25 Feb
Yasujiro Ozu wurde nicht zuletzt wegen seines außergewöhnlichen, unverkennbaren Stils zu einer Ikone der japanischen Filmgeschichte. Gerne genannt werden etwa die niedrig positionierte Kamera, die Beschäftigung mit der (japanischen) Familie oder die besondere Nutzung des Raums welche im Widerspruch mit Hollywood-Konventionen steht. Zu diesen Markenzeichen gehören jedoch auch ganz simple, wiederkehrende Motive, und eines davon möchte ich heute vorstellen.
So gut wie jeder Film Ozus enthält eine Ansicht von zum Trocknen aufgehängter Wäsche. Bereits in seinen frühen Filmen der 30er Jahre, wie etwa in A Story of floating Weeds aus dem Jahr 1934, taucht die trocknende Wäsche auf, hier noch eingebunden in den Kontext der Handlung (die Schauspieltruppe hat Waschtag und plaudert nebenbei über Glück und Unglück):
Auch in Record of a tenement gentleman von 1947 besteht noch ein Bezug des im Wind trocknenden Futons zur Handlung, in der ein bettnässender Junge von einer älteren Frau aufgenommen wird.
In den späteren Filmen dienen die Ansichten der trocknenden Wäsche dann ausschließlich als überleitende, Kontext etablierende sowie Stimmung und Atmosphäre vermittelnde Einschübe. Beispiele wären…
Tokyo Story (1953):
Early Spring (1956):
An Autumn Afternoon (1962):
Wie diese Abfolge an Screenshots zeigt, nutzt Ozu dieses wiederkehrende Element seiner Filme, um auf den Wandel Japans hinzuweisen und die Veränderungen im Leben der Menschen anzudeuten bzw. zu unterstreichen. In den frühen Filmen, vor dem japanischen Wirtschaftswunder, werden fast immer auf hölzernen Gerüsten hängende, einfache weiße Unterwäsche oder Yukatas in diesen Ansichten gezeigt. Diese werden zum Ausdruck der einfachen Lebensweise der Charaktere und der Zuschauer gleichermaßen.
In seinen späteren Filmen dagegen greift er den gewachsenen Wohlstand auf (beispielsweise auch, indem seine Charaktere plötzlich Golf spielen). Entsprechend verlagert Ozu in An Autumn Afternoon, dem letzten Film vor seinem Tod, die Wäsche auf Hochhausbalkone. Sie hängt jetzt auch nicht mehr auf Holzgerüsten sondern auf Plastikstangen und bildet ein buntes Durcheinander aus allerlei Tüchern, Hemden, Unterwäsche.
Es handelt sich also nicht nur um eine witzige Marotte (wie etwa die kurzen Auftritte Hitchcocks in seinen eigenen Filmen), die keinen tieferen Zweck verfolgt, sondern um ein Motiv, das sich im Lauf der Zeit mit den Filmen verändert und damit auch die Entwicklung der Gesellschaft und ganz Japans aufgreift und transportiert.
Weitere Markenzeichen Ozus:
Teil I – Sackleinen
Teil III – Zugfahrten
5 Kommentare for "Ozus Markenzeichen Teil II: Trocknende Wäsche"
Diese Sichtweise halte ich für ein wenig überzogen. Es ist einfach Fakt, dass früher die Menschen ihre Wäsche häufiger draußen aufgehangen haben. Hierzulande findet man es einfach sehr selten. Es ist ja nicht so, als sei es nur in Ozus Filmen so, dass kurze Übergänge auf Leinen hängende Wäsche zeigt. Auch sind die durch den Fortschritt kommenden Änderungen zu sehen, weil es Standard wurde. Wieso sollte man auch zu Zeiten, in denen moderne, bessere Autos Verbreitung finden, noch Trabbis auf den Straßen zeigen?
Dass jedoch die Einstellungen länger als in Streifen aus Hollywood zu sehen sind, mag vermutlich einfach nur damit zusammenhängen, dass derlei Geschichten nicht auf Geschwindigkeit/Action setzen. Es soll viel mehr einfach das Gefühl übermittelt werden, als sitze man mitten im Geschehen. Aber dies ist nur meine Auffassung 😉
Hi Patrick, natürlich wird das Motiv immer mal wieder verwendet, gern auch als Symbol für eine spirituelle Reinigung. Oder in Verfolgungsjagden, wenn der Held oder dessen Verfolger sich in Wäscheleinen verheddern. Aber mir ist kein Regisseur bekannt, der das Motiv immer wieder in so gut wie jedem Film benutzt, insofern ist es aus meiner Sicht gerechtfertigt, von einem Markenzeichen zu reden. Lasse mich aber gern eines besseren belehren, kannst mir ja mal noch ein paar Regisseure nennen, die auch in jedem Film zum Trocknen aufgehängte Wäsche zeigen 🙂
Und was die mit dem letzten Screenshot angesprochene Entwicklung angeht: Die dargestellte Szenerie ist offensichtlich nicht realistisch gemeint (ein Hochhaus, dessen Bewohner alle zur selben Zeit die Wäsche zum Trocknen raushängen?), sondern symbolisch. Und als solches sehe ich sie auch und interpretiere sie. Ob das dann zu weit hergeholt ist, muss jeder selbst entscheiden…
Noch eine Anmerkung: Auch heute ist es in Japan durchaus noch üblich, die Wäsche zum Trocknen nach draußen zu hängen (wenn man denn einen Garten/Balkon hat), weil viele Wohnungen und Häuser zu klein für einen Trockner sind. Es gibt sogar fahrende Händler, die ausschließlich die Gerüste zum Aufhängen verkaufen und die mit ihren per Megaphon in die Landschaft hinausgeplärrten Werbesprüchen ganz schön nerven können 😉
Zweierlei,
erstens finde ich solche Hinweise wie den auf die Wäsche bei Ozu schon spannend, weil es in der Filmgeschichte ja durchaus von Leuten wimmelt, die irgendwann einfach anfangen, sich selbst zu zitieren, und so sehr wohl kleine Kommentare zum eigenen Werk und der Situation (und Gesellschaft), in der sie entstanden sind abgeben.
Vielleicht ist Ozu nach den ersten Filmen aufgefallen, dass sowas wie Wäsche eine gute Möglichkeit ist dafür.
Der zweite Punkt, der eher auf deinen Punkt mit der Wohnungsgröße eingeht: als Betrachter finde ich solche Szenen ja durchaus interessant und würde ihnen auch Auskunftswert zuschreiben, eben weil sich an ihnen Lebensbedingungen ablesen lassen. Bzw. manchmal nicht direkt ablesen lassen, sondern Fragen aufgeworfen werden, die sich nur durch die Lebensbedingungen beantworten lassen.
In „Ironia sudby“, dem russischen Sylversterfilm schlechthin, wird das z.B. sogar zur Handlung: im Suff verwechselt der Protagonist seine eigene Wohnung in Moskau mit der einer Frau in St. Petersburg – möglich ist das nur vor dem Hintergrund sowjetischen Wohnungsbaus und Möbeldesigns…
Dieser „Ironia sudby“ klingt ja interessant… mich erinnert das irgendwie an einen Film von Tati, gab es da nicht auch mal so eine Verwechslungsgeschichte rund um standardisierte Wohnungen?
1effusion
Hier kommt deine Meinung rein: