Viele Kritiker und Cineasten schätzen Yasujiro Ozu als außergewöhnlichsten und herausragendsten japanischen Regisseur überhaupt. Eine wichtige Rolle spielt dabei sein unverkennbarer, nicht nur an ästhetischen Merkmalen orientierter sondern auch konzeptionell und thematisch einzigartiger Stil. Gerne genannt werden etwa die niedrig positionierte Kamera, die Beschäftigung mit der (japanischen) Familie, die besondere Nutzung des Raums welche im Widerspruch mit Hollywood-Konventionen steht und vieles mehr. David Bordwell bezeichnet Ozus Filme gar als einen kompletten Gegenentwurf zum „klassischen“ Hollywood-Kino.
So ist es vielleicht verständlich, dass ich einen Heidenrespekt vor seinen Filmen hatte und diese bisher nicht gebloggt habe, auch wenn Tokyo Story neben Rashomon und den Miyazaki-Filmen das Feuer meiner Faszination für japanische Filme ursprünglich mit angefacht hat. Als Einstieg in das Thema Ozu und um an einem ganz simplen Beispiel einen ersten Eindruck zu vermitteln, was seine Filme so einzigartig macht, möchte ich heute die Titelsequenzen heranziehen.
Der Screenshot zeigt den Titel des 1934 entstandenen Films A Story of Floating Weeds, im Original Ukigusa monogatari. Die gesamten Credits der Beteiligten werden genau wie der Titel vor dem Hintergrund eines simplen Stückes Sackleinenstoff gezeigt. In seinen zuvor gedrehten Filmen wie Passing Fancy oder I was born, but… dienten jedoch comic-hafte Zeichnungen als Hintergründe für die Titel. Ozu schafft hier also einen starken Gegensatz und hebt den Film von Anfang an allein durch die Titelsequenz schon von seinen früheren Filmen ab.
Da A Story of Floating Weeds in einer ländlichen Kleinstadt spielt, unterstreicht er durch diesen Gegensatz zunächst wunderbar die Atmosphäre des Films. Insofern könnte man das Sackleinentuch einfach als konsequentes Mittel zur Abrundung und Ergänzung des Erscheinungsbilds dieses speziellen Films abtun. Aber Ozu machte diesen Auftakt zu einem festen Bestandteil für seine nachfolgenden Filme und somit zu einem Markenzeichen für sein Werk ganz generell!
Record of a tenement Gentleman (1947):
Tokyo Story (1953):
Early Spring (1956):
Floating Weeds (1959):
Die Umstellung auf Farbfilme brachte nur eine kleine Veränderung, nämlich dass manche Schriftzeichen in Rot gefasst wurden. Am schlichten Erscheinungsbild und Auftakt der Filme änderte sich sonst nichts. Bis zu seinen letzten Filmen kurz vor seinem Tod im Jahr 1963, behielt Ozu das Motiv des Sackleinenstoffes bei, und das, obwohl zu dieser Zeit seine Filme schon lange nicht mehr die einfache Atmosphäre des Landlebens wiedergaben, sondern meist im mittelständischen Milieu von Großstädten spielten.
Daher wird der mit A Story of Floating Weeds vollzogene Wechsel zum Sackleinen heute oft als ein Signal Ozus interpretiert, dass er mit diesem Film „sein“ Kino gefunden hatte, dem er dann bis zum Schluss treu blieb. So findet sich auch in seinem vorletzten Film The End of Summer (1961) das wohlbekannte Titelbild:
Das nenne ich Konsequenz!
Weitere Markenzeichen Ozus:
Teil II – Trocknende Wäsche
Teil III – Zugfahrten
Yasujiro Ozu wurde nicht zuletzt wegen seines außergewöhnlichen, unverkennbaren Stils zu einer Ikone der japanischen Filmgeschichte. Gerne genannt werden etwa die niedrig positionierte Kamera, die Beschäftigung mit der (japanischen) Familie oder die besondere Nutzung des Raums welche im Widerspruch mit Hollywood-Konventionen steht. Zu diesen Markenzeichen gehören jedoch auch ganz simple, wiederkehrende Motive, und eines davon möchte ich heute vorstellen.
So gut wie jeder Film Ozus enthält eine Ansicht von zum Trocknen aufgehängter Wäsche. Bereits in seinen frühen Filmen der 30er Jahre, wie etwa in A Story of floating Weeds aus dem Jahr 1934, taucht die trocknende Wäsche auf, hier noch eingebunden in den Kontext der Handlung (die Schauspieltruppe hat Waschtag und plaudert nebenbei über Glück und Unglück):
Auch in Record of a tenement gentleman von 1947 besteht noch ein Bezug des im Wind trocknenden Futons zur Handlung, in der ein bettnässender Junge von einer älteren Frau aufgenommen wird.
In den späteren Filmen dienen die Ansichten der trocknenden Wäsche dann ausschließlich als überleitende, Kontext etablierende sowie Stimmung und Atmosphäre vermittelnde Einschübe. Beispiele wären…
Tokyo Story (1953):
Early Spring (1956):
An Autumn Afternoon (1962):
Wie diese Abfolge an Screenshots zeigt, nutzt Ozu dieses wiederkehrende Element seiner Filme, um auf den Wandel Japans hinzuweisen und die Veränderungen im Leben der Menschen anzudeuten bzw. zu unterstreichen. In den frühen Filmen, vor dem japanischen Wirtschaftswunder, werden fast immer auf hölzernen Gerüsten hängende, einfache weiße Unterwäsche oder Yukatas in diesen Ansichten gezeigt. Diese werden zum Ausdruck der einfachen Lebensweise der Charaktere und der Zuschauer gleichermaßen.
In seinen späteren Filmen dagegen greift er den gewachsenen Wohlstand auf (beispielsweise auch, indem seine Charaktere plötzlich Golf spielen). Entsprechend verlagert Ozu in An Autumn Afternoon, dem letzten Film vor seinem Tod, die Wäsche auf Hochhausbalkone. Sie hängt jetzt auch nicht mehr auf Holzgerüsten sondern auf Plastikstangen und bildet ein buntes Durcheinander aus allerlei Tüchern, Hemden, Unterwäsche.
Es handelt sich also nicht nur um eine witzige Marotte (wie etwa die kurzen Auftritte Hitchcocks in seinen eigenen Filmen), die keinen tieferen Zweck verfolgt, sondern um ein Motiv, das sich im Lauf der Zeit mit den Filmen verändert und damit auch die Entwicklung der Gesellschaft und ganz Japans aufgreift und transportiert.
Weitere Markenzeichen Ozus:
Teil I – Sackleinen
Teil III – Zugfahrten
Yasujiro Ozu wurde nicht zuletzt wegen seines außergewöhnlichen, unverkennbaren Stils zu einer Ikone der japanischen Filmgeschichte. Gerne genannt werden etwa die niedrig positionierte Kamera, die Beschäftigung mit der (japanischen) Familie oder die besondere Nutzung des Raums welche im Widerspruch mit Hollywood-Konventionen steht. Zu diesen Markenzeichen gehören jedoch auch ganz simple, wiederkehrende Motive, von denen ich heute ein Weiteres vorstellen möchte.
Zugfahrten spielen in fast allen Filmen Ozus eine mehr oder weniger große Rolle. In Story of Floating Weeds werden Züge und Zugfahrten zu einem sehr zentralen Element: Der Film beginnt mit der Ankunft von Kihachis Theatertruppe am Bahnhof, dort werden die wichtigen Figuren eingeführt. Am Ende steht wieder eine Zugfahrt, diesmal Kihachis Abreise und die Versöhnung mit seiner Geliebten Otaka im Zugabteil. Die Mobilität symbolisierende Zugfahrt wird so zum Ort geistig-emotionaler Mobilität. Doch mit diesem Versprechen der Mobilität sind auch Sehnsüchte und Hoffnungen verbunden, auf die in einer anderen Szene angespielt wird, nämlich als ein heimliches Liebespaar die Unmöglichkeit der Beziehung beklagt und dann sehnsüchtig einem vorbeifahrenden Zug hinterhersieht, der ihnen als einziger Ausweg erscheinen mag.
In Tokyo Story sind Shukichi und Tomi ständig mit Zügen unterwegs und es wird dauernd über Zugfahrten geredet, man sieht die beiden aber nur einmal am Bahnhof. Erst ganz am Ende des Films, als Noriko nach Tomis Beerdigung wieder nach Tokyo zurückfährt, sieht man tatsächlich einen Zug und wie sie darin – eine Taschenuhr in den Händen – mutmaßlich über die Vergänglichkeit der Dinge nachdenkt und darüber, wie die Zeit die Menschen und ihr Leben verändert.
Verschiedene Formen der Fortbewegung und Mobilität spielen in Flavor of Green Tea over Rice eine ganz zentrale Rolle. Gleich in der Auftaktszene sehen wir die beiden Hauptdarstellerinnen gemeinsam bei einer Taxifahrt und wie die Stadt an ihnen vorbeihuscht. Gegen Ende des Films werden dann der Flughafen und ein Flug nach Uruguay zu wichtigen Handlungselementen. Dazwischen steht die Zugfahrt von Taeko, als sie aus Frustration angesichts ihrer Ehekrise Hals über Kopf aus Tokyo abreist.
In anderen Filmen dagegen sind Zugfahrten normaler Bestandteil des alltäglichen Lebens, häufig etwa beim Pendeln zur Arbeit. Ein Beispiel dafür wäre Später Frühling, in dem Shukichi mit dem Vorortzug in die Stadt zur Arbeit fährt. Da er dabei manchmal auch von seiner Tochter begleitet wird, nutzt Ozu diese gemeinsamen Fahrten, um das innige Verhältnis der beiden zueinander zu beleuchten.
Das Pendler-Szenario wird manchmal aber gar nicht durch die Zugfahrten selbst visualisiert sondern etwa mittels der Bahnhöfe, wartender Pendler oder von Gleisanlagen. Ein Beispiel dafür findet sich beispielsweise in Early Spring:
Züge und Zugfahrten stehen kulturhistorisch symbolhaft für vielerlei in Filmen: Das Reisefieber, die Sehnsucht nach der Ferne, Kraft und Veränderungen (man denke an Once Upon a Time in the West), Flucht oder Selbstfindung (siehe The Darjeeling Limited). Ozu machte in seinen Filmen sehr unterschiedlichen Gebrauch von Zügen und nutzte dabei all die verschiedenen Assoziationen und Hintergründe gleichermaßen, wie es nur ein Meister seines Fachs kann.
Weitere Markenzeichen Ozus:
Teil I – Sackleinen
Teil II – Trocknende Wäsche
Yasujiro Ozu wurde nicht zuletzt wegen seines außergewöhnlichen, unverkennbaren Stils zu einer Ikone der japanischen Filmgeschichte. Nach eingen recht simplen wiederkehrenden Motiven geht es heute um eine Grundfeste seines Stils, an der jeder seiner Filme schon nach wenigen Augenblicken erkennbar ist: Die niedrige Kameraposition.
Das klassische Beispiel dafür sind die vielen, in traditionellen japanischen Häusern spielenden Szenen, in denen sich die Darsteller auf dem Boden sitzend unterhalten und sich die Kamera in einer Position knapp über dem Boden befindet. Weil diese Szenen einen so großen Anteil an den Filmen Ozus haben, wird dies oft als eine sitzende Position der Kamera interpretiert, die den Zuschauer in die Rolle einer an der Konversation teilnehmenden, ebenfalls auf den Tatami sitzenden Person versetzen solle. Auch die Meinung, dass es sich um die Sicht eines Kindes handele, ist immer wieder zu lesen.
Um aus diesen niedrigen Positionen filmen zu können, nutzte Ozu ein spezielles Stativ, das so niedrig war, dass der Kameramann während des Drehens teilweise auf dem Boden liegen musste.
Doch Ozu verwendete die niedrige Kameraposition nicht nur in geschlossenen Räumen, sondern auch im Freien, mithin also in Situationen, in denen die „teilhabende Kameraperson“ normalerweise eben nicht sitzen würde. Beispiele dafür finden sich reichlich, ein sehr schönes Beispiel wäre etwa die Großstadtszene aus Später Frühling, in der sich die Kamera etwa auf Höhe des Gebäudesockels befindet und in der kein Beobachter je auf die Idee käme, sich auf den Boden zu setzen:
Gegen die These, dass Ozu die Kamera und damit den Zuschauer in die Position eines sitzenden Beobachters oder eines Kindes versetzen wollte, spricht sich besonders David Bordwell vehement aus. Er zeigt auf, dass die Kameraposition keineswegs in einer bestimmten Höhe fixiert ist sondern vielmehr sehr stark variiert, in Abhängigkeit vom Motiv (bei sitzenden Personen befindet sie sich knapp über dem Boden, bei stehenden etwas höher und bei Gebäuden oder Landschaftsaufnahmen sogar in der Vogelperspektive).
Er legt vielmehr Wert darauf, die Effekte dieses Stilmittel auf den Zuschauer und für die Wahrnehmung des Bildes ins Auge zu fassen. Ein solcher Effekt ist die im obigen Screenshot gut zu beobachtende Betonung vertikaler Elemente und von Objekten, die sich in der Nähe der Kamera befinden. Die eigentlich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Objekte und Charaktere werden dagegen in die obere Hälfte des Bildes und somit gewissermaßen in die Peripherie gedrängt, wie auch in dieser Szene aus A Story of floating weeds…
Der Zuschauer stolpert ständig über diese ungewohnte Bildsprache, ganz im Sinne des Brechtschen Konzepts, den Zuschauer dazu zu bringen, den Sinn zu hinterfragen, eine kritische Auseinandersetzung anzustoßen, vertraute, alltägliche Dinge aus einem ungewohnten Blickwinkel zu betrachten und ihn so zum Nachdenken über sie statt zur Identifikation mit ihnen zu veranlassen. Die Kamera sollte eben nicht den natürlichen Standpunkt eines Menschen einnehmen, sondern durch die ungewöhnliche Position einen Verfremdungseffekt erzielen.
Dass Ozu aber nicht immer auf die ungewöhnliche Perspektive setzt sondern manchmal auch ganz klassische Kompositionen entwickelt, belegt eine der wohl berühmtesten Szenen seines ganzen Werks, nämlich Tomi und Shukichi auf der Hafenmauer in Tokyo Story:
Damit wird die niedrige Kameraposition zu einem integralen Bestandteil des künstlerischen Schaffens von Ozu, welcher ihn nicht nur als äußerst innovativen und konsequenten Filmemacher bestätigt, sondern auch erste Rückschlüsse auf seine Anspruchshaltung und seine Ziele zulässt.
Weitere Markenzeichen Ozus:
Teil I – Sackleinen
Teil II – Trocknende Wäsche
Teil III – Zugfahrten