30 Sep
Original: Ai no yokan (2007), von Masahiro Kobayashi
Filmfestivals sind schon was tolles. Nicht nur, dass man Filme auf der großen Leinwand zu sehen bekommt, die es sonst nie in ein deutsches Kino schaffen würden. Die Atmosphäre, das Drumherum ist ein wesentlicher Bestandteil. Das macht sich besonders bemerkbar, wenn etwas mal nicht so funktioniert wie es soll. Wenn die Zuschauer 15 Minuten nach dem geplanten Vorstellungsbeginn immer noch vor dem Kinosaal stehen, und anwesende Journalisten sich mal so richtig über das Ticket-Chaos auskotzen. Und wenn schließlich alle in ihren Sesseln sitzen und sich ein bisschen beruhigt haben, und dann dieser kleine, ältere Herr aus Japan namens Kobayashi, ein St.Pauli-Cap auf dem Kopf, die Zuschauer bittet, ihren Sitznachbarn während des Films bitte nur dann aufzuwecken, wenn dieser schnarchen sollte. Unbezahlbar!
The Rebirth lädt in der Tat zum Einschlafen ein, ist aber nichtsdestotrotz großartig. Dieser Widerspruch hängt mit dem Konzept von des Films zusammen: Kobayashi schildert anhand ständiger Wiederholung alltäglicher Situationen die angespannte Beziehung zwischen zwei Menschen; einem Vater (von Regisseur und Drehbuchautor Kobayashi selbst gespielt), dessen Tochter von einer Mitschülerin getötet wurde, und der Mutter (Makiko Watanabe) der Täterin.
Beide verlassen nach der Tat Tokyo, um in der Abgeschiedenheit Hokkaidos ihre Wunden heilen zu lassen. Er will den Verlust durch harte körperliche Arbeit verwinden und hat in einem Stahlwerk angeheuert. Sie ist Köchin in einem Arbeiterwohnheim, jenem Wohnheim, in dem er untergekommen ist. Nun sehen wir immer und immer wieder, wie er mit seinen Kollegen zu Schichtbeginn seine Handschuhe aus dem Halter nimmt, wie sie Kartoffeln schält, wie er sein Essenstablett abholt und sie die Essensreste wegräumt. Dabei fällt für anderthalb Stunden kein einziges Wort!
Dass einem da die Augenlider schwer werden können, ist also nicht verwunderlich. Aber schnell erkennt man in den Wiederholungen Muster. Besonders die Mahlzeiten des Mannes und der Gang der Frau zum benachbarten Supermarkt werden zu besonders zelebrierten Ritualen: Die Bewegungen, die Abfolge, die Geräusche, sogar die Fahrten der Kamera sind immer dieselben. Doch dann konfrontiert er sie ein erstes Mal, obwohl er zu Beginn des Films in einer kurzen Interviewszene noch gesagt hatte, er könne niemals der Mutter der Täterin gegenübertreten. Und von nun an beginnt ein Prozess schleichender Veränderungen: Sie schlurft irgendwann nicht mehr auf dem Nachhauseweg, sondern geht aufrecht. Er isst nicht mehr nur Reis mit Ei, sondern auch ein Spiegelei und Salat.
Man muss Kobayashi wirklich bewundern. Für den Mut, einen solchen bis ins Extrem minimalistischen, reduktionistischen Film zu drehen, aber auch für das Gespür, mit dem er die Situationen aufzeichnet, aneinanderreiht, strukturiert und damit letztlich aus dem Nichts heraus Erwartungen und Spannung erzeugt. Wie er aufzeigt, dass die beiden für den Rest ihres Lebens aneinander gekettet sind, ob sie dies wollen oder nicht. Und dass es die Akzeptanz dieser Situation ist, nicht die in der – mit reichlich Jump-Cuts durchbrochenen – Interviewszene am Anfang gezeigte Ablehnung, die den einzigen Ausweg darstellt.
Der japanische Titel des Films bedeutet (wenn ich mich nicht irre) etwa „Vorahnung der Liebe“, hat also mit „Wiedergeburt“ recht wenig zu tun. Doch finde ich in diesem Fall den internationalen Titel recht gut gewählt, stimmt er doch eher auf den schwer verdaulichen Film ein als eine direkte Übersetzung, die womöglich eine Schnulze erwarten ließe. Denn davon ist The Rebirth, dieser hochgradig ungewöhnliche und sehenswerte Film, soweit entfernt wie NGC 3982 von der Erde!
~~~ Nachtrag ~~~
Zwei Jahre hat es gedauert, jetzt erscheint der Film in den USA auf DVD.
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