This is a book for which there is a need. Not only does it list almost all important Japanese film directors and their works, it is also the first recent volume to give a description of the director’s work, to indicate the nature of his or her accomplishments.
So beginnt das von Donald Richie verfasste Vorwort zu Alexander Jacobys A Critical Handbook of Japanese Film Directors – From the Silent Era to the Present Day und fasst das Werk damit auch gleich exzellent zusammen. Nach einer 20seitigen Einleitung, in der in groben Zügen die japanische Kinogeschichte zusammengefasst, wichtige Besonderheiten, Charakteristika und Zäsuren angedeutet werden, geht es los mit Yutaka Abe und am Ende steht Takahisa Zeze. Abgerundet wird das Ganze mit einem Glossar, kurzen Infos zu den wichtigsten Filmstudios und einer Liste mit Quellen und weiterführender Literatur.
Dazwischen finden sich ca. 150 Filmemacher verschiedenster Genres, Bekanntheitsgrade (wobei natürlich eine erhebliche Selektion gegeben ist) und Perioden. Vom eher unbekannten Hotei Nomura, der zwischen 1921 und 1934 eine Vielzahl von Gendaigeki schuf (in einem davon gab die 5-jährige Hideko Takamine ihr Debut) bis zu Akira Kurosawa. Auch zeitgenössische Regisseure sind gut vertreten und auch aktuellste Werke werden aufgegriffen, wovon beispielsweise ein Kommentar zu Takashi Miikes Sukiyaki Western Django zeugt.
Das Buch hat etwa 350 Seiten, für jeden der 150 Regisseure bleibt somit im Schnitt etwa eine Seite Text sowie die komplette Filmographie. Die Texte sind – wie der Buchtitel schon sagt – keineswegs wie wertneutrale Lexikoneinträge verfasst, sondern aus der Sicht eines Filmkritikers, was meiner Meinung nach angesichts der Kürze der Texte in manchen Fällen nicht wirklich Sinn macht. Einen Film wie etwa The Bird People in China in zwei Sätzen für sentimal-unüberzeugende Darstellung des idyllischen dörflichen Lebens in China abzukanzeln, tut dem Film einfach Unrecht, und muss es angesichts des geringen Textumfangs auch.
Aber darüber kann man hinwegsehen. Was mir dagegen ziemlich übel aufstieß war das komplette Fehlen von Regisseuren aus der Anime-Welt. Kein Osamu Tezuka, kein Hayao Miyazaki, Isao Takahata oder Satoshi Kon. Es kommen zwar gerade bei den zeitgenössischen Filmemachern immer wieder Hinweise, wie sehr diese durch Manga und/oder Anime beeinflusst wären, daraus wurde dann aber leider nicht die Konsequenz gezogen, diese Filmemacher ebenfalls aufzunehmen. Trotz dieses gewichtigen Mankos kann ich dieses ansonsten hochinformative und interessante Buch angesichts eines Preises von unter 20 Euro dennoch bedenkenlos empfehlen.
Many people have suggested that I write an autobiography, but I have never before felt favorably disposed toward the idea. This is partly because I believe that what pertains only to myself is not interesting enough to record and leave behind me. More important is my conviction that if I were to write anything at all, it would turn out to be nothing but talk about movies. In other words, take „myself“, subtract „movies“ and the result is „zero“.
Glücklicherweise hat sich Akira Kurosawa irgendwann um 1980 dann doch noch aufgerafft, seine Autobiographie zu schreiben. Und man merkt schon den ersten Sätzen, in denen er seine frühesten Kindheitserinnerungen beschreibt, an, was für ein großartiger Erzähler er war. Kein Vergleich mit den verschiedenen Politiker-Autobiographien, die ich bisher gelesen habe! Hier werden die Erinnerungen wirklich lebendig, entstehen dramatische oder nostalgisch-verklärende Bilder vor unseren Augen.
Von einem wahrhaft bewegten Leben kann Kurosawa berichten, der ja noch in der Meiji-Ära 1910 geboren wurde, als Japan sich mitten im Umbruch von einer feudalistischen, zurückgebliebenen Nation zu einer modernen Industriegesellschaft befand. Die ersten Kapitel berichten von seiner nicht einfachen Schulzeit, Hobbies, dem Alltag und wichtigen Vorbildern wie seinem älteren Bruder oder einem Kunstlehrer. Dramatische Erlebnisse bringen dann die 1920er, beginnend mit dem Kanto-Erdbeben, über sein Engagement in linksradikalen Künstlerkreisen bis hin zum Selbstmord seines Bruders.
Richtig spannend wird es dann mit seinem Eintritt in das Filmstudio PCL 1935 und den Schilderungen über seine erste Arbeit als Assistent von Kajiro Yamamoto, den Kurosawa als den besten Lehrmeister verehrt. Mit den ersten eigenen Filmen während der Kriegs- und Besatzungszeit und den damit verbundenen Erinnerungen erfahren wir dann noch einiges mehr über Kurosawas politische Ansichten und auch seine (durchaus kritische) Einstellung zu seiner japanischen Herkunft und der ihn prägenden Kultur und Lebensweise.
Besonders interessant sind natürlich seine Erinnerungen an die Produktion und die Zusammenarbeit mit seinen langjährigen Mitarbeitern und Weggefährten. Eine meiner Lieblingsstellen ist seine Schilderung, wie er auf Hinweis von Takamine Hideko den sich gerade in einem Vorsprechen abmühenden Toshiro Mifune entdeckte. Bevor wir uns versehen, lesen wir von den Dreharbeiten zu Rashomon und Kurosawas Überraschung, als der Film den Goldenen Löwen in Venedig gewann, und sind damit auch schon am Ende des Buches.
Vielleicht hat Kurosawa an dieser Stelle plötzlich die Lust verloren, oder er wandte sich wieder Filmprojekten zu, oder er dachte im Sinne des Eingangsstatements, dass seine restliche Lebensgeschichte nun nur noch im Zeichen seiner Filme stehen würde. Oder die Autobiographie sollte von Anfang an bei Rashomon enden, diesem Film, der wie kein anderer die Verfälschung der Realität durch subjektive Wahrnehmung thematisiert.
Auch wenn letztere Variante dem Ende des Buches einen selbstironischen Dreh geben mag, ist es doch jammerschade, dass wir nicht aus AKs Perspektive einen Blick auf die Arbeiten an seinen weiteren Meisterwerken werfen dürfen, dass wir nichts über die tiefe Krise erfahren, die er um 1970 durchlebte, oder den Bruch mit Mifune. Eine kleine Entschädigung sind die abschließenden Leitsätze zu Filmen und der Arbeit an ihnen. Einer dieser Leitsätze lautet:
There is something that might be called cinematic beauty. It can only be expressed in a film, and it must be present in a film for that film to be a moving work. When it is very well expressed, one experiences a particularly deep emotion while watching that film. I believe it is this quality that draws people to come and see a film, and that it is the hope of attaining this quality that inspires the filmmaker to make his film in the first place. In other words, I believe that the essence of the cinema lies in cinematic beauty.
Auch wenn Kurosawa in seiner Autobiographie nur die erste Hälfte seines Lebens und lediglich den Auftakt seiner außergewöhnlichen Karriere behandelt, bietet uns dieses knapp 200 Seiten (in der US-Paperback-Version) starke Büchlein viele Einblicke in den Menschen und den Künstler Kurosawa. Für den Fan und den Filmtheoretiker gleichermaßen ein Muss, zumal es sich um eine wirklich hervorragend geschriebene Autobiographie handelt.
Normalerweise empfehle ich hier ja nur Bücher, die ich selbst gelesen habe. Aber Vilis Review von Bert Cardullos Akira Kurosawa Interviews spricht alle wichtigen Punkte an, fasst den Inhalt kurz zusammen, nennt Highlights (einen 30-seitigen Bericht einer Journalistin über einen Besuch Kurosawas in New York) und Schwächen (keine japanischen Interviews wurden einbezogen) und die Zielgruppe, für die das Buch am interessantesten ist:
In fact, in my mind the optimal audience for Akira Kurosawa: Interviews is neither the newcomer nor the casual fan, but rather one who is serious about Kurosawa, and perhaps doing research on him for one reason or another. And indeed, as a research tool Interviews is an excellent book. Not only does it provide the actual primary sources for information that has been reprinted elsewhere, but it also comes with a truly excellent index. If you need to look up anything, you will come to appreciate this.
Daher will es bei diesem Hinweis belassen. Sollte ich das Buch demnächst in die Hände bekommen (was angesichts von Einstiegspreisen knapp über 10 Euro ziemlich wahrscheinlich ist), reiche ich natürlich noch meine eigene Meinung und eine etwas ausführlichere Übersicht des Inhalts nach.
Hayao Miyazaki feiert heute seinen 67. Geburtstag, der richtige Zeitpunkt, um Julia Nieders Buch Die Filme von Hayao Miyazaki zu empfehlen. Der Einleitung zufolge handelt es sich dabei um ihre Abschlussarbeit an der Universität Mainz, entsprechend ist das Werk sehr klar und fast etwas rigide strukturiert und auch Wortwahl und Sprachstil orientieren sich an akademischen Gepflogenheiten – dennoch ist es gut lesbar.
Nach einem einleitenden Kapitel zu den Besonderheiten und der Geschichte der Anime sowie einem kurzen biografischen Überblick zu Miyazaki selbst, setzt sich Nieder in chronologischer Reihenfolge mit allen seinen Filmen von Das Schloss des Cagliostro bis zu Das wandelnde Schloss auseinander.
Jedem Film sind dabei ziemlich genau 10 Seiten gewidmet, auf denen alles wichtige zur Handlung, den Charakteren, Ästhetik, Stilelementen und auch zu den Produktionshintergründen abgedeckt wird. In jedem Kapitel verweist Nieder auf Besonderheiten, die in dem gerade analysierten Film hervorstechen, sich aber oft auch in den anderen Werken Miyazakis wiederfinden; etwa die häufige Verwendung weiblicher Protagonisten als Mittel der Verfremdung, welche sie exemplarisch an Nausicaä aus dem Tal der Winde bespricht.
In ihrem abschließenden Schlusswort fasst Nieder die wichtigsten Merkmale der Filme Hayao Miyazakis zusammen. Erwähnung finden unter anderem:
Sehr schade finde ich, dass die Anfänge Miyazakis, insbesondere seine Mitarbeit an verschiedenen Zeichentrickserien und dass er sich immer wieder auf diese bezieht, nur nebenbei erwähnt werden. Zudem werden die vielen Screenshots in meinen Augen zu wenig für eine systematische Analyse verwendet, etwa um übergreifende Gemeinsamkeiten der Filme herauszustreichen oder Metaphern und Symbole zu diskutieren. Um dies in der angemessenen Ausführlichkeit machen zu können, hätte Die Filme von Hayao Miyazaki aber deutlich umfangreicher als „nur“ 120 Seiten ausfallen müssen, was dann zugegebenermaßen wohl das Konzept gesprengt hätte.
So ist das Buch auf Grund der konzentrierten und klar voneinander abgegrenzten Auseinandersetzung mit den einzelnen Filmen vor allem als eine Art Nachschlagewerk sehr zu empfehlen: Um sich nach – oder zur Not auch vor – dem Sehen eines der Filme mit wichtigen Hintergründen und Interpretationen vertraut zu machen, ist es genau richtig. Angesichts des Preises von nur etwa 15 Euro und da es das bisher einzige deutschsprachige Buch zu Miyazaki ist, kann ich es als Einstiegslektüre wärmstens empfehlen.
Donald Richies erstmals 1965 erschienenes Buch The Films of Akira Kurosawa ist bis zum heutigen Tag eines der Standardwerke schlechthin zu diesem wohl bekanntesten und einflussreichsten Regisseur der japanischen Kinogeschichte. Es war das erste Buch über japanische Filme überhaupt, das ich gekauft habe, und ich verdanke ihm viele wichtige Anregungen, Informationen und Einblicke in Kurosawas Arbeitsweise. Zudem enthält es eine großartige Sammlung qualitativ hochwertiger, nicht zuletzt dank des übergroßen Formats des Buches sehr beeindruckender Fotos. Aber wie alles auf der Welt ist auch dieses fraglos große Werk nicht perfekt!
Richie beginnt seine Auseinandersetzung mit Kurosawa und seinen Filmen mit einem kurzen biographischen Abriss über dessen Jugend und frühen Lehrjahre bei PCL, der weitgehend auf Kurosawas Autobiographie basiert. Dann steigen wir direkt ein mit seinem ersten eigenen Film, Sanshiro Sugata, worauf in chronologischer Reihenfolge alle weiteren Filme abgehandelt werden.
Bei jedem Film folgt Richie einem regelmäßigen Muster: Zunächst erhält der Leser einen kurzen Einblick in den Hintergrund des Films, etwa was Kurosawa selbst dazu sagte oder schrieb, zur Planung des Projekts, zu (literarischen) Quellen oder wie sich der Film im Verhältnis zu anderen Werken verhält. Als nächstes folgt ein Überblick über die Handlung und wichtige Aspekte, wie etwa die Musik oder die Kameraführung. Unter den Überschriften „Treatment“ und „Production“ folgt dann eine stark interpretative Auseinandersetzung mit den Themen, eingesetzten Stilelementen, schauspielerischen Leistungen, zentralen Szenen und den technischen und organisatorischen Schwierigkeiten während der Realisation des Films.
Den Abschluss des Buchs bildet das Kapitel „Method, Technique and Style“, in dem Richie wichtige Elemente in Kurosawas Arbeitsweise nochmals zusammenfasst und sich anschickt, wiederkehrende Muster in den Filmen zu identifizieren und einzuordnen. Die Zusammenarbeit des Meisterregisseurs mit einem festen Stamm enger Mitarbeiter, der Kurosawa-gumi, ist hier ebenso Thema wie sein bis ins extreme reichender Realismus, sein Umgang mit Schauspielern und sein großartiges Können im Schneideraum. Dabei (wie im ganzen Buch überhaupt) greift Richie häufig auf selbst erlebte Anekdoten und Berichte von Mitarbeitern oder Kurosawa selbst zurück, was den Ausführungen viel Authentizität und Lebendigkeit verleiht. Dementsprechend ist das Buch angenehm und und spannend zu lesen.
Einige der zentralen Erkenntnisse Richies, die sich gesammelt im Schlusskapitel, aber sehr viel ausführlicher in der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Filmen finden, wären:
Die starke Fokussierung auf die einzelnen Filme ergibt sich jedoch auch eine gewisse Tendenz zur Wiederholung von bei frühen Filmanalysen bereits gesagtem. Somit eignet sich The Films of Akira Kurosawa vor allem als lexikalische Aufsatzsammlung: Wenn man gerade einen der Filme gesehen hat, kann man auf 10 Seiten eine ausführliche und spannende Auseinandersetzung mit dem eben gesehenen nachlesen. Dabei fällt auf, dass Richie häufig komplette Szenen der Filme schildert, inklusive der vollen Texte und Regieanweisungen. Seine Gedankengänge sind so gut nachvollziehbar.
Leider leidet das Buch darunter, dass nach dem ersten Erscheinen 1965 die später folgenden Filme Kurosawas nicht mehr in der Ausführlichkeit in den weiteren, aktualisierten Ausgaben besprochen werden wie die früheren Werke. Bei Dodesukaden und Dersu Uzala macht sich dies noch kaum bemerkbar, aber Ran, einem der zentralsten und wichtigsten Filme in Kurosawas Oeuvre sind lediglich noch 6 Seiten inklusive großformatiger Fotos gewidmet, und sein letzter Film Madadayo wird auf nur 2 Seiten abgehandelt. Gerade weil die Auseinandersetzung mit den früheren Filmen so großartig ist, enttäuscht dieser Mangel umso mehr.
Diesen Wermutstropfen kann man aber problemlos verschmerzen und er ändert nichts daran, dass Donald Richies The Films of Akira Kurosawa auch mehr als 40 Jahre nach seinem ersten Erscheinen immer noch eines der wichtigsten Bücher über Kurosawas Werk ist, das den bekannten Klassikern genauso wie eher weniger bekannten Filmen mit viel Detailwissen und einem scharfen interpretativen Verstand auf den Zahn fühlt und dennoch für den Laien verständlich und nachvollziehbar geschrieben ist. Ein absolutes Muss!
22 Okt
Mark Le Fanus 2005 erschienenes Buch Mizoguchi and Japan über Kenji Mizoguchi und dessen filmisches Schaffen ist das einzige ausschließlich Mizoguchi gewidmete, englischsprachige Buch, das derzeit auf dem Markt ist. Klar, dass ich daran nicht vorbeikam.
Umso enttäuschter war ich, als mir nach dem Lesen der ersten Seiten klar wurde, was das Buch nicht ist: Eine gut strukturierte, analysierende und nach Erkenntnisgewinn strebende Auseinandersetzung mit Mizoguchis Filmen. Mit gerade einmal knapp 200 Seiten ist es dafür auch fast schon zu dünn geraten. Jetzt könnte man meinen, dass es dann wohl eher eine Einführung ist, die einen knappen Überblick vermittelt, aber dafür nicht in die Tiefe geht. Aber auch das trifft es nicht. Ich hatte beim Lesen eher den Eindruck, dass Mizoguchi and Japan statt dessen einer Sammlung von Essays und Gedanken gleicht, die sich größtenteils mit Mizoguchis Filmen und daneben noch etwas mit der japanischen Kulturgeschichte befassen.
Le Fanu setzt bei seinen Auseinandersetzungen mit den Filmen vieles voraus, sowohl was den kulturellen Hintergrund betrifft als auch die Filme selbst. Wenn man diese selbst schon gesehen hat, liefert er reichlich Denkanstöße und Interpretationen, an denen man sich mit den eigenen Gedanken wunderbar reiben kann. So ging es mir beispielsweise bei seinen Besprechungen von Die Dame von Musashino oder Ugetsu. Ist dies nicht der der Fall, lässt das Buch den Leser ziemlich allein im Regen stehen.
Was das Lesen zudem erschwert, ist die mangelhafte Strukturierung. Zunächst werden wir kurz – all zu kurz, die japanische Filmindustrie etwa wird auf einer Seite abgehandelt – in den japanischen Kontext eingeführt, dann in die Arbeitsweise Mizoguchis. Hier wird es langsam interessant, es kommt unter anderem die lange Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Yoshikata Yoda zur Sprache, Mizoguchis Detailbesessenheit und sein kühles Verhältnis zu seinen Schauspielern. Doch auch diesen Teil wünscht man sich deutlich ausführlicher.
So weit so sinnvoll, doch nun beginnt Le Fanu die Auseinandersetzung mit den Filmen Mizoguchis direkt mit den „Großen Drei“, Das Leben der Frau Oharu, Ugetsu und Sansho Dayu. Anstatt also dem Leser aufzuzeigen, welche Entwicklung Mizoguchi und seine Filme nahmen, die letztlich zu diesem Dreigestirn seiner bekanntesten Werke führte, ihn darauf vorzubereiten, werden wir direkt mit der Nase darauf gestoßen. In vier weiteren daran anschließenden Kapiteln werden jeweils einige thematisch verwandte Filme zusammen besprochen:
Diese sprunghafte, keinem klar erkennbaren Ordnungsschema oder einer übergeordneten Fragestellung folgende Beschäftigung mit den Filmen macht das Buch nicht nur schwer lesbar, sondern lässt auch kaum ein Bild vom großen Ganzen im Kopf des Lesers entstehen. In meinen Augen ist Mizoguchi and Japan eine vertane Chance.
Denn der Autor hat offenbar interessante Gedanken mitzuteilen und das über einen der ganz großen Filmemacher, über den bisher kaum publiziert wurde (jedenfalls außerhalb Japans). Hier hätte Le Fanu mit etwas mehr Struktur und Ausführlichkeit eine Marktlücke füllen und ein echtes Standardwerk schaffen können. Darauf muss der geschätzte Mizoguchi-Verehrer nun weiter warten und sich unterdessen damit trösten, dass trotz allem doch viel Gutes (auch wenn sich das in dieser Kritik anders anhören mag) in diesem Buch steckt.
Vom Kauf dieses Buches von Susan Napier, ihres Zeichens Professorin für japanische Kunst und Literatur, hatte ich mir vor allem einen Überblick über die Entwicklung, über Themen, Stile und Genres von Anime versprochen (und natürlich Inspiration für meine DVD-Wunschliste). Da Napier aber nunmal keine Filmhistorikerin ist, musste ich mit dieser Erwartungshaltung zwangsläufig enttäuscht werden. Denn sie wählt eine völlig andere, kulturzentrierte und interpretative Herangehensweise, die mir aber trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb?) hochinteressante Eindrücke ermöglichte, Nachdenkenswertes und Neues vermittelte.
Das Schlussfazit beginnt mit den Worten:
It is impossible to try and sum up the world of Japanese animation. As this book has tried to show, the anime universe is an extremely diverse one and it would be futile to attempt to pigeonhole it into any single categorizing structure.
Auch dies mag enttäuschend klingen und nicht gerade zum Kauf des Buches animieren, doch es ist schlicht und ergreifend die reine Wahrheit. Diese außergewöhnliche Komplexität und die – den Realfilm in den Schatten stellende – Heterogenität und Bandbreite von Anime macht sie Napier zufolge auch zum postmodernen Medium schlechthin:
Indeed, anime may be the perfect medium to capture what is perhaps the overriding issue of our day, the shifting nature of identity in a constantly changing society. With its rapid shifts of narrative pace and its constantly transforming imagery, the animated medium is superbly positioned to illustrate the atmosphere of change permeating not only Japanese society but also all industrialized or industrializing societies.
Der erste große (und umfangreichste) Abschnitt des Buches beschäftigt sich dann auch mit „Body, Metamorphosis, Identity“. Dabei werden anhand von Filmen wie Akira und Ghost in the Shell sowie einigen Serien das Verhältnis von Identität und Körper und wie dieses sich (beispielsweise während der Pubertät) auf einer persönlichen Ebene wandeln kann, Geschlechterrollen und -konflikte sowie Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter bis hin zur Krise der Männlichkeit beleuchtet.
Der zweite Abschnitt „Magical Girls and Fantasy Worlds“ thematisiert dann die große Dominanz weiblicher Charaktere und Heldenrollen in Animes und analysiert, welche Veränderungen der Idealtyp „Shojo“ im Verlauf der letzten 20 Jahre erfuhr. Dazu greift Napier vor allem auf die Filme Hayao Miyazakis, aber auch Fernsehserien zurück und zeigt auf, wie zur Idee „Shojo“ im Lauf der Jahre zunehmend dunkle Seiten und verstörende Aspekte hinzukamen.
Im letzten Abschnitt geht es dann um den Umgang mit und die Thematisierung von Geschichte in Animes, illustriert vor allem anhand von Barefoot Gen, Grave of the Fireflies und Prinzessin Mononoke. Von zentraler Bedeutung ist hier (aber auch an anderer Stelle) die oft in Anime vorherrschende apokalyptische Stimmung, Napier zufolge eines der drei den meisten Anime zugrunde liegenden expressiven Konzepte:
Keines dieser drei Konzepte bestimmt jedoch Filme oder Serien allein, es handelt sich immer um Mischformen und Überblendungen. Ein wichtiger Grund für die eingangs zitierte Unmöglichkeit, der Animewelt klare Strukturen überzustülpen.
Da ich viele der als Belege und Beispiele angeführten Filme und Serien des Buches (noch) nicht kenne, erlaube ich mir kein endgültiges Urteil. Auf minaidehazukashii kritisiert JP jedoch die Auswahl insbesondere der Mecha-Beispiele im ersten Teil, welche die eigentlich eingeführte Beziehung von Mensch und Körper schwäche sowie den etwas eng gefassten Zeitraum der berücksichtigten Anime. Die Schwächen der ersten Ausgabe bei der Analyse der romantischen Komödien wiederum sieht er durch die neu hinzu gekommene Analyse des sich verändernden Shojo-Typus ausgeglichen.
Mir persönlich fiel eine leichte Tendenz zu Überinterpretationen (so spannend das doch im Einzelfall auch sein mag) auf, die noch dazu oft nicht wirklich – oder zumindest nicht so, wie ich es von Filmtheoretikern gewöhnt bin – anhand von ausführlichen Szenenschilderungen oder Screenshots belegt waren. Auch hatte ich vereinzelt den Eindruck, dass nicht ins Konzept passende Zusammenhänge ausgeblendet werden. Bei der Analyse von Prinzessin Mononoke wurde etwa auf Ashitaka und seine von Nausicaä übernommene Mittlerrolle überhaupt nicht eingegangen, sondern allein auf die weiblichen Charaktere abgehoben, was natürlich im Sinne der These ist, dass Anime generell vor allem Frauenrollen zur Auseinandersetzung mit sich wandelnden Identitäten und Rollenmustern heranziehen.
Davon abgesehen bietet Susan Napiers Buch eine erfrischende, hochinteressante Perspektive auf Anime und hat mir mal wieder vor Augen geführt, wie wenig ich bisher immer noch von Anime weiß und wieviel es noch zu entdecken gibt. Wer mal einen anderen Blick auf seine geliebten Filme werfen und sich auch auf akademischem Niveau mit Anime auseinander setzen will, wird an Anime from Akira to Howl’s Moving Castle kaum vorbeikommen.