21 Apr
Original: Akira (1988) von Katsumo Otomo
Der Film, der Anime auch im Westen bekannt machte und demonstrierte, dass es sich bei Anime nicht nur um Sonntagnachmittagsunterhaltung für Kinder handelt, basiert auf dem gleichnamigen Manga, ebenfalls von Otomo.
Akira beginnt mit der Zerstörung Tokyos durch eine Atombombe. Dann werden wir 30 Jahre in die Zukunft versetzt und lernen Kaneda und Tetsuo kennen, Berufsschüler, gute Kumpels und Mitglieder einer Motorradgang. Bei einer Prügelei mit einer rivalisierenden Bande geschehen jedoch plötzlich seltsame Dinge: Militärhubschrauber tauchen auf, Tetsuo begegnet einem merkwürdig grünlichen Menschlein und wird dann vom Militär in ein Spezialkrankenhaus eingewiesen.
Langsam wird klar, dass das Militär seit langer Zeit versucht, einen Übermenschen mit paranormalen Kräften zu züchten, und dass die Atombombe gezündet worden war, weil die Experimente außer Kontrolle geraten waren. Nun wiederholen die Wissenschaftler ihre Versuche an Tetsuo, der ebenfalls übermenschliche Kräfte entwickelt und in einem Amoklauf seiner Zerstörungswut freien Lauf lässt. Erst Kaneda zusammen mit anderen Mutanten kann ihn schließlich stoppen.
Man merkt Akira an, dass er auf einem Manga basiert und dessen komplexen Plot in zwei Stunden Film quetschen muss. Eine ganze Reihe von Nebenhandlungen werden nur kurz angekratzt (die Machtergreifung des Oberst, die politischen Intrigen, die Terroristengruppe) und einige Charaktere sind einfach nicht rund. Bestes Beispiel dafür ist Kei, Kämpferin in einer Art Guerilla-Gruppe, in die sich Kaneda verliebt und die am Ende des Films selbst zur Mutantin wird. Kei muss im Akira-Manga eine zentrale Figur gewesen sein, aber im Film sind weder ihre Motivation noch ihre überraschende Wandlung zur übermächtigen Mutantin nachvollziehbar, und auch ihr Verhältnis zu Kaneda bleibt unklar.
Im Zentrum des Films steht die Verwandlung von Tetsuo. Er ist ein Verlierer, ein Versager (aufgewachsen in einem Waisenhaus, gehänselt und ausgestoßen) der verzweifelt darum kämpft, ein bisschen Stolz und Selbstachtung zu bewahren, indem er rivalisierende Motorradrocker zusammenschlägt. Die an ihm durchgeführten Experimente machen ihn dann endgültig zum Opfer, geben ihm aber zugleich die Macht, aus seiner Opferrolle auszubrechen und all seine Rachefantasien auszuleben: Er wird zum Amokläufer.
In blinder Wut macht sein Hass nicht einmal vor denen Halt, die in der Vergangenheit zu ihm gehalten und sein Schicksal als Außenseiter der Gesellschaft geteilt haben: Seine Freundin und Kaneda. Getrieben durch seine scheinbare Allmacht und seinen Hass verliert Tetsuo jedoch völlig die Kontrolle über seine Handlungen und sich selbst. Visualisiert wird dies durch die unkontrollierten Mutationen und das gespenstische Wachstum Tetsuos.
Neben dieser sozialkritischen Botschaft enthält Akira auch eine Warnung vor dem unstillbaren Wissensdurst des Menschen und dem Drang, die eigenen Grenzen zu negieren. Nicht alles was technisch möglich ist, muss auch in die Realität umgesetzt werden. Denn die zum Umgang mit den eigenen Fähigkeiten notwendige Reife wächst nicht automatisch im selben Maße wie die Fähigkeiten selbst.
Da nie wirklich klar wird, was Akira eigentlich ist (ein besonders mächtiger Mutant? die Urkraft des Universums? ein Symbol für die unbegrenzten Möglichkeiten des Menschen und die davon ausgehende Gefahr?) eröffnet gerade das stark an 2001 – Odyssee im Weltraum erinnernde Ende zahlreiche Möglichkeiten der Interpretation, aber leider auch ein erhebliches Frustrationspotenzial.
Ist eine neue, höhere Lebensform entstanden (von der Kei einmal gesprochen hatte), oder gar ein neuer Kosmos, ein Paralleluniversum? Oder haben sich Tetsuo, Akira und die anderen Mutanten gegenseitig einfach zerstört und in Nichts aufgelöst? Ich kann mir keinen Reim darauf machen (vielleicht ist Akira aber auch einfach einer dieser Filme, die man mehrfach gesehen haben muss) und frage mich, ob die am Anfang des Films stehende Explosion einer Atombombe möglicherweise das eigentliche – zur Entstehungszeit des Films brandaktuelle – Thema andeuten sollte…
Alles in allem aber ein bahnbrechender Film mit auch heute noch sehenswerten Animationen, einer anspruchsvollen Story und zeitloser Thematik. Etwas mehr Konzentration auf das Wesentliche hätte ihm zwar gutgetan und beim Ende habe ich mich etwas alleingelassen gefühlt, aber dennoch absolut sehenswert.
5 Kommentare for "Akira"
Na, da hat sich dein geschätzter Kollege Herr Schuldt doch auch mal auf deinen Blog verirrt nachdem du den neulich erwähntest und ich muss sagen: Respekt! Sehr schöne Aufmachung und reichlich interessanter, hochwertiger Input. Sehr schön.
Auch wenn das klassiche Japan-Kino ansonsten nicht so meine Baustelle ist (Hong Kong-Kino dafür umso mehr…*gg*), bin ich doch recht beeindruckt. Ich wünschte ich würds schaffen meinen Blog mit dieser Konsequenz zu verfolgen…;o)
Egal, back on topic: Falls dir der Streifen noch nicht bekannt ist solltest du dir im Bezug auf Akira noch mal Ghost in the Shell und auch gerne dessen Fortsetzung ansehen:
http://www.ofdb.de/view.php?page=film&fid=950
Der lässt dich zwar noch öfter als Akira alleine im Regen stehen, ist aber trotzdem m.E. noch mal einen Tick besser.
Gruß,
Daniel
Sieh an, der Kollege Schuldt! 🙂
Freut mich, dass ein staatlich anerkannter Filmfreak wie du den Weg hierher gefunden hat, und dass du gleich so mit Lob um dich wirfst! wie du dir denken kannst, fließt reichlich Herzblut in den Blog… umso mehr freue ich mich über jedes Feedback.
Zurück zu den Filmen: Du kannst dir sicher sein, dass Ghost in the shell gaaanz weit oben auf meiner Liste steht, wobei ich dabei bisher immer den ersten Teil im Auge hatte. Aber wenn der zweite kein typisches Aufguss-Sequel ist, werde ich den auch noch danebensetzen.
Sehr schöner Kommentar.
Obwohl ich jetzt mal AKIRA vor deinen Kritikpunkten verteidigen muss. Es ist nun mal im wahrsten sinne des Wortes ein „außergewöhnlicher“ Film. Ein Film für Erwachsene in dem einem nicht alles erklärt Otomo lässt den Zuschauer mit offenem Mund zurück und fordert ihn auf sein Kopf anzustrengen mehr als bei manch anderen tiefgründigen Filmen. Nach jedem Sichten erschließt sich einem immer und immer mehr Themen über die es sich nachzudenken lohnt.
Visuell natürlich eine Wucht und wahrscheinlich DER einflussreichste Anime aller Zeiten!! Von GitS zu Matrix und sogar bis zu The Simpsons, der Kulturelle Einfluss von Akira ist Gewaltig genauso wie der Film selbst.
Diesen Film hatte ich bereits vor 10 Jahren, knapp vor meinem Übergang in die Volljährigkeit gesehen.
Ich muss im Halbschlaf gewesen sein – denn anders kann ich mir nicht erklären wie ich soviel von diesem Klassiker vergessen konnte.
Beim ansehen kürzlich kamen immer wieder Erinnerungsfetzen zurück und diesmal sicher nicht in Vergessenheit geraten werden. Kein Wunder bei der packenden Story und den Gewaltszenen, welche allerdings nicht erzwungen wirken sondern fließend in der Geschichte umgesetzt wurden. Generell würde ich diesem Film auf FSK16 eingliedern… wobei bei den Kiddies heutzutage (:
Akira zeigt was welche Folgen zu viel Macht mit sich bringen kann und als Neo-Tokio erschüttert wurde, ging das diesmal auch nicht spurlos an mir vorbei.
>9/10
2dynamite
Hier kommt deine Meinung rein: