23 Feb
Original: Mibu gishi den (2003) von Yojirō Takita
Nach der erzwungenen Öffnung Japans durch die Amerikaner wankt das ohnehin geschwächte Shogunat unter dem Druck der kaisertreuen und ausländerfeindlichen Sonno-joi Bewegung. Um der bürgerkriegsähnlichen Situation Herr zu werden, gründet der Shogun die Shinsengumi-Miliz. Dieser Miliz schließt sich auch der Samurai Yoshimura (Kiichi Nakai) an, wobei es ihm allerdings weniger um den Machterhalt des Shogun geht. Vielmehr ist Yoshimura auf den Sold angewiesen, den er zu seiner verarmten Familie nach Hause schickt und so bei seinen Kampfgefährten schnell einen Ruf als knauseriger, aber sympathischer Querkopf hat.
Der Film erzählt in einer verschachtelten Struktur aus Rückblicken die finale Phase bis zum Untergang der Shinsengumi aus Yoshimuras Perspektive. Wir sehen, wie sich die Spaltung des Landes in Anhänger des Shoguns auf der einen Seite und Befürworter des Kaisers auf der anderen auch auf die Shinsengumi überträgt und Misstrauen und Verrat Einzug halten. Und wie ihre letzten verbliebenen, aufrechten Kämpfer schließlich den hochgerüsteten Truppen des Kaisers entgegen treten.
Dieser Teil des Films, der in der Person des „family guy“ Yoshimura einen sehr menschlichen Zugang zu den historischen Ereignissen bietet und damit stark an Yoji Yamadas Twilight Samurai erinnert, funktioniert wirklich gut und ist interessant und unterhaltsam anzusehen. Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen haben die Macher dann aber versucht, die zu Beginn eigentlich fast etwas lächerliche Figur des Yoshimura zu einem von Familie und Freunden beinahe religiös verehrten Helden zu stilisieren, was den Film völlig aus dem Gleichgewicht bringt.
Die Probleme beginnen, als Yoshimura ein Angebot ausschlägt, ins Lager des Kaisers zu wechseln und so seinen Sold zu verdoppeln. Seine gesamte Loyalität und Motivation galt bisher dem Überleben seiner Familie, der zuliebe er sogar seinen Clan verließ und den Shinsengumi beitrat. Nun bekommt dieser definierende Zug seines Charakters Risse. Er, dessen einziger Antrieb es immer war, am Leben zu bleiben um das Überleben seiner über alles geliebten Frau und Kinder zu sichern, soll plötzlich die Loyalität zum Shogun über seine Familie stellen? Dieser Wandel führt zwar in die angesprochene semi-religiöse Verehrung, lässt seinen Charakter aber sehr unglaubwürdig erscheinen.
Völlig aus den Fugen gerät der Film nach dem aussichtslosen Angriff auf die kaiserlichen Truppen – eigentlich dem natürlichen Filmende. Doch es folgen noch gute 30 Minuten, in denen zunächst Yoshimura in einer nicht enden wollenden Sterbeszene Abschied vom Leben nimmt, er dann von Freunden und Familie betrauert wird und schließlich auch noch sein Sohn in den aussichtslosen Kampf zieht. Der Regisseur türmt hier einen Berg an Sentimentalität auf und drückt derart auf die Tränendrüse, dass es wirklich jenseits von gut und böse ist – und leider den ansonsten ordentlichen Film ruiniert. Hier hätte der beherzte Griff zur Schneidemaschine Not getan.
Wer sich für Schwertkampffilme interessiert und kein Problem mit dem komplexen historischen Hintergrund hat, wird hier sicherlich auf seine Kosten kommen. Der Film ist handwerklich gut gemacht und die schauspielerischen Leistungen sind aller Ehren wert – mit Miki Nakatani als lebensfroher Geliebter einer der Shinsengumi-Anführer als Highlight. Ich würde allerdings dringend empfehlen, den DVD-Player abzuschalten, sobald der Screenshot oben erreicht ist, und sich den quälenden Rest zu ersparen.
Aufgepasst alle Leser aus dem Raum Köln: Das Japanische Kulturinstitut zeigt aktuell 13 Highlights des altehrwürdigen Nikkatsu-Studios, darunter Klassiker wie Crazed Fruit, Burmese Harp oder Tokyo Drifter . Im September 1912 gegründet, zählt Nikkatsu zu den wichtigsten Filmstudios in Japan. Es war mit Werken von Regie-Größen wie Shohei Imamura, Seijun Suzuki oder Ko Nakahira nicht nur entscheidend an der Entstehung der New Wave ab Mitte der 1950er Jahre beteiligt, sondern spezialisierte sich auch 20 Jahre später auf die Softcore-Filme des neuen Roman Porno Genres.
Einige der Vorstellungen liefen bereits in den letzten beiden Wochen, aber es gibt immer noch genug zu sehen:
Wer also aus der Gegend ist, sollte sich das nicht entgehen lassen!
14 Feb
Original: Donzoko (1957) von Akira Kurosawa
In einem Armenviertel von Edo findet unter dem Dach der tyrannischen Vermieterin Osugi (Isuzu Yamada) eine Mischung aus Träumern und Zynikern zusammen: Ein ehemaliger Schauspieler, der sich dank exzessiven Alkoholkonsums kaum noch an sein früheres Leben erinnern kann. Ein misanthropischer Handwerker, der mit dem ständigen Geklapper seiner Werkzeuge die andren nervt und der nur auf den Tod seiner Frau wartet. Ein ehemaliger Lehrer, der die anderen beim Kartenspiel ausnimmt. Eine Prostituierte, die ihrer großen Jugendliebe nachtrauert.
Sie alle sind hoffnungslose Fälle, die allein Alkohol, Zynismus und Träumereien am Leben halten. Einzig der Dieb Sutekichi (Toshiro Mifune) hat noch einen Funken Energie in sich, aber auch Ärger mit Osugi, mit der er ein Verhältnis hatte. Inzwischen will er aber nichts mehr von ihr wissen, denn er hat sich in ihre jüngere Schwester Okayo (Kyoko Kagawa) verliebt. Auch ein gutmütiger Pilger (Bokuzen Hidari) auf der Durchreise kann mit seinen süßen Lügen das Leid und die Verzweiflung nur punktuell lindern. Seine gutgemeinten Apelle an Sutekichi, sich ein Herz zu fassen und zusammen mit Okayo durchzubrennen, wirken letztlich wie Brandbeschleuniger und führen direkt in die Katastrophe.
Wieder mal machte sich Kurosawa an die Verfilmung einer literarischen Vorlage, nämlich des Theaterstücks Na dne von Maxim Gorki. Er folgte der Vorlage dabei sehr getreu und übernahm alle wichtigen Charaktere und Handlungsstränge. Auch das Setting hat viel von einem Bühnenstück, denn fast der gesamte Film spielt im Wohn- und Schlafraum des Asyls.
Was ziemlich schnell auffällt sind die immer wieder eingestreuten witzigen, fast albernen Szenen, mit denen Kurosawa die düstere, drückende Stimmung auflockert. Das können mal Lieder und Tänze sein, oder Scherze auf Kosten der Vermieter. Besonders Bokuzen Hidari trägt in der Rolle des gutmütigen Pilgers dazu bei, Gorkis niederschmetterndes Drama in eine Tragikomödie zu verwandeln: Mit spitzer Zunge spricht er sowohl schmerzhafte Wahrheiten wie aufmunternde Lügen aus und verkörpert die einzige Stimme der Vernunft und Menschlichkeit im Chaos von Verzweiflung, Trauer, Neid und Hass. Diese herausragende Charakterisierung dürfte zu den absoluten Höhepunkten in der mehr als 100 Filme umfassenden Karriere Hidaris gehören.
Doch nicht nur Hidari brilliert in seiner Rolle. Isuzu Yamada gibt mal wieder eine herrlich biestig-tyrannische Femme fatale und auch die kleineren Rollen sind exzellent besetzt, wie beispielsweise der sonst eher in unbedeutenden Nebenrollen auftauchende Koji Mitsui als zynischer Lehrer, bei dessen Sprüchen es einem schon mal kalt den Rücken runterlaufen kann. Die gesamte Riege liefert in Nachtasyl eine fantastische Ensemble-Leistung ab, ohne die dieser kammerspielartige Film niemals funktionieren könnte.
Aber nicht nur die Schauspieler tragen den Film, Kurosawa holt mit ständigen Perspektivwechseln, multiplen Kameras und visuellen Ebenen unglaublich viel aus dem beschränkten Raum heraus. Zudem verfügt Nachtasyl über exzellenten Rhythmus und Timing: Die im Zentrum des Films stehenden Konflikte um das Trio Sutekichi-Osugi-Okayo sind eng verwoben mit den Ereignissen um die Nebencharaktere, immer wieder wird unsere Aufmerksamkeit vom einen zum anderen geleitet. Zusammen mit den oft durch den Pilger angestoßenen Stimmungswechseln lässt dies den Film deutlich kürzer als seine 130 Minuten erscheinen.
Religion, Liebe, Gewalt, Alkohol, Träumereien – nichts kann die Bewohner des Asyls aus der Sinnlosigkeit ihrer verpfuschten Leben herausreißen. Vielmehr führt jeder Versuch, aus ihrem Elend auszubrechen, zu einer weiteren Verschlechterung der Situation. Am erschreckendsten ist jedoch, dass die Ausweglosigkeit zu keiner wirklichen Verbrüderung unter den Bewohnern führt. Vielmehr scheint jeder die jeweils anderen auszunutzen, zu belauern und jeden Ausbruchversuch argwöhnisch zu beobachten, aus Angst, allein zurückzubleiben. So ist es eigentlich nur logisch, dass am Ende der Selbstmord als einziger Ausweg bleibt, und selbst dieser von den Lebenden noch zynisch kommentiert wird.
Mir fiel der Zugang zu diesem Film wahrlich nicht leicht, wir haben es hier mit ganz schön starkem Tobak zu tun. Die bedrückenden Schicksale der Protagonisten, das Elend und die Ausweglosigkeit ihrer Situation und der allgegenwärtige, beißende Zynismus drücken ganz schön auf die Stimmung und müssen in ihrer massiven Negativität erst einmal verdaut werden. Aber mit jeder weiteren Sichtung stieg mein Respekt und meine Wertschätzung des Films. Nachtasyl ist einfach eines jener Werke, die man sich langsam erarbeiten muss, die dann aber einen umso tieferen Eindruck hinterlassen.