Wieder einmal hat Mark Schilling interessantes aus der japanischen Filmindustrie zu berichten: Shochiku, neben Toho eine der traditionsreichsten und erfolgreichsten Produktions- und Verleihfirmen, plant in Kooperation mit der ebenfalls in Kyoto ansässigen Ritsumeikan Universität ein Ausbildungszentrum für Studenten. So soll diesen der Einstieg in die Industrie erleichtert werden und gleichzeitig Shochiku ein Reservoir an Nachwuchskräften zur Verfügung stehen. Erstes größeres Projekt ist ein Film von Erfolgsregisseur Yoji Yamada, der zusammen mit Studenten gedreht wird.
Da Shochiku gleichzeitig auch den Ausbau seiner Kinokette plant, frage ich mich, ob sich hier vielleicht eine verstärkte Rückkehr zum Studiosystem der klassischen, „goldenen“ Ära des japanischen Kinos andeutet. Dieses ruhte (neben der integrierten Verwertungskette der Filme von der Produktion über den Verleih in der Hand eines Studios) insbesondere auch auf einem fest etablierten Ausbildungssystem für Filmschaffende.
Sehr schön beschrieb dieses System Akira Kurosawa in seiner Autobiographie: Als Regieassistent war er einem etablierten Regisseur (Kajiro Yamamoto) innerhalb des Studios zugewiesen, der ihn nach und nach in alle Bereiche des Filmemachens vom Verfassen eines Drehbuchs bis zum Schnitt und der Vertonung einwies. Gleichzeitig musste man sich über die Jahre nach oben arbeiten. Dieses System, das auch feste vertragliche Bindungen von Schauspieler Produktionsteam beinhaltete, geriet in den später 1950er und besonders den 60er Jahren mit dem Erfolg des Fernsehens in die Krise.
Seitdem werden die meisten größeren Filmprojekte in sogenannten „Komitees“ organisiert, in denen sich unabhängige Künstler und Experten sowie mehrere kleinere und größere Produktionsfirmen zusammenschließen. Die jetzt bekannt gegebene Nachwuchsförderungsstrategie klingt für mich eher nach einer Abkehr von diesen Komitees. Vor dem Hintergrund des verstärkten staatlichen Engagements in der Filmbranche und der gezielten Förderung von Universitäten könnte aber auch einfach die Hoffnung, hier Fördermittel abgreifen zu können, eine Rolle spielen.
via VarietyAsia
11 Sep
Die Kinocharts in Japan haben zwar einen neuen Spitzenreiter, aber Evangelion 1.0 hält sich an Position 2. Nach 1,8 Mio Euro erlöste der Film in der zweiten Woche nun rund 2,7 Mio Euro mit nach wie vor nur 85 Kopien und konnte damit sein durchschnittliches Ergebnis pro Kopie sogar von 21.400 Euro pro Kopie auf nun 32.000 Euro pro Kopie steigern!
Es fällt besonders auf, dass Eva1.0 unter den Top10-Filmen mit Abstand die wenigsten Kopien am Start hat. Während die großen Hollywoodproduktionen wie Harry Potter, Ocean’s Thirteen, Ratatouille, Transformers oder Tohos neuer Smash-Hit Hero mit mehreren hundert Kopien laufen, ist Eva1.0 mit seinen läppischen 85 Kopien der einzige, der nicht im dreistelligen Bereich ist.
Trotzdem scheint es, als ginge die Vermarktungsstrategie auf! Ich bleibe am Ball…
Am 1. September startete Evangelion 1.0 – You are (not) alone in den japanischen Kinos und übernahm mit einem Einspielergebnis von 280 Mio. Yen (1,8 Mio. Euro) auch gleich die Spitze der Box Office Charts. Und das, obwohl Toho KlockWorx nur 84 Kopien des Films zum Start auflegte, wie Mark Schilling berichtet. Zum Vergleich: Hollywood-Blockbuster starten in den USA gewöhnlich mit mehreren Tausend Kopien, und allein in Tokyo dürfte es mehr als 84 Kinos geben.
Bedenkt man dazu die große Heimlichtuerei, die Toho KlockWorx und das Produktionsstudio Gainax vorher um das Mammutprojekt der Neuauflage des Anime-Klassikers Neon Genesis Evangelion betrieben haben, stellt ich mir die Frage, ob hier eine Strategie der künstlichen Verknappung vorliegt. Ziel könnte es sein, den Hype um den Film dadurch zu steigern, dass das Sehen des Films einerseits ein Muss ist, gleichzeitig aber so wenig Tickets zur Verfügung stehen, dass man sich dafür gedulden muss.
Das wäre eine diametral andere Strategie als die von US-Studios zum Start ihrer Blockbuster angewendete. Diese versuchen üblicherweise, durch eine möglichst große Zahl von Kopien besonders gute Einspielzahlen am ersten Wochenende zu erzielen und den Film so ins Gerede zu bringen und die mediale Aufmerksamkeit zu erhöhen.
Bin mal gespannt, ob Toho KlockWorx diese Strategie konsequent weiterfährt oder ob die Zahl der Kopien bei anhaltendem Erfolg erhöht wird. Und wieviel der Film am Ende einspielt. Und wie das mit dem internationalen Release dann wird…
Update: Das endgültige Einspielergebnis lag bei 2 Mrd Yen (12,7 Mio Euro), womit er immerhin auf Rang 15 der japanischen Produktionen in diesem Jahr landete und eine Reihe von Blockbustern wie 300 oder Shrek the Third deutlich hinter sich ließ. Bei den Erlösen pro Kopie lag Evangelion 1.0 mit rund 15.000 Euro ganz vorne, die Strategie scheint also aufgegangen zu sein. Nur von einem internationalen Release hat man leider noch nichts gehört…
Seinen 75. Geburtstag feiert der Gigant unter den japanischen Filmstudios dieses Jahr. Marc Schilling nimmt dies zum Anlass, in einer vierteiligen Serie einen Überblick über Geschichte, Struktur und Strategie von Toho zu geben und einen Ausblick auf die Zukuft zu wagen. Ich habe mir erlaubt, jeden Teil kurz zusammenzufassen:
Teil 1: Toho remains a giant in Japanese biz
Als Teil eines gewaltigen Konzerns verfügt Toho über eigene Kinos sowie privilegierte Distributions- und Marketingkanäle und kann so seine Dominanz auf dem japanischen Markt sichern. Dabei kam der Firma auch ihr vorsichtiges, langfristiges Denken in der Boomphase der 1980er Jahre zu Gute, als Konkurrenten zu große Risiken eingingen und nach dem Platzen der Blase in Schieflage gerieten.
Teil 2: Toho sees no challengers in distribution game
Wichtiger Erfolgsfaktor ist das projektgebundene, auf production committees beruhende Produktionssystem von Toho. Dieses folgte auf das bis in die 1960er und 70er Jahre vorherrschende Studiosystem, das untrennbar mit fest an die Studios gebundenen Namen wie Kurosawa oder Naruse verbunden ist. Ziel der production committees dagegen ist es, externe Talente und Experten zusammenzubringen und diesen den gewaltigen PR- und Marketingapparat von Toho zur Verfügung zu stellen.
Teil 3: „Godzilla“ not the only gem in Toho’s back catalogue
Die alten Toho-Klassiker wie Die Sieben Samurai oder Godzilla werden von Toho nicht selbst international (Schilling meint damit vor allem den US-Markt) vertrieben, sondern in einer Kooperation mit Janus, dem Herausgeber der Criterion Collection. Für den Erfolg auf dem US-Markt waren dabei vor allem die Kurosawa-Filme und ihre Remakes entscheidend, obwohl das Studio so seine Probleme mit AK hatte.
Teil 4: Exhibition business in Toho’s favor
Zur zukünftigen Strategie gehört vor allem eine Diversifizierung der Publikumsattraktionen über das reine Kinoerlebnis hinaus. Dazu gehört die Verbindung mit Shopping-Centers, aber auch, dass man im Multiplex von Roppongi für 25$ direkt im Kino ein vollwertiges Abendessen genießen kann. Außerdem soll die Kinotechnik kräftig aufgerüstet werden, um dem Heimkino Konkurrenz zu machen.
Daniel war neulich in Paprika und hat die Erfahrung, diesen außergewöhnlichen Film in einem fast leeren Kino gesehen zu haben, in eine Generalabrechnung mit dem amerikanischen Kinogänger umgewandelt, der sich mit dem x-ten Sequel zu Pirates of the Caribbean oder Scary Movie zufrieden gibt:
There’s a reason you see nothing but junk food on the shelves, folks. Junk food is all that you consume. It’s as simple as that. No corporatist conspiracy theories, no nightmare scenarios of Dick Cheney peering into your brain for unpure thoughts, no Ned Beatty howling about the primal forces of nature. You’re stuck with Shrek the Third because you shelled out good money for Shrek the Second. And you didn’t show up for Tokyo Godfathers. Or Innocence. Or Triplets of Bellville. Or Metropolis.
Dem ist wenig hinzuzufügen. Dass ich letzte Woche Shrek der Dritte gesehen habe wäre mir jetzt extrem peinlich, wäre das nicht ein Team-Event gewesen, für das Cheffe gezahlt hat. 🙂
Also reißen wir uns jetzt alle zusammen und gehen nur noch in anspruchsvolle Filme, die unser Geld auch wirklich wert sind!? Ganz so einfach ist es wohl nicht, wie Daniel auch selbst erkennt:
Satoshi Kon is one of the smartest filmmakers around today. His are the kind of psychologically-driven character tales that great American directors once tackled. We used to make these sort of movies, albeit live-action. A whole generation of Americans are accustomed to expect movies to be little more than toy commercials, videogame demos, and wall-to-wall explosions. And fart jokes.
Denn es liegt ja eben nicht nur an den Konsumenten. Die können zwar letztlich mit ihrem Geld über Erfolg und Misserfolg entscheiden, aber auch Faktoren wie Marketing, Reichweite des Verleihs, PR etc. spielen eine nicht unerhebliche Rolle. Und natürlich muss erstmal jemand da sein, der die entsprechenden Filme produziert, damit Kinogänger sie in den Box-Office-Listen nach oben pushen können. Und da sehe ich das Problem, jedenfalls was anspruchsvolle Anime angeht.
Seit Jahren haut Hollywood in schöner Regelmäßigkeit eine Comic-Adaption nach der anderen raus, darunter immer mal wieder auch der eine oder andere gute Film. Aber alles sind live-action-Filme, obwohl doch eigentlich bei einer Comic-Adaption ein animierter Film der naheliegendste Gedanke sein müsste. Doch bei den zuständigen Studios scheint da keiner auch nur drüber nachzudenken. Und das, obwohl Animationsfilme mit viel niedrigeren Produktionskosten (durchschnittlich 3 Mio. Dollar, bei einzelnen Großprojekten bis zu 20 Millionen, jedenfalls in Japan) verbunden sind, das finanzielle Risiko also vergleichsweise gering ist. Da muss sich definitiv also was in den Köpfen der Studiobosse bewegen.
Was uns natürlich nicht davon abhalten sollte, unser Geld für gute Filme auszugeben statt für Trash!
Während ich gestern Shrek der Dritte sah und popcornkauend in meinem Kinosessel saß, musste ich an das Zitat von Manohla Dargis zum Unterschied zwischen amerikanischen und japanischen Animationsfilmen denken:
One of this week’s indisputable standouts is “Paprika,“ the latest eye-popping anime from Satoshi Kon (“Millennium Actress,“ “Tokyo Godfathers“), which, despite the dizzying spirals of its overly compressed narrative, offers continued evidence that Japanese animators are reaching for the moon (and other far-out destinations), while most of their American counterparts remain stuck in the kiddie sandbox with their underage audiences.
Shrek ist wirklich kein schlechter Film, er weist die bekannten, sympathischen Charaktere auf, ist witzig, hat eine zwar vorhersehbare aber doch nette Story und seine Animation ist in manchen Details (die Haare von Arthur oder Prince Charming!) unfassbar naturalistisch.
Doch da liegt auch schon ein Teil des Problems. Anstatt die Möglichkeiten der Animation für ungewöhnliche Effekte, spannende Bildkompositionen oder expressionistische Elemente, welche den Charakteren mehr Tiefe geben könnten, zu verwenden, versucht man sich bei Dreamworks daran, Haare oder ein Getreidefeld immer noch „realistischer“ und naturgetreuer hinzubekommen. Anstatt seinem Publikum etwas zum Staunen zu geben, es zu überraschen und dabei vielleicht auch zu fordern, verlässt man sich auf altbekannte Rezepturen und die etablierte Marke.
In den anderthalb Stunden Shrek, so unterhaltsam sie auch waren, dachte ich nicht ein einziges Mal „Wow“, war nie von den Bildern und der Kreativität der Animateure so überwältigt, wie mir das bei japanischen Anime regelmäßig passiert, kurz: das „eye-popping“ fehlte komplett. Und das ist kein Problem von Shrek, sondern von amerikanischen Animationsfilmen ganz generell. Man denke an Madagascar, Ice Age, Hennen rennen und auch die meisten der Pixar-Filme, die – was Charakterentwicklung, Tiefe des Plots und Kreativität der Animation angeht – nicht einmal im Entferntesten mit den Japanern mithalten können.
Zentrales Problem dabei ist, dass Trickfilme aus den USA nach wie vor ausschließlich auf das Komödien-Genre beschränkt sind. Niemand scheint die Möglichkeiten, die der Animationsfilm für so naheliegende ernsthaftere Genres wie Science-Fiction oder Fantasy, die Anime in Japan so erfolgreich gemacht haben, bietet, zu erkennen. Oder es wagt einfach niemand, auch mal den eigentlich logischen, ja überfälligen, Schritt über die Komödie hinaus zu machen. Dargis‘ Zitat weist hier bereits auf die einseitige Orientierung auf ein jugendliches Publikum hin, doch dies kann nicht der Grund für die Erstarrung der US-Animationsfilme sein, denn schließlich sind ja gerade Jugendliche die Hauptkonsumenten von Anime und müssten Experimenten gegenüber eigentlich aufgeschlossen sein. Zudem werden auch in Japan Kinofilme in erster Linie für ein junges Publikum produziert.
Vermutlich liegt der Kern des Problems – wie so häufig – in den Führungsetagen, wo über Filmprojekte und deren Budgets entschieden wird und wo Innovation, Kreativität und Risikobereitschaft häufig eben nicht als Garant für Erfolg gesehen werden. Auf das einzelne Filmprojekt bezogen mag das auch stimmen, aber auf lange Sicht bedeutet Stagnation schlicht Rückschritt. Angesichts der rasch wachsenden globalen Popularität von Anime mit ihrem breit aufgestellten thematischen Repertoire und ihren exzellenten, visionären und hochinnovativen Animateuren ist die US-Filmindustrie auf dem besten Weg, sich ohne Not in einer Nische einzubuddeln.
Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts MyVoice rund ums Thema Kinogang, an der über 13.000 Menschen teilgenommen hatten: 48,6 Prozent gaben an, im letzten halben Jahr nicht im Kino gewesen zu sein. Als regelmäßige Kinogänger mit durchschnittlich mindestens einem Kinobesuch im Monat bezeichneten sich knapp 10 Prozent (mehr Umfrageergebnisse, auch zu den beliebtesten Filmen der jüngeren Vergangenheit, bei denen Letters from Iwo Jima vorne liegt).
Jetzt wäre natürlich der Vergleich mit Deutschland interessant, ich konnte aber keine vergleichbaren Zahlen ergoogeln. Bei David Bordwell und hier gibt’s zumindest einige rudimentäre Angaben zum globalen Vergleich, da liegen die Deutschen mit rund 1,5 Besuchen pro Jahr und Einwohner knapp vor den Japanern mit 1,26. Hat jemand bessere Zahlen?
Das Jahr 2006 liegt hinter uns, jetzt wird abgerechnet. Eine erste Aufstellung der erfolgreichsten Filme des letzten Jahres an den japanischen Kinokassen zeigt, dass sich die US-Blockbuster tatsächlich den einheimischen Produktionen geschlagen geben mussten, aber die endgültigen Zahlen fehlen noch die einen Marktanteil von 53% erreichten.
Top 10 Hollywood-Filme:
Diese zehn Filme spielten insgesamt 57,22 Mrd. Yen (370 Mio. Euro) ein. Auffallend dabei das starke Gefälle: Die beiden erfolgreichsten Filme spielten mehr als viermal soviel ein wie die Nummern 9 und 10. Meine Vermutung: Harry Potter und Pirates of the Caribbean haben überdurchschnittlich von der Bekanntheit der jeweiligen Serien profitiert und dadurch die Statistik verzerrt.
Top 10 Japanische Filme:
Die in 2006 erfolgreichsten japanischen Filme spielten 49,53 Mrd. Yen (321 Mio. Euro) ein, und lagen damit fast gleichauf mit ihren Konkurrenten aus Übersee. Dabei war der Erfolg zwischen den Top 10-Filmen sehr viel gleichmäßiger verteilt: Die beiden erfolgreichsten Filme spielten jeweils nur gut doppelt so viel ein wie Nada Soso und Meitantei Konan, ganz im Gegensatz zu 2005, als Hayao Miyazakis Überflieger Das wandelnde Schloß an den Kinokassen dominierte. Mit Tales from Earthsea liegt zwar wieder eine Anime eines Miyazaki vorn, diesmal ist es aber Hayaos Sohn Goro. Der Erfolg scheint in der Familie zu liegen!