28 Mrz
Original: Taiheyō hitoribotchi (1963) von Kon Ichikawa
Basierend auf einer wahren Geschichte erzählt der Film die Geschichte des jungen Kenichi (Yujiro Ishihara), der von der Idee besessen ist, als erster Japaner allein in einem Segelboot den Pazifik zu überqueren. Der Film beginnt mit seiner heimlichen Abreise aus Osaka und zeigt uns in mehreren Flashbacks, wie er auf diese Reise hingearbeitet, ihr alles untergeordnet hatte: Schuften um das Geld für das Boot und die Ausrüstung zusammenzubekommen, den Streit sich mit seinem strengen Vater (Masayuki Mori), die heimlichen Planungen bis ins kleinste Detail.
Kaum unterwegs, muss Kenichi die ersten Widrigkeiten überwinden. Zuerst kommt er wegen einer anhaltenden Flaute kaum aus dem Hafen von Osaka heraus, wenig später gerät er in einen Taifun, dann muss er einen großen Teil seiner Wasservorräte über Bord werfen, weil sie ungenießbar geworden sind. Doch mit unerschütterlichem Optimismus und einem an Naivität grenzenden Selbstvertrauen überwindet Kenichi alle Hindernisse und erreicht nach 94 Tagen auf hoher See schließlich San Francisco.
Natürlich enthält ein Film wie dieser einen gewissen Aspekt von „Mensch gegen Natur“, etwa wenn Kenichis kleines Segelboot von einem Taifun durchgeschüttelt wird oder wenn er nur knapp einem Hai entkommt. Auch die fast symbiotische Beziehung die sich dabei zwischen Mensch und Gefährt (das Boot heißt Mermaid) entwickelt, darf in Alone across the Pacific natürlich nicht fehlen. Ebensowenig wie grandiose Bilder des unendlichen Ozeans und dem sich darauf verlierenden kleinen Boot.
Doch die größere Spannung geht eigentlich fast von den wie zufällig eingestreuten Momenten aus, in denen der Alltag der Reise geschildert wird. Das langwierige Berechnen der Position anhand verschiedener Peilsignale. Das Zähneputzen. Das Warten, nur Unterbrochen von Selbstgesprächen. Das gespannte Lauschen auf die Wettervorhersage. Ich habe keine Ahnung wie Ichikawa es schafft, aber diese unspektakulären Momente wirken fast erhebend, so dass selbst die in allen Details gezeigten Handgriffe beim Zubereiten einer einfachen Mahlzeit aus Dosenfleisch Bewunderung hervorbringen.
Diese Inszenierung der Reise und ihrer Vorbereitung sowie der Hintergrund einer wahren Geschichte lassen Alone across the Pacific phasenweise fast wie eine Dokumentation erscheinen. Nicht nur das verbindet diesen Film mit dem ihm nachfolgenden Werk Ichikawas, dem Dokumentar-Epos Tokyo Olympiad. Beide Filme zelebrieren auch die Leistungsfähigkeit, Willenskraft und den Drang nach Selbstverwirklichung der Menschen.
Anders als in Tokyo Olympiad ist diese Begeisterung für das Individuum hier aber mit einer düsteren Seite verbunden. Die zeigt sich vor allem in den Flashbacks, in denen Kenichi sich nicht nur gegen seinen Vater und dessen Erwartungen auflehnt, sondern die ihn regelrecht als heimlichen Rebellen gegen ein ganzes System zeigen. Diese meist dunkel gehaltenen und von einer bedrückenden Enge gezeichneten Szenen kontrastieren auch von ihrer Stimmung her sehr stark mit denen auf offener See, in denen alles möglich scheint.
Rezensenten und Kritiker haben Kenichis Reise deshalb des öfteren als eine Flucht aus und vor Japan und seiner eigenen Identität als Japaner interpretiert. Brent Kliewer spricht in seinem Essay Escaping Japan gar von „Abscheu“ Kenichis gegenüber seinem Heimatland und verweist dazu unter anderem darauf, dass Kenichi die Reise ohne Pass antritt. Das sehe ich völlig anders, Kliewer macht es sich hier viel zu einfach, interpretiert den Film sehr einseitig aus einer die kollektivistisch-patriarchalischen Aspekte der japanischen Gesellschaft ablehnenden Haltung.
Ja, Kenichi „flieht“ aus Japan, das machen die in Flashbacks gezeigten Gespräche besonders mit seiner Mutter (gespielt von der grandiosen Kinuyo Tanaka) und die heimliche Abreise, bei der er sich im Dunkeln aus dem Hafen stiehlt, deutlich. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, es gibt auch mehrere Szenen, die ihn als stolz auf seine Herkunft, seine Sprache und seine japanische Identität zeigen: Die Gedenkminute anlässlich der Schlacht von Midway etwa oder die Begegnung mit einem amerikanischen Handelsschiff. Seinen japanischen Pass hatte er beantragt, doch sich dabei im Dickicht der Bürokratie verheddert.
Kliewer spricht auch davon, dass Kenichis Ziel San Francisco von Ichikawa wie ein „magisches Königreich“ inszeniert sei. Auch das sehe ich völlig anders, denn an die triumphale Durchfahrt der Golden Gate Bridge schließt sich eine Abfolge von stakkatoartig geschnittenen, klaustrophobisch anmutenden Bildern von gehetzten, anonymen Menschenmassen, hektischen Straßenfluchten und sogar von Alcatraz an. Auch die Begegnung mit der US-Küstenwache und einem Pulk aufdränglicher Journalisten wirkt vor allem bedrohlich. Diese Szenen reflektieren fast identische Bilder aus Osaka vom Anfang des Films und verdeutlichen, dass Kenichi sich auf beiden Seiten des Pazifiks, am Ausgangspunkt wie am Ziel seiner Reise, gesellschaftlichen Zwängen, Abhängigkeiten und verständnislosen Menschen gegenübersieht.
Hier liegt meiner Ansicht nach der eigentliche Knackpunkt des Films: Ichikawa konstruiert und inszeniert zwar durchaus einen Gegensatz mit Alone across the Pacific. Dieser basiert aber weder auf der Dichotomie von Mensch vs. Natur noch der von freiheitlich-aufgeschlossenes Amerika vs. patriarchalisch-einzwängendes Japan. Vielmehr ist es der Gegensatz von Individuum und Gesellschaft generell, der hier thematisiert wird.
Kenichi kann seine Individualität, sein Streben nach Selbstverwirklichung, seine Besessenheit, seinen Kampf mit sich selbst nur allein auf dem Pazifik ausleben. Die Ankunft am Ziel in San Francisco und damit der Moment seines Triumphs bedeutet zugleich auch, dass er sich erneut gesellschaftlichen Zwängen, Institutionen und Bürokratie unterordnen muss und von allen Seiten Erwartungen und Ansprüche an ihn herangetragen werden.
Diesen Zwänge zu entfliehen und Frieden mit sich selbst zu finden, das ist das eigentliche Ziel von Kenichis Reise. Für 94 Tage erreicht er diesen Zustand, dann hat ihn die Gesellschaft auf der anderen Seite des Pazifiks wieder. Dort kann er ihr nur noch temporär entkommen, nämlich im glückselig machenden Schlaf, wie die geniale Schlusszene zeigt.
Was Regisseur Ichikawa, seine Frau und Drehbuchautorin Natto Wada und Kameramann Yoshihiro Yamazaki aus der simplen Story des Ozeanüberquerers gemacht haben, ist hochgradig beeindruckend! Alone across the Pacific ist viel mehr als einfach nur ein Abenteuerfilm, viel mehr als die Geschichte eines jungen Mannes der sich einen Traum erfüllt. Dieser Film zeigt auf, wie wir Menschen und die Notwendigkeit des Zusammenlebens mit Menschen, uns selbst die größten Schranken auferlegen und greift damit Themen auf, die sich zuvor schon in mehreren, sehr viel düstereren und pessimistischeren Filmen Kon Ichikawas finden. Hier verbindet er sie allerdings mit einer befreienden, jubilierenden Hymne auf das Menschsein. Unbedingt zu empfehlen!
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