2 Aug
Original: Otoko wa tsurai yo (1969) von Yoji Yamada
20 Jahre, nachdem der Tramp Torajiro Kuruma (Kiyoshi Atsumi), genannt Tora, im Streit von zuhause ausriss, kehrt er in seine Heimat Shibamata, einen Arbeitervorort von Tokyo, zurück. Das tränenreiche Wiedersehen mit Onkel und Tante, vor allem aber seiner jüngeren Schwester Sakura (Chieko Baisho), wird jedoch schon bald überschattet von einem heftigen Streit: Auslöser ist Tora selbst, der sich bei einem Ehevermittlungstreffen so katastrophal aufführt, dass die Familie des Bräutigams Sakura entsetzt absagt. So macht Tora sich wieder auf die Reise.
Wenig später treffen ihn jedoch Gozensama (Chishu Ryu), der Priester aus Shibamata, und dessen hübsche Tochter Fuyuko in Kyoto, wo Tora sich als Fremdenführer durchschlägt. Natürlich verliebt der sich vom Fleck weg in Fuyuko und kehrt mit ihr und ihrem Vater nach Shibamata zurück, wo er auf Umwegen auch gleich seinen Fehler wiedergutmacht und die Hochzeit Sakuras mit einem stillen Verehrer aus der Nachbarschaft einfädelt. Ihm selbst bleibt das Liebesglück allerdings versagt.
Dieser Film war der Auftakt zu einer der langlebigsten und vielteiligsten Filmreihen der Geschichte, bis 1995 folgten noch 47 weitere Filme, alle im Großen und Ganzen mit demselben Team und nach demselben Strickmuster: Tora-san kehrt zu seiner Familie zurück, richtet in seiner gutmütig-dämlichen Art mehr oder weniger großes Chaos an (Handlungsstrang 1) und verliebt sich unglücklich in eine Frau, die natürlich ein paar Nummern zu groß für ihn ist (Handlungsstrang 2). Am Ende macht er sich dann wieder auf die Socken.
Ich habe bisher die ersten vier Filme der Reihe gesehen und davon ist der erste eindeutig der beste. Es gibt darin einige Szenen, die zum lustigsten gehören, was mir in japanischen Filmen begegnet ist, vor allem dank des oft völlig abstrus-unangebrachten Verhaltens von Tora. Tränen gelacht habe ich beispielsweise in der Wiedersehensszene mit Sakura, die ihren lange verschollenen Bruder erst nicht erkennt. Als es dann doch bei ihr Klick macht, setzt natürlich die handelsübliche melodramatische Streichermusik ein, alle brechen in Tränen aus, nur Tora meint: „Ich muss jetzt mal Pissen!“
Auch wenn die Nebendarsteller wie Chieko Baisho oder Chishu Ryu ihre Rollen wunderbar ausfüllen, stehen sie doch alle im Schatten des den Film völlig dominierenden Kiyoshi Atsumi als Tora. Ich habe Atsushi vorher nur einmal gesehen, in Home from the sea, ebenfalls von Yoji Yamada. Dort spielt er einen Fischhändler, einen ähnlich wie Tora veranlagten, gutmütig-lustigen, allseits beliebten aber tragischen Typen, der jedoch viel ruhiger und „normaler“ daherkommt.
Mit Tora dagegen schufen Atsumi und Yamada eine Naturgewalt, einen unverwechselbaren Charakter für die Ewigkeit: Geschwätzig, lustig, teilweise extrovertiert bis zur Unerträglichkeit, faul und egozentrisch, gutmütig, tollpatschig, nicht gerade der Hellste, launisch, hilfsbereit und großzügig und sehr sentimental – ein manngewordener kleiner Junge. Dazu passen auch seine hilflosen und von vornherein zum Scheitern verurteilten Liebesavancen an seine jeweils Angebetete, die so unschuldig-schüchtern sind, dass den Frauen oft gar nicht klar ist, dass er in sie verliebt ist.
Ganz vortrefflich eingefangen ist in den Filmen auch das Japan der frühen Wirtschaftswunderjahre, als es auf der einen Seite noch einfache Händler und Arbeiter wie Toras Familie und Freunde gab, die sich mit harter Arbeit und einfachsten Mitteln irgendwie durchschlugen, und auf der anderen eine aufstrebende Mittelschicht, die in französischen Restaurants isst und Hawaii als Reiseziel entdeckt. Toras Welt ist das nicht, und wird es auch nie sein.
Die Serie spiegelt durch ihre lange Laufzeit ja auch ein Stück weit die Nachkriegsgeschichte Japans und die atemberaubende Entwicklung zu einem der reichsten Länder der Welt wider. Daher würde ich gerne noch einige der späteren Tora-san-Filme aus den 80ern und 90ern sehen. Die Figur des Tora muss im supermodernen Japan dieser Jahre eigentlich total deplatziert wirken und es würde mich sehr interessieren, was Yamada und Atsushi mit der Figur in diesem völlig veränderten Umfeld anstellen.
Alle 48 Filme muss ich aber wirklich nicht gesehen haben, dazu folgen sie zu sehr dem oben beschriebenen, immer gleichen Schema F und auch die Gags fangen ab dem dritten, vierten Film an, sich zu wiederholen. Den ersten und zweiten Teil kann ich jedem allerdings wärmstens empfehlen und ich hoffe auch noch auf das Erscheinen weiterer Filme der Reihe, denn ich bin total neugierig, ob Tora auch in den 90ern noch diesen furchtbaren karierten Zweireiher trägt. 😀
8 Kommentare for "Tora-san our lovable tramp"
Wenn Du mit mittelmäßiger (aber keineswegs schlechter) Qualität und nicht immer ganz perfekten englischen Untertiteln zufrieden bist, kannst Du dich zu günstigen Preisen in Hongkong eindecken:
http://www.dddhouse.com/v3/product_list.php?CategoryID=258
Die ersten 32 DVDs sind am günstigsten in 4 Boxsets erhältlich. 5 weitere DVDs gibt es noch günstig eizeln vom selben Hong Kong Distributor. Die letzten 11 DVDs sowie eine Bonus-Folge 49 sind bislang nur in Japan mit englischen Untertiteln erschienen – mit den entsprechenden astronomischen Preisen. Oder als japanisches Komplettset für 1200 EUR netto.
Und ja: Die Handlung wiederholt sich, aber dennoch wird es nicht langweilig. Sei es der Moment der Rückkehr oder Toras versteinerter Gesichtsausdruck, wenn er wieder einmal feststellt, dass nicht er der Auserwählte ist. Und es folgen immer mal wieder einzelne Filme, die der Genialität des ersten Teils in nichts nachstehen. Richtig gepackt hat mich die Serie dann auch erst mit dem sechsten Teil…
Der genannte Hauptdarsteller heißt übrigens Atsumi und nicht Atsushi.
@ Manfred
Eigentlich hab ich von HK-DVDs inzwischen die Nase voll… aber wenn auf die erste 4er-Box nichts mehr nachkommt, würde ich natürlich über meinen Schatten springen. 😉
@ minoru
Danke für den Hinweis mit dem Dreher im Nachnamen! Weiß auch nicht, wieso ich da ein shi statt nem mi drin hatte.
Was macht denn den 6. Teil so besonders, dass du ausgerechnet da Feuer gefangen hast?
Bei HK-DVDs kommt es durchaus darauf an, von welcher Firma sie stammen. Bei Klitschen wie Mei Ah oder Bo Ying muss man mit dem Schlimmsten rechnen, vor allem, was die engl. Untertitel betrifft. Da wird oft Abenteuerliches geboten. (Außer, wenn es sich um Bootlegs von amerik. DVDs handelt, wie bei Bo Yings Version von Kobayashis „Samurai Rebellion“.)
Die Yoji-Yamada-Reihe bei DDD House stammt von Panorama, und mit dieser Firma hab ich noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Ich hab zwar keine der Tora-san-DVDs, aber diverse Filme von Ozu und Kinoshita, und die haben alle ordentliche Qualität.
Stimmt, es kommt wirklich sehr auf die Labels an.
Bei mir waren es vor allem die von dir genannten Mei Ah und Bo Ying, die mich abgeschreckt haben. Außerdem hab ich noch zwei oder drei DVDs, bei denen nicht mal ein Label erkennbar ist…
Panorama? Sagt mir so nix, kann es sein, dass du das Label Platinum Classics meinst? Mit denen hab ich schon vergleichsweise gute Erfahrungen gemacht, aber von wirklich guter Qualität aktueller Transfers sind auch die meilenweit entfernt, was man grade am Beispiel der Tora San DVDs sieht.
Ja, diese DVDs meine ich. „Platinum Classics“ ist anscheinend eine Marke, die Panorama für einen Teil seiner DVDs verwendet. Die Firma heißt jedenfalls Panorama:
http://www.panorama.com.hk/en/catalog.php?category=all&keyword=yamada
@Klaus bzgl. 6. Film:
Während ich den zweiten Film als ein einziges Deja-Vu des ersten empfand (was das Vergnügen allerdings steigerte), schienen mir die Folgen 3 und 4 einfach nur dem Standard-Schema zu folgen und die 5. Folge hatte einen allzu melodramatischen Unterton. In Folge 6 gab es wieder eine durchweg heitere Rahmensituation und bei einzelnen Szenen habe ich mich vor Lachen weggeschmissen. Seitdem waren mir Tora und die Leute in Toraya irgendwie ans Herz gewachsen. Mittlerweile habe ich den 31. Film gesehen und immer mal wieder gibt es einen, der aus der Masse hervorsticht.
Zu der Qualität der HK-DVDs: Bis zu Folge 36 ist das Bild Letterboxed und die ersten Folgen sind seitlich leicht beschnitten. Also gerade mal eine HK-DVD ist anamorph. Man sollte daher einen DVD-Player haben, der das Bild unabhängig von den Untertiteln aufzoomen kann, dann geht es eigentlich. Die japanischen DVDs sind natürlich qualitativ deutlich besser, kosten dagegen aber ein Vermögen.
BTW: Wer gefallen an Tora-San findet, sollte sich auch die anderen (nicht-Samurai-)Filme von Yoji Yamada nicht entgehen lassen. The Yellow Handkerchief, Home From the Sea und vor allem A Distant Cry from Spring sollte man gesehen haben. Bei letzterem bastelt man sich am besten Untertitel für die japanische DVD, denn die HK-DVD ist grauenvoll.
Mich brauchst du von Yamadas Qualitäten als Filmemacher nicht zu überzeugen! The Yellow Handkerchief habe ich letztes Jahr schon über den Klee gelobt, und Home from the sea muss auch bald mal dran sein. Deshalb werde ich die weiteren Tora-san Filme erstmal links liegen lassen und mich hinter seine anderen Filme klemmen. Neben dem von dir genannten A distant cry from spring wären da auch noch Musuko oder A class to remember und natürlich seine beiden jüngsten Filme Kabei und Ototo.
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