7 Apr
Original: Kumonosu-jō (1957) von Akira Kurosawa
Nach der heldenhaften Abwehr eines Aufstands kehren die Samurai Washizu (Toshiro Mifune) und Miki (Minoru Chiaki) zum Schloss ihres Fürsten zurück. Unterwegs verirren sie sich im Spinnwebwald und begegnen dort einer Hexe, die ihnen die Zukunft vorhersagt. Washizu und Miki würden noch heute zu Kommandanten von Außenposten ernannt werden, später würde Washizu in der Burg des Fürsten herrschen, Mikis Sohn würde dann allerdings an seine Stelle treten. Beide tun die Prophezeiung zunächst mit einem Lachen ab, bis sie tatsächlich nach ihrer Ankunft in der Burg vom Fürsten wie vorhergesagt befördert werden.
Washizu wird nach der Übernahme des Außenpostens von seiner Frau Asaji (Isuzu Yamada) mit allerlei Verschwörungstheorien so lange bearbeitet, bis er selbst glaubt, Miki würde mit dem Fürsten gemeinsame Sache gegen ihn machen. Als der Fürst zu einem Überraschungsbesuch eintrifft, ermordet Washizu ihn auf Drängen von Asaji und tritt anschließend mit Unterstützung von Miki die Nachfolge des Fürsten an. Doch die Prophezeiung und der feige Mord an seinem Fürsten lasten schwer auf ihm, er steigert sich immer mehr in einen Verfolgungswahn und lässt schließlich seinen getreuen Freund Miki von einem Attentäter köpfen. Nun verbündet sich Mikis Sohn mit anderen Aufständischen und marschiert auf das Schloss im Spinnwebwald.
Vor allem für zwei Dinge ist Das Schloss im Spinnwebwald gemeinhin bekannt: Als Adaption von Macbeth geht Kurosawa hier erstmals den Weg, ein Stück klassische europäische Literatur ins mittelalterliche Japan zu verlegen. In dieser Hinsicht ist der Film direkter Vorläufer zu Ran. Zum anderen ist es die Verbindung mit dem Noh-Theater, die immer wieder hervorgehoben wird. Da ich Macbeth nicht kenne, werde ich auf den Aspekt der Literaturverfilmung nicht weiter eingehen.
Die Elemente des Noh sind besonders in der Figur der Asaji fokussiert, eine interessante Variante wenn man bedenkt, dass Frauen erst wenige Jahrzehnte vor dem Dreh des Films erstmals Rollen in Noh-Aufführungen spielen durften. Auffallend sind besonders Asajis starres, ausdrucksloses Gesicht, das an eine Noh-Maske erinnert sowie ihre manierierten, minimierten Bewegungen. Dazu kommt noch die Inszenierung ihrer Auftritte, die sie fast immer in einem bühnenartigen räumlichen Kontext zeigen. Am konzentriertesten treten alle diese Motive in ihrer finalen Szene auf, in der sie, dem Wahnsinn verfallen, verzweifelt versucht, das Blut und damit ihre Schuld von ihren Händen zu waschen.
An die Bühnenoptik angelehnte Szenen finden sich noch einige mehr und diese tragen einen guten Teil zur düsteren Atmosphäre und der distanziert-mysteriösen Ästhetik des Films bei. Ähnlich wie später auch in Ran will Kurosawa uns auf Distanz zu den Charakteren halten, statt durch eine emotionale Identifikation mit den Figuren soll die Botschaft des Films eher rational erfasst werden. Dies wird auch unterstrichen durch die Einfassung des Films, in der jeweils zu Anfang und Ende ein Chor vor den mörderischen Konsequenzen übersteigerter Ambitionen und Ehrgeizes warnt – die Botschaft des Films ist schon vor dem Einsetzen der eigentlichen Handlung klar.
Dennoch gibt es den einen oder anderen Gänsehautmoment, etwa als Washizu aus Asajis Händen den Speer ergreift und mit sich und seinem Ehrenkodex ringt. Er zögert zunächst, blickt wie nach einem Ausweg suchend um sich und stiert dann seine Frau an. In diesem Moment leuchten Mifunes Augen geradezu dämonisch auf – vermutlich ein genialer Beleuchtungseffekt – und dann stürmt er aus dem Raum, um seinen Fürsten hinterrücks zu ermorden. Diese vor Intensität förmlich vibrierende Szene, in der keine Worte nötig sind, um Washizus Kampf mit sich selbst zu verdeutlichen und an deren Ende er alles verrät, an das er bisher geglaubt und für das er gelebt und gekämpft hat, ist es allein schon wert, den Film zu sehen!
Weiteres beherrschendes visuelles Motiv des Films ist – wie könnte es bei Kurosawa anders sein – ein Wetterphänomen, nämlich der Nebel. Schon im Vorspann mit dem Chor ziehen dicke Nebelschwaden über die Trümmer des Schlosses. Immer wieder sehen wir später die Charaktere ziel- und orientierungslos durch den Nebel reiten, in einer Szene ganze 12 Mal hintereinander! Genauso, wie Washizu im Nebel die Orientierung verliert, so sind es sein Streben nach Macht und Ruhm, die seinen moralischen Kompass durcheinander bringen und ihn hilflos auf sein Ende zutaumeln lassen.
Visuell und konzeptionell ist Das Schloss im Spinnwebwald ein durch und durch beeindruckendes Werk. Im Vergleich zu anderen Filmen Kurosawas aus den 50er Jahren sind mir die Charaktere aber zu schablonenhaft und stereotyp gezeichnet, die Vielschichtigkeit vermisse ich gerade angesichts des Umstands, dass es hier eigentlich nur drei Hauptcharaktere gibt. Gut möglich, dass das Teil der engen Anlehnung an Noh ist und mir einfach der Zugang dazu fehlt. Darüber hinaus ist mir aber auch die Art, wie uns die Botschaft des Films eingehämmert wird, zu plakativ.
Das Schloss im Spinnwebwald ist ein wirklich sehenswerter Film, als Adaption von Macbeth mag er sogar einzigartig und herausragend sein (das kann ich nicht beurteilen), im Vergleich mit anderen Werken Kurosawas rangiert er für mich alles in allem aber nur im Mittelfeld. Vielleicht bin ich in meiner Beurteilung allerdings auch dadurch geprägt, dass ich nicht an so was wie Schicksal glaube.
2 Kommentare for "Das Schloss im Spinnwebwald"
Hallo Klaus,
da ich „Das Schloss im Spinnwebwald“ zu den besten Kurosawas überhaupt zähle, werde ich hier mal etwas ausführlicher.
Ich kann deine gefühlte emotionale Distanz zu diesem Meisterwerk Kurosawas durchaus nachvollziehen, aber als ästhetisches und intellektuell ausgefeiltes Monumentalwerk begeistert es mich dennoch ganz und gar. Das tolle am Gesamtwerk Kurosawas ist ja unter anderem seine große Vielseitigkeit, seine Fähigkeit unterschiedlichste kulturelle Einflüsse (von Europa bis Asien) aufzusaugen und daraus echtes „Weltkino“ zu formen (was z.B. dem in seinem Weltbild viel japanischeren Ozu so nie gelang). Sein Gesamtwerk lässt sich nicht nur (wie du es an anderer Stelle ja schon vorzüglich dargelegt hast) zeitlich in seine einzelnen Schaffensperioden unterteilen. Die zu so unterschiedlichen Lebensabschnitten entstandenen Filme „RAN“ und „Das Schloss im Spinnwebwald“ stehen sich stilistisch etwa weitaus näher, als es „Kumonosu-jÅ“ und die unmittelbar im Anschluss dazu entstandenen „Nachtasyl“ oder „Die verborgene Festung“ tun.
In vielerlei Hinsicht ist „Das Schloss im Spinnwebwald“ japanischer als seine übrigen Filme der 50er Jahre (Ausnahme „Rashomon“?), die formal dem europäischen (speziell italienischen/französischen) humanistischen Kino der frühen Nachkriegsjahre und dem amerikanischen Western näher stehen.
„Das Schloss im Spinnwebwald“ erreicht, trotz des an sich ur-europäischen (aber universellen) Stoffes, in seiner bewussten Anlehnung an das No-Theater, eine eigenständiger japanische Note, jenseits westlicher Filmtraditionen, als etwa „Die Sieben Samurai“ mit seiner auf den ersten Blick rein japanischen Handlung. Die stilistische Strenge rückt Kurosawas Shakespeare-Adaption aber zugleich in die Nähe antiker Theatertraditionen. Man denke in diesem Zusammenhang an griechische Tragödien wie Euripides „Medea“.
Die weitaus menschlicheren Charaktere in seinen Gendai-geki und übrigen Jidai-geki dieser Periode erlauben, da hast du sicher Recht, eine viel größere emotionale Bindung des Zuschauers an den Handlungsverlauf. Der fast in mechanischer Unausweichlichkeit ablaufenden Tragödie seiner Shakespeare-Verfilmung beizuwohnen, bietet hier eher den Reiz einer Schachpartie, ein rein intellektuelles „Vergnügen“. Als Zuschauer blicke ich aus der kühlen Distanz des unbeteiligten Beobachters auf die von Kurosawa kunstvoll aufgestellten Spielfiguren hinab.
„Das Schloss im Spinnwebwald“ (und noch stärker RAN) bietet statt ausgefeilter Charaktere daher holzschnittartige Archetypen, eine urwüchsige rohe Charakterisierung. Die formale Strenge des Werkes ermöglicht aber erst die äußerst filigrane surreale Ästhetik (Bauten, Kostüme, Schminke, Perspektive, Beleuchtung, …), die ihre ganz eigene visuelle Sogwirkung auf mich entfaltet.
Kurosawa erreicht dadurch insgesamt eine stärkere Verdichtung von Shakespeares Werk, als sie viele andere europäisch/amerikanische Verfilmungen erreichen konnten. In seinem ganz anderen Ansatz, in seiner ganz eigenen Sperrigkeit und wollüstig fleischlichen Direktheit konnte nur Roman Polanskis „Macbeth“ von 1971 einen ähnlich starken Eindruck auf mich machen, wie es „Das Schloss im Spinnwebwald“ vermochte.
Viele Grüße
Marald
2focused
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