9 Mai
Original: Tampopo (1985) von Juzo Itami
Nach einem Wochenende der Familienfeiern und daraus resultierender, nicht endenwollender kulinarischer Genüsse muss ich jetzt dringend mein Blogger-Gewissen beschwichtigen und stürze mich dazu natürlich auf einen Film, der wie kaum ein anderer die Freuden des Essens zelebriert: Tampopo, einziger Ramen-Western der Filmgeschichte, Kultfilm der 80er Jahre, und zusammen mit dem wenige Jahre später entstandenen The Cook the Thief His Wife & Her Lover der beste Film darüber, wie essen unser Leben bestimmt. Ein cineastisches Fünf-Gänge-Menü!
Der Trucker Goro (Tsutomu Yamazaki) und sein Beifahrer Gun (Ken Watanabe) kehren in einem etwas herabgewirtschafteten, von der freundlichen Witwe Tampopo (Nobuko Miyamoto) geführten, auf Ramen-Nudeln spezialisierten Restaurant ein. In bester Western-Manier wird Goro dort zuerst in eine Schlägerei verwickelt und hilft anschließend Tampopo dabei, ein Ramen-Restaurant der Spitzenklasse aufzubauen, wozu er ein Team furchtloser Helfer zusammentrommelt.
In diese Rahmen(hihi)handlung sind auf wunderbare Weise verschiedenste Episoden eingeflochten, die jeweils Menschen und ihr besonderes Verhältnis zum Essen zeigen. Die Episoden werden dabei immer fließend aus der Haupthandlung hergeleitet, häufig indem die Kamera einer wie zufällig vorbeigehenden Person folgt oder indem Geräusche aufgegriffen und in einen anderen Handlungszusammenhang transportiert werden.
Sowohl die Haupthandlung als auch die einzelnen Episoden bieten nicht nur liebenswert kuriose Charaktere, sondern platzieren diese darüber hinaus auch in je eigene Filmgenres: Die Eröffnungsszene zeigt einen weissgekleideten Yakuza – der im weiteren Verlauf noch mehrmals auftaucht – beim Kinobesuch mit seiner Freundin, in einer Episode leidet ein Mann unter furchtbaren Zahnschmerzen und muss eine Klinik aufsuchen, eine weitere greift den Kriminalfilm auf und die Schlussszene besteht wie eine Dokumentation aus einer endlosen Heranfahrt bis zur extremen Großaufnahme von Mutter und Kind beim Stillen.
Die Themen der Episoden decken von Liebe und Sex über die Hierarchie der Gesellschaft bis hin zu Kriminalität, Schmerz und Tod eine erstaunliche Bandbreite dessen ab, was ein Mensch erlebt und womit er sich auseinander setzen muss. Das Vergnügen am Essen in all seinen Spielarten und seine große, fast spirituelle Bedeutung weit über die reine Nahrungsaufnahme hinaus sind dabei allgegenwärtig.
Besonders deutlich wird dies in einer Episode, in der ein Mann (Hisashi Igawa, bekannt aus späten Kurosawa-Filmen wie Madadayo) wie besessen durch die Stadt nach Hause rennt. Dort liegt seine Frau im Sterben, umgeben von den Kindern. Wie ein Wahnsinniger beschwört er sie, nicht zu sterben und fordert sie schließlich auf, das Abendessen zuzubereiten. Mit letzter Anstrengung rafft sie sich auf, beginnt Gemüse zu schneiden und den Reis aufzusetzen. Als das Essen fertig ist und die Familie mampfend um den Tisch sitzt, fällt sie mit einem Lächeln auf den Lippen tot um.
Meine persönliche Lieblingsszene ist jedoch eine der vielen witzigen, und zwar die, in der einige mit Goro befreundete Obdachlose über die Herausforderungen der französischen Küche philosophieren, sich bitter über nachlassende Standards in Gourmet-Restaurants beklagen („Inzwischen wird Kraut sogar maschinell geschnitten!“) und bedauern, dass der Bordeaux des Jahrgangs 1980 wegen des vielen Regens eher mau ausfiel. Priceless!
Ebenso herzerfrischend sind die zahllosen ironisch eingesetzten, weil völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Genrekonventionen und die Anspielungen auf Szenen aus bekannten Filmen von Kurosawa-Klassikern bis hin zu Rocky. Ein besonders schönes Beispiel dafür ist ein Faustkampf, der zunächst unter einer Brücke beginnt (im Hintergrund treiben Staubschwaden vorbei) und letztlich damit endet, dass die Kontrahenten genau wie in Kurosawas neorealistischem Meisterwerk Stray Dog erschöpft auf einer Wiese liegen.
Allgegenwärtig sind natürlich die Parallelen zum Western. Da ist zunächst der Charakter des durch die Lande streifenden Truckers Goro, der modernen Entsprechung des Cowboys. Goros LKW ist mit Stierhörner verziert, er selbst trägt permanent (selbst in der Badewanne) einen Stetson und setzt sich edelmütig für die hilflose Tampopo ein, um sich natürlich postwendend in sie zu verlieben.
Selbstverständlich ist er nicht in der Lage, seine Gefühle zuzugeben und offen damit umzugehen. Und letztlich fühlt er, dass die Sesshaftigkeit nichts für ihn ist, dass er weiterziehen muss. Und so verlässt er am Ende, nachdem die Mission erfüllt ist, das Restaurant in neuem Glanz erstrahlt und Tampopo zur Meisterköchin geworden ist, die Stadt. Wie es sich gehört schwingt er sich auf seinen LKW und fährt dem Horizont entgegen.
Doch Regisseur Juzo Itami, selbst Sohn eines Regisseurs, der vor Tampopo vor allem als Schauspieler in mehr oder weniger flachen Komödien bekannt war, spielt nicht nur mit Etabliertem, sondern erweist sich als sehr innovativ. Die komplexe Erzählstruktur der in die Haupthandlung eingewobenen Episoden ist für eine Komödie höchst ungewöhnlich und erinnert stark an ein Jahrzehnt später folgende Filme wie Pulp Fiction oder Lola rennt.
Die einzelnen Episoden überraschen immer wieder durch großen Einfallsreichtum und bestechen durch ihre Liebe zum Detail sowie eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe. Darin erinnert der Film stark an die Meisterwerke des unvergleichlichen Jacques Tati. Zudem lassen sie viel Spielraum für Interpretationen, so dass das Vergnügen auch nach Ende des Films noch ein Weilchen andauert.
6 Kommentare for "Tampopo"
Hallo! Suche verzweifelt die deutsche FAssung dieses Films.Vielleicht kann mir hier jemand weiterhelfen!
Vielen Dank
Mfg julia strohmaier
Hallo Julia, eine deutsche Fassung des wunderbaren Tampopo ist mir bisher nicht bekannt. Bei Amazon wird eine englische angeboten, und dann gibt es noch die original japanische Juzo Itami-Collection, immerhin mit englischen Untertiteln. Es gibt aber Gerüchte, dass im Laufe dieses Jahres eine deutsche DVD im Programm von MIG Film erscheinen soll. Die letzten Einträge auf deren News-Seite sind aber schon fast ein Jahr alt, da scheint also nicht mehr viel zu passieren. Schade!
Hallo! Ein wunderbarer Film. Meine Lieblingsszene ist allerdings der Benimmkurs, der in einem italienischen Restaurant japanischen Hausfrauen das Nudelessen auf westliche Art beizubringen versucht – also ohne Schlürfen und Schmatzen. Es gelingt nicht ganz …
Oh ja, die ist auch grandios! Die Benimmlehrerin wird übrigens von Mariko Okada gespielt, einer Grande Dame des japanischen Films, die schon in den 50ern große Rollen gespielt hat, z.B. an der Seite von Toshiro Mifune in Hiroshi Inagakis „Samurai-Trilogie“, deren erster Teil 1954 den Oscar bekam.
Seit einiger Zeit gibt es übrigens auch eine deutsche DVD-Ausgabe dieses fantastischen Films: http://www.amazon.de/Tampopo-Tsutomu-Yamazaki/dp/B0019K07PI
Hallo!
„Tampopo“ ist auch einer meiner Lieblingsfilme. Schön sind z.B. die Anspielungen auf die Teezeremonie oder auch die Szene beim Zahnarzt. Auch die bereits beschrieben Szene hat mir sehr gut gefallen.
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