17 Mai
Mal wieder bietet uns Mark Schilling einen interessanten Überblick zum Zustand der Filmindustrie (mit Schwerpunkt auf Indie-Produktionen) in Japan, das mit fast genau 2 Mrd. US-$ Umsätzen an den Kinokassen der zweitgrößte Filmmarkt der Welt ist. 163,2 Mio Kinokarten wurden dort 2007 verkauft, rein statistisch gesehen geht also jeder Einwohner 1,28 Mal im Jahr ins Kino. Doch wie war das vor einem halben Jahrhundert, in der goldenen Ära des japanischen Kinos?
Vergleichen wir den Schilling-Artikel also mit den Zahlen1 aus den späten 1950er Jahren: Damals ging der Normal-Japaner 12 Mal im Jahr im Kino, zehnmal so oft wie heute! Das Fernsehen hat unübersehbar seine Spuren hinterlassen… Nur vergleichsweise gering zurückgegangen ist dagegen die Anzahl der japanischen Filme, die in den Kinos gezeigt wurden: Stolze 407 heimische Werke liefen 2007, vor 50 Jahren schwankte dieser Wert noch um die 500.
Jedoch finden nicht alle in Japan produzierten Filme auch den Weg auf die Leinwand, besonders kleine, unabhängige Labels haben massive Schwierigkeiten, Kinos zu finden, die ihre Filme spielen. Das hängt nicht zuletzt mit den Besonderheiten des Distributionssystems in Japan zusammen. Die großen Studios, allen voran Toho, besitzen eigene Kinoketten, während kleine Studios Verträge mit unabhängigen Kinos aushandeln müssen. Das war vor einem halben Jahrhundert genauso, doch lag damals die Zahl der Kopien für die „großen“ Filme viel niedriger als heute: 50 Kopien wurden damals durchschnittlich von einem Film angefertigt, bei großen Produktionen 70 bis 100 (bei ca. 7000 Kinos im Land). Heute dagegen startet kaum noch eine größere Produktion mit weniger als 100 Kopien, die „Blockbuster“ kommen locker auf 300 bis 400. Dementsprechend weniger Slots in den Kinos bleiben für die kleinen Fische.
Die Bedeutung ausländischer Filme nahm zudem in den letzten Jahrzehnten deutlich zu, auch wenn diese im internationalen Vergleich noch immer bemerkenswert gering ist. Fast genau die Hälfte der in japanischen Kinos gezeigten Streifen kommt heute aus dem Ausland (und das entspricht auch in etwa ihrem Umsatzanteil), in den guten alten Zeiten war es nur ein Viertel. Dennoch ist der japanische Filmmarkt in guter Verfassung, Studios sind nicht auf Export ihrer Filme angewiesen und können die Finanzierung ihrer Projekte ganz aus heimischen Mitteln decken, meist über verschiedene Partner wie TV-Sender, Verlage oder Sponsoring.
Die Industrie kann es sich also leisten, sich ganz auf ihr heimisches Publikum zu konzentrieren, daran hat sich in den letzten Jahrzehnten trotz der dramatisch gesunkenen Zuschauerzahlen wenig geändert. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass unmittelbar nach der goldenen Ära, etwa ab Mitte der 1960er Jahre, der durch die Verbreitung des Fernsehens verursachte Rückgang der Zuschauerzahlen die Filmindustrie schwer traf und diese in eine tiefe Krise schickte. Aber diese Geschichte erzähle ich ein andermal.
1 Die Angaben stammen aus Joseph L. Anderson/Donald Richie: The Japanese Film. Art and Industry
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