5 Okt
Original: Onibaba (1964) von Kaneto Shindo
Im vom Bürgerkrieg zerrissenen und zerstörten Japan sichern sich zwei Frauen, Mutter und Schwiegertochter, ihre Existenz, indem sie verwundeten oder getöteten Samurai ihre Waffen und Kleider abnehmen und diese verhökern. Eines Tages kehrt ihr Nachbar Hachi (Kei Sato) zurück und berichtet vom Tod des Sohnes bzw. Ehemanns. Zunächst machen die drei gemeinsame Sache und töten mehrere Samurai, aber zwischen Hachi und der Schwiegertochter (Jitsuko Yoshimura) entwickelt sich schnell eine starke sexuelle Anziehungskraft.
Diese bedroht die Existenz der Mutter (Nobuko Otowa), denn sollte ihre Schwiegertochter sie zugunsten von Hachi verlassen, wäre sie allein auf sich gestellt und dem Hungertod geweiht. So versucht sie es mit Einschüchterung und Ammenmärchen über Ehebrecher, die in der Hölle landen würden. Dann begegnet ihr ein Samurai mit einer merkwürdigen Maske, dem sie nach seinem Tod die Maske abnimmt, um damit ihre Schwiegertochter von Besuchen bei Hachi abzuhalten. Doch die Maske lässt sich nicht so einfach missbrauchen.
Der Film konzentriert sich ganz auf diese ungewöhnliche Dreiecksbeziehung, andere Charaktere kommen so gut wie nicht vor. Der obige Screenshot aus einer Szene am Anfang des Films symbolisiert die Situation perfekt (falls dies von Kaneto Shindo so beabsichtigt war, muss er Wunder bewirken können): Die beiden Frauen bilden eine Einheit, doch die eine von ihnen wendet ihre Aufmerksamkeit dem Mann zu, der noch ein Außenseiter ist, während die andere dadurch noch mehr gezwungen ist, sich auf sie zu konzentrieren.
Vögel tauchen immer wieder in Onibaba auf, aber der Film ist so voller Symbole und Anspielungen, dass es unmöglich ist, hier auf alles einzugehen und zu interpretieren. Zudem wurde das in den letzten Jahrzehnten bereits ausgiebig getan, und auch Regisseur Shindo hat bereitwillig in Interviews Auskunft gegeben, was er sich bei dem Film gedacht hat. Daher werde ich mich gar nicht weiter mit wilden Interpretationen befassen, sondern mich an das halten, was Shindo selbst zur Einordnung des Films sagte.
Onibaba beginnt mit zwei verletzten Samurai, die sich durch die Susuki-Felder kämpfen, wie im klassischen Jidaigeki-Film. Dann verschiebt Shindo den Fokus aber komplett, als die beiden Samurai hinterrücks von den beiden Frauen erstochen werden, um die sich der Film von nun an dreht. Dies ist eindeutig Ausdruck der sozialistischen Weltsicht Shindos und seinem Interesse an den unterprivilegierten, unterdrückten Menschen und solchen, die am Rand der Gesellschaft stehen.
Im Gegensatz zu den anderen Akteuren bleiben die beiden Frauen ohne Namen, sie sollen stellvertretend stehen für alle Menschen und deren unbedingten Willen zu Überleben. In der Tat dreht sich für die drei Protagonisten den ganzen Film über alles ausschließlich um die Befriedigung der absoluten Grundbedürfnisse: Essen, Schlafen, Sex. So ist es auch nicht allzu überraschend, dass in Onibaba nicht allzuviel gesprochen wird. Shindo äußerte mehrfach seine Bewunderung für diesen unbändigen Willen der Menschen, entgegen aller Widrigkeiten und selbst unter höllischen Bedingungen weiterzuleben. Dieses Thema findet sich auch in Die nackte Insel wieder, den er vier Jahre zuvor gedreht hatte.
Das tiefe Loch mitten in dem Nichts aus Wasser und Schilf, in das die Frauen die toten Samurai „entsorgen“, dient als Symbol für den Tod. Mehrfach springen die beiden über das Loch und so symbolisch dem Tod von der Schippe. Mit einer solchen Szene endet auch der Film – die Schwiegertochter springt über das Loch, bei der ihr hinterherlaufenden Mutter bleibt offen, ob sie hineinstürzt. Shindo hat allerdings in einem Interview selbst die Interpretation nahegelegt, dass sie es schafft, weil sie immer noch vom unbedingten Willen zum Leben beflügelt wird und sich auch durch die ihr widerfahrene Bestrafung durch die Maske nicht unterkriegen lässt.
Zwar leben die Frauen in stetiger Angst vor den kriegführenden Samurai, aber auch der zurückgekehrte Hachi ist ein Eindringling, beschwört Konflikte herauf. Die Mutter lässt ihn das unmissverständlich wissen: „Wir sind wir und du bist du.“ Es gibt kein Gemeinschaftsgefühl, jeder versucht nur, sein eigenes Überleben zu sichern. Als die Tochter dann ihr Verhältnis mit Hachi beginnt, merkt die Mutter wie sich dieses Gemeinschaftsgefühl verschiebt und sie droht, nun selbst zur Außenseiterin zu werden. Um die Schwiegertochter an sich zu binden, schürt sie deren schlechtes Gewissen und berichtet Schauermärchen über die Hölle, in die Ehebrecher nach dem Tode kämen. Dies könnte durchaus auch ein Seitenhieb Shindos auf die Instrumentalisierung sexueller Begierden durch religiöse Bewegungen sein.
Je weiter sich die Beziehung von Hachi und der Tochter entwickelt, um so mehr verschieben sich die Gewichte in der Beziehung zwischen den beiden Frauen. Ist es anfangs die Mutter, die den Ton angibt, wird die Tochter nach und nach immer aufmüpfiger und unabhängiger. Als sie am Ende entdeckt, dass hinter der Maske kein Dämon sondern ihre Schwiegermutter steckt, kehrt sich die ursprüngliche Abhängigkeit in ihr Gegenteil um, nun hält sie alle Trümpfe in der Hand und die Schwiegermutter ist ganz auf ihre Hilfe angewiesen. Shindo bringt dieses neue Machtverhältnis auch ganz bildhaft zum Ausdruck.
Überhaupt, die Bilder! Wie kaum ein anderer Film brennt sich Onibaba unauslöschlich ins Gedächtnis ein mit seiner unvergesslichen Bildsprache. Kein anderer japanischer Film ist in den letzten Jahren so oft von Lesern meines Blogs angefragt worden, und alle Mails lauteten etwa „ich habe da mal einen Film gesehen, in dem überall Schilf ist, vielleicht wissen Sie, welcher das sein könnte?“ und dann weiß ich schon, dass sie nur Onibaba meinen können. Das Schilf soll übrigens laut Shindo ebenfalls ein Symbol sein, für das bewegte, vom Sturm gepeitschte Leben der Menschen und deren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.
Nicht nur das Schilf prägt den Film, es sind vor allem auch die Kontraste. Der ständige Gegensatz von hell und dunkel, der sich im Schattenwurf des Schilfs findet, wird in vielen Szenen aufgegriffen, in denen die Protagonisten sich durch Tupfen von Licht kämpfen. Ruhige und lange Einstellungen wechseln mit dynamisch geschnittenen Szenen, auf Landschaftsbilder folgen Nahaufnahmen. Das setzt sich auch klanglich fort: Momente absoluter Stille werden plötzlich von dröhnenden Paukenschlägen unterbrochen.
Die Dreharbeiten müssen für alle Beteiligten die Hölle gewesen sein. Praktisch einen ganzen Sommer, von Juli bis September, verbrachte das Team rund um die Uhr in einem Sumpf. Auf Grund des niedrigen Budgets waren die Unterkünfte sehr einfach gehalten und wurden bei Taifunen mehrfach überschwemmt. Shindos Regieassistenten verbrachten Tage damit, bis zur Hüfte im Schlamm stehend das tiefe Loch zu graben oder hölzerne Planken zu verlegen, auf denen die Schauspieler dann ihre spektakulären Läufe durch die Schilflandschaft durchführen konnten. Die emotionale und atmosphärische Dichte des Films dürfte zu einem guten Teil auf diese extremen Arbeitsbedingungen, die das Team zusammenschweißten, zurückzuführen sein.
Onibaba ist zweifelsohne eines der herausragendsten Werke der japanischen New Wave Ära und bis heute einer der international bekanntesten japanischen Filme überhaupt – und das völlig zu Recht! Regisseur und Drehbuchautor Kaneto Shindo verwandelte ein altertümliches japanisches Schauermärchen in eine Parabel voller psychologischer Anspielungen und zeitlos-universeller Themen und fing diese in berauschend schönen, ausdrucksstarken schwarz-weiss Bildern ein. So ist Onibaba ein gleichermaßen intelligenter wie schön anzusehender, unterhaltsamer wie zutiefst verstörender Film.
3 Kommentare for "Onibaba"
Volle Zustimmung, Klaus! Onibaba gehört auch in meine ewige Bestenliste. Anscheinend beflügelt der Film deinen Schreibstil, denn in jeder Zeile spiegelt sich deine Begeisterung.
[…] Eine erstklassig bebilderte, lebendige Besprechung des Films findet sich übrigens auch unter: http://www.japankino.de/2010/onibaba/ […]
[…] zu mehr als 100 weiteren Filmen. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Meisterwerke wie Onibaba, Die nackte Insel und Die Kinder von Hiroshima, die alle auch Teil der Retro in Köln […]
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