26 Sep
Originaltitel: Musashino fujin (1951) von Kenji Mizoguchi
Michiko (Kinuyo Tanaka) und ihr Mann Akiyama (Masayuki Mori) fliehen aus dem zerstörten Tokyo zu Michikos Eltern, die ein Anwesen im ländlichen Vorort Musashino besitzen. Schon kurz nach ihrer Ankunft stirbt Michikos Mutter, und bald darauf auch ihr Vater, dem sie vor seinem Tod noch das Versprechen gibt, die Ehre der altehrwürdigen Familie hochzuhalten. Doch ihre Ehe mit Akiyama ist zerrüttet, ebenso wie die ihres Vetters und Nachbarn Eiji mit der intriganten Tomiko.
Als nach Kriegsende Michikos jüngerer Cousin Tsutomu (Akihiko Katayama) aus der Kriegsgefangenschaft nach Musashino zurückkehrt und bald nicht nur für die schöne Landschaft Musashinos sondern auch für Michiko schwärmt, entsteht für sie ein moralisches Dilemma: Sie erwidert zwar seine Gefühle und verurteilt das Verhalten ihres Mannes, der mehr oder weniger offen auf der Suche nach Affären ist. Dennoch schwört sie sich, ihre moralischen Verpflichtungen zu respektieren und ihrem Ehemann loyal und treu zu bleiben.
Als Eiji Michiko darum bittet, ihm mittels einer Hypothek auf den Familienbesitz aus einer finanziellen Krise zu helfen, spitzt sich die Situation allerdings schlagartig zu: Akiyama droht mit Scheidung, entwendet Besitzurkunden und macht sich mit Tomiko nach Tokyo auf. Völlig verzweifelt fasst Michiko den Entschluss, sich das Leben zu nehmen. Erst an ihrem Sterbebett bereut Akiyama sein Verhalten, und Tsutomu sieht ein, dass er einem utopischen Idealbild einer untergegangenen Epoche nachträumte.
Mit seinem Stamm-Drehbuchautoren Yoshikata Yoda verfilmte Kenji Mizoguchi aufbauend auf einem Roman von Shohei Ôka die tragische Geschichte einer Frau, die in mehreren Konflikten gefangen ist, aus denen es in ihrem moralischen Weltbild keinen Ausweg gibt. Gleichzeitig wird die Auflösung dieser Moralvorstellungen und die Modernisierung der japanischen Gesellschaft nach dem Krieg thematisiert.
Mizoguchi stellt besonders bei der Inszenierung des Idylls Musashino sein ganzes Können unter Beweis: Wunderschön komponierte Bilder und lange Kamerafahrten durch Wälder, entlang von Bächen und Feldwegen bringen die Ruhe, Unschuld und Harmonie zum Ausdruck, für die Michiko und ihre Weltanschauung stehen. Das ländliche Musashino wird dabei zum Symbol für hehre, traditionelle Normen und das moderne Tokyo für die Unterordnung dieser Moral unter die hemmungslose Selbstverwirklichung des Individuums.
Zwar wird Michiko teilweise schon fast wie eine Heilige dargestellt. Andererseits erweist sich das Idyll Musashino am Ende des Films aber als Trugbild und die letzte Kameraeinstellung, ein Schwenk über das prosperierende, moderne Tokyo, entlässt den Zuschauer mit einer durchweg positiven Stimmung (siehe Screenshot oben). Das zeigt, dass Mizoguchi die Modernisierung nicht grundsätzlich ablehnt. Ihm geht es darum, die sich aus den im Umbruch befindenden Moralvorstellungen ergebenden Konflikte als solche zu thematisieren sowie die Konsequenzen für die Menschen, die sich in dieser Umbruchsituation zurechtfinden müssen.
Vor allem das Dreieck aus Michiko, Tsutomu und Akiyama symbolisiert das Ringen mit dieser Umbruchsituation. Der Literaturprofessor Akiyama gefällt sich in der Rolle des intellektuellen Provokateurs und produziert sich vor seinen jungen Student(innen) mit Theorien zur befreienden Wirkung des Ehebruchs. Tsutomu greift diesen Gedanken nur zu gerne auf, beisst dabei aber bei Michiko auf Granit. Seine Bemerkung, Liebe sei Freiheit und Freiheit gebe Kraft, kontert sie mit den Worten „Kraft erwächst immer aus Moral“. So ist Tsutomu hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Symbolfiguren und sucht mal das schnelle Vergnügen und den schnellen Sex in Tokyo und mal die reine, wahre Liebe in Musashino.
Diese Konflikte sind aber stellenweise doch sehr an den sozialen und historischen Kontext gebunden. So ist es aus heutiger Sicht trotz Kinuyo Tanakas Präsenz nicht einfach, sich mit Michiko zu identifizieren, die zwischen der auf traditionellen Vorstellungen von Ehre und Moral basierenden Loyalität zu ihrem Mann auf der einen und ihren Gefühlen auf der anderen Seite hin- und hergerissenen ist. Zudem wirkt die etwas hölzerne Darstellung des Tsutomu durch Akihiko Katayama phasenweise wenig glaubwürdig und authentisch. Großartig ist dagegen Masayuki Mori als große Reden schwingender Möchtegern-Ehebrecher, der sich letztlich doch immer an irgendeinem Rockzipfel festhalten will.
Interessanterweise gibt Die Dame von Musashino in vieler Hinsicht so etwas wie ein zeitgenössisches Spiegelbild zum drei Jahre später entstandenen Eine Erzählung nach Chikamatsu ab, unter umgekehrten Vorzeichen: Beide befassen sich mit einer Frau, die zwischen der Loyalität zu Mann und Familie und ihren wahren Gefühlen entscheiden muss. Während der eine allerdings in der Gegenwart spielt und eine Frau zeigt, die sich an ihrem inneren Konflikt zerreibt, spielt der andere in der feudalen Vergangenheit und hat eine Heldin, die in diesem Konflikt klar Position bezieht und sich gegen traditionelle Erwartungen zur Wehr setzt.
Die Dame von Musashino kann nicht mit solch herausragenden Meisterwerken Mizoguchis wie Ugetsu oder Das Leben der Frau Oharu mithalten. Neben zahlreichen seiner anderen Filmen, in denen starke Frauen versuchen, sich gegen sozialen Druck zu behaupten, wirkt er zudem vergleichsweise konservativ. Dennoch ist er ein berührender Film über eine aufrechte, tragische Heldin, die in der damaligen Zeit das Dilemma vieler japanischer Ehefrauen versinnbildlicht haben dürfte.
[Dies ist die erweiterte und überarbeitete Fassung eines ursprünglich am 9. Oktober 2006 veröffentlichten Artikels.]
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