17 Dez
Original: Genroku chushingura (1941), Kenji Mizoguchi
Wie angekündigt ein paar Worte zu einem weiteren Film von Mizoguchi, dem ältesten den ich bisher gesehen habe. Klarstellung vorneweg: Dieser Film entspricht in keiner Weise dem, was westliche Zuschauer gewöhnlich unter einem „Samurai-Film“ verstehen, Schwertämpfe spielen hier keine Rolle. Es geht vielmehr um Werte wie Ehre, Loyalität und Standhaftigkeit, die alle durch Dialoge und Rituale statt durch Handeln zum Ausdruck gebracht werden.
Handlung
Der Film basiert auf einer Legende, die in Japan einen ähnlichen Stellenwert genießt wie etwa die Ritter der Tafelrunde in Europa und die unzählige Male verfilmt wurde. Im Jahr 1701 wird Fürst Asano (Yoshizaburo Arashi) mit der Durchführung von Feierlichkeiten am Hof des Shoguns betraut und soll dabei von dem in Hofetikette erfahrenen Kira (Mantoyo Mimasu) unterstützt werden. Doch Kira versagt dem Neuling Asano wichtige Hinweise, worauf dieser sich am Hofe blamiert und einen Anschlag auf Kira verübt.
Weil er das Friedensgebot am Hof verletzt hat, wird Asano zum Tode verurteilt und sein Clan aufgelöst, was alle seine Vasallen und Samurai zu Ronin, herrenlosen Kämpfern, macht. Unter Führung von Oishi Kuanosuke (Chojuro Kawarasaki) schließen sich 47 von ihnen zusammen, um ihren Herrn zu rächen. Nach einer Zeit voll bangen Wartens und Entbehrungen ergreifen sie eine günstige Gelegenheit, überfallen Kiras Residenz und töten ihn. Anschließend stellen sie sich der Justiz und folgen ihrem Herrn in den Tod.
Kritik
Zwei Dinge machen Chushingura so außergewöhnlich:
Die Ästhetik des Films besticht durch eine außergewöhnliche Ruhe, Langsamkeit und Distanziertheit. Bereits in der Eröffnungssequenz wird der Zuschauer auf diese kontemplative Atmosphäre vorbereitet:
Die Kamera fährt – so langsam, dass es für heutige Zuschauer eigentlich nur in FastForward erträglich ist – entlang eines Innenhofs, der im Stil der berühmten Zen-Gärten gestaltet ist. Die Kamera schwenkt dann auf Kira und zeigt den Angriff Asanos. Drei Minuten, alles ohne Cut!
Brillant auch eine spätere Szene, in der Asano zum Gericht geführt wird. Vor dem Tor wartet einer seiner Samurai, von dem er sich verabschiedet, ehe er im Innenhof verschwindet. Die Kamera fährt nach oben, so dass zwei Handlungsebenen im Bild erkennbar werden: Im unteren Teil des Bildes der vor der Mauer kauernde Samurai, im oberen Asano selbst, wie er seinen Richtern gegenübertritt. Durch den Dachfirst der Hofmauer wird das Bild entsprechend der beiden Handlungsebenen auch visuell in zwei Hälften geteilt €“ wahrscheinlich die erste Anwendung des Split-Screen.
Das – bei einem jidai-geki – überraschende Fehlen von Action hängt damit zusammen, dass es Mizoguchi vor allem darum geht, die persönlichen Konflikte zu schildern, die sich für alle Charaktere aus Asanos Verurteilung ergeben. Die zentrale Frage, der sich die Samurai gegenüber sehen, ist die nach dem ethisch-moralisch angemessenen Handeln. Sobald diese Frage entschieden ist, wird die Ausführung der Handlung zur Banalität, die sich off-screen ereignet – nach Hollywood-Konventionen undenkbar!
Wegen dieser inhaltlichen und ästhetischen Konsequenz frage ich mich, ob Noel Burch vielleicht doch Recht hat mit seiner Behauptung, die frühen Mizoguchi-Filme seien sehr viel visionärer als die im Westen bekannten Spätwerke wie Ugetsu. Bisher konnte ich mir das gar nicht vorstellen, aber nachdem ich Chushingura gesehen habe…
Ein interessantes Detail: Der Film wurde von den Zensurbehörden im Krieg stark gefördert (man muss sich nur die unglaublich aufwändigen Bauten ansehen). Einerseits ist das nachvollziehbar, lässt Mizoguchi doch den Ehrenkodex der Samurai hochleben. Andererseits wird vor allem im ersten Teil die Ungerechtigkeit der Regierung und die Pflicht, sich solcher Ungerechtigkeit zu widersetzen, thematisiert. Eigentlich erstaunlich, dass diese Teile nicht der Zensur zum Opfer gefallen sind.
5 Kommentare for "Die 47 Samurai"
hallo,
zuerst mal, schöne seite!
nun dies, sorry, ist ne ziemlich beknackte aussage: „Klarstellung vorneweg: Dies ist kein “Samurai-Filmâ€, es geht vielmehr…“. man könnte fast meinen sie haben keine ahnung vom genre. das ist trotzdem ein samurai-film. ein samurai ist ja auch viel mehr als nur ein krieger, er ist ein „ehrenmann“. es zeigt nur keine kampfszenen, was nicht ein muss ist für ein samurai-flick. Schwertkampfszenen sind jedoch ein muss für kengeki-filme (chanbara-filme ist die populäre version). chanbara-filme sind allerdings nicht zwingend samurai-filme. da dieser streifen also in der edo-periode spielt und es die geschichte der 47ronins erzählt ist es auf jeden fall ein jidaigeki-samurai-film.
btw so viel ich weiss ist dies die auf der ganzen welt am meisten verfilmte geschichte überhaupt!
gruss
tori to usagi
Hallo Mischa und Danke für die gezollte Anerkennung! Die „beknackte Aussage“ bezog sich auf das, was im Westen gewöhnlicherweise unter einem „Samurai-Film“ verstanden wird (deshalb auch die Anführungszeichen, gebe aber zu, das war nicht gut formuliert, habe das jetzt auch geändert). Das Interessante (auf das du ja auch hinweist) ist ja eben, dass es im japanischen eben kein eigentliches „Samurai-Genre“ gibt, sondern dass gewöhnlich von chanbara (wenn Schwertkämpfe) oder jidaigeki (wenn vor der Meiji-Restauration) gesprochen wird. Und in dieser Hinsicht ist „47 Samurai“ selbstverständlich ein Jidaigeki, da bin ich ganz bei dir!
Das beste (und wahrscheinlich bekannteste) Beispiel für einen chanbara-Film, der KEIN Jidaigeki-Film ist, wäre wohl „Lady Snowblood“, in dem es auch gar nicht um Samurai geht. Trotzdem wird dieser Film im Westen häufig als „Samurai-Film“ bezeichnet, einfach weil er in Japan spielt und Schwertkämpfe eine zentrale Rolle spielen. Um dieses Missverständnis ging es mir.
Gibt es einen Grund, warum die beiden Teile des Films inzwischen überall als 4-stündiger Gesamtfilm betrachtet werden?
Sieht man sich die beiden Teile an, wird deutlich ,dass sich Mizogushi bei der Trennung etwas gedacht hat und das das selbstverständlich in die erzählerische Struktur einfliesst. Es gibt genügend Beispiele für zwei Teile zu einem Thema. Weshalb hat man hier den gestalterischen Willen nicht respektiert ?
Hallo Udo,
erstmal sorry, dass ich jetzt erst antworte. Du hast natürlich Recht, der Film besteht eigentlich aus zwei Filmen, die auch im Winter 1941/42 im Abstand von zwei Monaten in die japanischen Kinos kamen. Ich weiss nicht, welche Gründe diese Aufteilung des Films und die zeitliche Differenz der Veröffentlichung hatten (neben dem Willen des Regisseurs wären auch profane Gründe wie Marketing, Gewinnmaximierung, Ablauf des Produktionsprozesses oder die erschwerten Umstände der Kriegsjahre denkbar). Wenn du dazu mehr Infos und Quellen hast, würde mich das sehr interessieren.
Heute wird er aber in der Literatur durchweg als ein Gesamtwerk betrachtet, und so auch im Handel angeboten. Da beide Teile eine fortlaufende, nahtlos aneinander anschließende Handlung zeigen, mit den selben Charakteren und auch denselben Schauspielern würde keiner der beiden Teile ohne den anderen Sinn machen. Deshalb habe ich ihn auch als einen Film besprochen. Wir können aber gern darüber diskutieren, welche Konsequenzen die ursprüngliche Zweiteilung für den Film hat, dazu sind die Kommentare ja da.
2katrina
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