Das lange angekündigte Remake von Akira Kurosawas Sanjuro aus dem Jahr 1962 startete letzten Samstag, am 1. Dezember, in den japanischen Kinos. Mit einem Einspielergebnis von umgerechnet 1,4 Mio Dollar in den ersten Tagen stieg er auf Platz 4 in die japanischen Kinocharts ein, die seit Wochen von dem Trio Koizora, Always 2 und Resident Evil: Extinction dominiert werden. Also wohl ein ganz respektables Ergebnis.
Das Remake Tsubaki Sanjuro scheint sich durch eine außergewöhnliche „Treue“ zum Original auszuzeichnen, jedenfalls theoretisch, denn es handelt sich um eine 1:1 Kopie. Am Drehbuch des Originals sei nichts geändert worden: Szene für Szene habe Regisseur Yoshimitsu Morita, der sich in den letzten Jahren einen Namen mit historischen Filmen machte, nach Kurosawas Vorbild umgesetzt. Dahinter scheint ein Trend zu Remakes in Form von exakten Kopien zu stecken, wie bei Ryuganji nachzulesen ist.
Daher fällte die in englisch vorliegende Kritik von Daily Yomiuri auch ein sehr harsches Urteil über das Remake:
As I said earlier, there are not many reasons for fans of the original to see the remake. Oda does not have the presence Mifune had, so it’s hard to understand why people around the ronin are so overwhelmed, or why his rival (played by Etsushi Toyokawa) is so impressed. The actors who play the nine young samurai try so hard to stand out from one another that they end up distracting viewers, whereas Kurosawa directed them to be effective as a group. The music is sometimes too loud and, even though the remake uses the same script, it lasts about 30 minutes longer than the original.
Dennoch weist die Kritik auch einen guten Aspekt des Remakes auf, der nicht von der Hand zu weisen ist: Heutige Kinogänger und Filmfans dürften kaum mit dem Original vertraut sein und könnten durch das Remake neugierig auf das 45 Jahre alte Original werden. Und ein weiterer positiver Aspekt wäre, dass Fans des Kurosawa-Originals so mal wieder ein Anlass geboten wird, in die DVD-Sammlung zu greifen und sich diesen Klassiker anzusehen.
Donald Richies erstmals 1965 erschienenes Buch The Films of Akira Kurosawa ist bis zum heutigen Tag eines der Standardwerke schlechthin zu diesem wohl bekanntesten und einflussreichsten Regisseur der japanischen Kinogeschichte. Es war das erste Buch über japanische Filme überhaupt, das ich gekauft habe, und ich verdanke ihm viele wichtige Anregungen, Informationen und Einblicke in Kurosawas Arbeitsweise. Zudem enthält es eine großartige Sammlung qualitativ hochwertiger, nicht zuletzt dank des übergroßen Formats des Buches sehr beeindruckender Fotos. Aber wie alles auf der Welt ist auch dieses fraglos große Werk nicht perfekt!
Richie beginnt seine Auseinandersetzung mit Kurosawa und seinen Filmen mit einem kurzen biographischen Abriss über dessen Jugend und frühen Lehrjahre bei PCL, der weitgehend auf Kurosawas Autobiographie basiert. Dann steigen wir direkt ein mit seinem ersten eigenen Film, Sanshiro Sugata, worauf in chronologischer Reihenfolge alle weiteren Filme abgehandelt werden.
Bei jedem Film folgt Richie einem regelmäßigen Muster: Zunächst erhält der Leser einen kurzen Einblick in den Hintergrund des Films, etwa was Kurosawa selbst dazu sagte oder schrieb, zur Planung des Projekts, zu (literarischen) Quellen oder wie sich der Film im Verhältnis zu anderen Werken verhält. Als nächstes folgt ein Überblick über die Handlung und wichtige Aspekte, wie etwa die Musik oder die Kameraführung. Unter den Überschriften „Treatment“ und „Production“ folgt dann eine stark interpretative Auseinandersetzung mit den Themen, eingesetzten Stilelementen, schauspielerischen Leistungen, zentralen Szenen und den technischen und organisatorischen Schwierigkeiten während der Realisation des Films.
Den Abschluss des Buchs bildet das Kapitel „Method, Technique and Style“, in dem Richie wichtige Elemente in Kurosawas Arbeitsweise nochmals zusammenfasst und sich anschickt, wiederkehrende Muster in den Filmen zu identifizieren und einzuordnen. Die Zusammenarbeit des Meisterregisseurs mit einem festen Stamm enger Mitarbeiter, der Kurosawa-gumi, ist hier ebenso Thema wie sein bis ins extreme reichender Realismus, sein Umgang mit Schauspielern und sein großartiges Können im Schneideraum. Dabei (wie im ganzen Buch überhaupt) greift Richie häufig auf selbst erlebte Anekdoten und Berichte von Mitarbeitern oder Kurosawa selbst zurück, was den Ausführungen viel Authentizität und Lebendigkeit verleiht. Dementsprechend ist das Buch angenehm und und spannend zu lesen.
Einige der zentralen Erkenntnisse Richies, die sich gesammelt im Schlusskapitel, aber sehr viel ausführlicher in der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Filmen finden, wären:
Die starke Fokussierung auf die einzelnen Filme ergibt sich jedoch auch eine gewisse Tendenz zur Wiederholung von bei frühen Filmanalysen bereits gesagtem. Somit eignet sich The Films of Akira Kurosawa vor allem als lexikalische Aufsatzsammlung: Wenn man gerade einen der Filme gesehen hat, kann man auf 10 Seiten eine ausführliche und spannende Auseinandersetzung mit dem eben gesehenen nachlesen. Dabei fällt auf, dass Richie häufig komplette Szenen der Filme schildert, inklusive der vollen Texte und Regieanweisungen. Seine Gedankengänge sind so gut nachvollziehbar.
Leider leidet das Buch darunter, dass nach dem ersten Erscheinen 1965 die später folgenden Filme Kurosawas nicht mehr in der Ausführlichkeit in den weiteren, aktualisierten Ausgaben besprochen werden wie die früheren Werke. Bei Dodesukaden und Dersu Uzala macht sich dies noch kaum bemerkbar, aber Ran, einem der zentralsten und wichtigsten Filme in Kurosawas Oeuvre sind lediglich noch 6 Seiten inklusive großformatiger Fotos gewidmet, und sein letzter Film Madadayo wird auf nur 2 Seiten abgehandelt. Gerade weil die Auseinandersetzung mit den früheren Filmen so großartig ist, enttäuscht dieser Mangel umso mehr.
Diesen Wermutstropfen kann man aber problemlos verschmerzen und er ändert nichts daran, dass Donald Richies The Films of Akira Kurosawa auch mehr als 40 Jahre nach seinem ersten Erscheinen immer noch eines der wichtigsten Bücher über Kurosawas Werk ist, das den bekannten Klassikern genauso wie eher weniger bekannten Filmen mit viel Detailwissen und einem scharfen interpretativen Verstand auf den Zahn fühlt und dennoch für den Laien verständlich und nachvollziehbar geschrieben ist. Ein absolutes Muss!
1 Dez
Original: Seishun zankoku monogatari (1960), von Nagisa Oshima
In Oshimas Frühwerk – es war erst sein dritter Film – ist bereits das große Thema, das ihn seine gesamte Karriere hindurch immer wieder beschäftigen sollte, angelegt: Die rätselhaften, selbstzerstörerischen Tendenzen der Menschen.
Die Schülerin Makoto (Miyuki Kuwano), per Anhalter auf dem Nachhauseweg, wird fast Opfer einer Vergewaltigung. Sie wird gerettet vom Studenten Kiyoshi (Yusuke Kawazu), der aber auch nicht gerade zart besaitet ist und sich im halbkriminellen Milieu tummelt. Obwohl er sie bei mehreren Wiedersehen erniedrigt und zum Sex zwingt, verliebt sie sich dennoch Hals über Kopf in ihn und zieht sogar mit ihm zusammen, als sie Ärger mit ihrer Familie bekommt.
Eine Zeit lang scheint es, als würde sich alles zum Guten wenden, doch dann wird Makoto schwanger und Kiyoshi drängt auf eine Abtreibung. Sie willigt letztlich ein, über die Beschaffung des dafür nötigen Geldes kommt es aber zum Streit: Makoto will nicht länger ältere Männer mit einer von den beiden entwickelten Anhaltermasche ausnehmen. Schließlich erhält Kiyoshi das Geld von einer wohlhabenden Liebhaberin, die ihn immer wieder unterstützt, damit aber zum Abkühlen der Gefühle der beiden beiträgt. So kommt es zunächst zur unvermeidbaren Trennung und schließlich zum Tod der beiden, als Kiyoshi wegen seiner Beziehung zu Makoto von einer Zuhälterbande zu Tode geprügelt wird und sie Selbstmord begeht.
In den ersten Minuten des Films dachte ich zuerst, es handele sich um die nachkolorierte Version eines ursprünglich schwarzweiß gedrehten Films, so stark sind in vielen Szenen die Farbkontraste zwischen zentralen Objekten des Vordergrunds und den oft im Grau verschwimmenden Hintergründen. Aber dann habe ich mir doch gedacht, dass Oshima damit wohl eher etwas über die Hauptcharaktere und ihre Beziehung zu ihrer Umwelt aussagen wollte. Besonders offensichtlich ist dies bei Makoto, deren bunte, farbenfrohe Kleider und ihre leicht rötlich gefärbten Haare die Aufmerksamkeit magisch anziehen.
So ist es wohl nicht schwer zu erraten, dass unter dem knallroten Regenschirm Makoto steht, die sich mit ihrer älteren Schwester Yuki (Yoshiko Kuga) unterhält. Diese Schwester ist neben den beiden Protagonisten der einzige mit etwas Tiefe ausgestattete Charakter und bleibt am Ende doch torsohaft: Als sie in Makotos Alter war führte sie selbst eine wilde Beziehung und begehrte gegen die Gesellschaft auf, weshalb sie Makoto gegenüber auch nachsichtig ist, ja sogar einen gewissen Neid auf diese spürt, weil sie damals nicht so weit gehen konnte. Einer der emotionalsten und interessantesten Momente ist dann auch das Wiedersehen Yukis mit ihrem früheren Liebhaber, der inzwischen als Arzt illegal Abtreibungen durchführt und auch Makoto betreut.
Als die beiden in Erinnerungen schwelgen, Yuki ihrem Ex offenbart, dass sie nochmals von vorn anfangen will, kommt Kiyoshi herein um Makoto zu sehen. An ihrem Bett sitzend, hört er, wie die beiden im Nebenzimmer darüber klagen, dass ihre Liebe von den Grausamkeiten der Welt zerstört wurde und es den beiden jüngeren wohl genauso gehen wird. Empört widerspricht Kiyoshi: „Wir haben keine Träume, deshalb werden wir nie wir ihr!“ Doch trotz der Illusionslosigkeit, mit der Kiyoshi das Leben sieht, behalten die beiden älteren natürlich Recht.
So ist Naked Youth ein durch und durch pessimistischer Film voller Verlierer: Makoto und Kiyoshi, deren Liebe nur kurz währt und die sie am Ende dennoch mit dem Leben bezahlen; Yuki, die einsam den Chancen der Vergangenheit nachtrauert, ihr Liebhaber, der mit seinem Leben in der Illegalität hadert; Kiyoshis Liebhaberin, die sich dessen jungen Körper kauft, von ihm aber nur verachtet wird… die Liste ließe sich fortsetzen.
Doch zu Verlierern werden Makoto und Kiyoshi nicht so sehr durch die Schicksalsschläge des Lebens oder Zwänge der Gesellschaft, wie etwa die Heldinnen in den Filmen Naruses oder Mizoguchis. Vielmehr sind es ihre eigenen Begierden, ihre Egomanie und ihre menschlichen Schwächen, die in eine Einbahnstraße der Selbstzerstörung münden.
So spannend der Auftakt des Films mit den ersten, prickelnden Begegnungen der beiden und das dramatische Ende auch sein mögen, der Film hat eindeutig seine Schwächen. Vor allem im Mittelteil zieht sich die Handlung träge dahin, bei vielem, etwa den kleinkriminellen Machenschaften und Verwicklungen des Paars ist der Zusammenhang zu den emotionalen Aspekten des Films nur schwer erkennbar. Zudem fehlen Charaktere, die einen gewissen Kontrast zu den beiden umeinander kreisenden Jugendlichen bilden könnten. Yuki und die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen ganz ähnlichen Vergangenheit hätte dies sein können (und Yoshiko Kuga hätte ohne weiteres das Potenzial dazu, ein Gegengewicht zu bilden), aber die Rolle bleibt leider peripher.
Trotzdem ist Naked Youth absolut sehenswert, Oshima und sein Kameramann Takashi Kawamata, für den es erst der zweite Film war, schaffen immer wieder brillante Bilder und Einstellungen, und auch die kompromisslos bis zum bitteren Ende ihre Gefühle auslebenden Charaktere wird man so schnell nicht vergessen.