12 Mai
Original: Ninjo kami fusen (1937) von Sadao Yamanaka
Im Alter von nur 29 Jahren starb Regisseur Sadao Yamanaka an der Front in China, lediglich eine Handvoll Filme hatte er bis dahin gedreht. Humanity and Paper Balloons zeigt eindrucksvoll, welch großer Verlust sein früher Tod für das japanische Kino war.
Der Film beginnt mit einem Selbstmord in einem Armenviertel Edos, dessen Bewohner uns in den ersten Minuten vorgestellt werden. Nach und nach kristallisieren sich zwei Hauptcharaktere heraus: Matajuro, ein verarmter, herrenloser Samurai, sowie dessen Nachbar Shinza, ein Friseur, der sich mit allerlei krummen Geschäften über Wasser hält. Die Schicksale der beiden begegnen sich, als Shinza die Tochter eines reichen Händlers, die gegen ihren Willen mit einem Samurai verheiratet werden soll, mit deren stillschweigender Zustimmung „entführt“ und Matajuro ihm dabei behilflich ist.
Beiden geht es dabei nicht um das Lösegeld, sondern um Genugtuung: Shinza hat mit dem Yakuza, der die Tochter schützen soll, noch eine Rechnung offen; Matajuro wurde vom Vermittler der Hochzeit erniedrigt. Für einen kurzen Moment können die beiden triumphieren, doch der Film endet wie er begann, mit dem einzigen Ausweg, der sich der Unterschicht bietet: Selbstmord und Tod.
An Matajuros und Shinzas Beispielen zeigt Regisseur Yamanaka idealtypisch zwei Arten, mit dem harten Leben am Rande der Gesellschaft umzugehen. Während Matajuro, der ehemalige Samurai, sein Leben als einen Abstieg erfährt und unter der damit einhergehenden Erniedrigung still leidet, seine Niederlagen auf der Suche nach einer Anstellung seiner Frau verschweigt und immer mehr verzweifelt, macht Shinza (wie die meisten Nachbarn) das beste aus dem Augenblick. Er versucht, die wenigen sonnigen Momente zu genießen und seine Selbstachtung zu wahren, organisiert Feste für die Nachbarschaft, sobald er zu etwas Geld gekommen ist, schlägt seinem Vermieter ein Schnippchen nach dem anderen und wagt es sogar, sich mit der Bande des Yakuza-Chefs anzulegen.
Doch keiner der beiden hat eine Chance, dem Armenviertel zu entkommen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Menschen, die Yamanaka mit wenigen Gesten so warm ausgestaltet, dass man sie schon nach ein paar Minuten ins Herz geschlossen hat, sind nichts als Spielbälle derjenigen, die in der sozialen Rangordnung oben stehen.
Wunderbar zum Ausdruck kommt dies in der Schlussszene, in der einer der von Matajuros Frau gefertigten Papierballons nach deren Tod auf die Straße und dort in einen Kanal geweht wird. In dieser Einstellung greift Yamanaka das im Lauf des Films immer wieder kehrende Motiv der Menschen auf der Straße auf, von Verkäufern, Hausfrauen und Kindern, gefangen zwischen den die Straße eng begrenzenden Hauswänden und konstruiert einen unübersehbaren Parallelismus.
Mit großem Einfühlungsvermögen, das zu keiner Zeit auf billiges Mitleid abzielt oder es auf unsere Tränendrüsen abgesehen hat, schildert Humanity and Paper Balloons das harte, von Ungerechtigkeiten, Entbehrungen und Erniedrigungen durch die Reichen und Mächtigen gezeichnete Leben der Unterprivilegierten. Dazu gehört durchaus auch die Tochter aus reichem Hause, die ihre Gefühle zugunsten von Standesdenken und dem strategischen Kalkül der Männer opfern muss.
Yamanakas Kritik an einer von Männern dominierten Gesellschaft, welche mittels Macht, Geld und notfalls auch Einsatz von Gewalt ihre Interessen rücksichtslos durchsetzen und dabei das Leid und die Verzweiflung der Schwachen billigend in Kauf nehmen, ist eine der Sternstunden des Jidaigeki-Genres. Es bleibt zu hoffen, dass noch weitere Filme aus dem viel zu kleinen Werk dieses hochtalentierten Regisseurs in ähnlicher Qualität zugänglich gemacht werden.
3 Kommentare for "Humanity and Paper Balloons"
Klasse, dass sich diesem Meisterwerk nun auch hier angenommen wurde! 🙂 Tatsächlich einer der besten Filme nicht nur aus dem „Jidaigeki“-Genre, sondern auch aus der japanischen Filmgeschichte allgemein. Kurosawa sah Yamanakas Filme unter anderen als seine Vorbilder an, genauso wie viele andere japanische Filmgrößen. Ansonsten kenne ich von diesem tollen Regisseur nur noch „Sazen Tange and the Pot worth a Million Ryo“. Der Film ist leichter zugänglich und kommt mit einer komödiantischen Geschichte daher, ist aber genauso wunderbar gemacht wie „Humanity and…“. Danke für die Kritik!
Nichts zu danken, das Vergnügen war ganz auf meiner Seite! 😀
Ist der erste Film von Yamanaka, den ich gesehen habe, und ich bin begeistert! Umso mehr, da der Regisseur gerade mal 28 Jahre alt war, als er diesen großartigen und absolut reifen Film gedreht hat, während der fast gleichaltrige Kurosawa noch Regieassistent und weit von seinen späteren Meisterwerken entfernt war (Ok, der war auch später zum Film gekommen). Trotzdem wundert es mich nicht, dass Yamanaka oft als das größte Regietalent des japanischen Kinos bezeichnet wird.
Sein Assistent bei Humanity and Paper Balloons war übrigens ein gewisser Ishiro Honda, der spätere Schöpfer von Godzilla und guter Freund und Mitarbeiter eben von Kurosawa.
3perspicacity
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