Archive for März, 2009

Tja, manchmal frag ich mich echt, ob ich Tomaten auf den Augen habe! Seit gut einem halben Jahr führt Stefan nun schon den Ghiblianer-Blog, und ich habs erst kürzlich bemerkt… eine Schande! Anime-Blogs gibts ja auch auf Deutsch jede Menge, aber einen Ghibli-Blog, der nicht nur die bekannten Miyazaki sondern auch weniger populäre Titel wie Dabei ist das endlich ein deutschsprachiger Blog, der sich ganz dem Studio Ghibli widmet. Stefan schreibt ganz aus der Perspektive des Fans und geht auch auf Hintergründe ein wie etwa der Vorlage zu Gedo senki. Außerdem ist Stefan Open Source-Fan, was ihn gleich noch sympathischer macht (OO rules!) 😉

Cherry Blossom Eiga dagegen hat mit Anime ziemlich wenig am Hut. Hier stehen eher die klassischen Genre-Filme im Vordergrund, also durch Pappstädte trampelnde Männer in Gummianzügen und coole Gangster. Außerdem gibt es die mit viel Liebe gepflegte Kategorie DVD-Releases, die wunderbar darüber auf dem Laufenden hält, wann welcher japanische Film wo erscheint.

Original: Omoide poro poro (1991) von Isao Takahata

Neben Hayao Miyazaki wird Isao Takahata als Mitbegründer des Studio Ghibli gerne mal vergessen, und seine Filme sind – mit Ausnahme vielleicht von Die letzten Glühwürmchen – auch sehr viel weniger bekannt. Aber Takahata ist nicht nur einer der besten Freunde und engsten Mitarbeiter Miyazakis, er ist ihm auch künstlerisch absolut ebenbürtig. Memories of Yesterday ist dafür eindrucksvoller Beleg.

Die Tokyoter Angestellte Taeko bereitet sich auf ihren jährlichen Besuch bei einer befreundeten Familie auf dem Land vor. Zum Unverständnis aller fährt sie dorthin, um tatsächlich der Landarbeit nachzugehen: Sie freut sich darauf, Kühe zu melken, Reis zu pflanzen und Diesteln zu pflücken. Unterwegs auf der Zugfahrt drängen sich ihr dann eine Reihe Kindheitserinnerungen auf, so dass sie auf der Reise regelrecht von ihrem 10-jährigen Ich begleitet wird.

Bei der Ankunft wird sie von Toshio, einem jungen Öko-Bauern und guten Freund ihrer Gastfamilie abgeholt. Sofort ist Taeko von der Freude Toshios an der Arbeit mit der Natur und seiner Entschlossenheit und klaren Ansichten über den Umgang mit der Natur und das Leben ganz allgemein fasziniert. Doch so sehr sie die Arbeit auf dem Feld und die Ausflüge mit Toshio auch genießt, immer mehr Erinnerungen an ihre Kindheit – Hänseleien in der Schule, das erste Verliebtsein, Streitereien mit ihren Schwestern – holen sie ein und lassen sie zunehmend an sich zweifeln. Sie teilt viele ihrer Erinnerungen mit Toshio, neben dem sie sich einerseits zwar geborgen fühlt, andererseits aber verglichen mit ihm auch unreif, und das obwohl sie älter ist als er. Als sie am Abend vor ihrer Abreise plötzlich von ihrer Gastfamilie gefragt wird, ob sie nicht bleiben und Toshio heiraten möchte, brechen ihre inneren Konflikte hervor und sie muss sich endlich entscheiden, wie sie ihr Leben leben will.

Nun kommt aber erst der eigentliche Geniestreich Takahatas und wer den Film noch sehen und ganz genießen will sollte hier erstmal nicht weiterlesen und diesen und den nächsten Absatz besser überspringen: Er lässt Taeko nämlich am nächsten Morgen sich zunächst verabschieden und die Rückreise nach Tokyo antreten. Während die Abspanntitel zu laufen beginnen, denken wir, der Film ist zu Ende, sind verblüfft angesichts dieses unerwarteten und unbefriedigenden Ausgangs. Doch wie Taeko im Zug nach Tokyo sitzt und grübelnd vor sich hin starrt, kommt durch das offene Fenster plötzlich ein Schmetterling herein und mit ihm wieder einmal alle Erinnerungen. Beim nächsten Halt des Zuges steigt Taeko dann aus, kehrt um und bleibt bei Toshio.

Was hat es mit diesem hochgradig ungewöhnlichen und sehr emotionalen Ende des Films auf sich? Takahata will damit meiner Meinung nach zum Ausdruck bringen, dass es nie zu spät ist, das Richtige zu tun und sich für ein Leben zu entscheiden, das einem Erfüllung bietet.

Am Anfang des Films ist Taeko eine gewöhnliche, alleinstehende Mittzwanzigerin mit einem Job, der sie nur ernährt, ihr aber nichts bedeutet und deren Mutter sich langsam Sorgen macht, ob sie noch unter die Haube kommt. Sie lebt ziel- und haltlos vor sich hin und merkt es nicht einmal. Die über den ganzen Film verteilten Erinnerungen an ihre nicht immer ganz einfache aber letztlich völlig normale Kindheit, mit denen sich die allermeisten Nachkriegsjapaner sofort identifizieren dürften, bestätigen sie als symbolhafte Vertreterin einer ganzen Generation. Einer Generation, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um zu merken, dass sie stagniert und es versäumt hat, einen Platz im Leben und wahre Erfüllung zu finden.

Der Schlüssel für den Film ist dabei der Schmetterling. Das Bild des Schmetterlings taucht bereits relativ früh in einer Szene auf, in der die junge Taeko und ihre Mitschülerinnen in Sexualkunde und über die Entwicklung ihres Körpers in der Pubertät aufgeklärt werden. Während zwei Schmetterlinge gen Himmel flattern, sinniert die kleine Taeko darüber, wie sie jetzt vielleicht aus einer Raupe zu einem Schmetterling wird.

Und während dieses körperliche Erblühen ganz von selbst und ohne ihr Zutun erfolgt, bleibt ein vergleichbarer charakterlicher Quantensprung aus, sie versäumt es, sich mit ihren Erfahrungen, Träumen, Sehnsüchten auseinander zu setzen und daraus die eigentlich offensichtlichen Konsequenzen für ihr Leben zu ziehen. Bis zu diesem Moment auf der Rückfahrt nach Tokyo, als wieder der Schmetterling symbolhaft für den Beginn einer neuen Phase ihres Lebens steht.

Takahata wird öfters vorgeworfen, mit Memories of Yesterday das Leben auf dem Land in Harmonie mit der Natur zu idealisieren und unkritisch als erstrebenswerte alternative Lebensform zu unserer modernen Industriegesellschaft zu propagieren. Ich kann verstehen, dass angesichts der traumhaft schönen Bilder von Taeko und ihren Freunden in der freien Natur dieser Eindruck entstehen kann.

Doch zum einen ist dies ein Stilmittel, um einen möglichst klaren Gegensatz zwischen den in schlichten Pastellfarben gehaltenen Erinnerungen Taekos auf der einen und ihrem normalen Leben zu etablieren. Zum anderen wird mehrfach klar, dass es weniger das Leben auf dem Land als solches ist, was Taeko fasziniert und magisch anzieht, sondern vielmehr der Umstand, dass dieses Leben ihr und Toshio Erfüllung gibt. Dies ist der entscheidende Punkt, und nicht, welcher Lebensstil es ist, aus dem man diese Erfüllung zieht.

Was jenseits der Message des Films und der atemberaubenden Bilder an Memories of Yesterday fasziniert ist seine Darstellung von und Verankerung in der Realität. Die Charaktere und ihre Beziehungen sind zu einem Grad menschlich und authentisch, wie es selten in irgendeinem Film ist, geschweige denn in einem Anime. Dadurch berührt Takahatas Film den Zuschauer auf einer persönlich-emotionalen Ebene, welche die Filme von Miyazaki mit ihren Fantasiewelten und zumeist außergewöhnlichen Charakteren niemals erreichen könnten.

In dieser Hinsicht bewegt sich Takahata eher auf einer Linie mit den alten Meistern wie Mikio Naruse und vor allem Yasujiro Ozu. Speziell an Ozus Filme erinnert Memories of Yesterday nicht nur wegen der Darstellung des Familienlebens in der Wirtschaftswunderzeit, sondern auch weil Takahata dessen Opening Titles ebenfalls mit Sackleinen unterlegt. Takahata hat hier ein absolutes Meisterwerk geschaffen, das leider viel zu oft übersehen wird.

So, jetzt ist es raus, das Programm der diesjährigen NipponConnection! Der Oscar-Gewinner Okuribito ist leider nicht dabei, da haben die Kollegen wohl den seit der Preisverleihung durch die Decke gegangenen Preis dieses Films zu spüren bekommen. Mit Tokyo Sonata, All Around Us, Love Exposure, Still Walking und Nightmare Detective 2 sind aber die anderen großen Namen fast vollständig versammelt, und unter den eher Unbekannten verstecken sich bestimmt auch noch einige wunderbare Perlen!

Und hier die Gesamtübersicht:

  • 20th Century Boys (Niju seiki shonen), R: Yukihiko TSUTSUMI, J 2008
  • A Normal Life, Please (Jikken ningyo dami ozuma), R: Tokachi TSUCHIYA, J 2008
  • ABC Short Films, R: Kazuyuki IZUTSU, Kazuki OMORI, Junji SAKAMOTO, Sang Il LEE, Yoichi SAI, J 2008
  • Ain’t No Tomorrows (Oretachi ni asu wa naissu), R: Yuki TANADA, J 2008
  • All Around Us (Gururi no koto), R: Ryosuke HASHIGUCHI, J 2008
  • Animation Soup Special & Live Performance
  • Benshi Brilliance! Hirono YAMADA€™s Benshi Heaven von und mit Hirono YAMADA
  • Catman, R: Ryosuke AOIKE (Anime-Kurzfilme)
  • Detroit Metal City, R: Toshio LEE, J 2008
  • digista vol. VII, J 2008 (Kurzfilme)
  • The First Seven Days (Saisho no nanokakan), R: Hisashi SAITO, J 2008
  • Genius Party Beyond, R: Masahiro MAEDA, Koji MORIMOTO, Kazuto NAKAZAWA, Shinya OHIRA,
  • Tatsuyuki TANAKA, J 2008
  • Genius Party, R: Atsuko FUKUSHIMA, Shoji KAWAMORI, Shinji KIMURA, Yoji FUKUYAMA, Hideki FUTAMURA, Masaaki YUASA, Shinichiro WATANABE, J 2007
  • Goodbye (Hebano), R: Bunyo KIMURA , J 2008
  • GS Wonderland, R: Ryuichi HONDA, J 2008
  • Hells, R: Yoshinobu YAMAKAWA, J 2008, OmeU
  • Kanna€™s Big Success! (Kanna-san daiseiko desu!), R: Koichi INOUE, J 2008
  • The Kiss (Seppun), R: Kunitoshi MANDA, J 2008
  • Koji MAEDA Special (Kurzfilme)
  • Koo-Ki Special (Werbeclips)
  • Locked Out, R: Yasunobu TAKAHASHI, J 2008
  • Love Exposure (Ai no mukidashi), R: Sion SONO, J 2008
  • Mental (Seishin), R: Kazuhiro SODA, J/USA 2008
  • mime-mime, R: Yukiko SODE, J 2007
  • Musabi Student Film Explosion (Kurzfilme)
  • Parting Present (Omiyage / Mibojin no mofuku €“hoshii no€¦), R: Mamoru WATANABE, J 2008
  • Mononoke (Episode 10-12 €žBakeneko€œ), R: Kenji NAKAMURA, J 2007
  • Naked of Defenses (Mubobi), R: Masahide ICHII, J 2007
  • Nightmare Detective 2 (Akumu tantei 2), R: Shinya TSUKAMOTO, J 2008
  • Non-Ko (Nonko 36 sai kaji tetsudai), R: Kazuyoshi KUMAKIRI, J 2008
  • Open Art Special: Hiroyuki NAKANO
  • Osaka Hamlet (Osaka hamuretto), R: Fujiro MITSUISHI, J 2008
  • Peaches! (Momo matsuri) (Kurzfilmprogramm)
  • Punch the Blue Sky (Aozora ponchi), R: Go SHIBATA, J 2008
  • Pussy Soup (Neko ramen taisho), R: Minoru KAWASAKI, J 2008
  • Serial Dad (Komori seikatsu kojo club), R: Ikki KATASHIMA, J 2008
  • Still Walking (Aruitemo aruitemo), R: Hirokazu KORE-EDA, J 2008
  • Talk, Talk, Talk (Shaberedomo shaberedomo), R: Hideyuki HIRAYAMA, J 2007
  • Tokyo Zokei University Special (Kurzfilme)
  • Tokyo Sonata, R: Kiyoshi KUROSAWA, Japan/ Niederlande/ Hong Kong 2008
  • The Twilight Samurai (Tasogare seibei), R: Yoji YAMADA, J 2002
  • The Two in Tracksuits (Jaji no futari), R: Yoshihiro NAKAMURA, J 2008
  • Vacation (Kyuka), R: Hajime KADOI, J 2008
  • Yariman (Bara / Ya.ri.ma.n.), R: Rei SAKAMOTO

Und dann gibt es ja auch noch die Pink Eiga Retrospektive:

  • Blue Film Woman (Buru firumu no onna, dir.), R: Kan MUKAI, J 1969
  • Raigyo, R: Takahisa ZEZE, J 1997
  • Gushing Prayer (Funshutsu kigan €“ 15sai no baishunfu), R: Masao ADACHI, J 1971
  • Secret Hot Spring Resort: Starfish at Night (Maruhi yu no machi: yoru no hitode), R: Mamoru WATANABE, J 1970
  • Abnormal Family: Older Brother€™s Bride, R: Masayuki SUO, J 1984
  • S&M Hunter (Jigoku no ropa 2: Kinbaku SM 18-sai), R: Shuji KATAOKA, J 1989
  • No Love Juice: Rustling in the Bed (Fuwa-fuwa to beddo no ue de), R: Kosuke TAKEDA, J 1999
  • Tears of Ecstasy, R: Hiroyuki OKI, J 1995

Der Oscar für Okuribito war für viele eine Überraschung, nicht zuletzt für die Macher des Films selbst. Nach der Oscar-Verleihung nahmen Kinos überall in Japan den eigentlich bereits im Herbst gelaufenen Film wieder ins Programm, die Menschen strömten in Massen in die Kinos und katapultierten den Film direkt auf Nummer 1 der Kino-Charts.

Chris vom Toronto J-Film Pow-Wow stellt sich nun angesichts der unerwarteten Preisverleihung die Frage, ob Okuribito eine neue „Goldene Ära“ des japanischen Films einläuten könnte. Er vergleicht die gegenwärtige Siutation dabei besonders mit dem Überraschungserfolg von Rashomon bei den Filmfestspielen von Venedig vor knapp 60 Jahren und vermutet bzw. hofft, dass ähnlich wie damals Filmemacher und clevere Geschäftsleute nun versuchen werden, die „Erfolgsformel“ von Okuribito zu reproduzieren:

Personally, I have to hold out hope that what happened in the early 1950s could under the right circumstances somehow happen again. I don’t think any of us could deny that 2008 was a high watermark year for Japanese cinema, but now we just have to see if the flood will continue and if the world will be receptive if it does.

Dabei lässt er außer Acht, dass die Regisseure, von denen die Goldene Ära der 1950er geprägt wurde, entweder bereits seit langem in der Industrie waren und bereits in den 1930ern großartige Filme produziert hatten (Ozu, Mizoguchi, Naruse, Yamamoto, Inagaki) oder Schüler dieser Filmemacher waren (Kurosawa, Honda, Kinoshita, Ichikawa). Insofern hatte die damalige Goldene Ära relativ wenig damit zu tun, dass Rashomon zufällig einen renommierten internationalen Preis gewann. Vielmehr war diese Ära Ergebnis der Verfassung der japanischen Filmindustrie selbst, die damals vor Talenten nur so strotzte und diese dank eines umsatzstarken Heimatmarktes sich austoben lassen konnte.

Und hier sehe ich die eigentliche Parallele im Hintergrund: In den letzten 20, 25 Jahren haben sich in Japan eine Reihe hochtalentierter Filmemacher etabliert, deren Filme sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern Anerkennung fanden. Ich denke da an einen Yoji Yamada, Hirokazu Kore-eda, Takeshi Kitano, Kiyoshi Kurosawa, Shinji Aoyama oder Sion Sono und natürlich die Anime-Künstler Hayao Miyazaki, Isao Takahata oder Mamoru Oshii. Der Oscar für Okuribito ist gewissermaßen die Bestätigung für deren Arbeit.

Insofern liegt die Bedeutung des Oscars eher darin, dass die Werke dieser Filmemacher jetzt stärker wahrgenommen werden und bessere Chancen haben, ein internationales Publikum zu erreichen. Denn auf dem heimischen Markt hat sich die „neue“ Goldene Ära in den letzten Jahren ja bereits in den stark gestiegenen Zuschauerzahlen für japanische Produktionen niedergeschlagen. Natürlich gilt es, diese Chance zu nutzen. Grundsätzlich ist das Fundament für eine solche Ära also zweifellos bereits vorhanden. Davon zeugen auch die verschiedenen japanischen Filmfeste, die in den 90ern überall auf der Welt entstanden sind und sich in den letzten Jahren einer rasant steigenden Beliebtheit erfreuen.

Die kritische Frage ist für mich vielmehr, ob es gelingt, den zusätzlichen Schwung des Oscar-Gewinns in positive künstlerische Energie umzuwandeln, ob junge Talente nachkommen und eine Chance erhalten, oder ob jetzt möglicherweise unrealistische Erfolgserwartungen geschürt werden, die jegliche Kreativität ersticken. Der Versuch, die „Erfolgsformel“ von Okuribito zu kopieren, könnte bereits ein erster Schritt in eine solche Sackgasse sein.

In den letzten Monaten überboten sich Criterion und Masters of Cinema regelrecht dabei, großartige DVD-Editionen japanischer Klassiker auf den Markt zu bringen. Und so sehr ich mich über diese Neuerscheinungen freue, ein bisschen war immer auch ein weinendes Auge mit dabei, weil es im deutschsprachigen Markt nichts vergleichbares gibt. Aber jetzt holt rem zum Gegenschlag aus!

Die Website wurde ästhetisch und weitgehend auch funktionell auf den aktuellen Stand gebracht, und eine Reihe spannender DVD-Veröffentlichungen japanischer Filme stehen ins Haus. Los gehts in zwei Wochen mit der bereits angekündigten Kitano Collector’s Box, am 17. April folgt Kihachi Okamotos Klassiker Kill!, dann gehts weiter mit Perfect Blue von Satoshi Kon, Miikes The Happiness of the Katakuris und als vorläufiger Höhepunkt im Juni – und das ist wirklich ein Knaller! – kommt der unglaubliche Mind Game!! Außerdem noch auf der Liste für dieses Jahr ist Jigoku von Nobuo Nakagawa.

rem, ich ziehe meinen Hut! Bitte mehr davon!

Original: Ukigumo (1955) von Mikio Naruse

1946, viele Japaner kehren aus den während des Krieges besetzten Überseegebieten zurück. Darunter auch Yukiko (Hideko Takamine), die in Indochina ein Verhältnis mit dem verheirateten Tomioka (Masayuki Mori) begonnen hatte, den sie jetzt wieder sucht. Er lebt wieder bei seiner Frau und kämpft im zerstörten Japan um seine Existenz. Trotzdem lebt die Affäre der beiden erneut auf, sie unternehmen sogar gemeinsame Reisen.

Die Einstellung der beiden zu ihrer ohnehin schwierigen Beziehung ist jedoch grundverschieden. Während Tomioka Yukiko alles bedeutet, ist er vage, geht immer wieder auf Distanz und hat noch andere Affären. Sein unsteter Lebenswandel, seine Unfähigkeit, eine geregelte Arbeit zu finden, zerren zusätzlich an ihrer Beziehung und stellen diese immer wieder auf die Probe. Als er nach dem Tod seiner Frau eine Stelle auf einer abgelegenen Insel annimmt und Yukiko ihn dorthin begleitet, und die beiden gewissermaßen wieder am Ausgangspunkt ihrer Beziehung angelangt sind, scheint es für einen Moment, als würde sich alles zum Guten wenden können. Doch auf der Reise erkrankt Yukiko und stirbt bald darauf. Zu spät realisiert Tomioka, was er an ihr hatte.

Floating Clouds ist in vielfacher Hinsicht ein sehr ungewöhnlicher Film für Mikio Naruse. Die meisten seiner Filme sind zeitlich und geographisch fokussiert, spielen also in einem gut überschaubaren Zeitrahmen von ein paar Tagen oder Wochen und an ganz wenigen Schauplätzen, oft innerhalb von nur ein oder zwei immergleichen Gebäuden. Die Handlung von Floating Clouds dagegen erstreckt sich über mehrere Jahre, ist nur sehr schwer einzugrenzen, und spielt an einer Vielzahl von Schauplätzen angefangen von Dalat in Indochina über die verschiedenen ärmlichen Unterkünfte der beiden und ihre Reiseziele bis hin zu Yakushima, der Insel, auf der Yukiko letztlich stirbt.

Ist der zeitliche und räumliche Rahmen des Films sehr viel ausladender als bei Naruse üblich, so fokussiert er sich andererseits ungewöhnlich stark auf die beiden von Takamine und Mori grandios verkörperten Hauptcharaktere. In den meisten Filmen Naruses, die ich bisher gesehen habe, stehen Familien oder Gruppen von eng verbundenen Menschen im Vordergrund und es gibt um die (meist weibliche) Hauptrolle herum gewissermaßen ein Ensemble zentraler Figuren, zwischen denen Naruse virtuos hin- und herwechselt. Nicht so in Floating Clouds, in dem außer Yukiko und Tomioka kaum nennenswerte Charaktere auftauchen. Zu nennen wären allenfalls Yukikos Schwager und die verschiedenen Liebschaften Tomiokas, die aber alle bestenfalls 3 oder 4 Sätze haben.

Vor diesem Hintergrund, dass es sich hier um einen eigentlich untypischen Naruse handelt, fand ich es sehr interessant zu lesen, dass er Catherine Russell zufolge das in Japan bekannteste Werk des Regisseurs sein soll. Russell zufolge hängt dies mit der Thematisierung der unmittelbaren Vergangenheit Japans und des Traumas des verlorengegangenen Kriegs zusammen.

In der Tat sind die Kriegsfolgen im Film allgegenwärtig: Zerstörte Straßenzüge, GIs, Demonstrationen, bittere Armut. Das eigentlich bemerkenswerte ist jedoch die Ziellosigkeit, Kraftlosigkeit und Unbestimmtheit, mit der Yukiko und ganz besonders Tomioka wie die titelgebenden Wolken durchs Leben treiben. Nichts gibt ihnen Halt, außer der Erinnerung an die schöne gemeinsame Zeit in Indochina.

Dies wurde von verschiedenen Autoren einerseits als schon fast reaktionäre Verherrlichung des kriegführenden Japans gesehen, andererseits aber auch als Anklage all derer interpretiert, die in völliger Verblendung dem Expansionsdrang des Militärs folgten und dann, als die Illusion mit der Niederlage in sich zusammenstürzte, jeglichen Halt und Orientierung im Leben verloren. In dieser Lesart stehen Yukiko und Tomioka symbolhaft für die ganze japanische Gesellschaft.

Man mag das sehen wie man will (ich persönlich halte von der ersten Variante ziemlich wenig), Floating Clouds ist zunächst mal ein faszinierendes und mitreißendes Porträt zweier verzweifelter Menschen, die magisch voneinander angezogen werden, aber nie wirklich zusammenkommen können. Und als solches ist der Film jenseits aller historisierender Interpretationen ein hochintensiver, sehenswerter Film und sicher einer der Besten Naruses.