18 Mai
Sugata Sanshiro (1943) von Akira Kurosawa
Kurosawas Erstlingswerk schildert die Geschichte des jungen Sanshiro (Susumu Fujita), den es in die Stadt zieht, um Jiujitsu zu erlernen. Doch als er Zeuge wird, wie der Judo-Meister Yano (Denjiro Okochi) eine ganze Truppe Jiujitsu-Kämpfer besiegt, bittet er diesen, in seine Schule eintreten zu dürfen. Dort wird Sanshiro von Yano jedoch nicht nur die Kunst des Kampfes gelehrt. Der weise Meister fordert von Sanshiro, der sich als überaus begabt erweist, zugleich Demut und Respekt anderen gegenüber und die Bereitschaft, lebenslang an sich selbst zu arbeiten.
Dem jungen Sanshiro fällt diese Entwicklung nicht leicht, immer wieder muss er mit sich und seinem ungestümen Wesen ringen. Als er sich in die Tochter seines Meisters verliebt, zieht er sich zudem den Zorn des Jiujitsu-Meisters Gennosuke (Ryunosuke Tsukigata) zu, der ebenfalls ein Auge auf sie geworfen hat. Schließlich fordert er Sanshiro zum Kampf.
Sanshiro ist gewissermaßen der Urtyp des Helden, den Kurosawa in zahlreichen seiner folgenden Filme immer wieder auf die Leinwand schickt: Von Yukie in Kein Bedauern für meine Jugend bis zum jungen Arzt Yasumoto in Rotbart lässt er seine Helden immer wieder eine Entwicklung durchmachen, die sie auf den Weg der Selbsterkenntnis führen und sie verstehen lassen, dass ein erfülltes Leben nur über Hingabe und Aufopferung für ein höheres Gut zu erreichen ist.
Auch in anderer Hinsicht ist Sanshiro Sugata stilbildend für Kurosawas Werk. Zahlreiche für ihn typische Elemente finden sich bereits in seinem Erstling, darunter die auffallenden Schnitte per Wipe oder die Nutzung von Wetterphänomenen um die atmosphärische Wirkung einer Szene oder einer Entwicklung des Charakters oder der Handlung zu unterstreichen.
Das herausragende Beispiel dafür ist die finale Begegnung Sanshiros und Gennosukes, ein Kampf, der an einem windumtosten Berghang ausgetragen wird. Die von Windböen gepeitschten Gräser, die am Himmel vorüber ziehenden Wolkenfetzen sorgen für eine dramatische Grundstimmung und lassen doch die Auseinandersetzung dieser kleinen, unscheinbaren Menschlein geradezu banal erscheinen. Ein Bewusstsein für die eigene Bedeutungslosigkeit und Vergänglichkeit und die daraus resultierende Demut gehört zu den wichtigsten Lektionen die Sanshiro lernt – und mit deren Hilfe er Gennosuke besiegt.
Besonders begeistert hat mich an Sanshiro Sugata außerdem die Eröffnungssequenz. Darin sehen wir eine geschäftige Straße einer Stadt hinunter, die Kamera folgt der Straße, biegt dann in ein kleines Gässchen ab, in dem einige Kinder spielen und singen. Die Kamera fährt weiter auf die Kinder zu, doch unsere Erwartung, dass entweder eines der Kinder einen wichtigen Charakter darstellt oder ein solcher Charakter gleich ins Bild tritt, stellt Kurosawa auf den Kopf: Er wechselt nämlich die Perspektive um 180 Grad und wir sehen Sanshiro an Stelle der Kamera – wir haben die ganze Zeit durch seine Augen gesehen!
Sehr beeindruckend – gerade für das Debut eines jungen Regisseur – sind auch die Eleganz und Raffinesse, mit denen Kurosawa beispielsweise das Vergehen der Zeit symbolhaft darstellt. Ein Klassiker ist Sanshiros Holzsandale, die er bei der Begegnung mit seinem Meister Yano verliert und die in einer raschen Abfolge in den verschiedensten Situationen gezeigt wird, mal im Regen liegend, mal als Spielzeug eines Hundes oder im Fluß dahintreibend (schön in Screenshots dokumentiert bei Micha). So wird die Sandale zum Platzhalter für Sanshiro und dessen bewegte Erlebnisse in der Zwischenzeit.
Sanshiro Sugata ist nicht nur ein erstaunliches Erstlingswerk, der Film war auch ein großer Erfolg und war für Generationen von Martial-Arts-Filmen mit seiner Inszenierung des Meister-Schüler-Verhältnisses prägend. Leider stand es bisher um die Zugänglichkeit eher schlecht, woran sich jetzt mit der AK100-Box von Criterion (und der anstehenden Auskopplung seiner ersten Filme in einer Eclipse-Box) etwas ändert. Es wäre sehr wünschenswert, wenn dieser Klassiker dadurch mehr Fans des Genres zugänglich werden würde. Denn gesehen haben sollte man den Streifen unbedingt!
2 Kommentare for "Sanshiro Sugata"
Meinen Glückwunsch zu dieser sehr schönen Kritik. Ich halte den Film auch für enorm vielschichtig und künstlerisch durchdacht, was Du ja an der tollen Eröffnungssequenz darstellst. Aber auch die Verknüpfung von Motiven im Laufe des Filmes ist sehr dicht, sodaß dies wirklich einer der Filme ist, die bei jeder Sichtung wachsen und Neues aufzuzeigen vermögen. Die Deutungsmöglichkeiten der Naturphänomene im Finalkampf sind natürlich vielfältig. Neben der großartigen Kamerarbeit läßt sich diese Gestaltung des Höhepunkts ja schon als für das Genre emblematische Gestaltung betrachten, wenn man sich anschaut, in wievielen Filmen diese Szene zitiert wird. Ich bin immer noch sehr begeistert von diesem Film.
Beste Grüße, Micha
PS: Danke für die Erwähnung, nur leider funktioniert der Link nicht. 🙁
[…] dem großen Erfolg von Sanshiro Sugata erhielt Kurosawa den Auftrag für einen Propagandafilm, der den Geist der Nation feiern und […]
Hier kommt deine Meinung rein: