur Bestürzung und Trauer, sondern auch ein bisschen Erleichterung darüber, dass ihre Treue zu ihrem Ehemann nicht weiter getestet wird. Damit sind die Grenzen für Reikos Glück letztlich auch von ihr selbst errichtet.
Die grausamste Szene des Films bleibt für mich aber, als Reiko ihrer angeheirateten Familie gegenübersitzt und den Lebensmittelladen, ihr Zuhause, alles, wofür sie gelebt und gearbeitet hat, ihren gesamten Lebensinhalt, ohne mit der Wimper zu zucken aufgibt. Und das, um Menschen zu helfen, die sich kaum für ihr Schicksal interessieren. Ein Moment, in dem Naruse seine Heldin sehr nah an Kenji Mizoguchis sich selbst aufopfernde, tragisch leidende Frauenschicksale heranrückt.
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