6 Okt
Original: Daibosatsu tōge (1966), von Kihachi Okamoto
Der Film spielt in den frühen 1860er Jahren vor dem Hintergrund der politischen Wirren des Machtkampfs zwischen Kaiser und Shogun um die Öffnung Japans. Im Mittelpunkt steht der psychopathische Samurai Ryunosuke (Tatsuya Nakadai), der Dank seiner überlegenen Kampfkunst seine Freude am Töten und an der Erniedrigung anderer Menschen hemmungslos ausleben kann, darüber aber nach und nach den Verstand verliert.
Zu Beginn des Films ermordet er aus einer Laune heraus einen alten Pilger. Dann erpresst er Hama (Michiyo Aratama), die Frau eines Wettkampfgegners, mit ihm zu schlafen, wenn er sich dafür von ihrem Mann besiegen lässt. Nur um diesen dann doch zu töten. Später lebt Ryunosuke unter Pseudonym zusammen mit Hama und verdingt sich als Auftragskiller für eine Gruppe der Shinsengumi, einer Miliz, die für den Erhalt des Shogunats kämpft.
Hyoma (Yuzo Kayama), der Bruder des Getöteten, bereitet sich unterdessen in der Schule des Schwertkämpfers Shimada (Toshiro Mifune) darauf vor, Rache an Ryunosuke zu üben. Als dieser mit seiner Truppe nach Kyoto aufbricht, folgt ihm Hyoma und begegnet dort der Enkelin des von Ryunosuke ermordeten Pilgers. Ohne dass die beiden von diesem Zusammenhang etwas ahnen, erklärt sie sich bereit, Hyoma bei seiner Jagd auf den Mörder zu helfen.
Wenn man mit dem historischen Hintergrund nicht vertraut ist, ist es manchmal etwas beschwerlich, der Handlung zu folgen. Besonders die Ränkeschmiede der Shinsengumi und die sich daraus ergebenden Kämpfe und Morde können für Verwirrung sorgen. Doch liefern diese letztlich nur den Hintergrund ab, ich kann also nur empfehlen, sich nicht zu sehr von den historischen Ereignissen ablenken zu lassen. Denn im Kern ist dieser Film die Charakterstudie eines Mannes, der einen Wirbel aus Gewalt lostritt, in dem er mehr und mehr untergeht und sich selbst zugrunde richtet.
Dem Pilger erscheint er zunächst wahrhaftig wie ein allmächtiger Todesengel, und so sieht er sich auch selbst: In den folgenden Duellen und Kämpfen agiert er im vollen Bewusstsein seiner Überlegenheit mit absoluter Präzision, Eiseskälte und Grausamkeit. Doch als er Zeuge wird, wie die Shinsengumi irrtümlich Shimada überfallen und von diesem geradezu spielerisch besiegt werden, erhält sein Selbstbewusstsein erste Risse. Zum ersten Mal begegnet er einem Mann, der ihm kämpferisch ebenbürtig ist. Dazu kommt noch der schwelende Konflikt mit Hama, die zwar an Ryunosuke gebunden ist, ihn aber immer wieder konfrontiert und ihm seine unterentwickelte Emotionalität und Moral aufzeigt. So ist es nur logisch, dass er als einzige ihm bekannte Möglichkeit der Konfliktlösung Hama schließlich tötet.
Während die Machtkämpfe der Shinsengumi ihren Höhepunkt erreichen, gerät Ryunosukes mentales Gleichgewicht endgültig aus den Fugen als er der Enkelin des von ihm ermordeten Pilgers begegnet und sich der Kreis somit schließt. Dieses Aufeinandertreffen und die Erinnerungen, die es in ihm weckt, lassen seine Taten wie Schatten der Vergangenheit auferstehen und führen in einen selbstzerstörerischen Exzess der Gewalt, bevor der Film dann abrupt endet.
Irgendwo habe ich gelesen, dass The Sword of Doom ursprünglich der Auftakt zu einer Trilogie sein sollte, die dann aber nie realisiert wurde, was das unerwartete Ende in einem etwas anderen Licht erscheinen ließe. Wie auch immer es nun dazu kam, dass der Film das Ende bekam, das er hat, die Wirkung ist schlicht genial. So genial, dass es etwas später für Butch Cassidy and the Sundance Kid übernommen wurde.
Abgesehen von dem schockierenden Effekt, der den Zuschauer erstmal mit seinen Eindrücken und Gedanken ganz allein lässt, betont das Ende die Fokussierung auf Ryunosuke. Es kommt nie zum lange erwarteten Duell zwischen ihm und Hyoma (was den Aspekt der Rache hervorgehoben hätte) noch zu der Konfrontation mit Shimada (was die Auseinandersetzung eher auf die Ebene Lehrling-Meister verlagert hätte). Vielmehr richtet sich der von Wahnvorstellungen getriebene Ryunosuke in einem berserkerhaften Amoklauf selbst zugrunde.
Es geht Regisseur Okamoto somit nicht darum, Ryunosuke in einen vergleichenden Kontext zu setzen und zu beurteilen, sondern ihn als einen Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten zu porträtieren, dem allerdings Gewissen, Moral, Respekt gegenüber anderen und jegliche Fähigkeit zu emotionaler Entwicklung fehlen. Wegen seiner herausragend entwickelten Fähigkeiten hat er zudem keine Perspektive, kein Ziel auf das er hinarbeiten könnte. Mal wirkt es, als sei Gewalt für ihn einfach nur ein Zeitvertreib, so wie eine Katze mit einer gefangenen Maus spielt, mal nutzt er sie zur Konfliktlösung oder zum Broterwerb. Eine andere Form des Umgangs mit Menschen kennt er jedenfalls nicht, so dass er selbst zur Ursache seiner Probleme wird und die Lösung nur die eigene Zerstörung sein kann.
Auch wenn keine direkte Wertung erfolgt, handelt es sich bei Sword of Doom doch um ein außergewöhnliches Statement, gedreht zu einer Zeit, als offene Gewalt eine immer größere und dominantere Rolle in der Filmkultur einnahm. Von den Filmen über jugendliche Delinquenten der 50er Jahre bis zu den Schwertkampffilmen wurde Gewalt mehr und mehr zu einem sinnstiftenden Element (dieser Trend ist ja leider bis heute ungebrochen). Okamoto treibt dies hier auf die Spitze mit einem Charakter, dessen Existenz nur auf grausamer Gewalt basiert, deren Leere am Ende deutlich wird. Und der übrigens von Tatsuya Nakadai grandios verkörpert wird!
Diese Leere wird genial unterstrichen durch die Inszenierung von Ryunosuke und den gesamten Stil des Films. Starke Kontraste von schwarz und weiss sind allgegenwärtig, viele der Kämpfe finden im Schnee statt. In den Close-ups sehen wir Ryunosuke fast immer vor einem kahlen, leeren Hintergrund, sein Gesicht teilweise im Schatten. Die atemberaubenden Bildkompositionen sind von bestechender Eindringlichkeit und überraschen immer wieder. So gibt es einige Szenen, in denen eine Hauptperson zunächst durch einen anderen Charakter verdeckt wird, bis dieser durch eine Bewegung den Blick auf die Person freigibt. Ein Beispiel wäre die Szene des ersten Screenshots, in dem zuerst nur der betende Pilger zu sehen ist. Dann dreht er sich um und zum Vorschein kommt der vor dem Hintergrund der weißen Wolken ganz in schwarz gekleidete Ryunosuke. Ein echter Gänsehaut-Moment!
Sehr konsequent verwendet Okamoto bei Dialogen auch Schuss-Gegenschuss-Einstellungen, in denen der gerade sprechende Charakter von Kopf und Schulter seines Gegenübers eingerahmt oder teilweise verdeckt wird (ein Stilelement, dessen Verwendung mir in der jüngeren Vergangenheit besonders in der Bourne-Trilogie ganz extrem aufgefallen ist). Wie bei vielen anderen Szenen nutzt er also auch hier sehr stark negativen Raum zur Steuerung von Aufmerksamkeit, schafft es durch clevere Arrangements aber auch, Schnitte zu vermeiden – wie etwa bei den verdeckten Personen.
Atemberaubende Bilder, eine intelligente, spannende Story, großartige schauspielerische Leistungen, packende Kampfszenen und reichlich Anstöße zum Nachdenken… The Sword of Doom ist wirklich ein absoluter Klassiker, den man unbedingt gesehen haben sollte!
7 Kommentare for "The Sword of Doom"
Endlich hast Du dir die Zeit genommen diesen Film zu besprechen. Sehr schöne Review gefällt mir 🙂
Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass mir die Besprechung dieses Film-Brockens ziemlich schwer gefallen ist… der Film ist wirklich alles andere als leichte Kost und ich wusste lange nicht, wie ich ihn anpacken sollte. Hab selten soviel Schweiss und Tränen beim Bloggen vergossen! 😉
Umso mehr freut es mich, dass dir das Ergebnis gefällt.
Hallo Klaus Wiesmüller,
Stilistisch empfinde ich Sword of doom ebenfalls als einen absoluten Höhepunkt des Chambara (oder doch Chanbara?).
Die Figurenzeichnung ist mir jedoch zu statisch und unrealistisch. Vor allem die weibliche Hauptperson Hama bleibt ein Rätsel, ihre Motivation Tsukue (dem Mörder ihres Mannes und Vergewaltiger) ins Exil zu folgen ist absolut unverständlich. Ebenso die Macbeth-Anleihe in der Schlussszene, als Tsukue plötzlich von den Geistern seiner Opfer, seinem Gewissen (?) heimgesucht wird, erscheint wie ein wenig überzeugender Bruch des zuvor etablierten unbarmherzigen, keine Reue kennenden Charakers.
Die Nebenhandlung um die Shinsengumi führt nirgendwohin, steht irgendwie verloren im Raum, lenkt im Gegenteil unnötig von den Hauptcharakteren ab. Hier hätte ich mir eine größere Fokussierung auf das Wesentliche, eine insgesamt straffere Inszenierung gewünscht. Diese kleineren Makel sind vermutlich auf die von dir erwähnte Tatsache zurückzuführen, dass dies nur der erste Teil einer leider nie zu Ende geführten Trilogie ist.
Sword of doom ist ein düsterer durchaus faszinierender, im positiven Sinne surreal wirkender Höhepunkt in Okamotos schaffen. Stilistisch, in Kameraarbeit, Schnitt, Szenengestaltung eine absolute Augenweide, aber dennoch, aufgrund erzählerischer Schwächen, kein absolutes Meisterwerk. Natürlich bleibt der Film aufgrund seiner tollen Atmosphäre und Schauwerte Pflichtprogrammm für alle Fans des Jidai Geki.
Viele Grüße
Marald
Servus Marald!
Erstmal vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar und die interessanten Denkanstöße! Ich muss dir an ein paar Stellen allerdings widersprechen. Der einzige Makel den ich an Sword of Doom ausmachen kann, ist die historische Hintergrund- und Nebenhandlung um die Shinsengumi. Dazu hatte ich ja schon geschrieben, dass man die nach Möglichkeit beim Sehen ausblenden sollte, besonders wenn man sich mit den historischen Hintergründen nicht auskennt. Ich denke aber, dass diese Wahrnehmung vor allem eine westliche ist, denn für ein japanisches Publikum dürften diese Vorgänge der 1860er Jahre fester Bestandteil der Allgemeinbildung sein. So ähnlich, wie ein deutscher Film das Wissen um die Ränkeschmiede der Machtergreifung Hitlers bei seinem Publikum einfach als gegeben voraussetzen kann.
Was deine anderen Kritikpunkte angeht kann ich dir nicht folgen. Ich sehe die Schlusssequenz mit Ryunosukes Amoklauf nicht als Bruch in seiner Charakterisierung, sondern vielmehr ganz im Gegenteil als die einzig logische Konsequenz der Gewaltspirale, die er in Gang gesetzt hat. Nur er selbst kann diese Spirale beenden und weil er nur gewaltsame Lösungen kennt ist auch hier die einzige Lösung, dass er sich selbst zugrunde richtet. Reue sehe ich darin keine, vielmehr die Hybris, den Versuch, auch noch seine eigenen Erinnerungen gewaltsam auslöschen zu wollen.
Was die Motivation von Hama angeht: Die dürfte wohl einfach deshalb mit Ryunosuke zusammengeblieben sein, weil sie die Mutter seines Kindes ist, weil sie ihren Bräutigam verlor, von ihrer Familie verstoßen wurde und keine andere Ãœberlebenschance hatte. Ich bin kein Japanologe, aber ich glaube vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse ist das nicht so weit hergeholt. Und ein bisschen Hassliebe kann man auch noch reininterpretieren 😉
In meinen Augen ist der Film nahezu makellos und kann zurecht als Meisterwerk bezeichnet werden.
Hallo Klaus,
man kann die von mir rein subjektiv empfundenen Schwächen natürlich auch ganz anders sehen. 😉
Es wundert mich dass Hama schon zu dem frühen Zeitpunkt (wie viele Tage vergingen zwischen der Vergewaltigung und dem Tod ihres Mannes?) wusste dass sie Schwanger war. Und es erscheint mir, auch wenn sie es wusste, wenig überzeugend, dass sie ihren brutalen Peiniger auf seiner Flucht begleitet. Warum sollte sie das tun? Viel wahrscheinlicher wäre für eine Frau ihrer Erziehung und Ranges der Suizid, zumal ihr die Ehre ihres Mannes zuvor so wichtig erschien. Das Frauenbild bei Mizoguchi, Naruse oder Ozu gefällt mir in seiner charakterlichen Differenziertheit im Vergleich deutlich besser.
Was mich stört an Ryunosukes Ende ist nicht die Irrationalität, die Selbstvernichtung, sondern das plötzliche Aufflammen eines Gewissens, obwohl er zuvor nicht den Hauch moralischen Bedenkens bezüglich seines Handelns zeigte. Die Art und Weise wie er in einem Strudel aus Gewalt (und Feigheit/Angst) versinkt, empfinde ich dagegen als durchaus faszinierend. Der Charakter Ryunosukes zeigt aber alles in allem kaum eine Entwicklung, ist von Anfang an eine moralische Ruine die rücksichtslos ihren Impulsen folgt. Lediglich der Grad seines Wahns nimmt im Verlauf des Filmes zu. Eine menschlich nachvollziehbare Charakterzeichnung stelle ich mir anders vor. Als irrationales, surreales Element des Schreckens, dass in den Alltag der porträtierten Menschen (gleich einem Dämon) fährt, funktioniert Tsukue aber für mich sehr gut.
Mit der Integrierung der Thematik der Shinsengumi hätte ich kein Problem, wenn sich diese irgendwie sinnvoll in den Hauptstrang der Geschichte integrieren würde. Bei einem Film wie Assassination stört mich der geschichtliche Hintergrund z.B. überhaupt nicht, im Gegenteil, dort macht er sogar einen wesentlichen Bestandteil der Faszination aus, da erst durch diese politischen Hintergründe die Handlungen der Hauptcharaktere nachvollziehbar werden. Bei Sword of doom erfüllen die Shinsengumi keine vergleichbar essentielle Rolle. Deshalb ist Assassination, um auf den Vergleich zurückzukommen, der für mich klar menschlich glaubwürdigere, thematisch wichtigere und insgesamt bessere Film.
Ich bevorzuge halt die klarer ausformulierten, nachvollziehbareren Charaktere Kurosawas oder Mizoguchis, deren Jidai Geki ich noch deutlich höher einschätze als Okamotos Filme.
Ok, es mag daher durchaus sein, dass ich nur im direkten Vergleich Sword of doom den Status eines uneingeschränkten Meisterwerkes (den er stilistisch sicherlich besitzt) abspreche.
Viele Grüße
Marald
Ergänzung:
Um noch einmal auf die von dir abgestrittene „Reue“ zurückzukommen. Du interpretierst die Geistererscheinungen Ryunosukes und den anschließenden Amoklauf als Versuch seine Erinnerung an seine Vergangenheit auszulöschen. Soweit folge ich dir natürlich 1:1, aber was symbolisieren die Geister anderes als ein schlechtes Gewissen? Hätte er nicht dass kleinste bisschen Reue für seine Taten empfunden, würden die herbei halluzinierten Opfer nicht den kleinsten psychologischen Sinn ergeben (nun gut, ich bin kein Psychologe). 😉
Hm, vielleicht lehne ich mich hier aber in meiner Interpretation einfach zu sehr an „Das Schloss im Spinnwebwald“ (Kurosawas genialer Macbeth-Variante) an, wo Taketori Washizu ebenfalls von sein schlechtes Gewissen symbolisierenden Geistern heimgesucht wird.
Viele Grüße
Marald
2eulogium
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