23 Jul
Original: Saikaku ichidai onna, (1952) von Kenji Mizoguchi
Am Ende ihres Lebens blickt Oharu (Kinuyo Tanaka) auf ihre Jugend als Hofdame in Edo zurück, wie sie sich in Katsunosuke (Toshiro Mifune) verliebte, der jedoch einem niederen Stand angehörte, wie sie und ihre Familie wegen dieser Affäre in die Verbannung geschickt wurden und sie daraufhin ein lebenslanges Martyrium aus Ausbeutung, Erniedrigung und Missbrauch durchstehen musste. Als Konkubine eines mächtigen Fürsten sollte sie diesem einen Erben schenken, doch als der geboren ist, wird sie vom Hof vertrieben. Ihr permanent in Selbstmitleid schwelgender Vater verkauft sie in die Prostitution, sie wird als Dienerin eines reichen Händlers von dessen Frau misshandelt und von ihm missbraucht.
Als sie endlich einen Mann findet, der sie aufrichtig liebt und für den ihre Vergangenheit keine Rolle spielt, währt das Glück – wie könnte es anders sein – nicht lange: Er wird wegen ein bisschen Geld ermordert, der Besitz fällt an seine Familie und Oharu zieht sich verzweifelt zu den Nonnen in einen Tempel zurück. Doch ihre Vergangenheit holt sie ein, erneut wird sie ausgestoßen und landet als Bettlerin und Prostituierte auf der Straße.
Mizoguchis Das Leben der Frau Oharu basiert auf dem 1686 von Ihara Saikaku verfassten Roman KÅshoku Ichidai Onna (Das Leben einer amourösen Frau). Saikaku war besonders für komödiantisch-erotische Geschichten aus dem Leben der aufstrebenden Händlerschicht bekannt, und auch dieses Werk ist Mark Le Fanu zufolge eine Aneinanderreihung erotischer Abenteuer der Heldin. Insofern stellt Mizoguchis tragische Herangehensweise an den Stoff eine atemberaubende 180-Grad-Wendung dar: Er stellt den Charakter der Geschichte komplett auf den Kopf, ohne aber am Plot selbst wesentliche Änderungen vorzunehmen. Man kann sich das etwa so vorstellen als würde jemand die Buddenbrooks als Komödie verfilmen.
Wie gelingt Mizoguchi und seinem Drehbuchautor Yoshikata Yoda dieses Kunststück? Indem er den Auslöser für Oharus langsamen aber unaufhaltbaren Niedergang in eine aufrichtige, tiefe Liebesgeschichte verwandelt und die Heldin, deren Liebe gegen gesellschaftliche Konventionen verstößt, mit Würde, Stolz und der ganzen Sympathie des Zuschauers ausstattet. Ihre thematische Verknüpfung mit wahrer Liebe wird noch verstärkt, als sie dem Fürsten einen Thronfolger gebärt und nun ihre Mutterliebe zu ihrer stärksten Triebfeder wird.
Die Liebe zu dem ihr entrissenen Sohn – die Mizoguchi in zwei kurzen, verzweifelten Begegnungen verdeutlicht, in denen Oharu den Thronfolger nur aus der Distanz sehen darf, siehe Screenshot unten – und die Erinnerung an die große, wahre Liebe ihres Lebens lassen sie dann all das Leiden, die Enttäuschungen und das allein auf ihren Körper begrenzte Begehren der Männer sowie die daraus folgenden Erniedrigungen ertragen. Grandios gespielt natürlich von Kinuyo Tanaka, einer der vielseitigsten und überzeugendsten Schauspielerinnen ihrer Generation.
Doch nicht nur die Männer bekommen ihr Fett weg, Mizoguchi prangert eine ganze Gesellschaftsordnung an, die voller Scheinheiligkeit Werte propagiert und deren Einhaltung fordert, dann aber eine aufrichtige und aufrechte Frau wie Oharu ausbeutet, verstößt und erniedrigt. Seien es der Vater, der seine Tochter für ihre Liebe zu einem einfachen Mann verprügelt, sie dann aber zunächst zur Konkubine und schließlich zur Prostituierten macht. Oder der Händler, der aus Geiz und Stolz nie in ein Bordell gehen würde, es dann aber schamlos ausnutzt, als er Oharu umsonst haben kann. Und nicht zu vergessen die Nonne, die Frau des Händlers und natürlich all die Höflinge, denen die Familie und ihr Fortbestand so viel Wert ist, dann aber in Oharu nur eine Gebärmaschine sehen, obwohl sie es ist, die den Fortbestand des Familienclans sichert.
Bemerkenswert bei all dem Leid und der Tragik ist, dass es Mizoguchi dennoch gelungen ist, einige komische Szenen zu bewahren. Zu nennen wäre etwa die Erinnerung gleich zu Beginn, als Oharu in einer Buddhastatue das Gesicht ihres geliebten Katsunosuke erkennt, das Casting zur Suche nach der Super-Konkubine oder wie Oharu sich an der Frau des Händlers rächt, indem sie eine dressierte Katze ihr die Perücke vom Kopf reißen lässt und sie so der Lächerlichkeit preisgibt.
Komplett aus dem Film verschwunden ist aber der amouröse Charakterzug Oharus, auch wenn Le Fanu dies anders sieht. Es ist mir völlig unbegreiflich, wie Le Fanu in der Szene, in welcher der Händler Oharu im Kloster aufsucht weil diese ihm noch Tücher schuldet und Oharu sich die in einen Kimono genähten Tücher vom Leib reisst, ein sexuelles Begehren ihrerseits erkennen will. Natürlich ist ihr klar, dass sie die Tücher mit Sex bezahlen muss, aber daraus abzuleiten, dass sie mit ihm schlafen wolle, widerspricht der gesamten Charakterisierung der Heldin. Vielmehr entledigt sie sich aus Abscheu und Empörung der vom Händler stammenden Kleider.
Oharu ist für mich die Kristallisation der tragischen, sexuell und materiell ausgebeuteten und von einem gesellschaftlichen Regime unterdrückten Frau in Mizoguchis Werk schlechthin, gewissermaßen die Essenz seines Schaffens. Auch was die Realisation des Filmes angeht ist Das Leben der Frau Oharu Mizoguchi vom Feinsten: Endlos lange Takes, die Vermeidung von Schnitten mittels Kamerabewegung und Arrangement der Charakter und absolute Detailversessenheit, obwohl der Meister für diesen Film nur minimale finanzielle Mittel zur Verfügung hatte. Der Film ist schwer verdauliche Kost, keine Frage, aber wenn man sich darauf einlässt ein wahrhaft erhebendes Erlebnis!
2 Kommentare for "Das Leben der Frau Oharu"
Hallo Klaus Wiesmüller,
wirklich eine hervorragende Kritik! Du hast genau die Worte gefunden, die einem Meisterwerk wie diesem Höhepunkt des japanischen Films zustehen. Dies ist übrigens mit Abstand mein Lieblingsfilm von Mizoguchi, vor allem die menschliche Tragik, die innere Würde der weiblichen Hauptperson Oharu, hat mich emotional aufgewühlt. Da kann alle stilistische Brillianz Ugetsu Monogataris mich nicht stärker mitreißen, als dieses erschütternde Frauenportrait. Einfach toll!
Viele Grüße
Marald
1discipline
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