24 Okt
Original: Hoshi o ou kodomo (2011) von Makoto Shinkai
Als die Schülerin Asuna eines Tages von einem merkwürdigen Monster angegriffen und von dem rätselhaften Jungen Shun gerettet wird, beginnt für sie gleich in zweifacher Hinsicht ein großes Abenteuer: Sie verliebt sich in Shun, der kurz darauf jedoch tot aufgefunden wird. Und dann begegnet sie seinem Bruder Shin, der sie und den undurchsichtigen Morisaki, ein Lehrer Asunas, in die sagenumwobene Welt Agartha führt, in deren Zentrum sich das Tor zwischen Leben und Tod befindet.
Darauf hat Morisaki es abgesehen, der den Tod seiner Frau nicht verwinden konnte und sie mit der Kraft dieses Tores wieder zurück zu den Lebenden holen will. Auch Asuna hatte einen Verlust zu verdauen, ihr Vater starb als sie noch ein kleines Kind war. Doch für sie geht es zunächst einmal darum, selbst am Leben zu bleiben, denn sie wird von furchterregenden Schattenwesen entführt, und auch andere Bewohner Agarthas sind über die Eindringlinge alles andere als erfreut. Doch Shin eilt ihr zu Hilfe.
Grandiose, in atemberaubend schönen Bildern erzählte Geschichten von auseinander gerissenen Liebenden, die ihrer großen Liebe nachtrauern und sich vor Sehnsucht verzehren, sind das Markenzeichen Makoto Shinkais. Wie kein anderer vermag er es, mit seinen überwältigenden Landschaftsbildern und Lichtspielen Gefühle und Stimmungen wie Nostalgie, Einsamkeit, Freude, Trauer auf die Leinwand und in die Herzen der Zuschauer zu zaubern.
Auch in Children who chase lost voices wartet der Regisseur mit einer unvergleichlichen Bilderpracht auf, die seine vorherigen Filme nochmals in den Schatten stellt. Allerdings gelingt es ihm diesmal nicht, diese zu einer den Film atmosphärisch prägenden Gesamtheit zu verweben. Die im Vergleich zu seinen vorherigen Filmen sehr auf Abenteuer, Action und Spannung getrimmte Handlung steht dieses Mal einfach zu sehr im Zentrum des Films, was diesem leider nicht gut tut.
Denn in der spektakulären Bilderflut und dem Auf und Ab der von Höhepunkt zu Höhepunkt eilenden Handlung kommt leider das zu kurz, was seine früheren Filme so unvergleichlich machte: Die langsamen, atmosphärischen Momente, in denen wir Zuschauer uns in die Charaktere hineinversetzen und ihre Zerrissenheit, ihre Sehnsucht nachempfinden konnten. Weil dies fehlt, ist speziell Morisakis Motivation für seine fanatische Suche nach dem Tor von Leben und Tod nur schwer nachzuvollziehen. Es gibt nur einen einzigen Flashback, in dem er mit seiner Frau zu sehen ist. Da ist es schwer, Nachzufühlen was in ihm vorgeht.
Doch um diese Schwäche wirklich wahrzunehmen musste ich den Film erst ein zweites Mal sehen, denn beim ersten Mal war ich so hingerissen von den liebevoll und bis ins letzte Detail perfektionistisch gestalteten Bildern. Ein Detail, das mir gleich an mehreren Stellen auffiel, waren im Sonnenlicht tanzende Staubpartikel! Und es gab Momente, in denen ganze Schwärme von Vögeln im Hintergrund wild durcheinander wirbelten, ohne Bezug zur Handlung oder den Charakteren, einfach so, weil sie zu dieser Welt dazu gehören. Diese außerordentliche Liebe zum Detail hebt Shinkai von so gut wie allen anderen Anime-Machern der Gegenwart ab.
Doch so wunderschön die Bilder auch anzusehen sind, eines muss man doch konstatieren: Immer wieder wirkt Children who chase lost voices wie ein Sammelsurium an Ideen und Story-Elementen, die man so oder so ähnlich schon mal wo gesehen hat. Die Handlung selbst nimmt zahllose Anleihen sowohl bei klassischen Sagen und Mythen als auch bei anderen Anime aus dem Abenteuer-Genre, wie etwa Prinzessin Mononoke oder Das Schloss im Himmel. Dazu gehören beispielsweise der Quetzalcoatl, der frappierend wie eine Mischung aus Ohngesicht und dem wild mutierenden Akira wirkt, das fliegende Götterschiff, der blau funkelnde Clavis, das Tor zwischen Leben und Tod in Form einer großen, schwarzen Kugel und vieles mehr.
Der Screenshot oben beispielsweise, der Asuna beim Erledigen von Einkäufen im Dorf zeigt, könnte ohne Weiteres auch aus Mein Nachbar Totoro stammen, während ich mich bei anderen teilweise an Heidi erinnert fühlte. So erschienen mir manche Teile des Films fast wie ein Bewerbungsschreiben beim Studio Ghibli. Diese ständigen Versatzstücke oder Anleihen, die Erinnerungen an andere Filme wecken, lassen den Film bei all seiner Bilderpracht und Detailversessenheit leider nicht besonders innovativ erscheinen.
Man möge mich bitte nicht missverstehen: Children who chase lost voices ist ein unterhaltsamer, berauschend anzusehender Film. Und ich rechne es Makoto Shinkai hoch an, dass er sich einerseits an einem neuen Genre versucht, sich zugleich aber auch treu bleiben möchte. Der Spagat ist ihm allerdings nicht besonders überzeugend gelungen, der Film wird zu sehr vom Plot voran getrieben, weshalb vieles von dem, was seine früheren Filme so herausragend atmosphärisch und gefühlvoll machte, hier fehlt. Wie alles von Shinkai aber dennoch ein absolut sehenswerter Film.
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