Archive for November, 2009

Vor ein paar Tagen habe ich nebenbei aufgeschnappt, dass ein mir bisher nicht bekanntes asiatisches Filmfest, die Asiexpo in Lyon, in diesem Jahr wohl zum letzten Mal stattfindet. Die Gründe scheinen, so mich die Überbleibsel meines Schulfranzösisch nicht in die Irre führen, hauptsächlich wirtschaftlicher Natur zu sein. Gerade mal 8000 Euro will die staatliche Kulturförderung für das Festival wohl noch locker machen, angesichts der Größe und Wirtschaftskraft der Stadt ein lächerlich niedriger Betrag.

Und doch ist das eine Situation, die ich vom JFFH nur zu gut kenne. Als nicht-kommerzielles Nischenfestival sind auch wir sehr stark auf Förderung mit staatlichen Mitteln angewiesen und wir sind sehr froh, dass wir uns bisher auf diese Unterstützung verlassen konnten. Aber die Stadt Hamburg ist als Handelsstadt von der Wirtschaftskrise natürlich besonders betroffen, so dass auch hier um jeden Euro gekämpft werden muss.

Angesichts solcher Nachrichten (oder auch angesichts des Cineasia Filmfest, das schon vor zwei Jahren eingestellt wurde) macht man sich natürlich schon seine Gedanken: Wie stellen wir sicher, dass es dem JFFH nicht genauso geht? Wie sieht die Zukunft von Filmfesten und speziell asiatischen Filmfesten aus?

Mit der ersten Frage beschäftigt sich zugegebenermaßen nur eine überschaubare Gruppe von Menschen, aber die Zukunft der Filmfeste war im Frühjahr Thema der 54. Ausgabe von Schnitt, in der mehrere Festivalmacher aus aller Welt ihre Meinung und ihre Prognosen schilderten. Vielen der dort zu Papier gebrachten Gedanken kann ich nur zustimmen, zum Beispiel auch diesen beiden Zitaten (die ich abgetippt habe, also bitte die Typos ignorieren):

Ein Filmfestival muß wahre Interventionskraft auf das Kino ausüben können, indem es die Anerkennung eines Filmemachers oder das Erscheinen eines Landes auf der Karte des Weltkinos vorantreibt oder begünstigt. Eine Rolle, die lange der Kritik zugefallen war und die diese seit einem Jahrzehnt an die Verantwortlichen der großen, einflußreichen Festspiele abgegeben hat. (Olivier Père, Festival de Cannes)

Wenn kleine Festivals überleben sollen, muß man daher eingestehen, daß ihre Funktion nicht notwendigerweise die eines Profiterzeugers ist, sondern die eines Fürsprechers: aufzuzeigen, warum die Arbeit verkäuflich ist und der Künstler weitere Aufträge verdient; zu fördern, zu interpretieren, zu kontextualisieren und, dies ist entscheidend, diejenigen Künstler zu unterstützen, deren Werke vielleicht kommerziell riskant oder sogar unhaltbar sind, aber künstlerisch bedeutsam. Dies ist von allerhöchster Wichtigkeit. (Adam Pugh, Aurora Filmfest)

Natürlich sollen Festivals Vorreiter sein, neue, innovative Kräfte fördern und vergessene Juwelen ans Tageslicht fördern. Die Frage nach dem Profit, den man aus einem Filmfest zieht, stellt sich aber nunmal unausweichlich vor allem bei Sponsoren aus der Privatwirtschaft, und ohne die geht heutzutage auch bei kleinen Festivals kaum noch etwas. Insofern finde ich die Aussage, Festivals sollten nicht als Profiterzeuger sondern als Fürsprecher gesehen werden, natürlich richtig, zugleich angesichts der wirtschaftlichen Realitäten aber auch ein Stück weit naiv.

Sehr interessant fand ich die folgende Beobachtung:

Auch in Deutschland hat es in den vergangenen Jahrzehnten eine rasante Zunahme von Filmfestivals gegeben, allein seit 1990 sind an die 30 größere und kleinere neue Veranstaltungen entstanden. Neben ihrer Bedeutung als weiche Standortfaktoren spielen viele von ihnen kaum eine Rolle in der kommerziellen Filmverwertung. Gleichwohl erfüllen sie aber den ursprünglichen kulturellen Auftrag: das Sichtbarmachen von Filmen, die kaum eine Chance in deutschen Kinos haben, die Begegnung von Publikum und Künstlern, die Begegnung mit internationaler Filmkunst. Gerade diese Festivals sind es, die in den letzten 10-15 Jahren immer öfter die Lücke geschlossen haben, die durch das Verschwinden kommunaler oder Programmkinos entstanden ist. So stellen Filmfestivals einen wichtigen Faktor dar, um das Kino als Ort der Begegnung mit Filmkultur zu stabilisieren und ein neugieriges Kinopublikum zu fördern.  (Silke Johanna Räbiger, Internationales Frauenfilmfestival Dortmund)

Am Kinosterben führt kein Weg vorbei, allein in der Zeit, die ich in Hamburg lebe, wurde hier jedes Jahr ein Kino geschlossen. Dass Festivals ein Stück weit diese Lücke füllen könnten, ist ein interessanter Gedanke. Vor allem für die großen Kinoketten, die selbst kein Programmkino bieten, könnte es perspektivisch durchaus interessant werden, mit Nischenfestivals zusammenzuarbeiten, um ohne großen eigenen Aufwand ein (zahlungskräftiges?) Publikum zu erreichen, das sonst die Mainstream-Multiplexe eher meidet. Und ganz nebenbei könnte ein austauschbares Multiplex durch ein solches Festival auch den Ruf aufpolieren.

Auf die Frage, ob Festivals in einer Welt mit vielen Plattformen, in der die meisten Filme elektronisch gesehen werden, bereits anachronistisch sind, würde ich mit einem vorsichtigen Nein antworten. (Sandra Hebron, BFI Film Festival)

Beim JFFH machen wir zwar auch die Erfahrung, dass viele Fans gerade von Anime sich nicht für Festivals interessieren, weil sie sich ihre Filme/Serien aus dem Netz besorgen. Aber ich bin überzeugt, dass der soziale Aspekt des Festivals als geteiltes, gemeinsam erlebtes Ereignis, durch nichts ausgeglichen werden kann. Wenn es aber zunehmend vor allem dieser „Event-Charakter“ ist, der das Besondere an Festivals ausmacht, weil die Filme im Sinne des Long Tail immer auch irgendwo in den Tiefen des Netzes gefunden und gesehen werden können, dann müssen Festivals dieses Alleinstellungsmerkmal hegen und pflegen. Und mehr noch:

Wenn es den Filmfestivals nicht gelingt, ihr Produkt zu entwickeln und den sozialen Mehrwert eines Filmfestivals nachhaltig und überzeugend zu formulieren, werden sie verzichtbar. Filmfestivals müssen lernen, die Beschränkung auf Ort und Zeit zu überwinden; sie müssen Bücher und DVDs machen, Partys und Konferenzen, sie müssen das bessere Fernsehen sein und die bessere Universität. (Lars Henrik Gass, Kurzfilmtage Oberhausen)

Ich glaube, dass diese Weiterentwicklung von Filmfesten zur „Marke“, die in verschiedenen Lebensbereichen vertreten und aktiv ist, ein zentraler Baustein ist, um die Zukunft eines Filmfestes zu sichern. Deshalb sind wir beim JFFH seit diesem Jahr auch bemüht, mehr als nur Filme zu bieten, das Rahmenprogramm auszuweiten, den Erlebnisfaktor zur erhöhen und unsere Besucher, Gäste und Filmfans stärker am Filmfest zu beteiligen und zu integrieren.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wird für uns sein, dass wir bald einen Filmfest-Blog starten werden, der sowohl einen Blick hinter die Kulissen des JFFH als auch einen Einblick in die japanische Kultur erlauben wird. Erstaunlicherweise habe ich bisher praktisch keine vergleichbaren Blogprojekte von Filmfesten gefunden, wir scheinen an dieser Front also schonmal Vorreiter zu sein. Wenn uns das darüber hinaus auch noch im einen oder anderen Bereich gelingt, dann ist mir nicht länger bange um die Zukunft meines geliebte JFFH!

Nicht nur, dass nochmal pünktlich zu Weihnachten einige neue DVD-Releases in den Handel kommen, der japanophile DVD-Sammler kann auch noch das eine oder andere Schnäppchen mitnehmen. Daher hier ein kurzes Update in Sachen Weihnachtsgeschenke 🙂

Beispielsweise hat Amazon.com den Vorbestellpreis der AK100-Box nochmal gesenkt, auf aktuell 284,99 US-$. Außerdem gibt es gerade Winterangebote aus der „Masters of Cinema“-Reihe  bei Eureka, unter denen besonders der 70% Rabatt der Naruse-Box heraussticht. Außerdem gibt es die beiden Ichikawas Kokoro und Alone across the Pacific günstig zu haben, die allerdings auch bei Amazon.uk kaum teurer sind.

Original: Yotsuya kaidan (1965) von Shiro Toyoda

Der verarmte Ronin Iyemon (Tatsuya Nakdai) ist von Ehrgeiz zerfressen und schreckt nicht davor zurück, seine Frau Oiwa (Mariko Okada) wegen der Aussicht auf eine Ehe mit der Tochter eines wohlhabenden Händlers zu vergiften. Doch Oiwa verflucht ihren hinterhältigen Ehemann und sucht ihn und seine Eingeweihten fortan als Geist heim.

Erstes Opfer wird seine neue Frau, die er in der Hochzeitsnacht selbst mit dem Schwert niederstreckt weil sie für eine Sekunde die Gestalt Oiwas annimmt. Doch damit geht das Blutvergießen erst richtig los, als nächstes sind weitere Beteiligte an der Vergiftung dran, die Iyemon alle im Wahn ermordet. Auch er selbst fällt durch sein eigenes Schwert, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

Das war die absolute Kurzfassung der etwas konfusen Story, die noch eine ganze Reihe weiterer Nebenhandlungen enthält, allen voran die von Oiwas Schwester, die ebenfalls Opfer einer großen Lüge wird. Etwas unübersichtlich bleibt außerdem vor allem Iyemons Motivation, die manchmal ein krankhafter, übersteigerter Ehrgeiz zu sein scheint und manchmal einfach nur eine Art kindische Bosheit, wie ein kleiner Junge der Käfern die Beine ausreißt. Dass er sich dabei unter schlechtem Einfluss verändert, wie in manchen Rezensionen zu lesen, konnte ich im Film nicht erkennen.

Oiwa wird gleich in der Einführung als eine geisthafte Erscheinung gezeigt, als Iyemon glaubt, sie zwischen einer Reihe rotierender Regenschirme zu sehen. Dieses Motiv taucht später immer wieder auf, bis es sich ganz am Schluss fast identisch wiederholt, nur dass die weißen Regenschirme durch einen eingeschneiten Garten ersetzt werden.

Tatsuya Nakadai dürfen wir wieder mal in der Rolle des langsam aber sicher dem Wahnsinn verfallenden, ruchlosen Mörders bewundern. Seine Performance wirkt hier teilweise wie ein Warmlaufen für den im Folgejahr entstandenen Sword of Doom, so ähnlich sind sich die Rollen speziell im letzten Drittel des Films. So wirkt Illusion of Blood wie eine Mischung aus Ugetsu Monogatari und Sword of Doom, ohne aber auch nur nahe an die Qualität einer dieser beiden FIlme heranzukommen.

Cinematographisch ist Illusion of Blood ordentlich umgesetzt und er bietet auch solide Unterhaltung. Interessant dürfte der Film vor allem vor dem Hintergrund der Geistergeschichten sein, die in Japan eine große Tradition haben; wer sich damit beschäftigen will dürfte hier einen guten Einstieg ins Genre haben (das ich zugegebenermaßen nicht wirklich kenne). Ansonsten hat der Film abgesehen von ordentlicher Handwerksarbeit nicht allzu viel zu bieten.

Heute hat mich Tobias darauf hingewiesen, dass zwei Klassiker des japanischen Films in den nächsten Wochen in Karlsruhe auf der großen Leinwand zu sehen sind, und zwar auf einer ganz besonderen, nämlich der der Schauburg. Ach ja, die gute alte Schauburg, mit der ich eine ganze Reihe denkwürdiger Kinoerlebnisse verbinde, wie den Besuch von Men in Black mit Freunden, alle von uns in schwarzem Anzug, Hemd und Krawatte. Oder die Jubiläums-Ausgabe der ersten und einzig wahren Star Wars Trilogie. Den Bildern nach zu urteilen hat sich die Schauburg ganz schön verändert seitdem… aber ich schweife ab!

Kommen wir zu den Filmen:

(An dieser Stelle ein kurzes Wort an den Verleiher Kool: Super, dass ihr den Film in die deutschen Kinos bringt, aber welcher Teufel hat euch geritten, einen so bekannten Titel eines Oscar-Preisträgers durch einen deutschen Titel ohne jeden Wiedererkennungswert zu ersetzen? Ich meine, sogar die Domain wäre noch zu haben gewesen!)

Aber das soll niemanden aufhalten! Also an alle Liebhaber japanischer Filme im Südwesten: Auf in die Schauburg!

Geboren am 27. März 1924 ist Hideko Takamine eine der letzten noch lebenden großen Legenden des japanischen Films. Da sie ihr Filmdebut mit nur 5 Jahren gab (in Haha) und sich während der dreißiger Jahre zu einem immens populären Kinderstar entwickelte, hatte sie bereits früh die Gelegenheit, mit großen Regisseuren wie Yasujiro Ozu, Heinosuke Gosho oder Kajiro Yamamoto zusammenzuarbeiten. Eine große Hauptrolle spielte sie dann auch in Yamamotos Uma, zugleich der letzte Film in dem Akira Kurosawa als Lehrling Yamamotos die Regieassistenz übernahm. Einige Jahre später sollte sie nochmals eine kurze, aber schicksalhafte Begegnung mit Kurosawa haben: Sie machte ihn bei einem Casting auf einen jungen, außergewöhnlich talentierten Bewerber namens Toshiro Mifune aufmerksam.

Im weiteren Verlauf der 40er Jahre war Takamine sehr aktiv, drehte 4-5 Filme pro Jahr und etablierte sich als einer der größten Stars Japans. 1951 spielte sie die Hauptrolle in Japans erstem Farbfilm Carmen kehrt heim unter der Regie Keisuke Kinoshitas, für den sie drei Jahre später auch die Rolle der Lehrerin in 24 Augen übernahm – wohl einer der populärsten Filme in Japan bis zum heutigen Tag, vergleichbar nur mit Klassikern wie Casablanca oder Vom Winde verweht.

1955 heiratete Hideko Takamine den Regisseur Zenzo Matsuyama, setzte darauf hin aber – untypisch für die damalige Zeit – ihre Schauspielkarriere jedoch fort. Gerade zu dieser Zeit begann auch erreichte ihre lange und von vielen herausragenden Filmen gekennzeichnete Zusammenarbeit mit Mikio Naruse den Höhepunkt, nachdem sie bereits in den frühen vierzigern Rollen in drei seiner weniger bekannten Filme gespielt hatte. Beginnend mit Inazuma spielte sie in einem guten Dutzend seiner wichtigsten und besten Filme und gab dabei meist starke, aufrechte Frauen, die aber durch familiäre Verpflichtungen, gesellschaftliche Konventionen oder aussichtslose Beziehungen zu schwachen Männern daran gehindert werden, sich selbst zu verwirklichen und ein glückliches Leben zu führen. Typische Beispiele dafür wären etwa Floating Clouds, Yearning und natürlich When a woman ascends the stairs.

Ab den 60ern spielte sie dann fast ausschließlich nur noch in Filmen Naruses oder ihres Ehemannes. Eine nennenswerte Ausnahme davon bildete ihr letzter Film Shodo satsujin musuko yo, für den sie 1979 noch einmal unter Keisuke Kinoshitas Regie vor die Kamera trat und für einen Award der japanischen Academy nominiert wurde.

Nachtrag: Hideko Takamine starb am 28. Dezember 2010 im Alter von 86 Jahren an Lungenkrebs.

Ein kleiner Auszug der wichtigsten ihrer mehr als 150 Filme:

1929: Haha
1931: Tokyo Chorus
1937: Hanakago no uta
1938: Tsuzurikata kyoshitsu
1941: Uma
1950: The Munekata Sisters
1951: Carmen kehrt heim
1952: Inazuma
1954: 24 Augen
1955: Floating Clouds
1956: Flowing
1960: When a woman ascends the stairs
1964: Yearning
1966: Hikinige
1979: Shodo satsujin musuko yo

Original: Tokyo orimpikku (1965) von Kon Ichikawa

Kurz nach Beginn des Einmarsches der Athleten ins Olympiastadion gibt es zwei besonders herausgehobene Momente: Der Auftritt der Delegationen aus Camerun und dem Congo, die zum ersten Mal nach der Befreiung aus der europäischen Kolonialherrschaft an Olympischen Spielen teilnehmen; und die vereinte deutsche Mannschaft, bestehend aus Athleten der DDR und der BRD, die gemeinsam an diesen Spielen des Friedens teilnehmen. Dieser völkerverbindende, friedliche Geist prägt Kon Ichikawas dreistündigen Dokumentar-Epos über die Olympischen Spiele in Tokyo 1964, weshalb er auch so wunderbar zu diesem 20. Jahrestag des Mauerfalls passt.

Als Fest der Menschen und der Völker will Ichikawa seinen Film ganz offensichtlich verstanden wissen, die Ankunft der Athleten schon am Flughafen wird in vielen dynamisch geschnittenen Einstellungen festgehalten, unterstrichen von einem euphorischen Kommentator, der ein bisschen wie ein guter alter Radioreporter klingt. Diese Stimmung zieht sich durch den ganzen Film, von der Eröffnungszeremonie, über eine kurze Episode in der Kantine des olympischen Dorfs bis zur Abschlussfeier.

Neben Internationalität und Völkerverständigung stellt Tokyo Olympiad noch ein weiteres, zentrales Motto der Spiele in den Mittelpunkt: Dabei sein ist alles. Anders als in Sportdokumentationen (und in Sportfilmen sowieso) meist üblich, lernen wir nicht nur die Sieger kennen, denn alle Athleten verdienen gleichermaßen unsere Anerkennug und unsere Bewunderung. So auch der gestürzte Radfahrer, der irische Marathonläufer, der am Rand der Strecke zusammensackt oder die unbekannte Sportgymnastin, denen genausoviel oder sogar mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als Don Schollander, der vier Goldmedaillen gewann.

Exemplarisch für dieses Bestreben Ichikawas, die olympischen Spiele vor allem als eine friedliche Begegnung der Menschen aus aller Welt darzustellen, bei der jeder sein Bestes gibt, steht der junge Sprinter Isa aus dem Tschad, ebenfalls eine gerade erst aus der Kolonialisierung entlassene Nation. Er ist der einzige Athlet, dessen Geschichte in einer kurzen Episode aus einer persönlichen Perspektive erzählt wird und durch dessen Augen wir einen Blick auf die Spiele werfen. Aber dann zieht die Kamera auch schon weiter, die Schwimmwettbewerbe stehen schließlich an und Judo und Volleyball und und und…

Das Volleyballfinale der Damen zwischen der Sowjetunion und Japan ist sicherlich einer der Höhepunkte des Films. Die kurze Zusammenfassung des Matches hat alles zu bieten, was Sportberichterstattung ausmacht: Spannung, atemberaubende Zeitlupen, Dynamik, kleine Heldentaten und natürlich Tränen der Freude und der Enttäuschung, als die Japanerinnen den sechsten Matchball endlich verwandeln.

Weitere herausragende Momente aus sportlicher Sicht wären das Radrennen, der Stabhochsprung, das Judomatch bei dem der japanische Weltmeister (und Favorit) spektakulär vom Belgier Geesink besiegt wird und – natürlich – das 100-Meter-Finale der Männer, das Ichikawa in einer brillanten Zeitlupensequenz einfängt. Das große Finale des Films in sportlicher wie spiritueller Hinsicht ist aber der Marathonlauf, der fast 25 Minuten einnimmt und regelrecht einen Film im Film darstellt.

Mittels Hubschrauberflug über die Hochautobahn quer durch Tokyo, die für den Marathon gesperrt wurde, werden wir an die Herausforderung herangeführt, beim Start werden uns einige der Protagonisten vorgestellt. Dann beginnt das Spektakel, das innerhalb weniger Minuten eine ganze Reihe menschlicher Dramen und Triumphe schildert: Der bereits erwähnte, am Streckenrand zusammengebrochene Läufer, ein Läufer der barfuß (!) unterwegs ist, die ersten Erfrischungsstopps und dann der Triumphlauf Abebe Bikilas aus Äthiopien, der nach Rom zum zweiten Mal die Goldmedaille gewinnt und dabei zugleich seinen eigenen Weltrekord verbesserte. In einer minutenlangen Sequenz sehen wir nur ihn, ganz allein auf der Strecke vor dem Hintergrund des grauen Asphalts, wie er in Zeitlupe einen Kampf mit sich selbst austrägt. Und siegt.

So abwechslungsreich wie die sportlichen Höhepunkte des Films sind auch die cineastischen Mittel, die Ichikawa einsetzt. Es finden sich viele Bilder, die für eine Sportdokumentation erstaunlich minimalistisch sind, wie etwa die Screenshots oben vom Marathonlauf und der Gymnastik zeigen. Diese durchbrechen immer wieder die bunten, dynamisch und schnell geschnittenen, „actionhaltigen“ Szenen der Wettkämpfe und sorgen für regelrecht meditative Momente.

Großaufnahmen einzelner Athleten stehen Massenszenen gegenüber, und auch Soundeffekte werden stark benutzt, besonders während der Zeitlupen. So sind etwa während eines Hürdenlaufs überhaupt keine Geräusche zu hören, außer dem Umstürzen einer Hürde, das fast wie ein verzweifelter Schrei klingt.

Kon Ichikawa, damals einer der renommiertesten Regisseure Japans, stand für die Dokumentation der Spiele ein Heer von fast 600 Mitarbeitern, darunter allein 16 Kameramänner, zur Verfügung. Mit dem Ergebnis seiner Arbeit war das Organisationskomitee der Spiele aber äußerst unzufrieden.

Donald Richie berichtet, dass Ichikawas ursprüngliche Fassung stark überarbeitet wurde, in der noch viel mehr als im endgültigen Film der einfache Mensch in den Mittelpunkt gestellt wurde. So soll Ichikawa für das Ende des Films eine Szene vorgesehen gehabt haben, in der ein Mann mit einer Leiter auf der Schulter durch das leere Stadion geht, das Lachen von spielenden Kindern im Hintergrund. Allein bei dem Gedanken bekomme ich Gänsehaut! Was ein Jammer, dass er seine Vision nicht umsetzen konnte und Kompromisse gegenüber dem Komitee eingehen musste.

Aber auch ohne dieses Ende und mit der etwas „monumentalisierteren“ Version, die letztlich veröffentlicht wurde, stellt Tokyo Olympiad einen Meilenstein des Sportdokumentationsfilms dar. Zahllose Elemente und Techniken, die Ichikawa vor 45 Jahren anwandte, gehören heute zum Standard jeder Berichterstattung von einem sportlichen Großevent. Mit einem Blick auf die letzten Olympischen Spiele wäre zu wünschen, dass nicht nur die Technik sondern auch der Geist seines Werkes, das kompromisslos den Menschen in den Mittelpunkt stellt und um verherrlichende, großkotzige Inszenierungen einen weiten Bogen macht, noch Einfluss bis in die Gegenwart hätte.

… da kann man langsam anfangen, den DVD-Wunschzettel zusammenzustellen. Hier also ein paar Produktinformationen (eine umfangreichere Liste gibts beim J-Film Pow-Wow):

Rechtzeitig fürs diesjährige Weihnachtsgeschäft kommt die – bereits in diversen anderen Blogs erwähnte – bombastische Kurosawa-Box von Criterion „AK100: 25 Films by Akira Kurosawa„. Zum Preis von 299 Dollar kann man sie derzeit bei Amazon.com vorbestellen. Das klingt im ersten Moment nach viel Geld, letztlich sind es aber „nur“ etwa 10 Euro pro DVD. Außerdem enthält die Box ein illustriertes Buch vom renommierten Kurosawa-Experten Stephen Prince und ist mit ihrer Leinen-Aufmachung definitiv ein Hingucker. Da kann man schon ins Grübeln kommen, auch wenn man bereits einige von Kurosawas Filmen im Regal stehen hat.

Der zweite spannende Release der nächsten Wochen ist wieder ein Box-Set, nämlich das erste Tora-San Collector’s Set von Animeigo (ein Label, von dem ich das nie erwartet hätte, die Jungs waren bisher ja eher für Anime und Action bekannt). Die Box enthält die ersten vier Filme der Endlos-Reihe  um den sympathischen Loser, kommt in zwei Wochen in den Handel und ist – wie könnte es anders sein – bei Amazon für 71,99 Dollar vorbestellbar.

Und dann ist da noch The Rebirth: Ein eher unbekannter Film, der für mich völlig überraschend (weil zu unkonventionell) aber dennoch hochverdient (weil einer der besten japanischen Filme der letzten Jahre) zu einem Release durch das Label Facets kommt. Es gibt auf deren Seite nur rudimentäre Info zum Film, aber immerhin einen kleinen Trailer. Die DVD kostet 26.95 US-$ bei Amazon und ist ab 24.11. erhältlich. Das ist eine DVD, die ich mir auf jeden Fall auf die Einkaufsliste setze!

Happy Shopping! 🙂

~~~ Nachtrag ~~~

Da habe ich doch glatt eine weitere Sammler-Box vergessen! Masters of Cinema legt am 16.11. die legendäre „Lone Wolf and Cub“-Serie (zu der brauche ich ja wohl kaum große Worte verlieren) in einer 7-Disc-Edition neu auf, basierend auf einem neuen Transfer! Wir können uns also darauf freuen, die Reihe in bisher ungekannter Qualität zu genießen. Außerdem dabei sind Essays von Tom Mes, Mitherausgeber von Midnight Eye. Bei Amazon UK kann man die Box zum Preis von 35,98 Pfund (ca. 40 Euro) vorbestellen.

Nein, ich war nicht in Pordenone beim Stummfilmfest. Knut war dort. Und hat mir von dort die Kataloge aus den Festivaljahren 2001 und 2005 mitgebracht, als japanische Stummfilme zu den großen Themen gehörten. Ein Riesendankeschön an Knut! 🙂

2001 gehörten einige der allerersten überhaupt in Japan gedrehten Filme zum Programm: Straßenaufnahmen aus Tokyo, von Tsunekichi Shibata aus dem Jahr 1898. Auch der Shinpa-Tradition ging man nach und stellte einige der frühen, unbekannten Werke der großen Meister vor: Mori no Kajiya von Hiroshi Shimizu, Koshiben Ganbare von Mikio Naruse und eine ganze Palette aus dem Werk Mizoguchi, Ozus, Kinugasa und Ito.

2005 dann standen zwei Jubiläen im Zentrum des Festivals: Der 100. Geburtstag von Mikio Naruse und der 110. Jahrestag der Gründung von Shochiku. Natürlich war da Naruse stark vertreten, vor allem mit einigen seiner unbekannten Filme um 1930: Nasanu naka, Kimi to wakarete, Yogoto no yume und Kagirinaki hodo. Darüber hinaus hatte Shochiku einige Schätze aus dem Archiv geholt, beispielsweise Kenji Mizoguchis The Downfall of Osen, Minoru Muratas Souls on the Road (der oft als der große Meilenstein des frühen japanischen Films genannt wird) und Ozus Woman of Tokyo.

Vielen Dank nochmal, Knut! Das gibt einiges zu lesen für mich, und wenn du mal nach Hamburg kommst weiß ich einen exzellenten Japaner, denn schließlich geht auch Dankbarkeit manchmal durch den Magen 😉