15 Jan
In den letzten Jahren gab es leider immer wieder den Tod eines großen Vertreters des japanischen Films zu betrauern. Doch wenn ein solcher Todesfall es auf die Startseite von Spiegel Online schafft, dann muss es sich um eine besondere Persönlichkeit gehandelt haben. Bei Nagisa Oshima war dies der Fall: Geboren am 31. März 1932, verstarb er heute im Alter von 80 Jahren in Tokyo an einer Lungeninfektion.
Dass sein Tod derzeit in vielen großen Medien gemeldet wird, hat er vor allem einem Film zu verdanken, mit dem er große Wellen der Empörung schlug, nämlich Im Reich der Sinne. Die Geschichte eines Liebespaares, das seine sexuellen Fantasien rücksichtslos bin in den Tod auslebte, sorgte in den späten 1970er Jahren für einen Skandal. Der Film wurde bei der Aufführung auf der Berlinale beschlagnahmt, in vielen Ländern verboten. Entsprechend widmen sich die meisten der Nachrufe vor allem diesem und seinen wenigen nachfolgenden Werken, wie etwa Merry Christmas Mr. Lawrence mit David Bowie und Takeshi Kitano oder Max, mon amour.
Dabei sind es vor allem seine frühen Filme aus den 1960er Jahren, die mit ihrer Experimentierfreude, ihrer offenen Ablehnung filmischer Konventionen und ihren kontroversen, oft gezielt provozierenden politischen Themen seinen Ruf als wichtigster Vertreter der japanischen New Wave begründeten. Messerscharf sezierte er in diesen Filmen etwa die Scheinheiligkeit der Studentenrevolten gegen den amerikanisch-japanischen Sicherheitspakt, befasste sich mit Fragen von Identität und Vorurteilen gegenüber Minderheiten, mit der Verantwortung des Individuums angesichts des verantwortungslos handelnden Staates, sowie in seinem Meisterwerk Die Zeremonie mit den in der Familie verankerten feudalen Elementen der japanischen Gesellschaft. Diese Filme sind – jedenfalls meiner Meinung nach – interessanter als seine späteren Werke, bei denen das Verhältnis von Sexualität und Macht in den Vordergrund rückt. Welche sich aber offensichtlich sehr viel wirksamer und nachhaltiger auf seinen Ruf auswirkten.
Wer Nagisa Oshima bisher vor allem auf Grund diese Spätwerke kannte, mag seinen Tod vielleicht zum Anlass nehmen, einen Blick auf seine früheren Werke zu werfen – einige der besten sind in der Reihe „Japanische Meisterregisseure“ von polyvideo erschienen. Hier ein kleiner Auszug aus seiner Filmographie:
4 Kommentare for "Nagisa Oshima ist tot"
Sehr traurig. Die alten Helden gehen. Erst Wakamatsu, jetzt Oshima.
Ja, und nicht zu vergessen Kaneto Shindo, der ja auch letztes Jahr verstorben ist… der letzte noch lebende Vertreter aus den goldenen 50er und 60er Jahren dürfte damit Masahiro Shinoda sein, mit seinen 82 Jahren.
[…] Was mich extrem gewundert hat, ist die Tatsache, dass der Tod des großen japanischen Regisseurs Nagisa Oshima gar kein großes Echo in der deutschen Blogsphäre hinterlassen hat. Ich selber habe keinen Nachruf […]
Bei aller Trauer, der Nagisa Oshimas Tod nach sich zieht, sollte man aber stolz auf das geschaffene Erbe des Künstlers und Filmemachers zurückblicken und diesen immer wieder aufs Neue entdecken. Auch ich entfache für die frühen Werke dieses Mannes. Dieser Filmemacher war ein Wegbereiter für viele Querdenker in der Branche, durch den Bruch mit den geltenden Konventionen und den kreativen und zum Teil unkonventionellen Experimenten.
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