19 Dez.
Original: Madadayo (1993) von Akira Kurosawa
Madadayo war die letzte Regiearbeit Kurosawas, in welcher der 1998 verstorbene Großmeister des japanischen Kinos die Schlachtfelder früherer Filme wie Ran, Kagemusha oder Die Sieben Samurai hinter sich lässt. Statt dessen widmet er sich der Geschichte des Deutschprofessors Uchida und seiner ihn verehrenden Schüler. Eine Handlung im eigentlichen Sinne fehlt dem Film, vielmehr setzt er sich aus Episoden und Anekdoten zusammen, die den Professor und seine Schüler vom Anfang der 1940er bis in die 1960er Jahre hinein verbinden.
Zu Beginn des Films zieht Uchida (Tatsuo Matsumara) sich überraschend aus der Lehrtätigkeit zurück, um sich ganz seinem literarischen Schaffen widmen zu können. Wir sehen die ersten ausgelassenen Besuche bei ihm, Saufgelage und das Schwelgen in alten Geschichten. Dann wird das Haus Uchidas von Bomben zerstört, er und seine Frau erleben das Ende des Krieges und die amerikanische Besatzung in einer kleinen Hütte.
Doch den Frohsinn und die Lebensfreude kann das nicht beeinträchtigen, und kaum ist der Krieg vorüber, helfen die Schüler ihnen beim Wiederaufbau. Außerdem wird jedes Jahr der Geburtstag des Professors gebührend gefeiert, mit einem zentralen Ritual bei dem ihn die Schüler fragen „Mahda-kai?“ („Fertig?“) und er antwortet: „Mahda-dayo!“ („Noch nicht!“).
Mit Madadayo schuf Kurosawa ein einfühlsames Porträt eines lebensfrohen, aufgeweckten und liebenswerten Menschen, der sich seine positive Haltung zum Leben und zu anderen Menschen auch angesichts von Verlusten im Krieg und zunehmender Beschwernisse des Alterns bewahrt. Durch sein kindlich-sympathisches Wesen, seine Aufgeschlossenheit und seine unterhaltsamen Weisheiten bereichert er auch das Leben der Menschen um ihn herum, insbesondere seiner Ehefrau und seiner Schüler. Und die zahlen es ihm mit viel Liebe, Zuwendung und Unterstützung zurück.
Die Dialoge sind dabei oft durch eine gewisse oberflächliche Komik geprägt und bewegen sich teilweise am Rande der Belanglosigkeit. Die eigentlich entscheidenden Hinweise auf die Beziehungen der Charaktere zueinander und die unendliche Wertschätzung, die dem Professor vor allem von seinen Schülern aber auch von vielen anderen Menschen entgegengebracht wird, werden oft ohne Worte und statt dessen durch Gesten und Handeln zum Ausdruck gebracht – wie es der japanischen Sitte entspricht.
Kurosawa wurde seinem Ruf des Perfektionisten einmal mehr gerecht und legte bei den Dreharbeiten größten Wert auf Details, um die für die Aussage des Films und die Darstellung der Charaktere so wichtigen Stimmungen einfangen zu können. Für die Dreharbeiten an der wunderbare Szene, in der Uchida und seine Frau in ihrer kleinen Hütte den Gang der Jahreszeiten verfolgen, wurde beispielsweise keineswegs Kunstschnee verwendet. Vielmehr entstanden die Aufnahmen tatsächlich im Abstand von mehreren Monaten unter realen Witterungsbedingungen – ein enormer Aufwand angesichts der paar Sekunden im fertigen Film.
Der Titel „Madadayo“ stammt von den Rufen japanischer Kinder beim Versteckspiel: Die Suchenden rufen „Mahda-kai“ und das sich versteckende Kind „Mahda-dayo“, bis es ein gutes Versteck gefunden hat. Dies wird auch in der letzten Szene zum Höhepunkt des Films, als der alte Uchida erschöpft von einer weiteren Feier mit seinen Schülern im Schlaf von den Spielen der Kindheit träumt – ein Ende von geradezu betörender Schönheit!
Madadayo wird damit zum Ausdruck des unbedingten Lebenswillens, des Sich-versteckens vor dem – letztlich unausweichlichen – Tod. Doch mehr als das zeigt der Film vor allem, wie einfach ein schönes Leben sein kann: Gemütliche Gespräche und ausgelassene Saufgelage mit Freunden, besinnliches Betrachten des Mondes, Freude an Tier und Natur, eine harmonische und liebevolle Ehe – da wird selbst ein Weltkrieg zur Nebensache, und die größte Katastrophe ist das Verschwinden der geliebten Hauskatze.
Verglichen mit den mitreißenden, atemlosen und teils verstörenden tour-de-force Filmen, die wir aus Kurosawas Werk sonst kennen, ist Madadayo ein ganz schöner Langweiler. Die meiste Zeit sitzen ein paar Leute einfach nur herum und hören einem alten Mann zu. Andererseits ist es aber wahrscheinlich der „japanischste“ Film, den er je gedreht hat – ein würdiges Alterswerk eines Regisseurs, dem von seinen Landsleuten oft vorgeworfen worden war, ein „westlicher“ Regisseur zu sein.
Dies ist die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Artikels, der ursprünglich am 26. September 2006 veröffentlicht wurde.
6 Kommentare for "Madadayo"
Der Text erinnert mich nun gerade daran das ich den immer noch nicht gesehen habe. Einer der wenigen Kurosawas die ich noch nicht kenne, dabei liegt die DVD schon so lange hier herum. So viel Filme und so wenig Zeit….
Wem sagst du das! Aber gerade die Weihnachtszeit ist eigentlich ideal, um Madadayo zu gucken, mit seiner besinnlich-fröhlichen Grundstimmung passt er ideal als Untermalung. Vielleicht klappt es bei dir ja in den nächsten Tagen mal 🙂
Ein wunderbarer Film, einer meiner liebsten Kurosawas. Ich hatte ihn damals, beim Filmstart im Kino gesehen und war begeistert.
Gibt es ihn endlich bei uns auf DVD?
@galingeber: Nein, leider nicht. Es gibt DVDs aus Italien, Frankreich, UK und den USA, aber auf dem deutschen Markt ist der Film (wie so viele andere) leider nicht erschienen 🙁
[…] Roman von Hyakken Uchida, dem Autor und Deutschprofessor, dem Akira Kurosawa seinen letzten Film Madadayo gewidmet hatte. Der Filmtitel spielt auf die gleichnamige Komposition für Violine und Orchester […]
Frohe Botschaft: Die DVD dieses wunderbaren Abschiedsfilms erscheint anfangs Oktober 2013 bei http://www.trigon-film.org
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