29 Sep
Original: Swing Girls (2004), von Shinobu Yaguchi
Mitten in den Sommerferien sitzen Tomoko (Juri Ueno) und ihre Freundinnen im Mathe-Nachholkurs und langweilen sich zu Tode. Als jemand der bei einem Baseballspiel auftretenden Schulband das Mittagessen bringen muss, springen sie natürlich nur zu gern ein, nur um von einem Unglück ins nächste zu stolpern: Die Lieferung kommt viel zu spät und weil die Mädchen das Essen nicht gekühlt haben, holt sich die Schulband eine astreine Lebensmittelvergiftung. So werden die Mädchen dazu verdonnert, unter der Leitung des etwas schüchternen Takuo (Yuta Hiraoka) eine Ersatzband auf die Beine zu stellen.
Das bedeutet natürlich zuerst viel viel Üben und hartes Training, bei dem die Mädchen ständig herumalbern. Doch der Funke springt schließlich über, und so ist die Enttäuschung bei Tomoko und Takuo groß, als die Schulband wieder gesund ist und ihr Einsatz nicht mehr gebraucht wird. Nun wollen sie auf eigene Faust eine Band aufstellen, organisieren dazu eigene Instrumente und erste Auftritte im Supermarkt und finden schließlich in ihrem Mathelehrer sogar einen begeisterten Jazzliebhaber, der sie für den großen Auftritt bei einem Schulbandwettbewerb fit machen soll.
Auf den ersten Blick wirkt Swing Girls wie die übliche High-School Komödie voller sympathischer, merkwürdig-überdrehter Charaktere, die sich ungeschickt anstellen, dann aber über sich hinaus wachsen. Und im großen und ganzen ist der Film auch genau das, aber auf eine sehr wohltuende, schlichte Art. Die Konzentration des Films gilt nämlich ganz der vom Jazz und dem Musizieren ausgehenden Faszination.
Neben Takuo, der das Ganze gewissermaßen ins Rollen bringt, stehen dabei besonders Tomoko und der Mathelehrer im Mittelpunkt. Tomoko, für die das Musizieren zuerst nur eine willkomme Ablenkung vom Nachhilfeunterricht ist, wird nach anfänglichen Schwierigkeiten schließlich ganz von der Begeisterung erfasst und verscherbelt sogar heimlich den Mac ihrer Schwester, um sich ein uraltes Saxophon kaufen zu können. Der Mathelehrer, der Jazz nur von CDs kennt, nimmt sogar heimlich Musikunterricht, als er bemerkt, wie ernst es den Mädchen ist.
So vermeidet Swing Girls jegliche erzwungene, billige Schenkelklopfer oder unglaubwürdige Gefühlsduselei. Ganz im Gegenteil spielt der Film in manchen Szenen sogar mit üblichen Klischees und Erwartungen der Zuschauer, und erzeugt damit einen wunderbar hintersinnigen Humor. Ein sehr schönes Beispiel wäre die Schneeballschlacht, in deren Verlauf Tomoko ausrutscht, so dass Takuo in beste Wurfposition kommt; als er ihr in die Augen schaut reicht er ihr dann aber die Hand. Anstatt nun die eigentlich fällige Romanze zwischen den beiden Hauptcharakteren in dem idealen Setting der Schneeballschlacht einzuleiten, lässt Regisseur Yaguchi Tomoko aufspringen und gegen den Baum treten, unter dem Takuo steht, so dass dieser von einem Schneeschauer überrascht wird.
Zu den weiteren Highlights gehören eine herrliche Veräppelung des Bullet-Time-Effekts anlässlich einer Begegnung der pilzsammelnden Mädchen mit einem Wildschwein oder die beiden E-Gitarre und Bass spielenden Rockerinnen, deren eigene Band sich aufgelöst hatte und die daraufhin der Swingband beitreten. Da Swing Girls anders als der von einer ähnlichen Grundkonstellation ausgehende Hula Girl von jedem unnötigen Ballast befreit bleibt, ist der Film in sich stimmig, atmosphärisch dicht und lässt den Zuschauer ganz in der Musik aufgehen. Nicht zuletzt macht er einfach riesigen Spaß, und zwar offensichtlich auch den Schauspielern, die übrigens alle Instrumente selbst spielten!
27 Sep
Stuart Galbraith IV, vielen sicherlich bekannt als der Autor von The Emperor and the Wolf, der Doppel-Biographie von Toshiro Mifune und Akira Kurosawa, hat ein neues Buch am Start. In diesem zeichnet er die Geschichte von Toho nach, und zwar anhand eines chronologischen Verzeichnisses aller von Toho produzierten Filme: The Toho Studios Story: A History and Complete Filmography. Das Buch selbst dürfte wohl nur für die echten Hardcore-Fans unter uns interessant sein, dafür sorgt schon der stolze Preis von über 100 US-$, aber Stuart Galbraith hat in einem ausführlichen Interview einige wichtige Punkte angesprochen und interessantes erzählt, was ich eben kurz zusammenfassen darf…
Toho wird ihm zufolge aus heutiger, westlicher Sicht falsch wahrgenommen. Die Aushängeschilder wie Kurosawa, Mifune oder Godzilla waren keineswegs typisch für Toho, dessen Hauptgeschäft eigentlich Salaryman-Komödien waren. Entsprechend gibt es eine ganze Reihe von Filmschaffenden, deren Werke er gern im Westen veröffentlicht sähe:
Two filmmakers that immediately come to mind are Mikio Naruse and Shiro Toyoda. Naruse€™s films are finally starting to become available, but there€™s still so much out that that remains unreleased, and the situation is even worse with Toyoda. Or Tadashi Imai €” talk about being unjustly ignored! Early postwar directors like Hiromichi Horikawa, Zenzo Matsuyama, Senkichi Taniguchi, Seiji Maruyama €” almost nothing is available in the U.S., and that€™s criminal in a market where Americans have easy access to every Pokemon movie.
Heute produziert Toho kaum noch selbst Filme sondern verlässt sich auf von eigenständigen kleinen Studios und Kommitees produzierte Filme. Entsprechend gibt es auch das frühere firmeninterne Ausbildungs- oder Talentrekrutierungssystem schon lange nicht mehr, was sich seiner Meinung in der Qualität der aktuellen Filme zeigt:
The New Face system of training and building up young actors, the same system that gave rise to Toshiro Mifune and lots of other stars is long gone, which is why filmmakers are turning to TV non-talent and J-Pop stars like the guys from SMAP. There€™s no nurturing of filmmakers like Kurosawa and Okamoto who rose up through companies€™ apprentice programs. That€™s why there aren€™t many good films being made in Japan by people under the age of 70.
Toho (und japanische Studios generell), sind extrem zurückhaltend bei der Vergabe internationaler Rechte. Meist werden immense Summen gefordert die in keinem Verhältnis zu den kommerziellen Erfolgsaussichten des Filmes stehen, so als wollten sie die Verbreitung ihrer Filme im Ausland unterbinden bzw. gezielt erschweren (trotz meiner erst jungen Erfahrungen beim Japanischen Filmfest Hamburg kann ich das bestätigen).
So versuchte Galbraith, selbst ein DVD-Label für unbekannte alte japanische Filme auf die Beine zu stellen, musste aber schnell erfahren, dass dies bei den geforderten Summen für die Rechte utopisch war. Da dies praktisch alle Studios betrifft, führt er dies sogar auf eine kulturelle Einstellung zur eigenen Filmgeschichte zurück:
I think also there€™s a proprietary attitude by the Japanese toward their own cinema, a feeling by some Japanese that, for instance, foreigners can never truly understand Ozu, that movies like that are really for their consumption alone, and not the world€™s. Here in Japan, you can routinely buy DVDs of Hollywood movies for under 1,000 yen while most Japanese DVDs are ludicrously expensive, usually 4,800 to 6,000 yen apiece. I asked Donald Richie once why he thought Japanese home video labels almost never provide English subtitles on their DVDs, and he had a very interesting answer: €œBattaa kusai€ (€stinks like butter€).
Er geht auch auf die Schwierigkeiten bei der Recherche für das Buch ein, die vor allem mit Übersetzungsschwierigkeiten zusammenhingen (etwa bei Filmtiteln) sowie den Eigenheiten der japanischen Sprache bzw. den Schriftsystemen, die dafür sorgen, dass die Aussprache eines Namens oft nicht eindeutig klar ist:
The biggest problems with a project like this are things like trying to nail down Japanese names definitively. The producer commonly known as Tomoyuki Tanaka is usually called €œYuko Tanaka€ by those that knew him, actor Akira Takarada for instance, because the characters for Tomoyuki can also be read as €œYuko.€ Which is correct? Oftentimes, there€™s no way to know for sure short of knocking on the door of the family home and asking their spouse or children.
Das ganze, ziemlich umfangreiche Interview findet ihr bei Ryuganji.
21 Sep
Das zweite Jahr Japankino ist voll, höchste Zeit für ein erneutes Fazit (Zeit zum Feiern hab ich sowieso nicht). Zunächst ein paar harte Zahlen:
Klarer Negativpunkt bei dieser Bilanz ist die viel zu niedrige Zahl an Filmbesprechungen. Nur 31 sind neu dazugekommen, also im Schnitt eine alle 12 Tage. Dazu passt auch, dass ich von den 5 großspurig angekündigten Klassikern nur 3 auch tatsächlich vorgestellt habe. Sword of Doom und Swallowtail Butterfly habe ich nicht geschafft, werde das aber so schnell wie möglich nachholen. Diese Entwicklung hängt sicherlich auch damit zusammen, dass meine Ansprüche gestiegen sind. In den frühen Tagen dieses Blogs waren die Kritiken oft ziemlich kurz, und die Mühe mit den Screenshots habe ich mir auch nicht gemacht. Trotzdem, ein bisschen mehr hätte es schon sein dürfen, schließlich geht es hier ja im Kern um Filme!
Hauptgrund dürfte aber ganz klar der Faktor Zeit gewesen sein. Das zweite Jahr hier im Blog fiel fast genau zusammen mit meinem ersten Jahr im neuen Job, und das hat sich schon bemerkbar gemacht. Hinzu kam dann etwa seit März/April das Engagement fürs JFFH, das es mir zwar einerseits ermöglicht, meine Freude an japanischen Filmen noch mehr auszuleben, das andererseits aber auch viele Nacht- und Wochenendschichten beansprucht hat, in denen ich sonst gebloggt hätte. Jede Medaille hat eben zwei Seiten…
Dafür habe ich immerhin was Yasujiro Ozu angeht Wort gehalten, eine Handvoll seiner Filme vorgestellt und zaghaft begonnen, mich mit seiner Einzigartigkeit in Stil und Konzept zu beschäftigen. Da gibts aber immer noch viel zu entdecken! Ganz unter den Tisch gefallen sind dafür die Ideen für technische Änderungen am Blog, was vor allem damit zusammenhängt, dass Japankino noch auf einer uralten WordPress-Version läuft und ich mich einfach nicht aufraffen konnte, ein Update durchzuführen. Sobald die Version 2.7 raus ist, muss das aber endlich mal sein!
Was steht nun an für das dritte Jahr?
Wie oben schon angesprochen: Wieder mehr Filme! Außerdem möchte ich gerne den Umstand, dass ich nun seit ein paar Monaten intensiv beim Japanischen Filmfest Hamburg mitwirke, nutzen und öfter mal einen Blick hinter die Kulissen geben. Zudem das eben erwähnte Software-Update, wahrscheinlich verbunden mit einem neuen Design, damit wieder etwas frischer Wind in den Blog kommt. Allererste Priorität haben aber Reviews zu den folgenden Filmen:
Hoffentlich klappt das diesmal!
kommen wohl einfach nicht mehr zusammen. Letztes Jahr hatte ich mich noch über ganze 5 japanische Filme gefreut, jetzt sind wir wieder bei der Beinahe-Abstinenz von 2006, und obendrein ist das Filmfest auch noch ins stimmungstötende Cinemaxx umgezogen, in dem schon das Fantasy Filmfest vor sich hinvegetiert und dem wahrscheinlich nicht mal eine Oscar-Verleihung Leben einhauchen könnte.
Trotzdem ärgert es mich, dass ich während des Festivals auf Geschäftsreise bin, denn einen Hochkaräter haben die Filmfest-Verantwortlichen dann doch noch an der Angel: Kiyoshi Kurosawas hochgelobtes neuestes Werk Tokyo Sonata. Außerdem läuft noch der von drei (nicht-japanischen) Regisseuren gedrehte Episodenfilm Tokyo!.
Die Termine im Überblick:
01.10., 20.00 Uhr – Cinemaxx
02.10., 19.00 Uhr – Cinemaxx
29.09., 22.00 Uhr – Cinemaxx
02.10., 17.00 Uhr – Cinemaxx
Original: Kagemusha (1980) von Akira Kurosawa
Nach dem von der Sowjetunion finanzierten und auch dort gedrehten Dersu Uzala wollte Kurosawa wieder einen Film in seiner Heimat machen, doch die japanische Filmindustrie ging am Krückstock und es war illusorisch, das Budget für einen großen Jidaigeki, der Kurosawas perfektionistischen Ansprüchen genügte, zusammenzubekommen. So musste er sich gedulden, bis endlich nach Intervention von George Lucas und Francis Ford Coppola 20th Century Fox die internationalen Rechte für Kurosawas nächsten Film erwarb und damit Toho einen Teil der Finanzierung abnahm.
In der Zwischenzeit war Kurosawa aber alles andere als untätig gewesen, er hatte nicht nur das Drehbuch ausgearbeitet sondern auch einen ganzen Bildband, in dem er detailliert den gesamten Film mit malerischen Mitteln vorweggenommen hatte. Und das sieht man dem Werk auch an: Prächtige Farben, beeindruckende Landschaften, Hundertschaften von Kriegern und Pferden, stolz aufragende Burgen. Doch worum geht es?
Die Geschichte basiert vage auf dem Untergang des mächtigen Clans der Takeda, kurz vor der Einigung Japans unter den Tokugawa. Der mächtige, legendäre Fürst Shingen Takeda (Tatsuya Nakadai in einer Doppelrolle) wird in einer Schlacht schwer verletzt und stirbt kurz darauf. Um das Fortbestehen des Clans zu sichern, soll sein Tod vor Freund und Feind geheim gehalten werden, und ein Doppelgänger €“ ein einfacher Dieb €“ tritt an seine Stelle.
Unter Anleitung von Shingens Bruder und einigen Vertrauten wächst der Doppelgänger €“ der Kagemusha €“ immer mehr in die Rolle des Fürsten, gewinnt das Vertrauen von dessen Enkel, Hofstaat und Mätressen und täuscht auch erfolgreich die Feinde des Clans, so dass seine pure Anwesenheit in der Schlacht schon den Erfolg bringt. Doch durch einen Zufall fliegt die Maskerade auf, der Doppelgänger wird verstoßen. Shingens Sohn tritt an seine Stelle als neuer Machthaber und führt die Takeda-Armee in die Schlacht, in der diese, verlassen vom Geist des sagenhaften Kriegers Shingen, eine vernichtende Niederlage erlebt.
Mit dem Kagemusha hat Kurosawa eine hochinteressante Figur geschaffen, die in mancher Hinsicht seinen klassischen Helden, wie wir sie aus früheren Filmen kennen, ähnelt: Er widmet sich und sein Leben ganz dem Streben nach einem höheren Ziel, in diesem Fall dem Überleben des Clans und des Andenkens an Shingen, und ist dafür bereit, sich selbst im wahrsten Sinne des Wortes aufzugeben, denn seine Person hört auf zu existieren, er wird zu Shingen. Doch das ist auch schon so ziemlich die einzige Parallele. Denn während die Helden in den frühen Filmen etwas erreichen, und sei es „nur“ Selbsterkenntnis und Selbsterfüllung, scheitert der Kagemusha auf ganzer Linie: Er wird ausgestoßen und stirbt am Ende frustriert einen bedeutungslosen Tod, denn auch der Clan wurde vernichtet.
Besonders die Beziehung zu Shingens kleinem Enkel macht jedoch klar, dass der Kagemusha seiner €žRolle€œ eine Menschlichkeit verleiht, die dem echten Shingen fehlte. Dieser war von seinem Enkel als schaurig und furchteinflößend wahrgenommen worden, ihm fehlte die Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit eines richtigen Opas. So ist der Kagemusha mehr als nur eine Kopie, er ergänzt die Rolle des Fürsten und erweckt diesen nach seinem Tod wahrhaftig zu neuem Leben.
Bildhaft zum Ausdruck bringt Kurosawa dies nach dem ersten Treffen mit den Mätressen. Nachdem zuvor immer wieder davon gesprochen wurde, dass der Schatten eines Mannes ohne den Mann bedeutungslos ist, zeigt uns Kurosawa, als der Kagemusha sich erhebt und seine Mätressen verlässt, weniger den Mann, sondern stellt dessen überdimensionalen Schatten an der Wand ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Schatten €“ verkörpert durch den Kagemusha €“ hat sich vom Mann gelöst und beginnt ein Eigenleben.
Wann immer das Interesse an der Person durchscheint, kommen auch Kurosawas alte Stärken zum Vorschein: Die mitreißende Inszenierung der Konfrontation eines Charakters mit einer Herausforderung, die ihn neue Seiten an sich entdecken und über sich hinauswachsen lässt. Diese Entwicklung des Kagemusha mit allen Hochs und Tiefs zu verfolgen, vom ungehobelten aber unsicheren Dieb zu dem von allen verehrten Fürsten und auch darüber hinaus, ist zweifelsohne sehr spannend. Doch leider gehen diese Momente in den drei Stunden des Films fast unter.
Kurosawa, der dafür bekannt war, dass ihm ein Film schonmal das ursprüngliche Konzept sprengen konnte, weil er sich zu sehr auf den Hauptcharakter, dessen innere Konflikte und seinen Kampf mit dem Schicksal fokussierte, scheint hier merkwürdigerweise das genaue Gegenteilige zu passieren: Er verliert seinen Helden aus den Augen.
Die Schlachten und historischen Hintergründe, das Versteckspiel mit den gegnerischen Spionen, nehmen statt dessen eine Menge Raum ein, ohne aber entscheidend die Charakterentwicklung zu beeinflussen. Und als reine Plot-Treiber sind sie viel zu ausladend, langatmig und distanziert inszeniert, es fehlt die mitreißende Dynamik seiner kontrastierenden Schnitttechnik und die Unmittelbarkeit seiner Kameraführung. Kein Vergleich mit den atemberaubenden Kampfszenen in Die Sieben Samurai oder Die verborgene Festung! Es finden sich zwar viele altbekannte Motive wie die Staubwolken, Zeitlupen, das Spiel mit Licht und Schatten oder die Einbeziehung des Noh-Theaters, doch befördern sie diesmal nicht das Verständnis für die Konflikte des Films oder seiner Charaktere.
Kagemusha ist sicherlich ein beeindruckender Film, aber er beeindruckt in erster Linie durch das Material, durch Kostüme, Menschenmasse, Sets. Emotionalität und Faszination für die Entwicklung des Hauptcharakters blitzen viel zu selten auf, in den wenigen Szenen, in denen der Kagemusha sich in seiner Rolle beweisen muss. So wirkt das ganze Drumherum seltsam seelen- und konzeptlos; mit Ausnahme der finalen Schlacht scheinen die ganzen prächtigen Aufmärsche und Bilder weitgehend Selbstzweck zu sein. Oder es stimmt eben doch, was Kurosawa selbst einmal sagte, nämlich dass Kagemusha nur eine Kostümprobe für die Krönung seines Werkes sein sollte, nämlich für Ran.
11 Sep
Ein Filmessay in zwei Teilen, der wunderbar zum Post vom Samstag passt: Akira Kurosawa and the West. Die prominentesten Beispiele schön zusammengefasst und mit einigen interessanten Interview-Ausschnitten angereichert. Schaut einfach mal rein:
Part I:
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=G1STFM39vJ4[/flash]
Part II:
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=roCxj7777gs[/flash]
Sehr gut gemacht! Das Problem ist nur, dass am der einen oder anderen Stelle etwas übertrieben wird und ein kleiner aber wichtiger Hinweis fehlt: Selbstverständlich war Kurosawa nicht nur vom Westen beeinflusst! Nicht nur Shakespeare, Dostojewski und John Ford waren seine Vorbilder, dazu gehörten auch das Noh-Theater, Mikio Naruse (dessen Schnitttechnik er bewunderte) und an vorderster Stelle natürlich Kajiro Yamamoto, sein großer Lehrmeister, bei dem er 7 Jahre lang Regieassistent gewesen war.
Außerdem ist es auch völlig hanebüchen, dass Kurosawa in Japan nicht geschätzt worden wäre. Der einzige Regisseur, der eine vergleichbare Freiheit und Kontrolle über seine Projekte gehabt haben dürfte wie Kurosawa, war Yasujiro Ozu. Bereits sein Regiedebut Sanshiro Sugata machte Kurosawa zum Star und spätestens nachdem Rashomon den Goldenen Löwen gewonnen hatte, war er nahezu unantastbar. Ohne diesen herausgehobenen Status hätte er niemals Filme wie Die Sieben Samurai oder Rotbart drehen können, deren Produktion mehrere Jahre dauerte!
Der Niedergang der japanischen Filmindustrie in den späten 60er Jahren traf viele der etablierten Regisseure sehr hart, nicht nur Kurosawa. Da er aber wie kaum ein anderer daran gewöhnt war, große Freiheit zu genießen und große finanzielle Mittel einsetzen zu können, litt er natürlich besonders unter den Restriktionen. Insofern muss man seinen amerikanischen Unterstützern großen Respekt zollen und dankbar sein, dass sie es ihm in der Spätphase seiner Karriere ermöglichten, Filme wie Ran oder Kagemusha zu drehen, die für japanische Studios allein zu groß und aufwändig gewesen wären.
Der Essay hat also in sofern Recht, als Kurosawa sowohl vom Westen beeinflusst war als auch Einfluss auf diesen hatte (und zwar nicht zu knapp). Die suggerierte Botschaft aber, dass japanische Einflüsse vernachlässigbar gewesen seien und er in Japan keine Wertschätzung erfahren hätte, hat mit der Realität wenig zu tun.
9 Sep
Da ich seit geraumer Zeit nicht mehr dazu gekommen bin, eigene Filmrezensionen zu schreiben, möchte ich euch wenigstens einen Überblick geben, was an anderer Stelle so über japanische Filme geschrieben wurde. Und da ist einiges an Lesenswertem zusammengekommen!
So, jetzt habt ihr was zu lesen, solange, bis ich wieder richtig Zeit zum Bloggen habe. 😉
Heute vor 10 Jahren starb Akira Kurosawa, ohne Zweifel einer der einflussreichsten Filmemacher auch weit über den japanischen Kulturkreis hinaus. Leider scheint bei den deutschen Fernsehanstalten (auch denen mit qualitativem Anspruch) dieses Datum niemand auf dem Zettel gehabt zu haben, jedenfalls konnte ich im heutigen TV-Programm keinen einzigen Kurosawa-Film finden.
Daher nun zumindest eine Würdigung hier im Blog, für die sich eine Reihe von Anknüpfungspunkten anbieten, etwa seine innige Beziehung zum Western und besonders zu seinem Vorbild John Ford:
„Good Westerns are liked by everyone. Since humans are weak, they want to see good people and great heroes. Westerns have been done over and over again, and in the process a kind of grammar has evolved. I have learned much from this grammar of the Western.“
Es war aber nicht nur so, dass Kurosawa vom Western lernte. Es gibt wohl kaum einen nicht-amerikanischen Regisseur, der das Genre so beeinflusste wie Kurosawa, geht doch die Revolutionierung des Westerns durch die Italo-Western der 60er Jahre maßgeblich auf ihn und seinen Film Yojimbo zurück.
Darin greift Kurosawa einerseits klassische Motive des Westerns auf – der einsame Held, der in die unter einem mörderischen Bandenkrieg ächzende Stadt kommt und für Ordnung sorgt – und fügt diesen Motiven aber ganz neue Elemente bei. Der einsame Held ist in Yojimbo alles andere als ein strahlender, selbstloser Held, vielmehr ist er undurchsichtig, geheimnisvoll, zynisch und stets zu Blutvergießen und Verrat bereit.
Diese moralisch zwiespältigen Charaktere, das kritische Hinterfragen der klassischen Heldenrollen des Westerns hatte zwar schon John Ford mit The Searchers kurz zuvor eingeläutet, dieser Film wurde aber vergleichsweise wenig wahrgenommen (erst im Lauf der 80er Jahre wurde Fords Spätwerk die gebührende Anerkennung zuteil). Als jedoch der bis dahin völlig unbekannte Sergio Leone Yojimbo aufgriff, Clint Eastwood in die Rolle des Anti-Helden steckte und mit seiner Dollar-Trilogie für Furore sorgte, war klar, dass der Western seine Unschuld für immer verloren hatte.
Neben der Inszenierung des einsamen Cowboys als gnadenlosem Rächer mit zweifelhafter Motivation und Moral war es insbesondere die drastische Darstellung von Gewalt und Tod, die aus Yojimbo mittels der Italo-Western rasch Eingang in das Genre fanden. Kurosawas Vermächtnis finden wir heute in vielen der großen Western der späten 60er Jahre: Butch Cassidy and the Sundance Kid, The Wild Bunch, Once upon a time in the West – aber von denen läuft leider heute auch keiner im Fernsehen.