Auf den Einlass zu Hou Hsiao-hsiens wunderbarem A summer at grandpa’s wartend griff ich zur im Kino ausliegenden aktuellen Ausgabe von Schnitt und blätterte ein wenig. Allein der Umstand, dass es tatsächlich noch Kinos gibt, in denen alte Filme von Hou Hsiao-hsien gezeigt werden und die Schnitt ausliegt, verlieh mir in diesem Moment ein gewisses Glücksgefühl. Beim Blättern stieß ich dann zu meiner Freude auch noch auf den Artikel „Animierte Träume“, in dem Paprika und The place promised in our early days (völlig zu Recht) hoch gelobt werden. Die Autoren gehen dann auch noch kurz auf Goro Miyazakis in wenigen Tagen in Deutschland startenden Gedo Senki ein, den sie als ziemlich gewöhnlich abkanzeln, um natürlich im selben Atemzug auf das nächste Werk von Miyazaki Senior zu verweisen.
Da passierte es, im letzten Satz des Artikels: Ein kleiner, fehlender Buchstabe im Titel dieses neuen Werks ließ meine angesichts der wohlwollenden Aussagen zu einigen großartigen Animes entstandene Hochstimmung in sich zusammenfallen wie ein Soufflé! Pony on a cliff stünde nächstes Jahr zur Veröffentlichung an. Seitdem versuche ich mir einzureden, dass es sich dabei nur um einen Vertipper handelt und nicht um miese Recherche, die aus der Goldfischprinzessin Ponyo ein ordinäres Pony gemacht hat.
5 Nov
Originaltitel: Suna no onna (1964), von Hiroshi Teshigahara
Eine konzeptionell und ästhetisch faszinierende Parabel über unser subjektives Freiheitsempfinden und gesellschaftliche Zwänge. Vom früheren Dokumentarfilmer Hiroshi Teshigahara in beeindruckenden Bildern inszeniert und mit einer Oscar-Nominierung als bester Regisseur belohnt.
Ein Mann (Eiji Okada) begibt sich auf der Suche nach seltenen Insekten in eine einsame Küstengegend. Als er eine Unterkunft für die Nacht sucht, wird er von einigen Dorfbewohnern zum Haus einer allein lebenden Frau (Kyoko Kishida, die vor einem knappen Jahr verstarb) gebracht, das unter einer Klippe liegt, die er mit Hilfe einer Strickleiter hinunterklettern muss. Die Frau bewirtet ihn, und beginnt, während er sich schlafen legt, den durch jede Ritze dringenden Sand wegzuschaffen. Am nächsten Morgen muss er feststellen, dass das Haus nicht nur von der Klippe sondern auch von unüberwindbaren Dünen rundum umgeben ist und dass die Leiter entfernt wurde. Er ist gefangen.
Von der Frau erfährt er, dass er zu ihrer Unterstützung festgehalten wird, da sie alleine nicht gegen die vordringenden Dünen ankämpfen könnte, von denen auch das Dorf bedroht ist. Empört unternimmt er mehrere vergebliche Ausbruchversuche, fesselt die Frau und verweigert die Kooperation, muss jedoch einsehen, dass sie zur Versorgung auf die Dörfler angewiesen sind. So fügt er sich in sein Schicksal und nimmt resigniert den von ihm erwarteten Kampf gegen den Sand auf.
Zwischen ihm und der Frau mit den so ganz anderen Ansichten über das Leben entwickelt sich eine ausgeprägte erotische Spannung und so beginnen die beiden eine Affäre, die durch die Sehnsucht des Mannes nach Freiheit immer wieder getrübt wird. Eines Tages entdeckt er jedoch, dass sich im Boden zwischen den Dünen Wasser sammelt, das sich gewinnen lässt. Er beginnt, das Phänomen zu untersuchen und begeistert sich für die Möglichkeit, durch seine Erkenntnis das einfache Leben der Dörfler verändern zu können. Als sich ihm endlich die Möglichkeit zur Flucht bietet, erkennt er, dass sein altes Leben ihm nichts mehr zu bieten hat. Er bleibt bei der Frau in den Dünen.
Regisseur Teshigahara arbeitete als Dokumentarfilmer, bevor er Spielfilme drehte, und das merkt man Der Frau in den Dünen an: Mit fantastischen Großaufnahmen und Bildern des fast wie Wasser dahinfließenden Sandes schafft er eine gleichermaßen bezaubernde wie verstörende Atmosphäre. Dazu trägt auch die ungewöhnliche, avantgardistische Musik von Toru Takemitsu bei, die im Zusammenspiel mit den menschenleeren Landschaftsaufnahmen eine äußerst bedrückende Stimmung schaffen – vier Jahre später wurde in Planet der Affen auf ganz ähnliche Stilelemente und Effekte zurück gegriffen.
Neben den Landschaftsaufnahmen prägen den Film auch die zahlreichen extremen Nahaufnahmen der beiden Hauptdarsteller. Gerade in den Phasen der größten Verzweiflung des Mannes und der wachsenden Spannung mit der Frau verleihen diese dem Zuschauer regelrecht das Gefühl, die Charaktere wie unter einem Mikroskop zu betrachten. In ihrer außergewöhnlichen Intensität sind diese Close-ups durchaus mit denen in Sergio Leones nur wenig später entstandenen Filmen vergleichbar.
Die Frau in den Dünen ist eine faszinierende Parabel, in der sich Teshigahara gezielt der Verfremdung und Anonymisierung (die Frau ist ohne Namen, den des Mannes erfährt man erst ganz zum Schluss) bedient. Er thematisiert zum einen die Auseinandersetzung des Einzelnen mit der Gesellschaft, deren Normen und Anforderungen wie der Sand permanent und erbarmungslos durch die Ritzen des menschlichen Geistes eindringen und sein Bewusstsein und Selbstverständnis formen. Dagegen anzukämpfen erweist sich als zwecklos.
Zum anderen zeigt die Parabel einen Menschen, der scheinbar ein Leben in völliger Freiheit führt, das aber sinnentleert ist. Während des Freiheitsentzugs werden dann jedoch die Beziehung mit der Frau und insbesondere die Entdeckung der Wassergewinnung zu sinnstiftenden Elementen, die ihm letztlich wichtiger sind als die plötzlich mögliche Wiedergewinnung der Freiheit und die Rückkehr in das alte Leben. So verkehrt sich auch sein anfängliches Unverständnis, ja seine Verachtung für die einfach-monotone, scheinbar idiotische Lebensweise der Frau in die Erkenntnis, dass ihm genau dieses Leben etwas zu geben in der Lage ist, das ihm in der Stadt fehlte.
[Hinweis: Dies ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung eines ursprünglich am 30. September 2006 veröffentlichten Beitrags.]
1 Nov
Wer? Minoru Chiaki, der heute vor 8 Jahren, am 1. November 1999, im Alter von 82 Jahren starb, war eines jener bekannten Gesichter, die immer wieder in Filmen auftauchen, deren Name aber kaum jemandem im Gedächtnis bleibt. Ein weiteres, ungleich prominenteres Beispiel wäre Ernest Borgnine. Zurück zu Chiaki, einem auf Hokkaido geborenen Studenten der Wirtschaftswissenschaften, der seine Liebe zum Theater entdeckte und auf der Bühne auch erfolgreich war. Dort wurde er von Akira Kurosawa entdeckt, der ihn überredete, Filmrollen anzunehmen.
So stand Chiaki in Kurosawas Ein streunender Hund für eine kleine Nebenrolle das erste Mal vor der Kamera und gehörte fortan zum Stammpersonal des Meisterregisseurs. Er spielte den Priester in Rashomon, einen Beamten in Ikiru, den stets gutgelaunten Samurai Heihachi in Die Sieben Samurai. Am besten in Erinnerung ist vielleicht seine Rolle als ständig Streit suchender, aber doch liebenswerter Bauer Tahei in Die verborgene Festung, eine Figur, die angeblich die Vorlage für die Droiden C3PO und R2D2 im Krieg der Sterne gewesen ist.
Nach den ersten Rollen in den Filmen Kurosawas war Chiaki dann auch vermehrt für andere Regisseure tätig und arbeitete mit so großen Namen wie Mikio Naruse, Daisuke Ito, Masaki Kobayashi, Nagisa Oshima oder Hiroshi Teshigahara. Dabei gab er oft den einfachen Mann, der für etwas Humor sorgen sollte, und die Zuschauer mit seiner sympathischen Art zwar freundlich aber bestimt an ihre eigenen Schwächen erinnerte. Jedesmal, wenn ich ihn in einem Film entdecke, huscht ein Lächeln über mein Gesicht, als wäre mir ein alter Bekannter über den Weg gelaufen.
Ein kleiner Auszug seiner über 60 Filme:
1949: Ein streunender Hund
1950: Rashomon
1951: Der Idiot
1954: Die Sieben Samurai
1956: Bushido
1958: Die verborgene Festung
1959: The Human Condition
1962: The Rebel
1966: The Face of Another