1 Feb
Original: Uwasa no onna (1954) von Kenji Mizoguchi
Hatsuko (Kinuyo Tanaka) betreibt ein Geisha-Haus in Kyoto – hinter dessen gut gehenden Geschäften sich Prostitution verbirgt – und führt eine recht undurchsichtige Beziehung mit dem deutlich jüngeren Arzt Matoba (Tomoemon Otani). Als sie ihre Tochter Yukiko (Yoshiko Kuga), die wegen einer gescheiterten Beziehung einen Selbstmordversuch unternommen hat, wieder nach Hause holt, erscheinen schnell Risse in ihrer scheinbar so respektablen Fassade.
Denn Yukiko verabscheut nicht nur das Geschäft, an dem ihre Mutter so gut verdient, sie erweckt auch das Interesse Matobas. Dessen Sympathien für Hatsuko beschränkten sich offenbar auf ihre Absicht, ihm eine Praxis zu finanzieren. Zunehmend verzweifelt versucht Hatsuko, Matoba an sich zu binden, während Yukiko sich von ihrem traumatischen Selbstmordversuch erholt und sich langsam gegenüber den Frauen des Hauses öffnet und deren Vertrauen gewinnt. Als sie jedoch erfährt, dass Matoba ihr sein Verhältnis zu ihrer Mutter verheimlichte und diese hintergangen hat, bricht ihr altes Trauma wieder hervor.
Was mich an The Woman in the Rumour von der ersten Minute an fesselte, war die unglaubliche Präsenz von Kinuyo Tanaka, die ich bisher vor allem aus Filmen wie Das Leben der Frau Oharu, Die Mutter oder Equinox Flower kannte, in denen sie typischerweise still leidende, passive Frauenrollen gegeben hatte. Hier dagegen ist sie als eine unabhängige, quirlige, vor Leben und Aktivität geradezu übersprudelnde Geschäftsfrau kaum wiederzuerkennen. Erst im Laufe des Films, mit der aufkeimenden Verzweiflung, kommt die von ihren anderen Rollen bekannte Leidensfähigkeit hervor, die hier aber mit großem Widerstandswillen verbunden ist und sich keineswegs auf eine passiv-leidende Rolle beschränkt.
Dennoch ist unübersehbar, dass sie und ihre Tochter Yukiko nach und nach die Rollen tauschen: Yukiko steht anfangs noch ganz unter dem Eindruck ihres Selbstmordversuchs, sondert sich ab, zeigt offen ihre Verachtung für das Geschäft des Hauses und dessen Bewohnerinnen. Auch den aufrecht besorgten Matoba hält sie zunächst auf Distanz und isoliert sich bewusst.
Eine schwere Erkrankung bei einer der „Geishas“ um die sie sich rührend kümmert, bricht dann jedoch das Eis, ihre Stimmung hellt sich merklich auf, sie öffnet sich für andere Menschen und nicht zuletzt für Matoba, wodurch sie unbewusst bei ihrer Mutter eine genau gegenteilige Entwicklung in Gang setzt.
Manifestationspunkt dieses Rollentauschs ist der gemeinsame Besuch eines Noh-Stücks, in dem eine alte Frau veralbert wird, die sich in einen jungen Mann verliebt hat. Während Yukiko und Matoba sich köstlich amüsieren, erkennt Hatsuko natürlich die Parallelität und zieht sich verwirrt und niedergeschlagen allein zurück. Erst als der Auslöser und Angelpunkt dieser Entwicklung, die Unaufrichtigkeit und Heuchelei des Arztes Matoba, den beiden Frauen klar wird, Yukiko mit einer Schere auf ihn losgeht und dadurch das Konkurrenzverhältnis hinfällig wird, ergibt sich wieder ein emotionales Gleichgewicht.
The Woman in the Rumour, ein Jahr nach Gion Bayashi und zwei vor Street of Shame (Mizoguchis letzter Film) entstanden, stellt in mancher Hinsicht so etwas wie das verbindende Glied zwischen diesen beiden Filmen dar. Alle drei beschäftigen sich mit den Lebensverhältnissen von Geishas und dem schmalen Grad zur Prostitution, wobei Gion Bayashi sich noch am stärksten mit dem klassischen Ideal auseinandersetzt, das bei Woman in the Rumour nur noch Fassade ist und in Street of Shame völlig abhanden gekommen ist.
Auch wenn Yukiko – und damit ein Stück weit auch wir als Zuschauer – ihre Abneigung gegen die menschenverachtende Ausbeutung der Frauen hinter sich lässt, ruft Mizoguchi ähnlich wie in den beiden anderen erwähnten Filmen mittels eines jungen Mädchens, das aus materieller Not in die Prostitution gerät, den wahren Charakter am Ende wieder in Erinnerung. Mit Mizoguchis vorherigen Meisterwerken kann The Woman in the Rumour zwar nicht mithalten, aber er ist ein sehr typischer Mizoguchi und allemal sehenswert, gerade im Kontext mit seinen anderen Geisha-Filmen.
4 Kommentare for "The Woman in the Rumour"
Der Kritik kann ich mich inhaltlich voll anschließen. Interessant finde ich aber die Bemerkung über Kinuyo Tanakas Rollenbild. Tatsächlich hat sie in Mizoguchis Filmen aus der zweiten Hälfte der 40er Jahre (von denen ich aber außer „Utamaro und seine fünf Frauen“, in dem Tanaka nicht mitspielt, keinen kenne) lauter resolute Frauen gespielt. Auf der MoC-DVD von „Oyu-sama“ versteigt sich Tony Rains in seinem Kurzkommentar sogar dazu, Tanaka als Fehlbesetzung zu bezeichnen, weil sie da eine passive Rolle spielt und damit gegen ihr Image besetzt ist. Da kann ich aber Rains nicht folgen, auch wenn ich seine Kommentare sonst schätze.
Nur nebenbei: In Ozus „Dragnet Girl“ hat Tanaka schon 1933 eine kesse Gangsterbraut gespielt, und sie feuert darin sogar den vermutlich einzigen Schuss auf einen Menschen in einem Ozu-Film ab …
Hallo Manfred!
Tanaka ist definitiv eine der interessantesten Figuren aus der goldenen Ära des japanischen Films, deine Anmerkungen führen mir das nur noch deutlicher vor Augen. Ich vermute, du beziehst dich mit ihren resoluten Rollen auf „My Love has been burning“ und „Love of Sumako“. Diese Filme kenne ich noch nicht, habe aber im Zusammenhang mit den Anstrengungen der Besatzungsbehörden zur Modernisierung der japanischen Gesellschaft davon gelesen, dass diese ein emanzipierteres Frauenbild transportieren sollten. Daher kann ich mir gut vorstellen, dass Tanaka in diesen Filmen ebenfalls Rollen spielt, die mit dem Bild, das ich aus ihren Filmen der 50er habe, nicht so ganz überein stimmen.
Mit den resoluten Rollen meine ich außer diesen beiden Filmen auch noch „Der Sieg der Frauen“. Darin spielt Tanaka eine Anwältin. Kurzkritik:
http://www.zweitausendeins.de/filmlexikon/?wert=12902&sucheNach=titel
Vielleicht gilt es auch für „Frauen der Nacht“, aber da bin ich nicht sicher. Besitzt jemand die Eclipse-Box „Fallen Women“ und kann Auskunft geben?
Kinuyo Tanaka war ja auch Japans erste Regisseurin. Leider kenne ich noch keinen Film von ihr. Merkwürdig ist, dass Mizoguchi, der so für die Rechte der Frauen eintrat, ihren Regieambitionen kritisch gegenüberstand, was 1954 zum großen Krach zwischen ihnen führte.
Was die Bestrebungen der Amerikaner betrifft, so glaube ich, dass sich Mizoguchi nicht sonderlich davon beeinflussen ließ, sondern dass er seinen eigenen Vorstellungen folgte. Die Vorgeschichte von „Utamaro und seine fünf Frauen“ liefert ein gutes Beispiel dafür. Eigentlich war es damals fast unmöglich, jidai-geki zu drehen, weil sie den Amerikanern pauschal als „feudal“ galten. Aber Mizoguchi machte den Zensoren weis, dass es in dem Film um die Emanzipation der Frauen (in der Edo-Ära) gehen sollte, und bekam die Erlaubnis. Aber im fertigen Film kommt dieses Thema kaum vor. In Wirklichkeit geht es um die Rolle des Künstlers in einer Gesellschaft, die zwischen Feudalismus und Merkantilismus feststeckt. Mizoguchi wusste also, wie er seine eigenen Themen durchbringen konnte.
Übrigens bin ich gerade zufällig auf einen interessanten Text gestoßen, in dem es um die amerikanischen Demokratisierungsbemühungen und um Frauentypen zwischen Müttern und Prostituierten und dergleichen geht:
http://edoc.hu-berlin.de/japonica-hu/4/salomon-harald-235/PDF/salomon.pdf
Hi Manfred! Ich hab die „Fallen Women“-Box jetzt 🙂
Werde mir demnächst mal „Frauen der Nacht“ ansehen und darüber berichten.
Hier kommt deine Meinung rein: