Das Jahr 2009 neigt sich dem Ende zu, es ist Hochsaison für Rückblicke, Fazits und Resummes. Mit meinem Jahresrückblick warte ich noch bis die endgültigen BoxOffice-Daten vorliegen. Statt dessen presche ich schonmal vor mit meiner Liste der besten Filme dieses morgen ebenfalls zu Ende gehenden Jahrzehnts. Auch wenn der Schwerpunkt meines Interesses eher auf den Klassikern liegt und ich viele gute und besonders sehenswerte Filme der letzten 10 Jahre wahrscheinlich noch gar nicht kenne (daher bitte ich um Nachsicht, wenn ein Meisterwerk in der Liste fehlt). Aber die Gelegenheit für so ein Ranking kann ich mir einfach nicht entgehen lassen, Best-of-Listen bringen einfach so viel Traffic machen nunmal so viel Spaß 😉
Also ab gehts, hier sind sie, die meiner Meinung nach 10 besten Filme des ersten Jahrzehnts im dritten Jahrtausend:
Die Reihenfolge soll übrigens keine Rangfolge darstellen. Außerdem fällt mir auf, dass ich tatsächlich vier drei dieser großartigen Filme hier noch gar vorgestellt habe! Noch ein Vorsatz fürs neue Jahr 😉
Original: Musume, tsuma, haha (1960) von Mikio Naruse
Unmittelbar nach When a woman ascends the stairs erschien Naruses zweite große Studioproduktion des Jahres 1960. Offenbar wollte Toho nichts anbrennen lassen und schickte ein Star-Aufgebot ins Rennen, das sich wie ein Who is who liest: Setsuko Hara, Hideko Takamine, Tatsuya Nakadai, Masayuki Mori, Reiko Dan, Ken Uehara, Haruko Sugimura, Daisuke Kato und in einer kleinen Nebenrolle auch noch Chishu Ryu bevölkern Daughters, Wives and a mother mit einer außergewöhnlichen Ansammlung von Talenten.
Diese großen Namen sind alle in einer Familiengeschichte untergebracht, die ein bisschen wirkt als wäre Dallas ins Japan der Nachkriegszeit versetzt worden: Nach dem Tod ihres Mannes kehrt Sanae (Setsuko Hara) in ihr Elternhaus zurück, in dem jetzt €“ wie es in Japan Tradition ist €“ ihr ältester Bruder Yuichi (Masayuki Mori) das Sagen hat. Er, seine Frau Kazuko (Hideko Takamine), die Kinder und die verwitwete Großmutter nehmen die Tante gerne auf, nicht zuletzt weil sie dank der Lebensversicherung ihres Mannes auf einer Million Yen sitzt. Und an dieses Geld wollen sie alle ran: Vorneweg Yuichi selbst, der viel Geld in die Firma des Patenonkels seiner Frau steckte und dafür mehrere Hypotheken aufnehmen musste. Auch Sanaes jüngere Schwester Kaoru bittet um ein Darlehen, um endlich ein Apartment kaufen und aus dem Haus ihrer verhassten Schwiegermutter ausziehen zu können.
Nebenbei versucht die Familie auch noch mit vereinten Kräften, Sanae bald wieder unter die Haube zu bringen. Bei einem Ausflug mit ihren jüngeren Geschwistern lernt sie den Winzer Shingo (Tatsuya Nakadai) kennen, der sich vom Fleck weg in Sanae verliebt, obwohl er deutlich jünger ist als sie. Außerdem gibt es noch einen etwas reiferen Anwärter aus einer reichen Familie aus Kyoto. Als plötzlich jedoch die Firma, in die Yuichi sein ganzes Geld gesteckt hat, pleite geht, dreht sich wieder alles ums Geld: Das Familienanwesen muss verkauft werden €“ und nun wollen auch die jüngeren Geschwister Haruko (Reiko Dan) und Reiji (Akira Takarada) ihren Anteil einstreichen. Nur wer kümmert sich dann um Oma? Und wird Sanae den jungen, attraktiven Shingo heiraten? Oder doch den silberhaarigen, reifen Herrn aus Kyoto?
Wer Naruses Filme kennt, kann sich das Ende vom Lied sicher ohne große Schwierigkeiten denken; der Film besticht nicht gerade durch überraschende Wendungen. Die mit Abstand interessanteste Idee ist die Affäre zwischen der 40jährigen Hara und dem 12 Jahre jüngeren, aufsteigenden Superstar Nakadai (eine kurze Kussszene der beiden scheint auch das zentrale Marketingvehikel des Films gewesen zu sein). Eigentlich entspricht die Sanae ziemlich genau der typischen Hara-Rolle: Alleinstehende, gutmütige Frau, die eingebettet in die Familie ihr Schicksal erträgt. Nur, dass sich dieses Mal eine Alternative bietet und sie diese sogar ein kleines bisschen auskostet, bevor sie sich letztlich für den €žangemessenen€œ Weg entscheidet.
Da es neben Sanae noch sage und schreibe 15 (!) weitere Haupt- und Nebencharaktere gibt, bleiben neben der Handlung auch die meisten der Figuren berechenbar und erreichen bei weitem nicht die Tiefe, die man sonst von Naruse gewohnt ist. Der Vergleich mit When a woman ascends the stairs drängt sich auf, in dem sich alles auf Hideko Takamine in der Rolle der Bardame Keiko und deren Verhältnis zu drei, vier Männern konzentriert: Hier schafft Naruse einen außergewöhnlichen, faszinierenden und vielschichtigen Charakter. In Daughters, Wives and a mother dagegen bleibt ihm die meiste Zeit nicht viel anderes übrig, als Schablonen vor der Kamera hin und her zu schieben.
Auch in anderer Hinsicht sind die Unterschiede zwischen diesen beiden unmittelbar nach einander entstandenen Filmen frappierend. Daughters, Wives and a mother ist ein stark von Braun- und Grüntönen dominierter Farbfilm, der sich überwiegend zwischen Küche und Esstisch abspielt. When a woman ascends the stairs drehte Naruse dagegen in kontrastreichem Schwarzweiss und zeigt darin mit den lauten, turbulenten Nachtclubs eine völlig andere Welt.
Dass er sich dazu auch jeweils anderer visueller Stile bedient, verdeutlichen schon die Eröffnungstitel: Auf der einen Seite klassisch-melodramatische Orchestermusik sowie ein mit Sackleinen bezogener Hintergrund, bei dem man glatt glaubt, in einem Ozu gelandet zu sein und auf der anderen eine von swingender Barmusik hinterlegte moderne Collage. Naruse legt mit diesen beiden Filmen also einen veritablen Spagat hin: Daughters, Wives and a mother ist in fast jeder Hinsicht das Gegenteil von When a woman ascends the stairs, was für mich die Flexibilität und Vielseitigkeit des Regisseurs belegt.
Denn Daughters, Wives and a mother (wie oft habe ich den Filmtitel eigentlich schon genannt?) ist beileibe kein schlechter Film. Auch wenn Handlung und Charaktere nicht kaum über Mittelmaß hinauskommen und wenig inspiriert wirken, so hat er bei allen Gegensätzlichkeiten doch eines mit When a woman ascends the stairs gemein, nämlich den Charakter einer Studie. Hier allerdings steht nicht ein einzelner Hauptcharakter im Mittelpunkt sondern Naruse erweitert den Fokus gleich auf eine ganze japanische Großfamilie, die zunächst ganz dem Ideal zu entsprechen scheint. Mit seiner gewohnten Aufmerksamkeit für die kleinen Alltagskonflikte um Geld, familiäre Zwänge und menschliche Schwächen zeigt er dann in einer außergewöhnlichen Studie den Zerfall dieses Ideals einer generationenübergreifenden Gemeinschaft.
Besonders das Schicksal der beiden Großmütter, die nicht mehr in das moderne, eigenständige Leben ihrer Kinder passen, bekommt zum Ende des Films hin viel Raum, inklusive eines Besuchs in einem Seniorenheim. Schlussendlich bleibt das Schicksal der beiden aber im Unklaren, es wird nicht aufgelöst, ob die Kinder sich der Eltern €žentledigen€œ oder ihrer traditionellen Verantwortung gerecht werden. Auch ob sich die Kinder in den finanziellen Fragen doch noch einigen konnten, oder ob der Zusammenhalt der Familie daran zerbricht, bleibt offen.
Davon abgesehen bietet der Film natürlich auch einige exzellente darstellerische Leistungen, ist ja auch kein Wunder bei der Masse an Talent, das hier gecastet wurde. Besonders Haruko Sugimura hat mich mal wieder komplett von den Socken gerissen €“ sie ist einfach brilliant als Schwiegermutter-Drache, der der Schwiegertochter das Leben zur Hölle macht! Wie sie mit heruntergezogenen Mundwinkeln, missbilligendem Blick und nörgelndem Tonfall innerhalb von Sekunden einen Charakter ausformt, ist einfach der Hammer!
Für das Verständnis von Naruses Themen und Anliegen ist Daughters, Wives and a mother zweifellos ein wichtiger Film. Zugleich belegt dieser auch die vielseitigen Fähigkeiten des Regisseurs gerade unter erschwerten Bedingungen (ich sage nur 16 Charaktere, die meisten gespielt von etablierten Stars!). Aber dem Film fehlt der Drive, die Spannung und auch die Laufzeit von mehr als zwei Stunden können nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ist einfach überladen ist.
28 Dez
Für diejenigen, die in den letzten Tagen versucht haben, Japankino aufzurufen und eine Fehlermeldung (oder eine Wiese mit Countdown) bekommen haben: Ich habe die Domain über Weihnachten zu einem neuen Provider umgezogen, hatte endgültig genug von 1blu. Mal sehen, ob Strato besser ist, die Verwaltung der Domains, Datenbanken etc. ist auf jeden Fall schonmal komfortabler und übersichtlicher gelöst, und schlechter kann der Service auch nicht sein. Aber lassen wir das, jetzt geht es darum, das Jahr produktiv zu beschließen und das neue Jahr mit Schwung einzuleiten!
Es gibt viel zu tun! 🙂
PS: Da ich jetzt schonmal die Finger unter der Motorhaube habe, werde ich auch gleich versuchen, die WordPress-Installation zu aktualisieren. Also nicht wundern, wenn’s manchmal noch ein bisschen knirscht oder irgendwas komisch aussieht.
Original: Onna ga kaidan wo agaru toki, (1960) von Mikio Naruse
1960 war ein sehr produktives Jahr für Naruse, nicht weniger als vier Filme brachte er auf die Leinwand. Bei zwei dieser Filme bietet sich ein direkter Vergleich an, um das Spannungsfeld, in dem Naruse arbeitete, zu verdeutlichen. Los geht’s mit When a woman ascends the stairs, seinem wahrscheinlich bekanntesten Werk überhaupt, der zweite Teil ist dann die Rezension zu Daughters, wives and a mother.
Keiko (Hideko Takamine), eine junge Witwe, arbeitet als Barhostess in Ginza. Jeden Tag steigt sie die Stufen zur Bar hinauf und überwindet sich, den verhassten Job zu tun. Sie ist gut, sehr gut, aber ihre etwas konservativen Ansichten und die Weigerung, mit Kunden intim zu werden, verhindern größeren finanziellen Erfolg. Doch genau diese Distanziertheit, um nicht zu sagen „Unbeflecktheit“, macht auch einen Teil ihrer Anziehungskraft aus und bringt ihr bei ihren Kolleginnen, Kunden und dem Barmanager Komatsu (Tatsuya Nakadai) Respekt und Anerkennung. Ihre einzigen möglichen Auswege aus dem verhassten Hostessen-Leben wären die Ehe oder eine eigene Bar, doch die Versuche, das Geld für die Bar zusammen zu bekommen, scheitern an ihrer Weigerung, reichen Kunden zu Willen zu sein – und daran, dass sie nebenbei auch noch ihre Familie unterstützt.
Dann ergibt sich plötzlich die lang ersehnte Gelegenheit: Ein Kunde, mit dem sie sich gut versteht, hält um ihre Hand an. Doch Keikos Freude ist kurz: Sie muss erfahren, dass ihr Ehemann in spe ein verheirateter, mittelloser Schwindler ist, der ständig anderen Frauen Heiratsanträge macht. Für Keiko bricht eine Welt zusammen, sie fühlt sich gedemütigt, die Situation ist hoffnungsloser als je zuvor. In ihrer Verzweiflung betrinkt sie sich und öffnet Fujisaki (Masayuki Mori), einem alten Kunden den sie wirklich liebt, ihr Herz. Auch er gesteht ihr seine Liebe und entgegen all ihrer Prinzipien verbringt sie die Nacht mit ihm.
Doch der nächste Nackenschlag folgt postwendend: Fujisaki erklärt Keiko, dass er am nächsten Tag nach Osaka versetzt wird und dass er nicht den Mut hat, seine Familie ihr zuliebe aufzugeben. Nun ist sie völlig alleingelassen, hat noch dazu ihre Überzeugungen und Prinzipien aufgegeben und dadurch auch den Respekt und die Wertschätzung von Komatsu verspielt, der sie bei ihren Plänen immer unterstützt hatte. Schließlich fügt sie sich in ihr Schicksal: Sie verabschiedet sich am Bahnhof respektvoll und höflich von Fujisaki, und steigt die Stufen zur Bar hinauf, wo sie lächelnd die Kunden begrüßt.
When a Woman Ascends the Stairs ist neben Mother der beste Naruse, den ich bisher gesehen habe. Neben der vertrauten Thematik einer Frau, die versucht, ihrem Schicksal zu entrinnen, aber von sozialer Verantwortung (für ihre Familie), ausbeuterischen Systemen (der geldeintreibenden Barbesitzerin) und ihren eigenen Gefühlen (die von Männern ausgenutzt werden) daran gehindert wird, finden sich auch hier wieder großartig gezeichnete, absolut glaubhafte Charaktere. Trotz der Art, wie Keiko von den Männern und ihrer eigenen Familie behandelt wird, kann man ihnen nie wirklich böse sein, weil sie selbst nicht aus Bösartigkeit heraus handeln sondern selbst Gefesselte sind, die aus einer situationsgebundenen Notwendigkeit heraus das tun, was von ihnen erwartet wird.
Stellvertretend dafür steht ihre Familie, die nur das nach außen hin luxuriöse Leben sieht, das Keiko führt, und nicht begreifen will, dass dies zum einen hart erarbeitet ist, und sie zum andern darauf überhaupt nichts gibt. Statt Unterstützung und Verständnis hört sie von ihrer Familie nur Vorwürfe und Aufforderungen, zu helfen, etwa bei der notwendigen Operation ihres an Polio erkrankten Neffen. Und selbstverständlich gibt sie dem Drängen nach, ordnet ihre eigenen Pläne und ihr individuelles Streben nach Glück den Bedürfnissen der Familie unter.
Dieses Gefangensein in gesellschaftlichen Zwängen, persönlichen Erwartungen und zwischenmenschlichen Rollen ist das große Thema Naruses, und in keinem anderen seiner Filme hat er dies so kristallklar auf den Punkt gebracht, gerade auch visuell. Denn in vielen seiner Filme werden seine Charaktere in enge Gassen und dunkle Korridore gezwängt, doch das Bild der langsam die Treppe hinaufsteigenden Keiko erinnert wie kein anderes an ein düsteres Gefängnis, ja, an den Aufstieg zum Schafott.
Damit sind wir auch schon bei einem der Faktoren, die When a woman ascends the stairs zu einem selbst für Naruse herausragenden Film machen. Die meisten seiner Filme sind nämlich relativ „unscheinbar“ in dem Sinne, dass sie nicht durch eine spektakuläre, bemerkenswerte Bildsprache gekennzeichnet sind. Hier dagegen nutzen Naruse und sein Kameramann Masao Tamai das Widescreen-Format für brillante Kompositionen und beeindruckende Bilder, von denen sich mir einige unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt haben.
Ein weiteres Beispiel dafür wäre die Szene, in der Keiko durch die Frau ihres „Bräutigams“ von dem Heiratsschwindel erfährt, dem sie aufgesessen ist. Zunächst sehen wir die beiden sich unterhaltenden Frauen in der Halbtotalen, dann Keiko in Großaufnahme, wie sie realisiert, dass sie gedemütigt wurde, dass alle Hoffnungen und ihre Freude auf Lügen basierten. Schnitt auf eine Totale, die beiden Frauen mitten in einer kargen Industriebrache, rauchende Schornsteine im Hintergrund: Symbol für Keikos Isolation, Einsamkeit, Verzweiflung und die Ausweglosigkeit ihrer Situation. Ein echter Gänsehaut-Moment!
Gleiches gilt natürlich die Schlussszene, als Keiko wie unter einem tonnenschweren Gewicht leidend die Treppenstufen zur Bar und damit zurück in ihr altes, verhasstes Leben hinaufsteigt, die Tür öffnet und aus dem Nichts das bezauberndste Lächeln aufsetzt, das man sich vorstellen kann.
[Hinweis: Dies ist die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Artikels, der ursprünglich am 9. März 2007 gepostet wurde.]
Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Karigurashi no Arrietty der nächste Film aus dem Studio Ghibli sein wird, und dass Hiromasa Yonebayashi damit sein Regiedebut geben wird. Das große Geheimnis um den nächsten Regisseur im Hause Ghibli war damit gelüftet, aber wird damit endlich auch die Nachfolgefrage der beiden Altmeister angegangen?
Das inzwischen zur Ikone gewordene Studio Ghibli wurde 1985 ursprünglich mal gegründet, um den beiden Animationsgenies Hayao Miyazaki und Isao Takahata die Umsetzung ihrer außergewöhnlichen Qualitätsansprüche zu ermöglichen. Mit hoher Qualität kommen aber immer auch hohe Kosten, daher waren die Projekte sehr riskant und in den frühen Jahren nach der Gründung hätte daher nach jedem Film Schluss sein können.
Das begann sich ab 1989 zu ändern: Kikis kleiner Lieferservice war der erfolgreichste japanische Film des Jahres, gleichzeitig begann Ghibli regelmäßige Umsätze mit Totoro-Merchandising zu machen. Das ermöglichte eine bis dahin einzigartige Personalstrategie: Anders als bei anderen japanischen Animationsstudios wurden Zeichner nicht mehr nach der Anzahl ihrer Zeichnungen bezahlt und immer nur für die Dauer eines Projekts beschäftigt. Statt dessen ging Ghibli dazu über, seine Zeichner fest anzustellen, ein regelmäßiges Gehalt zu zahlen und in die Ausbildung seiner Mitarbeiter zu investieren. Dieser Strategiewechsel war im Einklang mit dem Anspruch des Studios, allerhöchste Qualität zu produzieren.
Trotz dieser einzigartigen Personalpolitik des Studios schien sich aber lange Zeit an der Konzentration auf Hayao Miyazaki und Isao Takahata als den führenden kreativen Köpfen nichts zu ändern. Yoshifumi Kondo, der 1995 sein Regiedebut mit Whisper of the Heart gegeben hatte, starb 1998 in jungen Jahren unerwartet an einem Aneurysma. Miyazakis Sohn Goro versuchte sich in den letzten Jahren ebenfalls als Regisseur, sein Spielfilmdebut Gedo Senki enttäuschte allerdings viele Ghibli-Fans und warf angesichts des fortgeschrittenen Alters von Miyazaki Senior (geboren 1941) und Takahata (1935) Fragen zur Zukunft des Studios auf. Hatte Ghibli es versäumt, die unbestritten im Studio vorhandenen Talente zu fördern und aufzubauen?
Anscheinend haben die Studio-Bosse diese Gefahr auch gesehen. Die Wahl des Regisseurs für Karigurashi no Arrietty schien laut Toshio Suzuki zwar sehr spontan auf Yonebayashi gefallen zu sein, aber dafür wird er ganz behutsam aufgebaut:1996 war er zum Ghibli-Team gestoßen und hatte zunächst als Inbetweener gearbeitet, bevor er Key-Animator und bei Gedo Senki schließlich Regieassistent wurde.
Trotz dieser Mitarbeit an mehreren Großprojekten ist Yonebayashi mit 36 Jahren immer noch sehr jung (der jüngste Regisseur in der Geschichte des Studios), die Wahl könnte also riskant gewesen sein. Dafür wird er offenbar stark von Hayao Miyazaki unter die Fittiche genommen: Das Projekt wurde von Miyazaki vorbereitet, der auch zusammen mit Keiko Miwa das Drehbuch schrieb. Es wurde ein Produktionsprozess gewählt, der Yonebayashi bei seinem Debut entlasten sollte und auch aus der Presse wird er konsequent herausgehalten. Ich bin schon sehr gepannt, ob dieses Debut vielleicht einen Blick in die Zukunft von Ghibli wird, die Voraussetzungen scheinen jedenfalls günstiger als bei Goro Miyazaki, der ja ziemlich ins kalte Wasser geworfen wurde.
PS: Der Film Karigurashi no Arrietty basiert übrigens auf Mary Nortons Romanreihe „Die Borger“ und wird die Geschichte der 14jährigen Borgerin Arrietty erzählen. Allein auf Grund der bekannten Vorlage dürfte der Film also gute Chancen auf dem internationalen Markt haben.
14 Dez
Original: Shiawase no kiiroi hankachi (1977) von Yoji Yamada
Zwischen den Folgen 19 und 20 der „Tora San“-Reihe drehte Yoji Yamada noch schnell – basierend auf einer Erzählung von Pete Hamill – ein mit nicht weniger als 27 Preisen überschüttetes Roadmovie. Darin macht sich der von seiner Freundin sitzen gelassene Kinya (Tetsyua Takeda) mit seinem fahrbaren Untersatz auf nach Hokkaido, wo er an einem Bahnhof die Touristin Akemi (Kaori Momoi) aufliest. Genau wie Kinya hat auch sie gerade eine zerbrochene Beziehung hinter sich. Zu den beiden stößt dann noch Yusaku (Ken Takakura), der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde.
Die drei könnten kaum unterschiedlicher sein: Während Kinya ein groß geratenes, gutherziges Kind ist, allzeit den Clown spielt und kaum weiter als bis zum Lenkrad in seinen Fingern denkt, ist Akemi völlig verunsichert und labil, mal in sich gekehrt, mal jauchzend und dazwischen der eine oder andere Heulanfall. Yusaku betrachtet die beiden jungen Leute anfangs mit offensichtlicher Skepsis und schweigt und grübelt die ganze Zeit vor sich hin. Als einziger der drei scheint seine Reise allerdings ein Ziel zu haben, das einerseits eine magische Anziehungskraft auf ihn ausübt, vor dem er sich aber auch zu fürchten scheint.
Immer wieder reiben sich die drei aneinander, kabbeln sich, stehen kurz davor, getrennter Wege zu gehen und wollen – oder können – dann doch nicht auf einander verzichten und raufen sich wieder zusammen. Als bei einer Polizeikontrolle auf der Landstraße Yusaku eingesteht, dass er wegen Totschlags im Gefängnis war, und anschließend seinen beiden Begleitern das Geheimnis hinter seinem Reiseziel offenbart, nimmt der bis dahin langsam vor sich hinfließende Film richtig Fahrt auf.
Im Kern des Films, auf den sich auch der Titel bezieht, steht letztlich Yusakus Geschichte. Seine Einführung ist auch gleich einer der ersten Höhepunkte und ein Paradebeispiel für die simplen, unaufdringlichen Mittel mit denen Yamada seine Charaktere ausformt: Gerade aus dem Knast entlassen geht Yusaku in der Stadt in ein kleines Restaurant, bestellt Ramen und ein Bier. Als das Bier serviert wird, umklammert er mit zitternden Händen das Glas und stürtzt es in einem Zug hinunter. Er kostet zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Freiheit, den Geschmack hat er schon fast vergessen, doch der fühlt sich offenbar gut an. Takakura spielt wunderbar und einige der 27 Preise des Films gingen an ihn für seine Leistung.
The Yellow Handkerchief lässt uns viel Zeit, die drei Hauptcharaktere kennenzulernen und angesichts der kleinen, ungekünstelten, erfreulich menschlichen Details, die Regisseur Yamada während der Reise einstreut, nehmen wir uns diese gern. Es macht einfach Spaß, den dreien zuzusehen, wie sie – verunsichert wie sie alle sind – sich langsam aneinander herantasten und sich dabei auch mal auf die Füße treten. Aber letztlich ist es kein Zufall, dass sie in einem Mazda der Modellreihe Familia unterwegs sind: Sie lernen, zu vergeben und füreinander da zu sein und überwinden so gemeinsam ihre Einsamkeit.
Das gelbe Taschentuch, das dem Film seinen Titel gibt, wird so am Ende zu einem Symbol der Hoffnung. Dabei kommt The Yellow Handkerchief trotz des Happy-Ends, bei dem wohl fast jeder die eine oder andere Träne verdrücken dürfte, völlig ohne die unnötig kitschigen, sich wie Kaugummi ziehenden „Jetzt bitte Taschentuch rausholen“-Momente aus, von denen wir leider in so vielen Filmen geplagt werden. Ein Feelgood-Movie im allerbesten Sinne, der zugleich auch noch Tiefe hat – Regisseur Yamada ist hier wirklich ein kleiner, feiner Film für die Ewigkeit gelungen.