Gerade ist das Rätsel um Andres verschollenen Film gelöst, schon findet sich die nächste Mail im Briefkasten, die ich euch nicht vorenthalten will. Sie kommt von Ruth Jäschke vom Japanischen Generalkonsulat in Düsseldorf. Ruth ist anscheinend auch regelmäßige Leserin hier, was eindeutig für ihren Filmgeschmack spricht! Sie schreibt:
In dem Zusammenhang ist mir der Gedanke gekommen, dass Sie vielleicht auf Ihrer Internet-Seite Freunde des japanischen Kinos auf unsere kleine Japanische Filmwoche hinweisen könnten, die das Japanische Generalkonsulat Düsseldorf in Zusammenarbeit mit dem Japanischen Kulturinstitut Köln und dem Filmmuseum Düsseldorf in der Black Box, dem Kino im Filmmuseum (Schulstr. 4, 40213 Düsseldorf), veranstaltet. Gezeigt werden alle Filme in Japanisch mit deutschen Untertiteln; der Eintritt ist frei.
Kein Problem, mach ich doch gerne! Danke für die Info 🙂
Die Japanische Filmwoche in Düsseldorf beginnt am kommenden Sonntag (31. Januar) und endet am 6. Februar. Sieben Filme werden im Filmmuseum zu sehen sein, darunter Klassiker wie Shall we dance, Twilight Samurai, After Life oder Tokyo Godfathers. Der Eintritt ist wie oben erwähnt frei, alle Veranstaltungen in der Übersicht bietet der Flyer als pdf.
21 Jan
In schöner Regelmäßigkeit bekomme ich E-Mails, in denen ich nach einem bestimmten japanischen Film gefragt werde, den man vor Jahren mal gesehen hat, supertoll fand aber dann leider inzwischen den Titel vergessen hat. Oft sind das Klassiker wie Rashomon, Die Sieben Samurai oder Die Frau in den Dünen, bei denen ich gleich weiß, welcher der gesuchte Film ist.
Vor ein paar Tagen hat mir nun allerdings Andre geschrieben. Er sucht einen Film über einen Koch im Ruhestand, der seine drei Töchter einmal im Jahr zu einem Festessen einlädt. Die wissen das aber nicht besonders zu schätzen, nur die Enkelin ist von den Kochkünsten ihres Großvaters begeistert.
Als ich Andres Beschreibung gelesen habe, hatte ich zuerst an Eat Drink Man Woman gedacht, aber die Enkelin passt da nicht rein, außerdem ist das ja kein japanischer Film. Hat sonst jemand eine Idee und kann Andre helfen?
19 Jan
Original: Orizuru Osen (1935) von Kenji Mizoguchi
An einem Bahnsteig auf den Zug wartend erinnert sich der wohlhabende Arzt Sokichi (Daijiro Natsukawa), wie er im Alter von 17 Jahren von der ihm völlig fremden Osen (Isuzu Yamada) vom Selbstmord abgehalten wurde. Osen gehörte zu einer Bande von Betrügern, die sie und ihre Schönheit als Lockvogel einsetzten; Sokichi wird als Dienstbote in die Bande aufgenommen und fortan von deren Mitgliedern permanent beleidigt, ausgebeutet und misshandelt. Angewidert von den immer skrupelloseren Plänen der Betrüger, die sogar vor Mönchen nicht halt machen, und hingezogen zu dem still leidenden Sokichi beginnt Osen, sich gegen die Bande aufzulehnen. Eines Tages nutzen die beiden eine Gelegenheit und verraten die Verbrecher an die Polizei.
Doch die Wende zum Guten ist trügerisch: Sokichi kann nun zwar endlich seinem Medizinstudium nachgehen, doch Osen, die für sein Studium und ein Dach über dem Kopf aufkommen muss, sieht keinen Ausweg als sich heimlich zu prostituieren. Als ein Freier Uhr und Geldbörse bei ihr vergisst und ihr vorwirft, diese gestohlen zu haben, wird sie verhaftet und von Sokichi getrennt, der in genau diesem Moment von einem Hilferuf aus seinen Gedanken zurück in die Realität auf dem Bahnsteig gerissen wird. Eine alte Prostitutierte ist ohnmächtig geworden – Sokichi erkennt sie sofort, es ist Osen!
Die Vergleiche zum 17 Jahre später entstandenen Das Leben der Frau Oharu, einem der ganz großen Meisterwerke Mizoguchis und des japanischen Kinos überhaupt, drängen sich förmlich auf. Dabei ist die ähnlich angelegte Story vom Abstieg einer Frau bei weitem nicht die einzige Parallele zwischen den Filmen, auch die auf Flashbacks basierende Erzählstruktur findet sich in beiden Werken.
Zudem gibt es einige Szenen, die fast wie Probeläufe für das spätere Meisterwerk wirken. So etwa die Einführung Osens: Wir sehen sie, wie sie sich auf der Flucht vor einem Bordellbesitzer (an den Sie von der Betrügerbande zum Schein verkauft wurde) hinter einem Baum versteckt und sich das Kopftuch zurecht rückt; eine fast identische Szene taucht auch in Oharu auf (man vergleiche den letzten Screenshot in der oben verlinkten Rezension mit dem unten abgebildeten).
Überhaupt ist in Osen mit den Papierkranichen der berühmte Mizoguchi-Stil unverkennbar. Die visuelle und konzeptionelle Entwicklung, die er und besonders seine beühmten Jidaigeki-Filme noch nehmen sollten, ist hier ganz klar vorgezeichnet und sein „one take – one scene“-Ansatz schon sehr weit entwickelt. Oft sind es allein die im Stummfilm notwendigen Zwischentitel, die eine Szene unterbrechen.
Schnitte versucht er so weit wie möglich zu vermeiden, sei es mittels Kameraschwenks die so schnell sind, dass sie fast wie Schnitte wirken (aber eben keine sind) oder seiner berühmten Kamerafahrten, die hier noch etwas wackelig sind, aber für die damalige Zeit wahrscheinlich überaus aufwändig und technisch anspruchsvoll waren. Sehr häufig wird auch innerhalb einer Szene die Hauptaufmerksamkeit durch Rearrangements der Charaktere oder Rahmung in kleinen Einheiten auf einen anderen Teil des Bildes verlagert – teilweise auch kombiniert mit Kamerabewegungen.
Was sich dagegen mit seinem späteren distanzierten Stil nicht verträgt und offenbar noch ein Kennzeichen des jungen Mizoguchi ist, sind die Großaufnahmen, speziell von Osen aber auch von Sokichi. Auch die dramatisch-ergreifende Schlusssequenz würde sich mit ihren visuellen Effekten nur schwer mit seinen späteren Filmen vertragen: Nachdem Sokichi die bewusstlose Osen vom Bahnsteig in ein Krankenhaus brachte, erfährt er, dass sie den Verstand verloren hat. Plötzlich springt sie vom Krankenbett auf und beginnt wahnhaft, den geliebten Sokichi ihrer Jugend gegen die Betrügerbande zu verteidigen und rettet ihn in ihrer Vorstellung auch erneut vor dem Selbstmord.
Wenn auch ungewöhnlich im Vergleich zu dem, was ich bisher von Mizoguchi gesehen habe, so ist dieser Einsatz von Spezialeffekten doch äußerst effizient und bringt die Botschaft des Films klar auf den Punkt: Osen hat ihr Leben so sehr der Aufopferung für Sokichi gewidmet, dass selbst in ihrer vom Wahnsinn geprägten Gedanken- und Traumwelt sich alles um ihn dreht und sie seine ewige Beschützerin ist. Sokichi dagegen sitzt beschämt daneben, war er doch nur dank Osens Opfer zu einem wohlhabenden Arzt geworden, ohne auch nur einmal den Versuch unternommen zu haben, ihr etwas zurück zu geben.
Osen mit den Papierkranichen ist in nahezu jeder Hinsicht – inhaltlich, stilistisch – ein direkter Vorläufer der großen Klassiker Mizoguchis aus den 1950ern über Frauen, die sich aus Liebe zu einem Mann in ein Leben voller Leiden und Entbehrung stürzen und ganz und gar aufopfern. Auch wenn hier vieles noch etwas ungelenk und unfertig wirkt und die Geschichte um die Betrügerbande etwas zu dominant dargestellt wird, hier liegen unübersehbar die Wurzeln eines der herausragendsten Regisseure des 20. Jahrhunderts!
17 Jan
Vor ein paar Wochen erst habe ich von meinen Sorgen über die Zukunft japanischer bzw. asiatischer Filmfestivals geschrieben, Anlass war damals die Info über das Aus für ein Filmfests in Lyon. Im Hinterkopf hatte ich außerdem schon das Barcelona Asian Filmfest (BAFF), über dessen 2010-Ausgabe es lange keine Neuigkeiten gab. Erst pünktlich zu Weihnachten kam dann die Nachricht, dass es vom 30. April bis 9. Mai stattfinden wird. Letztes Jahr hatte das BAFF eine beeindruckende Reihe japanischer Filme im Programm und ich hoffe, dass das auch in diesem Jahr wieder so sein wird, denn ich habe vor, hinzufliegen. 🙂
Außerdem habe ich gerade von Mustafa Görgün erfahren, dass dieses Wochenende (vom 15. bis 17. Januar) in Istanbul zum sechsten oder siebten Mal ein kleines japanisches Filmfest stattfindet. Organisiert wird es wohl von einer japanischen Kulturbehörde, der Eintritt ist sogar kostenlos! Die Macher scheinen sich an der Devise „klein aber fein“ zu orientieren, folgende sieben hochkarätigen Filme sind im Programm:
Es besteht also doch noch Hoffnung für die Filmfeste!
10 Jan
Die Blogschauen hab ich in 2009 etwas stiefmütterlich behandelt, das soll sich ändern! Denn Blogs über Filme, Japan und japanische Filme gibt es in den unendlichen Weiten des Internets immer wieder zu entdecken und regelmäßig sind echte Perlen darunter. Um dem Vorsatz gerecht zu werden, lege ich auch sofort los.
Die erste Blogempfehlung im neuen Jahr ist denn gleich ein ganz besonderes Projekt, sozusagen ein Konzeptblog: Alex, der auch hier ab und zu kommentiert, stellt unter dreams from the toho vault alle Godzilla-Filme vor! Er geht dabei streng chronologisch vor und orientiert sich – wie es auch bei der Serie üblich ist – an der japanischen Zeitrechnung der Kaiserepochen. Aktuell ist Alex, ausgehend vom Original-Godzilla von 1954, im Jahr 1967 und damit bei Son of Godzilla angekommen. Die Rezensionen sind ganz wunderbar zu lesen und machen richtig Spaß, auch wenn man mit den Monsterfilmen (wie ich) eher weniger anfangen kann. Der Blog enthält bisher ausschließlich Filmrezensionen sowie eine kleine Übersicht der Monster – ich persönlich würde mir wünschen, auch ein bisschen was über die Hintergründe zu erfahren. Vielleicht kommt das ja noch…
Beim zweiten Blog für heute handelt es sich ein bisschen auch um Eigenwerbung. Denn das Japanische Filmfest Hamburg, bei dem ich selbst mitwirke, hat seit Weihnachten einen eigenen Blog. Im JFFHblog wird das Filmfest-Team Einblicke in seine Arbeit geben, Neuigkeiten rund ums Filmfest bekanntmachen und Hintergrundinfos liefern. Neben dem JFFH selbst wollen wir aber auch japanische Kultur allgemein beleuchten sowie uns einfach von unserer persönlichen Seite zeigen. Aktuelles Highlight: Gerade eben habe ich zwei Mitschnitte einer Gesprächsrunde mit Sadao Nakajima vom vergangenen Jahr veröffentlicht. Unbedingt angucken! 😉
4 Jan
Original: Tokyo koshinkyoku (1929) von Kenji Mizoguchi
Nur 20 Minuten (von 80 bzw. 102 Minuten, je nach Quelle) sind noch von diesem Film erhalten – der angeblich der erste Tonfilm Japans werden sollte, was dann aber wegen technischen Problemen nicht umzusetzen war – was die Wiedergabe der Story etwas erschwert. So sind beispielsweise alle Szenen, in denen die von Takako Irie gespielte Sayuriko auftritt, verloren. Heute ist von dem Film noch die folgende Handlung nachvollziehbar.
Im hektischen Tokyo schlägt sich Michiyo (Shizue Natsukawa) grade so durch – sie lebt bei ihrem Onkel, ihre Mutter verstarb als Michiyo noch ein Kind war. Noch am Sterbebett hatte die Geisha ihre Tochter gewarnt, sich zu verlieben und nahm das Geheimnis um Michiyos Vater mit ins Grab. Eines Tages wird Yoshiki (Koji Shima), Sohn aus gutem Hause, auf Michiyo aufmerksam, verliebt sich vom Fleck weg in sie und schwört sich, sie aus ihrem harten Leben zu befreien. Doch er findet Michiyo nicht mehr, sie wurde als Geisha verkauft und trägt nun den Namen Orie.
Erst Monate später begegnet sie ihm erneut, als Orie unterhält sie Gäste auf einer Party. Die beiden sehen sich wieder und verlieben sich ineinander. Doch nicht nur Yoshiki fällt Orie auf, auch sein Kollege Sakuma interessiert sich für die Schönheit – und sein eigener Vater. Dieser ist nämlich zugleich der Vater Michiyos, dessen Identität ihre Mutter so gut verborgen hatte. So heiratet Michiyo schließlich Sakuma, während Yoshiki sich von den beiden Richtung Amerika verabschiedet.
Der Literatur zufolge spielten in Tokyo March ursprünglich Kritik an Standesunterschieden und den Lebensverhältnissen von Reich und Arm eine wichtige Rolle, davon ist in den heute noch erhaltenen Fragmenten wenig übrig geblieben. Allein zu Beginn des Films, als Michiyos ärmliche Verhältnisse geschildert und dem reichen, Tennis spielenden Yoshiki gegenübergestellt werden, ist diese Thematik präsent. Da mit Takako Irie eine weitere weibliche Hauptrolle existierte, die offenbar eine piekfeine Dame spielte, kann ich mir aber sehr gut vorstellen, dass Mizoguchi zwischen diesem Charakter und der verarmten, als Geisha verkauften Michiyo einen starken Kontrast aufgebaut und damit Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen inszeniert haben könnte.
Die heute verbliebenen Fragmente zeigen hauptsächlich eine tragische Liebesgeschichte, eingerahmt von Bildern Tokyos aus den 1920er Jahren. Von den berühmten langen Einstellungen und Kamerafahrten aus Mizoguchis späteren Werken ist hier noch wenig zu sehen, kein Wunder, mussten in dem Stummfilm ja die Zwischentitel untergebracht werden, so dass ständige Schnitte notwendig waren. Auch die große Distanz, die Mizoguchi später zu den Darstellern halten würde, fehlt hier ganz, Nahaufnahmen werden häufig genutzt. Dafür wartet der Film mit einigen intelligenten Effekten und Perspektiven auf. Die oben bereits geschilderte erste Begegnung Michiyos mit dem Tennis spielenden Yoshiki wäre ein Beispiel dafür ebenso wie die Sterbeszene von Michiyos Mutter, mit dem Schatten der jungen Michiyo im Hintergrund.
Gerade sechs Jahre nach dem Beginn seiner Regiekarriere hatte Mizoguchi bereits mehr als 40 Filme geschaffen, Tokyo March ist der zweitälteste, von dem noch Fragmente erhalten sind. Wegen dieses fragmentarischen Charakters fällt es mir zwar schwer, den Film einzuordnen. Aber allein das schiere Alter und der allgegenwärtige Vergleich mit den späteren Meisterwerken Mizoguchis machen Tokyo March doch zu einem interessanten und faszinierenden Seherlebnis.
2 Jan
Prost Neujahr! Das hat sich wohl auch Amazon UK gedacht und haut gleich mal haufenweise japanische Filme günstig raus. Wie üblich gibt es leider keine Angebots-Überblicksseite oder derartiges, man muss einfach stöbern. Einige Beispiele, die mir untergekommen sind wären:
Wer ein bisschen sucht, findet bestimmt noch andere reduzierte Titel! Ob die entsprechenden DVDs auch qualitativ empfehlenswert sind, kann ich (außer für Humanity and Paper Balloons aus der MoC-Reihe) aber nicht versprechen.