Many people have suggested that I write an autobiography, but I have never before felt favorably disposed toward the idea. This is partly because I believe that what pertains only to myself is not interesting enough to record and leave behind me. More important is my conviction that if I were to write anything at all, it would turn out to be nothing but talk about movies. In other words, take „myself“, subtract „movies“ and the result is „zero“.
Glücklicherweise hat sich Akira Kurosawa irgendwann um 1980 dann doch noch aufgerafft, seine Autobiographie zu schreiben. Und man merkt schon den ersten Sätzen, in denen er seine frühesten Kindheitserinnerungen beschreibt, an, was für ein großartiger Erzähler er war. Kein Vergleich mit den verschiedenen Politiker-Autobiographien, die ich bisher gelesen habe! Hier werden die Erinnerungen wirklich lebendig, entstehen dramatische oder nostalgisch-verklärende Bilder vor unseren Augen.
Von einem wahrhaft bewegten Leben kann Kurosawa berichten, der ja noch in der Meiji-Ära 1910 geboren wurde, als Japan sich mitten im Umbruch von einer feudalistischen, zurückgebliebenen Nation zu einer modernen Industriegesellschaft befand. Die ersten Kapitel berichten von seiner nicht einfachen Schulzeit, Hobbies, dem Alltag und wichtigen Vorbildern wie seinem älteren Bruder oder einem Kunstlehrer. Dramatische Erlebnisse bringen dann die 1920er, beginnend mit dem Kanto-Erdbeben, über sein Engagement in linksradikalen Künstlerkreisen bis hin zum Selbstmord seines Bruders.
Richtig spannend wird es dann mit seinem Eintritt in das Filmstudio PCL 1935 und den Schilderungen über seine erste Arbeit als Assistent von Kajiro Yamamoto, den Kurosawa als den besten Lehrmeister verehrt. Mit den ersten eigenen Filmen während der Kriegs- und Besatzungszeit und den damit verbundenen Erinnerungen erfahren wir dann noch einiges mehr über Kurosawas politische Ansichten und auch seine (durchaus kritische) Einstellung zu seiner japanischen Herkunft und der ihn prägenden Kultur und Lebensweise.
Besonders interessant sind natürlich seine Erinnerungen an die Produktion und die Zusammenarbeit mit seinen langjährigen Mitarbeitern und Weggefährten. Eine meiner Lieblingsstellen ist seine Schilderung, wie er auf Hinweis von Takamine Hideko den sich gerade in einem Vorsprechen abmühenden Toshiro Mifune entdeckte. Bevor wir uns versehen, lesen wir von den Dreharbeiten zu Rashomon und Kurosawas Überraschung, als der Film den Goldenen Löwen in Venedig gewann, und sind damit auch schon am Ende des Buches.
Vielleicht hat Kurosawa an dieser Stelle plötzlich die Lust verloren, oder er wandte sich wieder Filmprojekten zu, oder er dachte im Sinne des Eingangsstatements, dass seine restliche Lebensgeschichte nun nur noch im Zeichen seiner Filme stehen würde. Oder die Autobiographie sollte von Anfang an bei Rashomon enden, diesem Film, der wie kein anderer die Verfälschung der Realität durch subjektive Wahrnehmung thematisiert.
Auch wenn letztere Variante dem Ende des Buches einen selbstironischen Dreh geben mag, ist es doch jammerschade, dass wir nicht aus AKs Perspektive einen Blick auf die Arbeiten an seinen weiteren Meisterwerken werfen dürfen, dass wir nichts über die tiefe Krise erfahren, die er um 1970 durchlebte, oder den Bruch mit Mifune. Eine kleine Entschädigung sind die abschließenden Leitsätze zu Filmen und der Arbeit an ihnen. Einer dieser Leitsätze lautet:
There is something that might be called cinematic beauty. It can only be expressed in a film, and it must be present in a film for that film to be a moving work. When it is very well expressed, one experiences a particularly deep emotion while watching that film. I believe it is this quality that draws people to come and see a film, and that it is the hope of attaining this quality that inspires the filmmaker to make his film in the first place. In other words, I believe that the essence of the cinema lies in cinematic beauty.
Auch wenn Kurosawa in seiner Autobiographie nur die erste Hälfte seines Lebens und lediglich den Auftakt seiner außergewöhnlichen Karriere behandelt, bietet uns dieses knapp 200 Seiten (in der US-Paperback-Version) starke Büchlein viele Einblicke in den Menschen und den Künstler Kurosawa. Für den Fan und den Filmtheoretiker gleichermaßen ein Muss, zumal es sich um eine wirklich hervorragend geschriebene Autobiographie handelt.
Original: Tora no o wo fumo otokotachi (1945), von Akira Kurosawa
Nach einer Niederlage in der Schlacht ist der Fürst Yoshitsune gezwungen, mit einer Handvoll treuer Anhänger vor den siegreichen Truppen zu fliehen. Unter Führung des berühmten Kriegers Benkei (Denjirō Ôkochi) gibt sich der kleine Trupp als Mönche auf Wanderschaft aus und der Fürst wird als Gepäckträger verkleidet. Zusammen mit einem echten Träger (Kenichi Enomoto) geraten sie schließlich an einem Kontrollposten unter Verdacht.
Benkei versucht mit allen Mitteln, den Offizier Togashi (Susumu Fujita) von der Harmlosigkeit der Flüchtigen zu überzeugen. Ein spannendes Argumentations- und Rededuell zwischen den beiden entspannt sich, während dem das Schicksal der Truppe am seidenen Faden hängt und der Träger, der zwischenzeitlich das Versteckspiel der „Mönche“ durchschaut hatte, tausend Tode stirbt.
In den letzten Kriegsmonaten 1945 gedreht, sieht man dem Film deutlich an, dass Kurosawa bei der Umsetzung nur einfachste Mittel zur Verfügung standen. Abgesehen von einigen kurzen Szenen, in denen die Wanderung durch die Wälder gezeigt wird, beschränkt sich die Handlung auf zwei, drei bühnenartige Sets, was dem Film dann fast den Charakter eines Bühnenstücks verleiht. Auch die Laufzeit von nur 60 Minuten deutet auf die schwierigen Bedingungen in der Endphase des Krieges hin. Weil im Zentrum des Films traditionelle feudalistische Rollenverhältnisse und historische Ereignisse stehen, wurde Die dem Tiger auf den Schwanz treten von den amerikanischen Zensoren denn auch zunächst verboten.
Trotz dieser problematischen Rahmenbedingungen ist Kurosawas Genie unverkennbar, sei es in der Eingangssequenz (die stark an die späteren Waldszenen in Rashomon erinnern, mit denen er weltberühmt werden sollte), in der Inszenierung des Showdowns zwischen Benkei und Togashi oder den komischen Auftritten von Kenichi „Enoken“ Enomoto, einem der bekanntesten Komiker der Stummfilmzeit, in dessen Perspektive uns der Film versetzt.
Unbestrittener Höhepunkt des Films ist jedoch der Moment, als die Identität des fliehenden Fürsten aufgedeckt zu werden droht. Geistesgegenwärtig greift Benkei zum Äußerstes und prügelt auf seinen als Träger verkleideten Fürsten ein, angesichts des feudalistischen Ehrenkodex ein ungeheuerlicher Vorgang! Spannenderweise ist es in dieser Szene eben der Träger Enoken, der dies nicht mitansehen kann, dem Fürsten zu Hilfe eilt und Benkei von weiteren Schlägen abhält, während alle anderen wie versteinert sind.
Kurosawa klärt denn auch nicht endgültig, ob Togashi die Truppe schließlich passieren lässt, weil er durch Benkeis Handeln davon überzeugt war, dass es sich tatsächlich nicht um Yoshitsune handeln konnte, oder weil er so großen Respekt vor Benkeis Mut und Unkonventionalität hat. Es gibt aber einige Hinweise, dass die letzte Variante die zutreffende ist, einfach weil sie viel besser in den Gesamtkontext des Films passt, der sich sehr stark mit Rollenverhältnissen beschäftigt.
Zunächst natürlich in Form der Samurai, die in die Rolle von Mönchen schlüpfen, um ihren Feinden zu entkommen. Dann die mit den verschiedenen Gesellschaftsschichten verbundenen Gegensätze zwischen den Samurai und dem Träger. Letztlich die Hochachtung Togashis gegenüber Benkei, der das Dilemma, seinen Herrn nur retten zu können, indem er gegen alle Regeln verstößt und ihn erniedrigt, überwindet, indem er aus seiner Rolle ausbricht und das Undenkbare tut. Der Verstoß gegen den Ehrenkodex wird somit zum Beweis seiner grenzenlosen Loyalität.
Zu faszinieren weiß auch der Träger, der mit seinen Grimassen, seinem ständigen Gequatsche und seinem quirligen Wesen einen krassen Gegensatz zu den ganz in sich und ihre Mission versunkenen Samurai darstellt. In der Verkörperung durch Enoken wird dessen Herkunft aus dem Stummfilm deutlich, seine Darstellung wirkt für uns heute schon fast grotesk überzogen, was sich aber wunderbar in den erwähnten Gegensatz zu den Samurai einfügt. Ein wirkliches Kleinod aus der ganz frühen Schaffensphase Kurosawas!
Normalerweise empfehle ich hier ja nur Bücher, die ich selbst gelesen habe. Aber Vilis Review von Bert Cardullos Akira Kurosawa Interviews spricht alle wichtigen Punkte an, fasst den Inhalt kurz zusammen, nennt Highlights (einen 30-seitigen Bericht einer Journalistin über einen Besuch Kurosawas in New York) und Schwächen (keine japanischen Interviews wurden einbezogen) und die Zielgruppe, für die das Buch am interessantesten ist:
In fact, in my mind the optimal audience for Akira Kurosawa: Interviews is neither the newcomer nor the casual fan, but rather one who is serious about Kurosawa, and perhaps doing research on him for one reason or another. And indeed, as a research tool Interviews is an excellent book. Not only does it provide the actual primary sources for information that has been reprinted elsewhere, but it also comes with a truly excellent index. If you need to look up anything, you will come to appreciate this.
Daher will es bei diesem Hinweis belassen. Sollte ich das Buch demnächst in die Hände bekommen (was angesichts von Einstiegspreisen knapp über 10 Euro ziemlich wahrscheinlich ist), reiche ich natürlich noch meine eigene Meinung und eine etwas ausführlichere Übersicht des Inhalts nach.
In seinem posthum erschienenen Buch „Yume wa tensai de aru“ (A dream is a genius), von dem es meines Wissens nur eine japanische Ausgabe gibt, listet Akira Kurosawa seine Lieblingsfilme auf. Eine Reise durch die Filmgeschichte unter Führung eines der größten Regisseure überhaupt, in der deutlich wird, wie stark Kurosawa in seiner Jugend wohl von deutschen Filmemachern beeinflusst wurde:
9 Dez
Original: Dersu Uzala (1975), von Akira Kurosawa
Nach einer Reihe von Enttäuschungen und großen Problemen, seine Projekte in Japan realisiert zu bekommen, nahm Kurosawa die Einladung eines Moskauer Filmstudios an und drehte 1975 zum ersten und einzigen Mal einen Film außerhalb Japans, nämlich eben in der Sowjetunion. Als Vorlage diente Kurosawa der Roman des russischen Forschers und Entdeckers Arseniev, in dem er von seinen Reisen Anfang des 20. Jahrhunderts und seiner Freundschaft mit dem kirgisischen Jäger Dersu Uzala berichtet.
Der Film besteht aus zwei Hälften, die jeweils weitgehend die Ereignisse zweier Forschungsreisen aus den Jahren 1902 und 1907 wiedergeben. Auf der ersten Reise hinein ins tiefste Sibirien begegnet Arseniev (Yuri Solomin) dem Jäger Dersu (Maksim Munzuk), den er als Führer für seinen kleinen Trupp Soldaten anwirbt. Von Anfang an ist er von Dersus Verständnis, Respekt und Empfängnis für die Natur und natürliche Phänomene sowie von seiner bescheidenen Art beeindruckt. Dersu wiederum fasst schnell Vertrauen zu dem gebildeten, ehrlichen Forscher. Spätestens nachdem Dersu Arseniev in einem Schneesturm das Leben rettet, werden die beiden enge Freunde.
Fünf Jahre später kehrt Arseniev in die Wälder Ussuriens zurück und es dauert nicht lange, bis er Dersu wiedertrifft. Doch die anfängliche freundschaftliche Idylle wird bald überschattet von tragischen Ereignissen: Dersu schießt versehentlich auf einen Tiger, den König des Waldes, und ist fortan nicht mehr derselbe. Zudem ist die Zeit nicht spurlos an dem Jäger vorübergegangen, der immer schlechter sieht, so dass Arseniev seinen Freund schließlich nach Hause in die Stadt mitnimmt. Dort hält es Dersu aber nicht lange aus. Kaum ist er jedoch zurück in den Bergen, wird er wegen Arsenievs Abschiedsgeschenk von Räubern getötet.
Diese Haupthandlung wird eingerahmt von zwei Besuchen Arsenievs am Grabe seines Freundes: Einer ganz am Ende des Films, nach Dersus Tod, und der zweite am Auftakt des Films, drei Jahre später, als Dersus Grab nicht mehr von Wäldern umgeben ist, sondern von einer im Aufbau befindlichen Siedlung. Von diesem Ausgangspunkt aus wird die gesamte Handlung als Rückblende erzählt. So erhält der Film eine starke nostalgische, wehmütige Note und die Figur des Dersu wird zu einem Symbol für eine untergegangene Zeit, in der die Menschheit der Natur und ihren Geschöpfen mit Respekt und Ehrerbietung begegnete.
So ist die Darstellung der Natur in Dersu Uzala – wie oft bei Kurosawa – sehr stark geprägt durch die Thematisierung der Elemente selbst; Regen, Wind und Kälte werden so zu je eigenen Herausforderungen für die Charaktere. Mehr als einmal sehen Arseniev und Dersu bei ihrem Kampf mit den extremen Naturgewalten Sibiriens dem Tod ins Auge und entkommen nur um Haaresbreite.
Die Bilder der Weiten und Wälder Sibiriens gehören sicher zu den beeindruckendsten Naturaufnahmen der Kinogeschichte. Diese sind für Kurosawa jedoch nie Selbstzweck oder einfach nur Kontext (man vergleiche die Hubschrauberflüge über Neuseeland im Herrn der Ringe), sondern treten immer in Beziehung zu den Charakteren oder zeigen uns die Natur aus deren Perspektive.
Ironischerweise ist es ausgerechnet der Forscher Arseniev, der mittels seiner Forschungsreisen und der dabei gewonnenen Karten dazu beiträgt, dass die Zivilisation immer weiter vordringt und damit Dersus Zuhause, die von ihm so geliebte Wildnis, vernichtet. Etwas gut gemeintes wird somit zum Vehikel der Zerstörung, genau wie Arsenievs Abschiedsgeschenk an Dersu: Damit dieser trotz seiner Sehschwäche noch auf die Jagd gehen kann, schenkt er ihm ein hochmodernes Gewehr. Genau dieses wertvolle Gewehr verschuldet dann aber Dersus Tod, da es ihn zur Zielscheibe für die Räuber macht.
Dersu Uzala ist ein sehr ruhiger, kontemplativer Film, ähnlich wie Rotbart oder Ikiru. Im Gegensatz zu diesen früheren Werken Kurosawas fehlen ihm aber die optimistische Grundstimmung und die von einem großen Glauben an das Gute im Menschen gespeiste Hoffnung, allen Widrigkeiten zum Trotz Selbsterkenntnis und Erfüllung im Leben zu finden.
Die früheren Helden Kurosawas gewannen in der Auseinandersetzung mit dem Schicksal und einem Lehrmeister an Statur, Weisheit und Reife. Sie wuchsen über sich hinaus und wurden so selbst in die Lage versetzt, etwas von dem Gelernten weiterzugeben. In Dersu Uzala steht jedoch der Untergang eben des Lehrmeisters und seiner Welt im Mittelpunkt, Arseniev kann nur noch hilflos trauernd daneben stehen.
Hinweis: Kürzlich ist eine deutsche Fassung des Films auf DVD erschienen, die aus Beständen der DEFA stammt. Da jedoch die Originaltonspur nicht enthalten ist und auch die Bildqualität sehr zu wünschen übrig lässt (die obigen Screenshots stammen von der – deutlich teureren – UK-Version), kann ich den Kauf nicht wirklich empfehlen.
Das lange angekündigte Remake von Akira Kurosawas Sanjuro aus dem Jahr 1962 startete letzten Samstag, am 1. Dezember, in den japanischen Kinos. Mit einem Einspielergebnis von umgerechnet 1,4 Mio Dollar in den ersten Tagen stieg er auf Platz 4 in die japanischen Kinocharts ein, die seit Wochen von dem Trio Koizora, Always 2 und Resident Evil: Extinction dominiert werden. Also wohl ein ganz respektables Ergebnis.
Das Remake Tsubaki Sanjuro scheint sich durch eine außergewöhnliche „Treue“ zum Original auszuzeichnen, jedenfalls theoretisch, denn es handelt sich um eine 1:1 Kopie. Am Drehbuch des Originals sei nichts geändert worden: Szene für Szene habe Regisseur Yoshimitsu Morita, der sich in den letzten Jahren einen Namen mit historischen Filmen machte, nach Kurosawas Vorbild umgesetzt. Dahinter scheint ein Trend zu Remakes in Form von exakten Kopien zu stecken, wie bei Ryuganji nachzulesen ist.
Daher fällte die in englisch vorliegende Kritik von Daily Yomiuri auch ein sehr harsches Urteil über das Remake:
As I said earlier, there are not many reasons for fans of the original to see the remake. Oda does not have the presence Mifune had, so it’s hard to understand why people around the ronin are so overwhelmed, or why his rival (played by Etsushi Toyokawa) is so impressed. The actors who play the nine young samurai try so hard to stand out from one another that they end up distracting viewers, whereas Kurosawa directed them to be effective as a group. The music is sometimes too loud and, even though the remake uses the same script, it lasts about 30 minutes longer than the original.
Dennoch weist die Kritik auch einen guten Aspekt des Remakes auf, der nicht von der Hand zu weisen ist: Heutige Kinogänger und Filmfans dürften kaum mit dem Original vertraut sein und könnten durch das Remake neugierig auf das 45 Jahre alte Original werden. Und ein weiterer positiver Aspekt wäre, dass Fans des Kurosawa-Originals so mal wieder ein Anlass geboten wird, in die DVD-Sammlung zu greifen und sich diesen Klassiker anzusehen.
Donald Richies erstmals 1965 erschienenes Buch The Films of Akira Kurosawa ist bis zum heutigen Tag eines der Standardwerke schlechthin zu diesem wohl bekanntesten und einflussreichsten Regisseur der japanischen Kinogeschichte. Es war das erste Buch über japanische Filme überhaupt, das ich gekauft habe, und ich verdanke ihm viele wichtige Anregungen, Informationen und Einblicke in Kurosawas Arbeitsweise. Zudem enthält es eine großartige Sammlung qualitativ hochwertiger, nicht zuletzt dank des übergroßen Formats des Buches sehr beeindruckender Fotos. Aber wie alles auf der Welt ist auch dieses fraglos große Werk nicht perfekt!
Richie beginnt seine Auseinandersetzung mit Kurosawa und seinen Filmen mit einem kurzen biographischen Abriss über dessen Jugend und frühen Lehrjahre bei PCL, der weitgehend auf Kurosawas Autobiographie basiert. Dann steigen wir direkt ein mit seinem ersten eigenen Film, Sanshiro Sugata, worauf in chronologischer Reihenfolge alle weiteren Filme abgehandelt werden.
Bei jedem Film folgt Richie einem regelmäßigen Muster: Zunächst erhält der Leser einen kurzen Einblick in den Hintergrund des Films, etwa was Kurosawa selbst dazu sagte oder schrieb, zur Planung des Projekts, zu (literarischen) Quellen oder wie sich der Film im Verhältnis zu anderen Werken verhält. Als nächstes folgt ein Überblick über die Handlung und wichtige Aspekte, wie etwa die Musik oder die Kameraführung. Unter den Überschriften „Treatment“ und „Production“ folgt dann eine stark interpretative Auseinandersetzung mit den Themen, eingesetzten Stilelementen, schauspielerischen Leistungen, zentralen Szenen und den technischen und organisatorischen Schwierigkeiten während der Realisation des Films.
Den Abschluss des Buchs bildet das Kapitel „Method, Technique and Style“, in dem Richie wichtige Elemente in Kurosawas Arbeitsweise nochmals zusammenfasst und sich anschickt, wiederkehrende Muster in den Filmen zu identifizieren und einzuordnen. Die Zusammenarbeit des Meisterregisseurs mit einem festen Stamm enger Mitarbeiter, der Kurosawa-gumi, ist hier ebenso Thema wie sein bis ins extreme reichender Realismus, sein Umgang mit Schauspielern und sein großartiges Können im Schneideraum. Dabei (wie im ganzen Buch überhaupt) greift Richie häufig auf selbst erlebte Anekdoten und Berichte von Mitarbeitern oder Kurosawa selbst zurück, was den Ausführungen viel Authentizität und Lebendigkeit verleiht. Dementsprechend ist das Buch angenehm und und spannend zu lesen.
Einige der zentralen Erkenntnisse Richies, die sich gesammelt im Schlusskapitel, aber sehr viel ausführlicher in der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Filmen finden, wären:
Die starke Fokussierung auf die einzelnen Filme ergibt sich jedoch auch eine gewisse Tendenz zur Wiederholung von bei frühen Filmanalysen bereits gesagtem. Somit eignet sich The Films of Akira Kurosawa vor allem als lexikalische Aufsatzsammlung: Wenn man gerade einen der Filme gesehen hat, kann man auf 10 Seiten eine ausführliche und spannende Auseinandersetzung mit dem eben gesehenen nachlesen. Dabei fällt auf, dass Richie häufig komplette Szenen der Filme schildert, inklusive der vollen Texte und Regieanweisungen. Seine Gedankengänge sind so gut nachvollziehbar.
Leider leidet das Buch darunter, dass nach dem ersten Erscheinen 1965 die später folgenden Filme Kurosawas nicht mehr in der Ausführlichkeit in den weiteren, aktualisierten Ausgaben besprochen werden wie die früheren Werke. Bei Dodesukaden und Dersu Uzala macht sich dies noch kaum bemerkbar, aber Ran, einem der zentralsten und wichtigsten Filme in Kurosawas Oeuvre sind lediglich noch 6 Seiten inklusive großformatiger Fotos gewidmet, und sein letzter Film Madadayo wird auf nur 2 Seiten abgehandelt. Gerade weil die Auseinandersetzung mit den früheren Filmen so großartig ist, enttäuscht dieser Mangel umso mehr.
Diesen Wermutstropfen kann man aber problemlos verschmerzen und er ändert nichts daran, dass Donald Richies The Films of Akira Kurosawa auch mehr als 40 Jahre nach seinem ersten Erscheinen immer noch eines der wichtigsten Bücher über Kurosawas Werk ist, das den bekannten Klassikern genauso wie eher weniger bekannten Filmen mit viel Detailwissen und einem scharfen interpretativen Verstand auf den Zahn fühlt und dennoch für den Laien verständlich und nachvollziehbar geschrieben ist. Ein absolutes Muss!
19 Okt
Originaltitel: Ikiru (1952), von Akira Kurosawa
Von all den großartigen, mitreißenden, beeindruckenden und gedankenanstoßenden Filmen Kurosawas ist Einmal wirklich leben mir der Liebste. Kein anderes Werk konzentriert sich so auf einen Charakter, verzichtet so konsequent auf handlungsinduzierte Spannung und bringt doch so sehr auf den Punkt, worum es Kurosawa in der ersten Hälfte seiner Regiekarriere ging.
Kanji Watanabe (Takashi Shimura), Abteilungsleiter einer städtischen Beschwerdestelle, steht kurz vor der Pensionierung als er erfährt, dass er an Magenkrebs leidet und nur noch wenige Monate zu leben hat. Nach dem ersten – großartig inszenierten – Entsetzen klammert er sich an die Dinge seines Lebens, die ihm Halt geben sollen.
Doch seine Enttäuschung ist schmerzhaft und allumfassend: Seine Auszeichnungen von der Behörde erscheinen ihm beedeutunglos, ja wie Hohn. Ihm wird schmerzhaft bewusst, dass er all die Jahre als machtloses Rädchen in der Bürokratie verschwendet hat. Sein über alles geliebter Sohn kümmert sich nicht um ihn und ist nur um sein Erbe sorgt. Arbeit und Familie, die Eckpfeiler des Lebens, erweisen sich als bloße Fassade, die nun, da Watanabe auf sie angewiesen wäre, in Trümmern gehen.
Nun wendet er sich den weltlichen Freuden zu, stürzt sich ins Nachtleben, trinkt, spielt und tanzt und kann dadurch seine Einsamkeit doch nicht abschütteln. Er beginnt auch eine kurze Freundschaft mit einer früheren Mitarbeiterin, doch sie weiss nicht so recht, was sie mit dem alten Mann anfangen soll und ihm wird klar, dass er das was er sucht, nämlich eine Bestätigung für den Sinn seines Lebens, nicht durch sie finden kann.
Bei einer Begegnung der beiden in einem Cafe, in dem gerade eine Geburtstagsfeier stattfindet, erinnert sich Watanabe an einige Frauen aus einem armen Stadtviertel, die für ihre Kinder einen Spielplatz bei seiner Behörde beantragt hatten. Er beschließt, diesen Spielplatz wahr werden zu lassen und kämpft ohne Unterlass, ohne Rücksicht auf seine eigene Person und seinen Ruf gegen die Widerstände der Bürokratie, um seinem Leben doch noch einen Sinn zu geben.
An dieser Stelle bricht Kurosawa den Film in zwei Teile, die Handlung springt in die Zukunft, Watanabe ist tot. Bei seiner Beerdigung streiten die Politiker und Beamten sich darum, wem die Ehren für den Bau des Spielplatzes zustehen, die Bürokratie hat sich nicht verändert und ignoriert weiterhin die Bedürfnisse der Menschen. Aber für ein paar spielende Kinder hat Watanabe die Welt verändert. Und was das wichtigste ist, er hat durch das was er getan hat zu sich selbst und damit zum Glücklichsein gefunden. Richard Brown bezeichnete Ikiru als beispielhaften cineastischen Existenzialismus:
What it says in starkly lucid terms is that ‚life‘ is meaningless when everything is said and done; at the same time one man’s life can acquire meaning when he undertakes to perform some task which to him is meaningful. What everyone else thinks about that man’s life is utterly beside the point, even ludicrous. The meaning of life is what he commits the meaning of his life to be.
Dieser Schnitt Kurosawas war sehr gewagt und wirkt auf den Zuschauer zunächst frustrierend: Genau in dem Moment, als der Anti-Held endlich zum Helden wird, werden wir von ihm weggerissen und zu seiner Beerdigung versetzt. Doch Kurosawas waghalsiges Manöver geht auf. Nachdem wir im ersten Teil des Films die Wahrheit über Watanabe erfahren haben, ihn und seine Motivation kennengelernt haben, sehen wir ihn nun durch die Perspektive seiner Mitmenschen, seiner Kollegen und Verwandten. Sie versuchen, hinter den Grund seiner plötzlichen Verwandlung zu kommen, interpretieren und spekulieren und nähern sich nach und nach der uns bereits bekannten Wahrheit an, die dadurch nochmals bekräftigt wird.
Zugleich kommt Kurosawa damit wieder auf die bereits zu Beginn des Films vorgebrachte heftige Kritik an der Politik, den Behörden und großen Organisationen ganz generell zurück. Damit berührt er eine zweite, globale Thematik, nämlich die Kritik an der industriellen Gesellschaft, die den Menschen einer seelenlosen Bürokratie unterwirft und ihn zu bedeutungslosen Tätigkeiten verdammt.
Einmal wirklich leben ist voller unvergesslicher Szenen, brillanter Szenen. Zur Eröffnung zeigt uns Kurosawa eine Röntgenaufnahme von Watanabes Magen, zu der ein Erzähler aus dem Off unmissverständlich klar macht, dass Watanabe nur noch wenige Monate zu leben hat. Dann sehen wir Watanabe selbst, zusammengekauert hinter seinem Schreibtisch, mechanisch Papiere wälzend, und hören den Erzähler sagen, dass Watanabe eigentlich bereits seit 20 Jahren tot ist.
Absolut genial auch, wie Kurosawa die Beziehung Watanabes zu seinem Sohn und die ganze Geschichte dieser Beziehung in wenigen Minuten zusammenfasst und die Bedeutung der Liebe Watanabes zu seinem Sohn herausstreicht. Als sein Sohn nach ihm ruft, huscht ein Glanz über sein Gesicht, er springt freudig auf und wird dann doch nur ermahnt, die Tür abzuschließen. Mitanzusehen, wie Watanabe von seinem Sohn, für den er sich jahrzehntelang aufopferte, dann in einer einzigen Sekunde in die Bedeutungslosigkeit gestoßen wird, das ist ein Moment von so schlichter und doch überwältigender Emotionalität wie es ihn kaum in einem andern Film Kurosawas gibt.
Ganz wunderbar auch die Sterbeszene Watanabes, der im Schneegestöber auf einer Schaukel „seines“ Parks sitzend, leise traurige Lieder vor sich hin singt und dabei endlich glücklich ist. Der Friede der eingeschneiten Natur wird hier zum Seelenfrieden.
Ich könnte noch seitenweise eine brillante Szene nach der anderen aufzählen, aber diesen Film muss man einfach selbst gesehen haben. Vor allem muss man auch die fantastische Leistung Takashi Shimuras herausstreichen und bewundern, der mit seiner Interpretation der Rolle des Kanji Watanabe (die stark von den ursprünglichen Vorstellungen Kurosawas abwich) eine Ikone des Weltkinos schuf. Ein ganz großer Klassiker!
[Hinweis: Dies ist die stark erweiterte und ergänzte Version eines ursprünglich am 24. September 2006 veröffentlichten Beitrags.]