16 Okt
Original: Yojimbo (1961), von Akira Kurosawa
Im Japan des Jahres 1860 kommt ein Ronin (Toshiro Mifune), der sich selbst nur Sanjuro nennt, in eine Stadt, in der sich die rivalisierende Banden eines Bordellbesitzers und eines Wirts um die Vorherrschaft streiten. Er beginnt, die beiden Banden gegeneinander auszuspielen, in der Hoffnung, dass sie sich gegenseitig auslöschen. Dazu bietet er sich mal dem einen, mal dem anderen als Leibwächter (japanisch: Yojimbo) an und befeuert auf jede nur mögliche Art die Rivalität zwischen den beiden.
In die Quere kommt ihm bei seinen Plänen Unosuke (Tatsuya Nakadai), der misstrauische und verschlagene jüngere Bruder des Wirts, der obendrein auch noch mit der überlegenen Kampfkraft einer Pistole ausgestattet ist. Er ist ein ebenbürtiger Gegner für Sanjuro, durchschaut dessen Streiche und überwältigt ihn. Auch wenn er und seine Sippe schon wie die sicheren Sieger aussehen, Sanjuro gibt sich noch nicht geschlagen.
Yojimbo enthält viele Elemente des klassischen Westerns, sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Kurosawa reichert diese noch mit einem großen Maß an Grausamkeit und moralisch zwiespältigen Gestalten an, allen voran der Yojimbo selbst, sowie einem ständig ins Groteske abdriftenden schwarzen Humor. Diese Mischung machte den Film nicht nur sehr erfolgreich, er leitete damit auch eine grundlegende Wandlung des traditionellen Jidaigeki-Genres ein, das sich seit Ende der 1950er Jahre in einer tiefen Krise befand.
Die offene Darstellung von Gewalt, abgehackten Gliedmaßen und Blutlachen in Yojimbo und der inoffiziellen Fortsetzung Sanjuro zwei Jahre später ließen die traditionellen tanzartigen Chanbara-Schwertkämpfe sehr alt aussehen. So wurden diese innerhalb kürzester Zeit durch die Gemetzel ersetzt, die man heute mit den trashigen Martial-Arts-Filmen in Verbindung bringt. Kurosawa selbst bedauerte diese, durch seine Filme maßgeblich mit angestoßene Entwicklung später ausdrücklich.
Doch Kurosawa wurde nicht nur durch den amerikanischen Western inspiriert, sein Film wurde schnell selbst zu einer zentralen Inspirationsquelle für Hollywood und erlangte große Bedeutung. Die karikierende, überzogene Darstellung der Charaktere und die Demontage des Helden fanden schon kurz darauf Eingang in das im Entstehen begriffene Genre der Italo-Western. Sergio Leone griff für sein Remake Für eine Handvoll Dollar den allgegenwärtigen Zynismus, die Gewalt und den undurchsichtigen Rächer auf und stellte damit den US-Western auf den Kopf.
Eigentlich handelte es sich dabei allerdings weniger um ein Remake als ein Plagiat, da die italienische Produktionsfirma weder von Toho noch von Kurosawa die Rechte dazu erhalten hatte. Szenen wie der obige Screenshot mit mehreren verschachtelten Bildebenen, von denen eine visuell dominiert und die anderen in den Hintergrund drängt, gehörten später zu den Markenzeichen Leones. Nach langjährigem Rechtsstreit (der unter anderem dazu führte, dass Für eine Handvoll Dollar erst mit mehrjähriger Verspätung in die US-Kinos kam) wurde Kurosawa schließlich eine Beteiligung am Einspielergebnis zugesprochen. Kurosawa selbst wiederum soll durch den Roman „Red Harvest“ von Dashiell Hammett zu seinem Film inspiriert worden sein, was er selbst jedoch in Interviews bestritt.
Auffallend ist besonders Kurosawas Umgang mit seiner Heldenfigur. Bereits in der Eingangssequenz wird der Mythos des aufrechten Helden im wahrsten Sinne des Wortes angekratzt: Die Kamera zeigt in Großaufnahme den Rücken des ziellos durch die Lande ziehenden und sich – vermutlich wegen Flöhen – immerzu kratzenden Sanjuro. Im Verlauf der Handlung werden dann die guten Seiten des Ronin wie Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeitsempfinden immer wieder mit seinen negativen (Zynismus, Gewaltbereitschaft) kontrastiert.
So massakriert er mal eben ein paar Menschen, um die Banden gegeneinander aufzuhetzen, und lehnt sich dann vergnügt zurück um mit großem Spaß die Kämpfe der Banditen untereinander zu verfolgen. In diesen Szenen erinnert er an einen kleinen Jungen, der einem hilflosen Insekt die Flügel ausreißt: Man ist angewidert, aber zugleich kann man dem Rabauken nicht böse sein und ist irgendwie auch von der naiven Blutrünstigkeit fasziniert. Damit stellt er den idealen „Helden“ für eine aus den Fugen geratene Welt dar, in der der Mensch zum Tier wird. Für diese Weltsicht steht besonders auch eine Szene, in der Sanjuro am Anfang des Films aus dem Dorf ein Hund entgegen kommt, eine abgehackte menschliche Hand im Maul. Zusammen mit der begleitenden Musik stellt diese Szene einen Höhepunkt des Grotesken dar und gilt bis heute als eine der Ikonen in Kurosawas Werk.
Überhaupt ist Yojimbo schon fast so etwas wie ein destilliertes Extrakt aus Kurosawas Werk, mit allem was typischerweise dazu gehört, und davon reichlich. Zum einen ließ er hier erstmals Mifune und Nakadai aufeinander treffen, deren Duell die zweite Hälfte des Films bestimmt und die danach noch in Sanjuro und Zwischen Himmel und Hölle gemeinsam für Kurosawa vor der Kamera standen – und die jeweils stellvertretend für Kurosawas Frühwerk (Mifune) bzw. Spätwerk (Nakadai) stehen.
Zum anderen enthält der Film so ziemlich alle typischen Stilelemente des Regisseurs, seien es die stimmungsprägenden Wetterphänomene, die den Raum komprimierenden Aufnahmen mit extrem langen Brennweiten oder die besonders in den Innenszenen ständig wiederkehrende Strukturierung des Raums. Nur wenige seiner Filme warten mit einer vergleichbaren Dosis und Bandbreite auf, weshalb Yojimbo in meinen Augen zusammen mit Rashomon der Vorzeige-Kurosawa schlechthin ist.
Klassische Westernelemente und innovative Ansätze; eine geradezu archetypische Story mit einem Duell zweier ungleicher und doch wesensverwandter Männer; ein undurchsichtiger, widersprüchlicher Anti-Held; fantastische Bildkompositionen und ein kongenialer Soundtrack – Yojimbo ist ohne Zweifel und völlig zu Recht eines der bekanntesten und einflussreichsten Werke Kurosawas. Wer diesen herausragenden Film noch nicht gesehen hat, sollte dies schnellstens nachholen!
[Hinweis: Dies ist die stark erweiterte und überarbeitete Fassung eines ursprünglich am 23. September 2006 veröffentlichten Posts.]
Vor einigen Wochen hatte ich erstmals davon berichtet, dass die Japan Foundation in Zusammenarbeit mit mehreren Kinos und Filmmuseen aus ganz Deutschland aus Anlass der 150jährigen Deutsch-Japanischen Freundschaft die umfassendste Kurosawa-Retrospektive plant, die wir hierzulande je hatten. Inzwischen habe ich den kompletten Spielplan für alle Filme und alle Spielstätten und will euch den natürlich nicht vorenthalten!
Die Retrospektive startet in Köln am 1. September und wird dort in den Räumen des Japanischen Kulturinstituts gezeigt. In Berlin geht es am 5. September los, dort ist das Kino Arsenal der Spielort. Das Münchener Filmmuseum startet dann am 9. September, am 13. September folgt das Filmmuseum Düsseldorf. Eine Auswahl der Filme zeigt das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt ab dem 2. November, ebenso das Filmhaus Nürnberg ab dem 18. November und das Metropolis Kino in Hamburg ab dem 4. Dezember.
Achtung, der Spielplan enthält nur Filme, bei denen Kurosawa selbst Regie führte! Das Filmmuseum München beispielsweise zeigt noch 4 weitere Filme, die auf Kurosawas Drehbüchern basierten, nämlich Runaway Train, Dora-Heita, After the Rain, The Sea is coming sowie A.K., Chris Markers Dokumentation der Dreharbeiten zu Ran.
Ruhig war es hier die letzte Zeit. Das hatte aber nichts mit Sommerloch zu tun oder damit, dass ich untätig gewesen wäre, ganz im Gegenteil: Vor zwei Wochen erreichte mich eine Anfrage vom Filmmuseum München, am Programm der umfassendsten Kurosawa-Retrospektive mitzuarbeiten, die je in Deutschland gezeigt wurde!
Aus Anlass des 150jährigen Jubiläums der Japanisch-Deutschen Freundschaft organisiert das Japanische Kulturinstitut eine Kurosawa-Retrospektive, die sich gewaschen hat! In mehreren Städten – darunter meines Wissens Hamburg, Berlin, Köln, München – soll das vollständige Werk Kurosawas mit allen 30 Filmen gezeigt werden, wobei der Umfang von Stadt zu Stadt je nach ausführendem Kino variieren wird.
Die Münchner setzen für „ihre“ Retrospektive sogar noch einen obendrauf: Das Filmmuseum zeigt in seiner Retrospektive zusätzlich zu den von Kurosawa selbst gedrehten Filmen noch vier weitere Werke anderer Regisseure, die auf seinen Drehbüchern basieren, sowie die Dokumentation A.K. von Chris Marker. Insgesamt also 35 Filme von Kurosawa oder mit Kurosawa-Bezug! Die Retrospektive im Filmmuseum soll von Anfang September bis kurz vor Weihnachten laufen, wie die Planungen in den anderen Städten aussehen, ist mir derzeit noch nicht bekannt. Sobald ich mehr weiß, lest ihr das natürlich hier… Off the record, on the QT, and very hush-hush. 😉
31 Jan
Originaltitel: Kakushi-toride no san akunin (1958), von Akira Kurosawa
Japan zur Zeit der Bürgerkriege: Die beiden Bauern Matakishi (Kamatari Fujiwara) und Tahei (Minoru Chiaki) haben sich in der Hoffnung auf schnellen Reichtum den Truppen angeschlossen, fanden sich aber auf der Verliererseite wieder. Doch als sie dem Gefangenenlager entkommen, entdecken sie Reste des Goldschatzes des besiegten Akizuki-Klans. Mit Hilfe dieses Schatzes wollen General Rokurota Makabe (Toshiro Mifune) und die überlebende Prinzessin Yuki (Misa Uehara) die Regentschaft ihres Klans wiederherstellen. Rokurota macht sich die beiden Bauern durch Zwang und die Förderung ihrer Gier als Lastträger zunutze, denn es gilt, erst das Feindesland unentdeckt zu durchqueren.
Doch die beiden Tolpatsche versuchen ständig, dem charismatischen General ein Schnippchen zu schlagen und bringen dadurch wiederholt die gesamte Gruppe in Gefahr, entdeckt zu werden. Nur durch Rokurotas Ideenreichtum, Wagemut und Kampfkraft, verbunden mit einer gehörigen Portion Glück, gelingt es der Gruppe, in diversen scheinbar ausweglosen Situationen doch noch ein Hintertürchen zu finden. Doch als sie kurz vor der Grenze zu einem befreundeten Fürstentum in Gefangenschaft geraten, scheint es keinen Ausweg mehr zu geben.
Kurosawa erzählt die Geschichte vom entgegengesetzten Ende der sozialen Pyramide, womit er auch die Konventionen des Chanbara-Genres auf den Kopf stellt. Anstatt die Zuschauer in die Perspektive der Prinzessin oder eines aufrechtes Samurais zu versetzen, verfolgen wir die Geschehnisse aus der Perspektive der beiden Bauern, die sich ähnlich wie Laurel und Hardy permanent zanken und kabbeln, aber eigentlich dicke Freunde sind. Ständig jammernd, feige und auf ihren eigenen Vorteil bedacht stellen diese beiden so ziemlich das genaue Gegenteil des traditionellen Helden dar. Damit knüpft Kurosawa an seine in Die Sieben Samurai begonnene Dekonstruktion des Samurai-Genres an und führt diese noch einen Schritt weiter.
Außerdem fügt er mit diesem Kniff der traditionellen Abenteuer- und Actiongeschichte auch Elemente einer Buddy-Komödie hinzu. Eine sehr moderne Mischung, die in den letzten Jahrzehnten in allen erdenklichen Kombinationen ausprobiert wurde und die hier sehr gut funktioniert, nicht zuletzt durch den Kontrast mit Mifunes General. Der liefert sich ein psychologisches Dauerduell mit den beiden, die er mit allerlei Kniffen kontrollieren muss, über die er gleichzeitig aber auch schmunzelt.
Für Mifune ist der aufrechte, unbezwingbare Samurai-General eine Paraderolle. Wie eine Naturgewalt fegt er alles hinweg, was sich seinem Ziel, der Wiedereinsetzung der Prinzessin, entgegenstellt. Zugleich bringt er aber auch persönliche Opfer und liefert seine eigene Schwester als Doppelgängerin an die Gegner aus. Aber dieses Ziel hat er sich nicht selbst gesetzt, es wurde ihm durch seine sozialen Verpflichtungen, seine Loyalität gegenüber dem Haus Akizuki, auferlegt. Insofern unterscheidet sich Roturoka von anderen Helden Kurosawas, da er sich den sozialen Strukturen unterordnet.
Doch der Film erzählt auch die Geschichte einer willensstarken, aber verwöhnten und verzogenen jungen Prinzessin, die ihren General Rokurota auch mal vor ihren Beratern zusammenstaucht. Auf der gefahrvollen, heimlichen Reise durch das Feindesland macht sie ihre ersten Erfahrungen außerhalb des Hofes und lernt viel über die Menschen, das Leben und dessen Wert. Dieser unübersehbare charakterliche Reifeprozess ist es letztlich, der sie vor dem sicheren Tod rettet und es ihr erst ermöglicht, die Mission zu Ende zu führen und ihrem Haus wieder zu Ansehen zu verhelfen.
Für Die verborgene Festung nutzte Kurosawa zum ersten Mal das Breitbild-Format und es zeigt sich, dass seine Ästhetik der langen Tele-Aufnahmen, der Einbeziehung grandioser Landschaften und seine Bildkomposition davon sehr profitierten. Schön zu sehen ist dies beispielsweise in den monumentalen Kampfszenen (die mit ihren Massenszenen auf der Treppe einer zerstörten Burg wie eine Hommage an Sergej Eisenstein wirken), bei Arrangements der Charaktere auf verschiedenen Bildebenen oder der Eröffnungssequenz mit den beiden sich in der Wüste zankenden Bauern.
Die Mischung aus Abenteuer, Action und den beiden tolpatschigen Streithähnen kam beim Publikum sehr gut an und wurde der kommerziell erfolgreichste Film Kurosawas. Aber Die verborgene Festung war auch darüber hinaus eines seiner einflussreichsten Werke: Die Geschichte war später maßgebliche Inspiration für Krieg der Sterne, Matakishi und Tahei wurden zu Vorbildern für R2D2 und C3PO und mehrere Szenen finden sich in George Lucas‘ Blockbuster wieder.
Kurosawas Erwartung an sich selbst war es immer, mit einer unterhaltsamen aber zugleich tiefgründigen Geschichte Zuschauer mit den unterschiedlichsten Ansprüchen gleichermaßen in seinen Bann zu ziehen. Meiner Meinung nach ist ihm dies hier so gut gelungen wie in kaum einem anderen seiner Filme.
(Dies ist die überarbeitete und ergänzte Version eines Beitrags, den ich ursprünglich am 30. Oktober 2006 veröffentlicht habe.)
18 Mai
Sugata Sanshiro (1943) von Akira Kurosawa
Kurosawas Erstlingswerk schildert die Geschichte des jungen Sanshiro (Susumu Fujita), den es in die Stadt zieht, um Jiujitsu zu erlernen. Doch als er Zeuge wird, wie der Judo-Meister Yano (Denjiro Okochi) eine ganze Truppe Jiujitsu-Kämpfer besiegt, bittet er diesen, in seine Schule eintreten zu dürfen. Dort wird Sanshiro von Yano jedoch nicht nur die Kunst des Kampfes gelehrt. Der weise Meister fordert von Sanshiro, der sich als überaus begabt erweist, zugleich Demut und Respekt anderen gegenüber und die Bereitschaft, lebenslang an sich selbst zu arbeiten.
Dem jungen Sanshiro fällt diese Entwicklung nicht leicht, immer wieder muss er mit sich und seinem ungestümen Wesen ringen. Als er sich in die Tochter seines Meisters verliebt, zieht er sich zudem den Zorn des Jiujitsu-Meisters Gennosuke (Ryunosuke Tsukigata) zu, der ebenfalls ein Auge auf sie geworfen hat. Schließlich fordert er Sanshiro zum Kampf.
Sanshiro ist gewissermaßen der Urtyp des Helden, den Kurosawa in zahlreichen seiner folgenden Filme immer wieder auf die Leinwand schickt: Von Yukie in Kein Bedauern für meine Jugend bis zum jungen Arzt Yasumoto in Rotbart lässt er seine Helden immer wieder eine Entwicklung durchmachen, die sie auf den Weg der Selbsterkenntnis führen und sie verstehen lassen, dass ein erfülltes Leben nur über Hingabe und Aufopferung für ein höheres Gut zu erreichen ist.
Auch in anderer Hinsicht ist Sanshiro Sugata stilbildend für Kurosawas Werk. Zahlreiche für ihn typische Elemente finden sich bereits in seinem Erstling, darunter die auffallenden Schnitte per Wipe oder die Nutzung von Wetterphänomenen um die atmosphärische Wirkung einer Szene oder einer Entwicklung des Charakters oder der Handlung zu unterstreichen.
Das herausragende Beispiel dafür ist die finale Begegnung Sanshiros und Gennosukes, ein Kampf, der an einem windumtosten Berghang ausgetragen wird. Die von Windböen gepeitschten Gräser, die am Himmel vorüber ziehenden Wolkenfetzen sorgen für eine dramatische Grundstimmung und lassen doch die Auseinandersetzung dieser kleinen, unscheinbaren Menschlein geradezu banal erscheinen. Ein Bewusstsein für die eigene Bedeutungslosigkeit und Vergänglichkeit und die daraus resultierende Demut gehört zu den wichtigsten Lektionen die Sanshiro lernt – und mit deren Hilfe er Gennosuke besiegt.
Besonders begeistert hat mich an Sanshiro Sugata außerdem die Eröffnungssequenz. Darin sehen wir eine geschäftige Straße einer Stadt hinunter, die Kamera folgt der Straße, biegt dann in ein kleines Gässchen ab, in dem einige Kinder spielen und singen. Die Kamera fährt weiter auf die Kinder zu, doch unsere Erwartung, dass entweder eines der Kinder einen wichtigen Charakter darstellt oder ein solcher Charakter gleich ins Bild tritt, stellt Kurosawa auf den Kopf: Er wechselt nämlich die Perspektive um 180 Grad und wir sehen Sanshiro an Stelle der Kamera – wir haben die ganze Zeit durch seine Augen gesehen!
Sehr beeindruckend – gerade für das Debut eines jungen Regisseur – sind auch die Eleganz und Raffinesse, mit denen Kurosawa beispielsweise das Vergehen der Zeit symbolhaft darstellt. Ein Klassiker ist Sanshiros Holzsandale, die er bei der Begegnung mit seinem Meister Yano verliert und die in einer raschen Abfolge in den verschiedensten Situationen gezeigt wird, mal im Regen liegend, mal als Spielzeug eines Hundes oder im Fluß dahintreibend (schön in Screenshots dokumentiert bei Micha). So wird die Sandale zum Platzhalter für Sanshiro und dessen bewegte Erlebnisse in der Zwischenzeit.
Sanshiro Sugata ist nicht nur ein erstaunliches Erstlingswerk, der Film war auch ein großer Erfolg und war für Generationen von Martial-Arts-Filmen mit seiner Inszenierung des Meister-Schüler-Verhältnisses prägend. Leider stand es bisher um die Zugänglichkeit eher schlecht, woran sich jetzt mit der AK100-Box von Criterion (und der anstehenden Auskopplung seiner ersten Filme in einer Eclipse-Box) etwas ändert. Es wäre sehr wünschenswert, wenn dieser Klassiker dadurch mehr Fans des Genres zugänglich werden würde. Denn gesehen haben sollte man den Streifen unbedingt!
28 Apr
Original: Yume (1990) von Akira Kurosawa
Wenn über das Werk Kurosawas geschrieben wird, dann werden dabei gern bestimmte Lebens- und Schaffensphasen unterschieden. Bei den Dreharbeiten von Dreams war der große Regisseur 80 Jahre alt, aber nicht nur deshalb ist der Film als Beginn seines Alterswerks zu sehen.
Dreams besitzt keine fortlaufende Handlung sondern setzt sich aus acht „Träumen“ zusammen die Kurosawa angeblich selbst einmal geträumt hat, alles Episoden mit teilweise sehr unterschiedlichem Charakter. Manche ranken sich um Mythen der japanischen Folklore, andere haben klare Bezüge auf unsere Welt der Gegenwart. Und doch merkt man schnell, dass hier nicht einfach nur wahllos Kurzgeschichten aneinander gereiht wurden: Zum einen ist da das immer wiederkehrende Thema Umgang mit der Natur, die Wertschätzung ihrer Schönheit, der Respekt, den sie uns abnötigt und die Bedeutung eines Lebens im Einklang mit der Natur.
Zum anderen tauchen in jeder Episode Bezüge auf bestimmte Stationen im Lauf eines Lebens auf, die wie ein Bogen die einzelnen Träume überspannen und gewissermaßen zu einem Lebenslauf verbinden. In den ersten beiden Episoden sind das Ereignisse aus der Kindheit wie das Hina-matsuri. Dann folgen einen Menschen prägende Extremsituationen wie Kriegsdienst oder die gefährliche Bergexpedition in der dritten Episode. Anschließend wird die beeindruckende Schaffenskraft und unerschöpfliche Kreativität eines Menschen gefeiert, der seine Bestimmung gefunden hat, bevor dann die dunkleren, selbstzerstörerischen Seiten des Menschseins von Egoismus über Gier bis hin zum Kannibalismus thematisiert werden. Am Ende stehen schließlich ein versöhnlicher Entwurf einer alternativen, genügsamen und sich an den kleinen Dingen erfreuenden Lebensweise sowie ein gelassener Umgang mit dem Tod.
Wer als Zuschauer ein kleines bisschen mit Person und Leben Kurosawas vertraut ist, dem drängen sich beim Sehen des Films gleich mehrfach Hinweise auf eine ausgeprägte autobiographische Komponente auf. Jede Episode, jeder „Traum“ wird aus der Sicht einer Person geschildert, die in den ersten beiden noch ein Kind ist und danach von Akira Terao verkörpert wird, der mit seinem Schlapphut in vielen Szenen ganz offensichtlich an Kurosawa selbst erinnern soll. Auch dass er mehrfach mit einer Zeichenmappe unterwegs ist, deutet auf Kurosawas Liebe zur Malerei hin.
Kurosawa lässt also sein Alter ego den Zuschauer auf eine kleine Reise zu verschiedenen Stationen eines (seines?) Lebens mitnehmen und verbindet die Stationen – mal mehr, mal weniger offensichtlich – mit klaren Botschaften: Da blickt offenbar ein alt gewordener Mann, der viel von der Welt gesehen und viel erlebt hat, zurück auf sein Leben und will seine gewonnen Weisheiten und seine Weltanschauung mit anderen teilen. Diese Versuche der Belehrung sind teilweise verblüffend direkt und simpel, um nicht zu sagen plump, wie etwa in „Mount Fuji in Red“, in der explodierende Atomkraftwerke den Untergang der Menschheit einleiten. Oder wie in der letzten Episode, in welcher der 86jährige Chishu Ryu vom einfachen Leben im Einklang mit der Natur schwärmt und Dinge wie Elektrizität als überflüssigen Schnickschnack entlarvt, der uns nur davon abhält, das Leben in all seiner Schönheit zu genießen.
Man mag sich über diese Belehrungsversuche wundern – aber Kurosawa hatte schon immer eine Agenda. Nur dass er sich als greiser Mann nun einfach die Freiheit nimmt, ganz unverhohlen und direkt Dinge anzuprangern und seine Sicht der Welt darzulegen. Das erinnert teilweise ein bisschen an den Opa, der vom Schaukelstuhl aus seine Enkel belehrt – und in der Tat entwickelte Kurosawa sich mit seinem letzten Film Madadayo ja noch weiter in diese Richtung.
Nun könnte durch das bisher geschriebene der Eindruck entstehen, Dreams wäre kein besonders sehenswerter Film – diesem Eindruck muss ich energisch entgegentreten! Kurosawa ist ein Meister der Farbe und der Komposition und Dreams enthält einige der visuell beeindruckendsten Ideen und betörendsten Bilder aus Kurosawas Werk. Die Screenshots sollten das unübersehbar zeigen und selten fiel es mir so schwer, mich auf 4 oder 5 Screenshots zu beschränken.
Bereits in den vorangegangenen Filmen hatte sich eine Besinnung des Regisseurs auf seine in der Malerei liegenden Wurzeln angedeutet, hier wird sie offensichtlich. Nicht nur, dass er immer wieder wie gemalt erscheinende Szenen auf die Leinwand bannt, in der wohl berühmtesten Episode „Crows“ begegnet sein alter ego dem von Martin Scorsese gespielten Vincent van Gogh und taucht regelrecht in einige der berühmtesten Bilder des Malers ein.
Um diese Szenen umzusetzen begann Kurosawa noch im hohen Alter, mit Special Effects zu experimentieren. Dabei kamen ihm seine Kontakte nach Amerika zugute, so dass er bei der Umsetzung seiner Ideen mit Industrial Light & Magic zusammenarbeiten konnte, der Effektschmiede seines großen Bewunderers George Lucas. Seine Offenheit für Neues und seine Experimentierfreude auch im hohen Alter sind für mich einer der stärksten Belege dafür, was ein außergewöhnlicher Künstler und großer Visionär Kurosawa doch war.
Dreams ist sicher nicht der erste Film, der einem einfällt wenn man an Kurosawa denkt oder den man als erstes empfehlen würde. Aber er ist sein wohl persönlichster Film und allein schon daher für das Verständnis der Person und des Künstlers von immenser Bedeutung. Zugleich ist der Film ein echtes Statement und einfach wunderschön anzusehen.
Original: Kumonosu-jō (1957) von Akira Kurosawa
Nach der heldenhaften Abwehr eines Aufstands kehren die Samurai Washizu (Toshiro Mifune) und Miki (Minoru Chiaki) zum Schloss ihres Fürsten zurück. Unterwegs verirren sie sich im Spinnwebwald und begegnen dort einer Hexe, die ihnen die Zukunft vorhersagt. Washizu und Miki würden noch heute zu Kommandanten von Außenposten ernannt werden, später würde Washizu in der Burg des Fürsten herrschen, Mikis Sohn würde dann allerdings an seine Stelle treten. Beide tun die Prophezeiung zunächst mit einem Lachen ab, bis sie tatsächlich nach ihrer Ankunft in der Burg vom Fürsten wie vorhergesagt befördert werden.
Washizu wird nach der Übernahme des Außenpostens von seiner Frau Asaji (Isuzu Yamada) mit allerlei Verschwörungstheorien so lange bearbeitet, bis er selbst glaubt, Miki würde mit dem Fürsten gemeinsame Sache gegen ihn machen. Als der Fürst zu einem Überraschungsbesuch eintrifft, ermordet Washizu ihn auf Drängen von Asaji und tritt anschließend mit Unterstützung von Miki die Nachfolge des Fürsten an. Doch die Prophezeiung und der feige Mord an seinem Fürsten lasten schwer auf ihm, er steigert sich immer mehr in einen Verfolgungswahn und lässt schließlich seinen getreuen Freund Miki von einem Attentäter köpfen. Nun verbündet sich Mikis Sohn mit anderen Aufständischen und marschiert auf das Schloss im Spinnwebwald.
Vor allem für zwei Dinge ist Das Schloss im Spinnwebwald gemeinhin bekannt: Als Adaption von Macbeth geht Kurosawa hier erstmals den Weg, ein Stück klassische europäische Literatur ins mittelalterliche Japan zu verlegen. In dieser Hinsicht ist der Film direkter Vorläufer zu Ran. Zum anderen ist es die Verbindung mit dem Noh-Theater, die immer wieder hervorgehoben wird. Da ich Macbeth nicht kenne, werde ich auf den Aspekt der Literaturverfilmung nicht weiter eingehen.
Die Elemente des Noh sind besonders in der Figur der Asaji fokussiert, eine interessante Variante wenn man bedenkt, dass Frauen erst wenige Jahrzehnte vor dem Dreh des Films erstmals Rollen in Noh-Aufführungen spielen durften. Auffallend sind besonders Asajis starres, ausdrucksloses Gesicht, das an eine Noh-Maske erinnert sowie ihre manierierten, minimierten Bewegungen. Dazu kommt noch die Inszenierung ihrer Auftritte, die sie fast immer in einem bühnenartigen räumlichen Kontext zeigen. Am konzentriertesten treten alle diese Motive in ihrer finalen Szene auf, in der sie, dem Wahnsinn verfallen, verzweifelt versucht, das Blut und damit ihre Schuld von ihren Händen zu waschen.
An die Bühnenoptik angelehnte Szenen finden sich noch einige mehr und diese tragen einen guten Teil zur düsteren Atmosphäre und der distanziert-mysteriösen Ästhetik des Films bei. Ähnlich wie später auch in Ran will Kurosawa uns auf Distanz zu den Charakteren halten, statt durch eine emotionale Identifikation mit den Figuren soll die Botschaft des Films eher rational erfasst werden. Dies wird auch unterstrichen durch die Einfassung des Films, in der jeweils zu Anfang und Ende ein Chor vor den mörderischen Konsequenzen übersteigerter Ambitionen und Ehrgeizes warnt – die Botschaft des Films ist schon vor dem Einsetzen der eigentlichen Handlung klar.
Dennoch gibt es den einen oder anderen Gänsehautmoment, etwa als Washizu aus Asajis Händen den Speer ergreift und mit sich und seinem Ehrenkodex ringt. Er zögert zunächst, blickt wie nach einem Ausweg suchend um sich und stiert dann seine Frau an. In diesem Moment leuchten Mifunes Augen geradezu dämonisch auf – vermutlich ein genialer Beleuchtungseffekt – und dann stürmt er aus dem Raum, um seinen Fürsten hinterrücks zu ermorden. Diese vor Intensität förmlich vibrierende Szene, in der keine Worte nötig sind, um Washizus Kampf mit sich selbst zu verdeutlichen und an deren Ende er alles verrät, an das er bisher geglaubt und für das er gelebt und gekämpft hat, ist es allein schon wert, den Film zu sehen!
Weiteres beherrschendes visuelles Motiv des Films ist – wie könnte es bei Kurosawa anders sein – ein Wetterphänomen, nämlich der Nebel. Schon im Vorspann mit dem Chor ziehen dicke Nebelschwaden über die Trümmer des Schlosses. Immer wieder sehen wir später die Charaktere ziel- und orientierungslos durch den Nebel reiten, in einer Szene ganze 12 Mal hintereinander! Genauso, wie Washizu im Nebel die Orientierung verliert, so sind es sein Streben nach Macht und Ruhm, die seinen moralischen Kompass durcheinander bringen und ihn hilflos auf sein Ende zutaumeln lassen.
Visuell und konzeptionell ist Das Schloss im Spinnwebwald ein durch und durch beeindruckendes Werk. Im Vergleich zu anderen Filmen Kurosawas aus den 50er Jahren sind mir die Charaktere aber zu schablonenhaft und stereotyp gezeichnet, die Vielschichtigkeit vermisse ich gerade angesichts des Umstands, dass es hier eigentlich nur drei Hauptcharaktere gibt. Gut möglich, dass das Teil der engen Anlehnung an Noh ist und mir einfach der Zugang dazu fehlt. Darüber hinaus ist mir aber auch die Art, wie uns die Botschaft des Films eingehämmert wird, zu plakativ.
Das Schloss im Spinnwebwald ist ein wirklich sehenswerter Film, als Adaption von Macbeth mag er sogar einzigartig und herausragend sein (das kann ich nicht beurteilen), im Vergleich mit anderen Werken Kurosawas rangiert er für mich alles in allem aber nur im Mittelfeld. Vielleicht bin ich in meiner Beurteilung allerdings auch dadurch geprägt, dass ich nicht an so was wie Schicksal glaube.
Den Auftakt zu meinen persönlichen AK100-Feierlichkeiten macht heute ein Schnelldurchlauf durch einige der wichtigsten Stationen seiner Regiekarriere in Form von Trailern, wobei ich versucht habe solche zu finden, in denen der „Tenno“ auch selbst auftaucht. Los geht’s natürlich mit dem Film, mit dem sein kometenhafter Aufstieg zu internationalem Ruhm begann: Rashomon.
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=xCZ9TguVOIA[/flash]
10 Jahre später stand sein größter kommerzieller – und meistkopierter – Erfolgsfilm bevor: Yojimbo.
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=BtieaYeqMbM[/flash]
1963 dann Kurosawas letzter und zugleich bester Ausflug ins Kriminalgenre: Zwischen Himmel und Hölle.
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=xfCYzNoosfw[/flash]
Während zwei Jahren Vorbereitungs- und Drehzeit kam es schließlich zum Bruch mit Toshiro Mifune, seinem perfekten, kongenialen Partner vor der Kamera. Rotbart wurde ihre letzte gemeinsame Arbeit:
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=TgNgXsKSzp0[/flash]
Nach der gescheiterten Beteiligung an dem Großprojekt „Tora! Tora! Tora!“ arbeitete Kurosawa doch noch im Ausland, allerdings hinter dem „Eisernen Vorhang“ in der Sowjetunion. In den Weiten Sibiriens entstand Dersu Uzala:
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=ENaCqkJUVLI[/flash]
Fünf Jahre vergingen, bis Kurosawa die Finanzierung für ein Projekt sicher gestellt hatte, das mit Abstand der aufwändigste Hintergrund für eine Whiskey-Werbung aller Zeiten war: Kagemusha.
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=OGYvLtNFUgQ[/flash]