20 Sep
Original: Nagayaka shinshiroku (1947) von Yasujiro Ozu
Der Wahrsager Tashiro (Chishu Ryu) bringt eines Abends einen kleinen Jungen mit nach Hause, der sich scheinbar verlaufen hat. Doch niemand in der armen Nachbarschaft mag sich um den Kleinen kümmern und ihn für die Nacht aufnehmen. Schließlich lässt Tashiro ihn einfach bei der griesgrämigen Witwe Tane (Choko Iida), die den Jungen widerwillig aufnimmt.
Am nächsten Morgen bringt sie ihn zu seinem Zuhause und es stellt sich heraus, dass sein Vater verschwunden ist – offenbar wurde der Junge ausgesetzt. Genau das versucht nun auch Tane, doch der Kleine will sich nicht abschütteln lassen und folgt ihr bis nach Hause. Mit seiner stoischen, aufrechten Art bringt er die alte Witwe nach und nach dazu, ihre harte Schale abzulegen und so dauert es nur ein paar Tage, bis sie ihn in ihr Herz geschlossen hat und sich darüber selbst verwandelt. So wird der Junge, den sie zunächst als Bürde abgelehnt hat, zu ihrer geliebten Familie, bis plötzlich sein Vater in der Tür steht.
Die Charaktere des Films leben mitten in einer zertrümmerten Stadtlandschaft und in einfachsten Verhältnissen. Sie halten sich mit Tauschgeschäften, Lebensmittelrationen und kleinen Dienstleistungen über Wasser. Damit dürften sie kurz nach Kriegsende die Realität der allermeisten Japaner wiederspiegeln und vor diesem Hintergrund ist die Botschaft des Films eine eindeutige: Gerade wenn man es schwer hat und scheinbar nichts zu teilen, dann sind Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit besonders wichtig. All die Sorgen, die Tanes Alltag anfangs bestimmen, treten zum Ende hin völlig in den Hintergrund und statt über günstige Kartoffeln und geklaute Süßigkeiten zu grübeln genießt sie das Leben zusammen mit dem Jungen.
Hier muss ich übrigens kurz die Darstellung der Tane durch Choko Iida hervorheben, die wirklich ganz vorzüglich spielt und Tane mit vielen kleinen Macken und ihren Wandel sehr glaubhaft verkörpert – allein die Grimassen, die sie manchmal zieht, sind köstlich! Dabei scheint Iida 1947 bereits auf eine lange Karriere zurückblicken zu können, ihr Debut gab sie offenbar bereits 1924. Ein echtes Urgestein des japanischen Kinos also!
In Ozus Werk sehe ich Record of a tenement gentleman insofern in einer Sonderrolle, als es zwar um Familienbande geht, aber hier ganz die Entdeckung der schönen, sinnstiftenden Aspekte der Familie im Zentrum stehen. Im Vergleich dazu sind die meisten seiner anderen Filme (jedenfalls der Bekannteren) sehr viel zweideutiger im Umgang mit Familie und beleuchten meist die Konflikte und Themen wie Entfremdung oder unerfüllte Hoffnungen.
Davon abgesehen wird sich jeder, der schon den einen oder anderen Ozu gesehen hat, hier gleich wie zuhause fühlen. Ästhetisch wie thematisch (und auch was einige bekannte Gesichter angeht) ist diese kleine aber feine Tragikomödie unverkennbar ein Ozu, aber im Vergleich zu einigen seiner nachfolgenden Filme sehr viel leichter zugänglich. Ein Einsteiger-Ozu gewissermaßen.
2 Kommentare for "Record of a tenement gentleman"
Choko Iida gehörte schon in den 30er Jahren zu Ozus bevorzugten Darstellerinnen. Die IMDb nennt von 1928 bis 1947 17 gemeinsame Filme. Von denen kenne ich die drei Kihachi-Filme mit Takeshi Sakamoto. In UKIGUSA MONOGATARI (A STORY OF FLOATING WEEDS) spielt sie die Mutter von Kihachis unehelichem Sohn (im Remake von 1959 von Haruko Sugimura gespielt), und in PASSING FANCY und AN INN IN TOKYO jeweils eine mütterliche Freundin des Helden. Und immer sehr überzeugend.
Danke für den Hinweis! Daran konnte ich mich gar nicht mehr erinnern, bzw. vielleicht habe ich sie auch einfach nicht wiedererkannt, liegen ja fast 15 Jahre zwischen den Filmen. An ihre Rolle in „Story of floating weeds“ habe ich noch vage Erinnerungen, ist ewig her, dass ich den das letzte Mal gesehen habe. Ein toller Film, wäre mal wieder Zeit für ein Revisiting 🙂
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