7 Jan
Viele Kritiker und Cineasten schätzen Yasujiro Ozu als außergewöhnlichsten und herausragendsten japanischen Regisseur überhaupt. Eine wichtige Rolle spielt dabei sein unverkennbarer, nicht nur an ästhetischen Merkmalen orientierter sondern auch konzeptionell und thematisch einzigartiger Stil. Gerne genannt werden etwa die niedrig positionierte Kamera, die Beschäftigung mit der (japanischen) Familie, die besondere Nutzung des Raums welche im Widerspruch mit Hollywood-Konventionen steht und vieles mehr. David Bordwell bezeichnet Ozus Filme gar als einen kompletten Gegenentwurf zum „klassischen“ Hollywood-Kino.
So ist es vielleicht verständlich, dass ich einen Heidenrespekt vor seinen Filmen hatte und diese bisher nicht gebloggt habe, auch wenn Tokyo Story neben Rashomon und den Miyazaki-Filmen das Feuer meiner Faszination für japanische Filme ursprünglich mit angefacht hat. Als Einstieg in das Thema Ozu und um an einem ganz simplen Beispiel einen ersten Eindruck zu vermitteln, was seine Filme so einzigartig macht, möchte ich heute die Titelsequenzen heranziehen.
Der Screenshot zeigt den Titel des 1934 entstandenen Films A Story of Floating Weeds, im Original Ukigusa monogatari. Die gesamten Credits der Beteiligten werden genau wie der Titel vor dem Hintergrund eines simplen Stückes Sackleinenstoff gezeigt. In seinen zuvor gedrehten Filmen wie Passing Fancy oder I was born, but… dienten jedoch comic-hafte Zeichnungen als Hintergründe für die Titel. Ozu schafft hier also einen starken Gegensatz und hebt den Film von Anfang an allein durch die Titelsequenz schon von seinen früheren Filmen ab.
Da A Story of Floating Weeds in einer ländlichen Kleinstadt spielt, unterstreicht er durch diesen Gegensatz zunächst wunderbar die Atmosphäre des Films. Insofern könnte man das Sackleinentuch einfach als konsequentes Mittel zur Abrundung und Ergänzung des Erscheinungsbilds dieses speziellen Films abtun. Aber Ozu machte diesen Auftakt zu einem festen Bestandteil für seine nachfolgenden Filme und somit zu einem Markenzeichen für sein Werk ganz generell!
Record of a tenement Gentleman (1947):
Tokyo Story (1953):
Early Spring (1956):
Floating Weeds (1959):
Die Umstellung auf Farbfilme brachte nur eine kleine Veränderung, nämlich dass manche Schriftzeichen in Rot gefasst wurden. Am schlichten Erscheinungsbild und Auftakt der Filme änderte sich sonst nichts. Bis zu seinen letzten Filmen kurz vor seinem Tod im Jahr 1963, behielt Ozu das Motiv des Sackleinenstoffes bei, und das, obwohl zu dieser Zeit seine Filme schon lange nicht mehr die einfache Atmosphäre des Landlebens wiedergaben, sondern meist im mittelständischen Milieu von Großstädten spielten.
Daher wird der mit A Story of Floating Weeds vollzogene Wechsel zum Sackleinen heute oft als ein Signal Ozus interpretiert, dass er mit diesem Film „sein“ Kino gefunden hatte, dem er dann bis zum Schluss treu blieb. So findet sich auch in seinem vorletzten Film The End of Summer (1961) das wohlbekannte Titelbild:
Das nenne ich Konsequenz!
Weitere Markenzeichen Ozus:
Teil II – Trocknende Wäsche
Teil III – Zugfahrten
3 Kommentare for "Ozus Markenzeichen Teil I: Sackleinen"
Das Photo der Titelsequenz fuer „Ukigusa monogatari“ ist spiegelverkehrt und damit falsch wiedergegeben.
Bitte korrigieren.
Hallo Yoshida-san! Der Screenshot ist absolut korrekt wiedergegeben und keineswegs spiegelverkehrt. Allerdings ist die Leserichtung von rechts nach links, wahrscheinlich hat dich das verwirrt. Ich habe mir sagen lassen, dass das Anfang des letzten Jahrhunderts öfter so gehandhabt wurde, als man in Japan langsam begann, horizontal zu schreiben und nicht mehr vertikal.
Nicht nur zu Anfang des letzten Jahrhunderts… auch heute noch sieht man in Japan Lkws und Lieferwagen, auf denen der Firmenname in dieser Weise angebracht ist, fuer mich also kein ungewohnter Anblick. Bei Titelsequenzen bzw. „opening credits“ hatte ich soetwas (in horizontaler Darstellung) jedoch noch nie gesehen, finde es auch nicht besonders sinnig, zumal Ozu selbst diese Methode offenbar nur einmal angewendet hat.
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