28 Dez
Zunächst ein paar Worte zum Autor von Schoolgirl Milky Crisis. Jonathan Clements muss ein echtes Multitalent und ein Anime- und Manga-Verrückten im positivsten Sinne sein. Er studierte Japanisch, übersetzte Manga und Anime-Untertitel, sprang selbst als Synchronsprecher ein, betreute Schauspieler und Filmemacher, sprach auf Conventions und in Hörsälen gleichermaßen, führte Interviews und schrieb Kolumnen für verschiedene Magazine. Es scheint kaum jemanden im Anime- und Manga-Business zu geben, den er nicht kennt, kaum eine Show zu geben, die er noch nicht gesehen hätte.
In Schoolgirl Milky Crisis €“ Adventures in the Anime and Manga Trade trägt er viele seiner Schriften, seiner skurrilsten Erlebnisse und erhellendsten Gespräche zusammen. Wie der Untertitel verspricht, ist das Buch überaus unterhaltsam, an vielen Stellen regelrecht witzig geschrieben. Das enorme Wissen, das Clements im Lauf der Jahre angesammelt hat, drängt er dem Leser nicht auf, er versucht es eher spielerisch zu vermitteln und so mancher Einblick in die Funktionsweise der Industrie ist zwischen den Zeilen zu finden.
So taugt das Buch trotz des Index nicht als Nachschlagewerk, aber eine Enzyklopädie über Anime hat Clements ja auch schon geschrieben. Vielmehr muss man es wie eine Sammlung aus Kurzgeschichten betrachten, von denen manche Wissen vermitteln und manche einfach zum Genießen sind.
Nun wird es aber auch Zeit für ein paar Beispiele, um die Bandbreite des Buchs zu demonstrieren. Das €žstrukturiert€œ die meist 2-3 Seiten langen Geschichten in 18 Kapitel, die von Sachthemen wie €žInterviews and Profiles€œ oder €žLegalities€œ, über Themen wie €žManga goes to Hollywood€œ bis zu Kuriositäten a la €žRubber Monsters€œ reichen. Das Kapitel €žFive Girls named Moe: The Anime Erotic€œ besteht einzig aus einem Vortrag, den Clements einmal an einer Universität über animierte Pornos hielt. Im Kapitel €žToy Stories€œ erfahren wir unter vielem anderen die Vermarktungsgeschichte von Hello Kitty und das Kapitel €žManga Snapshots€œ gibt einen kleinen Überblick über die merkwürdigsten Spezial-Manga, etwa für Golfer oder Pachinko-Spieler.
Wer sich besonders für die Insider-Stories aus dem Anime-Business interessiert, der wird in den Kapiteln €žIndustries and Marketries€œ, €žLegalities€œ und €žPunditry€œ fündig. Hier holt Clements richtig schön aus, hält mit seiner Verachtung für ahnungslose Anzugträger nicht hinterm Berg, zeigt auf, wie zufallsgetrieben oft Entscheidungen für oder gegen die Veröffentlichung eines Anime zustande kommen, welcher Schindluder mit Statistiken getrieben wird und wie so manche 08/15-DVD plötzlich zur Special Edition wurde.
Diese Hintergrundstories sind es vor allem, die das Buch so lesenswert machen. Das heisst aber auch, dass es nur begrenzt ein Buch für den „Fanboy“ ist, denn Clements verabreicht auch so manche bittere Pille. Wer sich aber wirklich für Anime, deren Produktion und Vermarktung interessiert, dem ist das Buch rückhaltlos zu empfehlen.
Ein schönes nachträgliches Geschenk habe ich heute bei der Rückkehr nach Hause im Briefkasten vorgefunden: Das Hamburger Metropolis-Kino zeigt im Januar eine erstaunlich umfangreiche Werkschau der Regisseurin Naomi Kawase, die bereits in Locarno und Rotterdam sowie zweimal in Cannes ausgezeichnet wurde. Neben drei abendfüllenden Spielfilmen sind auch 8 Kurzfilme Bestandteil der Werkschau.
Wer in und um Hamburg wohnt, darf sich zu diesen Terminen auf folgende Filme freuen:
2. Januar, 19 Uhr:
Der Wald der Trauer (2007, Großer Preis in Cannes)
5. Januar, 19 Uhr:
Suzaku (1997, Goldene Kamera in Cannes, Kritikerpreis in Rotterdam)
6. Januar, 19 Uhr:
Schnecke (1994), Schau, der Himmel (1995), The Setting Sun (1996)
8. Januar, 17 Uhr:
Nothing Vanishes (2008)
9. Januar, 17 Uhr:
Shara (2003, nominiert für die Goldene Palme in Cannes)
12. Januar, 19 Uhr:
In deinen Armen (1992), Um mich herum Stille (2001)
18. Januar, 19 Uhr:
Geburt und Mutterschaft (2006), Der Tanz der Erinnerungen (2002)
Leider fehlt einer der höchstdekorierten Filme aus Kawases Karriere, das fast dreistündige Drama Hotaru aus dem Jahr 2000. Dennoch freue mich enorm und werde mir natürlich möglichst alle Filme ansehen!
Masaaki Yuasas Mind Game dürfte es problemlos auf so ziemlich jede Top10-Liste der Anime schaffen. Leider war das auch sein bisher einziger Film. In den letzten Jahren hat er unter dem schützenden Dach von Madhouse mehrere Serien verantwortet, deren neueste diese Woche den Animations-Grand-Prix beim Japan Media Arts Festival gewonnen hat: The Tatami Galaxy. Darin geht es wohl um einen Studenten, der an der Uni eine Enttäuschung nach der anderen erlebt und sich in sein viereinhalb Tatami großes Zimmer zurückzieht, das sich in eine vieldimensionale Welt wandelt. Eine ausführlichere und vor Begeisterung sprühende Rezension findet sich bei escapistolero.
Wer öfter hier reinliest, weiß, dass ich sehr wählerisch bei Anime-Serien bin, in den letzten Jahren habe ich gerade mal vier gesehen. Aber auf dieses Wahnsinnsding bin ich doch extrem gespannt und ich hoffe inständigst, dass es seinen Weg zu uns in die DVD-Regale finden wird! Hier als Vorgeschmack das sehr stylische und appetitaufmehrmachende Opening Ending:
Da ich zuerst fälschlich das Ending als Opening verkauft habe, hier noch das korrekte Opening:
Ein weiterer, nicht mehr ganz neuer Anime, auf dessen DVD-Release ich übrigens sehnsüchtig warte, ist Tokyo Magnitude 8.0 – hoffentlich erbarmt sich da auch mal ein Label! Bittebittebitte!
Via watashi to tokyo
5 Dez
Original: Yoru no onnatachi (1948) von Kenji Mizoguchi
Nach Kriegsende stürzt Fusakos (Kinuyo Tanaka) Welt nach dem Tod ihres Mannes und ihres schwer kranken Kindes in sich zusammen. Einige Zeit später – sie ist inzwischen Sekretärin und heimliche Geliebte des Chefs in der alten Firma ihres Mannes – taucht ihre schon totgeglaubte Schwester Natsuko (Sanae Takasugi) auf. Sie zieht mit Fusako zusammen und beginnt ebenfalls eine Affäre mit Fusakos Chef, ohne dass die beiden etwas von der Dreierbeziehung ahnen. Als die Sacher herauskommt, ist Fusako aufs Neue am Boden zerstört und flieht in einer Kurzschlussreaktion in die Prostitution.
Dieses Schicksal teilt auch ihre Nichte Kumiko (Tomie Tsunoda). Das junge Mädchen reißt mit etwas gestohlenem Geld von Zuhause aus, gerät aber prompt an einen Gauner, der ihr das Geld abnimmt und sie auf den Strich schickt. Es dauert nicht lange, bis auch Natsuko dieses Schicksal droht: Sie wird schwanger, doch das Kind stirbt bei der verfrühten Geburt. Fusako, die sich trotzig mit ihrem Leben als Hure abgefunden und sogar so etwas wie Stolz darauf entwickelt hat, dass sie es den Männern jetzt heimzahlt, indem sie sie mit Syphilis infiziert, versucht dennoch verzweifelt, die beiden anderen Frauen vor diesem Schicksal zu bewahren.
Mizoguchi schneidet hier zwei Themen an, mit denen er sich in den folgenden Jahren noch sehr viel eingehender befassen würde: Der soziale und ökonomische Niedergang von Frauen sowie das harte Leben von Prostitutierten. Vielleicht weil ich diese späteren, sehr viel reiferen Filme kenne, wirkt Frauen der Nacht auf mich irgendwie unfertig, bruchstückhaft, nicht in sich geschlossen. Der Film leidet unter den verschiedenen, an die drei Frauen geknüpften Handlungssträngen, die sich immer wieder überschneiden. Zudem ist der Verlauf der Handlung vor allem in der ersten Hälfte sehr vorhersehbar und schablonenhaft – ebenso wie einige der Charaktere.
Gerade die Männer werden entweder als kleine Teufel gezeigt, durchtrieben, rücksichtslos und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht oder als großherzige und verständnisvolle Halbgötter: Ihr Schwager verweigert ihr und ihrem kranken Kind die Unterstützung, weil er ja so hart arbeite und es deshalb verdient habe, sich zu besaufen. Der Chef schläft ohne mit der Wimper zu zucken mit beiden Schwestern und spielt sich auch noch als fürsorglicher Beschützer auf. Und die naive Kumiko läuft bei ihrem Ausrißversuch prompt einem Gauner in die Arme, der ihr zuerst das Geld stiehlt, sie dann betrunken macht und vergewaltigt, bevor er sie halbnackt auf dem Strich aussetzt.
Lediglich Fusako und ihre Schwester erhalten wirkliche Tiefe, und so lebt der Film überwiegend von diesen beiden Charakteren, die allerdings auch vorzüglich gespielt sind. Vor allem Kinuyo Tanaka liefert mal wieder eine grandiose Leistung ab und zeichnet ein sehr greifbares Bild der unschuldigen Hausfrau, die zur knallharten Prostituierten wird und sich mit Ärzten ebenso wie ihren Leidensgenossinnen anlegt.
Abgesehen von den weiblichen Hauptdarstellerinnen hat Frauen der Nacht wieder einige Szenen zu bieten, die dem Zuschauer den Atem stocken lassen, so perfekt sind sie durchgeplant und komponiert. Beispielhaft wäre die unten gezeigte Szene vom Anfang des Films zu nennen, aus der ich einige Bilder zur Verdeutlichung zusammengeschnitten habe. Fusako kümmert sich darin zuerst um ihr krankes Kind, unterhält sich mit ihrem saufenden Schwager, dann mit ihrer Schwägerin und zum Schluss stößt auch noch Kumiko dazu – drei Minuten vergehen so, ohne dass es einen einzigen Schnitt gäbe. Wie Mizoguchi allein mit leichten Veränderungen des Kameraausschnitts bzw. der -perspektive und dem Arrangement der Personen fließende Übergänge und Stimmungswechsel erzeugt und völlig vergessen lässt, dass wir immer noch in derselben Einstellung sind, ist hochgradig beeindruckend!
Alles in allem muss ich aber leider konstatieren, dass Frauen der Nacht mich enttäuscht hat, was vor allem an den Schwächen des Drehbuchs und den Mängeln der Charakterentwicklung lag. Er vermag erst in der zweiten Hälfte zu fesseln und ist einer der schwächeren Filme Mizoguchis. Überhaupt kein Vergleich sowohl zu den aufrüttelnden, innovativen Filmen der 30er Jahre als auch zu den grandiosen Jidaigeki-Dramen, die noch folgen sollten. Er hat aber einige schöne Beispiele für die typischen Stilelemente in Mizoguchis Werk zu bieten und eine absolut sehenswerte Leistung von Kinuyo Tanaka.
Stefanie hat sich kürzlich mit der Frage nach einem Film an mich gewandt. Hier ist ihre Beschreibung:
Vor ein paar Monaten habe ich bei Bekannten von Bekannten einen japanischen Film gesehen.
Ort der Handlung ist eine Jungen-Schule. Die Schüler treffen sich regelmäßig auf dem Schuldach für eine Mutprobe. Sie stellen sich auf den Rand der Brüstung, halten sich am Geländer fest. Dann lassen sie los und zählen hoch, wie lange sie ohne Halt, kurz vor dem Absturz loslassen können. Insgesamt wirkt der Film eher schwermütig bis depressiv. Immer wieder geht es um Schülerrivalitäten. das Szenenbild, die Musik sind sparsam.
Leider bin ich hier mit meinem Latein am Ende. Ich kenne einige Filme, die an Schulen spielen und bei denen es um Rivalitäten geht, ist ja ein schon fast klassisches Motiv. Aber mit dieser Mutprobe kann ich nichts anfangen. Hat jemand von euch eine Idee und kann Stefanie weiterhelfen?