19 Mai
Original: Perfect Blue (1998) von Satoshi Kon
Mima, Mitglied einer halbwegs erfolgreichen Teenie-Pop-Band, entscheidet sich, die Band zu verlassen und den nächsten Schritt in ihrer Karriere zu machen: Eine Nebenrolle in einer Krimi-Serie soll ihr den Einstieg ins Filmbusiness ermöglichen. Wie vielen ihrer Fans fällt auch ihr dieser Rollenwechsel nicht leicht. Doch sie ist wild entschlossen, das zuckersüße Popsternchen-Dasein hinter sich zu lassen und sich weiterzuentwickeln. So nimmt sie für größere Auftritte in der Serie sogar eine provokante Vergewaltigungsszene in Kauf und lässt Nacktfotografien für Magazine anfertigen.
Doch Mimas zunehmender Erfolg wird überschattet von merkwürdigen Vorgängen: Eine Webseite namens „Mimas Room“ gibt minutiös intime Details ihres Lebens wieder. Ein fanatischer Fan folgt ihr auf Schritt und Tritt. Drohbriefe gehen im Fernsehstudio ein. Sie beginnt, eine zweite Mima zu sehen, die behauptet, die „wahre“ Mima zu sein. Unter dem Stress verschwimmen in ihrem Bewusstsein ihre Rolle in der Krimi-Serie und ihr Leben immer mehr. Als plötzlich mehrere Mitglieder des Filmteams grausam ermordet werden, scheint Mima den Verstand zu verlieren… hat sie die Morde selbst begangen?
Abgesehen von der etwas einfach gehaltenen Animation (wohl dem Umstand geschuldet, dass für den Film kein großes Budget zur Verfügung stand) deutet nichts darauf hin, dass es sich hier um den Debutfilm von Satoshi Kon handelt. Die Story nimmt langsam Fahrt auf, reisst uns Zuschauer dann aber wie in einem Mahlstrom mit sich fort und zieht uns ganz in ihren Bann. Mimas Charakter, der zwischen wilder Entschlossenheit und wachsenden Selbstzweifeln hin- und hergerissen ist, ist sehr reif angelegt und glaubwürdig. Die verschiedenen Handlungsfäden und psychologischen Ebenen sind virtuos miteinander verwoben und gehen stellenweise so fließend ineinander über, dass man auch nach mehrfachem Sehen dem Film immer noch auf den Leim geht und sich dem Verwirrspiel nicht entziehen kann.
Dieses Verflechten verschiedener Realitäten ist inzwischen zu einem regelrechten Markenzeichen Kons geworden (siehe Paprika oder Millennium Actress), und auch wenn er dies in seinen späteren Filmen sehr viel aufwändiger in Szene setzen konnte, ist seine Handschrift hier schon unverkennbar.
Dazu gehört beispielsweise das Spiel mit Technologien, die uns alternative Realitäten vorgaukeln: Die Webseite „Mimas Room“ ebenso wie die TV-Serie. Gerade die Auseinandersetzung mit dem eigenen Medium Film (bzw. TV) ist auch in Millennium Actress und Paprika von zentraler Bedeutung. Dabei verwischt Kon die Übergänge zwischen TV-Serie und Realität mit großer Kreativität: Mal sind diese so fließend, dass erst in der nächsten Szene klar wird, auf welcher Ebene man sich bewegt, mal sind sie bewusst in Szene gesetzt, etwa indem das Geschehen durch die Kamera des Filmteams gezeigt wird.
Ein immer wieder auftauchendes Motiv sind Reflexionen und Spiegelbilder, welche die charakterlichen Brechungen der Hauptakteure – und allen voran Mimas – unterstreichen. Paradebeispiel dafür ist der Höhepunkt der Dreharbeiten an der Vergewaltigungsszene, die eine Schlüsselszene sowohl für Mima selbst (sie bricht damit endgültig mit ihrer Vergangenheit als Popsternchen) als auch für ihren Charakter in der Fernsehserie ist. Aus der Perspektive des Regisseurs sehen wir einen Wust von Monitoren, auf denen die verschiedenen Bilder der eingesetzten Kameras simultan zu sehen sind, mit immer anderen Blickwinkeln auf Mima.
Doch Perfect Blue ist nicht nur ein packender Psycho-Thriller sondern auch ein durchaus kritischer Blick auf die Mechanismen der Unterhaltungsindustrie und den harten Weg, den eine junge Frau zurücklegen muss, um sich in der Branche zu etablieren. Von der – teilweise fanatischen – Fanszene über das Klinkenputzen der Agenten bis hin zum kalkulierten Nackt-Shooting ist alles drin. Naive Fans, die ihre Stars vergöttern und darüber den Bezug zur Realität verlieren kriegen ebenso ihr Fett weg wie eiskalte Produzenten, denen es nur um die Quote geht.
So hat eben auch Mima ihre Probleme, sich in diese neue Umgebung und die veränderte Rolle, die sie darin spielt, einzufinden. Einerseits trauert sie noch der idealisierten, unschuldigen Zeit als Teenie-Star nach, andererseits will sie sich ihre Sporen in der rauhen Welt des Films erarbeiten. Und irgendwo dazwischen auch noch sie selbst sein. So ist die Charaktere Mima auch ein Symbol für das Erwachsenwerden, den schmerzhaften Abschied von der sorglosen Jugend, den Kampf mit der eigenen Identität und dem Sich-Etablieren in der Welt der Erwachsenen.
Roger Corman schrieb über Perfect Blue: „If Alfred Hitchcock partnered with Walt Disney they’d make a picture like this.“ An Hitchcock erinnert in diesem spannungsgeladenen psychologischen Verwirrspiel voller überraschender Wendungen in der Tat sehr viel, mit Disneys Werken hat es dagegen eigentlich nur gemein, dass es ebenfalls ein Zeichentrickfilm ist. Und wer immer noch behauptet, Zeichentrick wäre was für Kinder, den wird dieser Psycho-Thriller mit unerwartetem Tiefgang garantiert eines besseren belehren!
7 Kommentare for "Perfect Blue"
Soll keine Kritik sein, aber: Warum eine um 10 Jahre verspaetete Kritik?
Ich glaube nicht, das ein Kritik überhaupt verspätet sein kann. Desweiteren kann man, wie hier gemacht, die Verbindungen zu späteren Werken natürlich nur in einer „verspäteten“ Kritik ziehen.
Da Rapid Eye Movies den Film vor zwei Wochen erst hierzulande wieder veröffentlicht hat, ist die Kritik zeitnah zur aktuellen DVD 😉 .
Moin Tobias, danke fürs Beispringen! An die neue rem-DVD hatte ich dabei gar nicht gedacht 🙂
@ Lori: Was spricht denn deiner Meinung nach gegen Kritiken zu älteren oder alten Filmen? Wenn du ein bisschen in meinem Blog stöberst, wirst du viele Kritiken zu teilweise 50, 60 oder 70 Jahre alten Filmen finden. Sind diese Filme automatisch weniger interessant, nur weil sie alt sind?
Was, Perfect Blue is in einer neuen Auflage erschienen? Da werd ich wohl bald wieder etwas bei Amazon bestellen müssen (die liefern als einzige deutsche DVDs nach I fuer akzeptable Versandkosten). Gibt es eigentlich auch Hoffnung auf eine Blue Ray? Ist wahrscheinlich bei diesem etwas älterem Film nicht wichtig, frage aber trotzdem. 😉
Komme gerade vom Ghibli Blog und bin froh, auch eine nette deutschsprachige Seite über Anime und japanische Filme gefunden zu haben, werde hier wohl öfter mal vorbeischauen, um ’neue‘ Filme zu finden, viele Filme mit Review hier habe ich aber schon gesehn. 🙂
Gruesse, signorRossi.
Dieser Psycho-Thriller ist nichts für schwache Nerven. Das Leben im Rampenlicht hat seine Schattenseite – schnell merkt die Hauptdarstellerin, dass man im Showbusiness über Leichen gehen muss um was zu erreichen. Als sich dann tatsächlich Morde und Anschläge in ihrem näheren Umfeld ereignen, zweifelt die junge Schauspielerin an ihrer Entscheidung, ihren Taten und an der Wahrheit. Diese beginnt auf Grund der Sprünge zwischen Einbildung und Realität zu verschwimmen. Wer sich eine actionreiche, spannende, erotische Reise durch die Psyche eines labilen Jungstars auf der Suche nach sich selbst antun möchte ist bei diesem kinoreifen Klassiker genau richtig.
> 8/10
Ich habe in letzter Zeit einige David Lynch Filme geschaut und habe stellenweise an Kons Werke, vor allem an „Perfect Blue“ dabei gedacht. „Mulholland Drive“, „Lost Highway“ & „Inland Empire“ erinnerten mich an dieses Anime auf Grund des Spagats zwischen Realität und Traum.
3generates
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