16 Jun
Original: Kurutta kajitsu (1956) von Ko Nakahira
Mit seinem Debutfilm Crazed Fruit läutete Regisseur Nakahira die japanische Nouvelle Vague (oder im Japanischen: Nuberu Bagu) ein. Die Geschichte über eine dekadente Jugend und ihre sexuellen Abenteuer, verbunden mit einem völlig neuen visuellen Stil machen diesen Film zu einem der einflussreichsten in der Geschichte des japanischen Kinos. Umso unverständlicher, dass er heute kaum noch gewürdigt wird und sein Regisseur komplett in Vergessenheit geriet.
Crazed Fruit beginnt mit einem auf die Kamera zufahrenden Motorboot, und während der Opening Titles (wie heisst das eigentlich auf Deutsch?) sehen wir eine Nahaufnahme des am Steuer sitzenden jungen Mannes. Erst ganz am Ende wird klar werden, dass die gesamte im Anschluss gezeigte Handlung ein Flashback ist, und zwar von Haruji (Masahiko Tsugawa), eben jenem Jungen im Motorboot. Er verbringt den Sommer mit seinem älteren Bruder Natsuhisa (Yujiro Ishihara) und dessen Clique wohlhabender Freunde am Meer, wo die jungen Leute ihre Zeit mit Parties, Pokern und Prügeleien totschlagen. Und natürlich mit Frauen.
Haruji fällt aus dieser Clique heraus, er ist sexuell noch unerfahren, zurückhaltend und kritisiert die Sinnlosigkeit des Treibens der anderen. Zudem verliebt er sich bereits bei seiner Ankunft in die mysteriöse, attraktive Eri (Mie Kitahara), deren sexuellen Reizen bald auch sein Bruder verfällt und der hinter Harujis Rücken eine Affäre mit ihr beginnt. Als Haruji den Betrug schließlich entdeckt, kommt es zur unausweichlichen Katastrophe.
Bemerkenswert für einen japanischen Film der 1950er Jahre ist ein allgegenwärtiges sexuelles Vibrieren, das meist wie selbstverständlich die Stimmung prägt und manchmal zu außergewöhnlicher Spannung ansteigt. Herausragendes Beispiel dafür ist die erste Liebesszene mit Haruji und Eri, in der nichts passiert, die aber durch die detaillierte Dokumentation jeder noch so kleinen Bewegung auch eines Fingers in Großaufnahme geradezu knistert.
Die Geschlechterrollen und ihre Beziehungen untereinander sind jedoch völlig konventionell. Eri als Angelpunkt der Dreiecksbeziehung reagiert nur, geht nie in die Offensive, hat praktisch keinen eigenen Willen, ist nur als emotional und fühlend dargestellt. Sie leidet zwar unter der Situation und fühlt, dass etwas falsch läuft, ist aber nicht in der Lage, dies zu verbalisieren und die Männer – insbesondere Natsuhita, der sie massiv bedrängt – damit zu konfrontieren.
Im Gegensatz zu Donald Richie im Audiokommentar der DVD sehe ich in Eri trotzdem einen interessanten Charakter: Sie ist mit einem sehr viel älteren Mann verheiratet (diese Ehe scheint ihr aber nichts weiter zu bedeuten), entwickelt für Haruji – dessen aufrichtige, unschuldige Liebe ihr etwas gibt, was sie nie hatte – echte Gefühle und beginnt zudem noch eine leidenschaftliche Affäre. Ehe, Liebe, Leidenschaft – drei völlig andersgeartete Beziehungen, die sie nicht miteinander vereinbaren kann, zwischen denen sie sich aber auch nicht entscheiden kann. Gerade die Konventionalität ihres Charakters betont und kritisiert somit die Unmöglichkeit für die nach konventionellen Vorstellungen lebende Frau, Leidenschaft, aufrichtige Liebe und den Alltag des Ehelebens zu verbinden.
Nakahira greift zur Strukturierung des Films stark auf Parallelismen zurück, die offensichtlichsten davon sind die Großaufnahmen Harujis im Motorboot am Anfang und Ende sowie die verschiedenen Liebesszenen zwischen Eri und Haruji. Die bereits erwähnte findet später eine ähnlich strukturierte, aber entspanntere Wiederholung. Erster Kuss und erster Sex der beiden werden jeweils mit exakt demselben Ablauf und Setting (Fahrt im Auto, Spaziergang am Strand, in-die-Büsche-schlagen) inszeniert.
Wieviel Wert Nakahira auf eine klare Strukturierung legte, wird besonders in der fantastisch inszenierten und geschnittenen Schlusssequenz deutlich, in der Haruji nach langer Fahrt und Suche endlich Eri und seinen Bruder in ihrem Segelboot findet. Zunächst beobachten die beiden erstaunt und ahnungslos das nahende Motorboot. Während die beiden wie eine Beute von ihrem Jäger umkreist werden, und langsam merken, dass etwas nicht stimmt, nähert sich die Kamera ihnen immer weiter bis zur extremen Großaufnahme.
Crazed Fruit ist ein großartiger Film, dessen Bedeutung für die Entwicklung des japanischen Kinos kaum überschätzt werden kann, und der mit der Masters-of-Cinema Criterion-DVD gebührend gewürdigt wurde. Auch wenn ich persönlich von Richies Kommentar (so sehr ich ihn auch als Kurosawa-Experte schätze) etwas enttäuscht war – er schweift einfach zu häufig und weit vom Film ab. Noch ein interessantes Detail am Rande: Mie Kitahara und Yujiro Ishihara wurden tatsächlich ein Paar und waren (hoffentlich glücklich?) verheiratet.
1 Kommentar for "Crazed Fruit"
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