8 Jun
Original: Chain (2007) von Akihito Kajiya
Ein Amokläufer erstach heute 7 Menschen, weitere 10 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Tat ereignete sich im Tokyoter Stadtteil Akihabara während eines autofreien Sonntags, der noch mehr Besucher als gewöhnlich in das Einkaufsviertel lockte. Der Täter war zunächst mit einem Lieferwagen in die Menge gefahren und hatte dann wahllos um sich gestochen. Nach seiner Festnahme sagte er, er sei der Welt müde und hätte einfach nur irgendwen töten wollen.
Auf den Tag genau vor 7 Jahren erstach ein Amokläufer an einer Grundschule in Osaka 8 Schülerinnen und Schüler und verwundete 15 weitere. Nach seiner Festnahme gab er zu Protokoll, dass er vom Leben die Schnauze voll habe und die Todesstrafe wolle, zu der er später auch verurteilt wurde.
Was haben diese furchtbaren Ereignisse nun mit dem Film Chain zu tun? Der Abschlussarbeit eines Studenten der Osaka University of Arts, die ich in Anwesenheit des Regisseurs vor einer guten Woche beim JFFH sehen konnte? Regisseur Kajiya griff die Ereignisse in seiner Heimatstadt Osaka von 2001 sowie ein persönliches Erlebnis, als in seiner Nachbarschaft ein Mann drohte, in einem Kindergarten Amok zu laufen, auf und fragte sich, was einen Menschen dazu bringen mag, wahllos andere zu töten. Dazu benutzt er vier Handlungsstränge um vier Hauptpersonen – zwei Schülerinnen, deren Lehrerin sowie den Kollegen des Ehemanns der Lehrerin – deren Wege sich immer wieder kreuzen, sich immer weiter verweben, eine Reaktionskette auslösen und schließlich in einem Blutbad an der Schule enden.
Alle vier haben schwer an ihren Problemen zu tragen: Die Schülerin Rie leidet unter der bevorstehenden Scheidung ihrer Eltern und wird in der Schule gehänselt, unter anderem von Rena, die dadurch ihre eigenen Minderwertigkeits- und Schuldgefühle übertünchen will. Die Lehrerin wiederum leidet mit ihren Schülerinnen und nimmt deren Probleme gewissermaßen mit nach Hause, während der Kollege ihres Mannes gerade eine Scheidung hinter sich hat und zu allem Überfluss auch noch gefeuert wird.
Letztlich sind es jedoch nicht diese faktisch-eindeutigen Gründe die zum Wahnsinn des Amoks führen, denn diese würden eine solche Tat gewissermaßen nachvollziehbar und verständlich machen. Vielmehr sind es kleine, schwer interpretierbare Details und Ereignisse des Alltags, wie lärmende Mädchen auf dem Schulweg oder ein unachtsamer Rempler auf der Straße, die eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslösen und irgendwann einen emotionalen Kurzschluss verursachen, der in der Gewalt mündet.
Chain hat nur eine Spielzeit von etwa 60 Minuten und bewegt sich somit – nicht zuletzt auf Grund seiner episodenhaften Erzählweise – gefühlsmäßig irgendwo zwischen Kurzfilm und Spielfilm. Die Art und Weise, wie diese Episoden miteinander verwoben sind, und wie das blutige Finale in Szene gesetzt ist, ist phänomenal und weist eine filmische Reife auf, die weit über dem liegt, was ich bisher von Studentenfilmen gesehen habe. Chain packt einen von der ersten Minute und lässt einen nicht wieder los; für mich einer der besten Filme die dieses Jahr auf dem Japanischen Filmfest liefen!
Nicht nur die Geschichte und ihre dramaturgische Umsetzung sind erstklassig, auch Inszenierung und Ästhetik sind mit ihrem halbdokumentarischen Charakter absolut stimmig. Einzige Schwäche ist die etwas zu kurz gekommene Verbindung zwischen dem Amokläufer und den Schülerinnen. Würde hier noch etwas nachgearbeitet, hätte der Film mit einer Laufzeit von vielleicht 70, 75 Minuten einen Release absolut verdient! Wie in Falling Down werden auch in Chain gesellschaftliche und familiäre Probleme und Fehlentwicklungen thematisiert, die aber sehr viel realer, greifbarer und alltäglicher sind. Anders als der Schumacher-Film wird die Entstehungsgeschichte des Amoklaufs dezidiert aus der Perspektive mehrerer Betroffener unter die Lupe genommen. Überhaupt hat der Film keine politische Attitüde, bleibt viel mehr auf der menschlich-persönlichen Ebene und wirkt sehr authentisch und realistisch.
Im Gegensatz zu Falling Down und anderen westlichen Filmen zum Thema ist hier – wie auch bei den geschilderten realen Amokläufen – ein Messer die Tatwaffe, und Kajiya setzt diesen Umstand exzellent ein, um dem Wahnsinn der Tat auf schauerliche Weise Nachdruck zu verleihen. Zudem berichtete er nach dem Film, dass Amokläufe in Japan fast nie mit Schusswaffen durchgeführt werden und die Täter daher eigentlich immer festgenommen werden können.
Damit sind diese Wahnsinnstaten auch Ausdruck der unterschiedlichen Gewaltkultur in Japan und dem Westen. Während durch die Dominanz von Schusswaffen im Westen Gewalt stärker technisiert, unmittelbarer und damit „leichter ertragbar“ wird, sind Stechwaffen nach wie vor sehr archaisch, verursachen große körperliche Anstrengung und durch ihre allgemeine Verfügbarkeit (ein großes Brot- oder Fleischermesser gibt es in praktisch jedem Haushalt) auch eine ganz andere, direktere und damit viel schockierendere Form von Bedrohung, die auf leisen Sohlen daherkommt und dann wie aus dem Nichts über die Menschen hereinbricht.
Wie in Akihabara heute.
Yasujiro Ozu wurde nicht zuletzt wegen seines außergewöhnlichen, unverkennbaren Stils zu einer Ikone der japanischen Filmgeschichte. Gerne genannt werden etwa die niedrig positionierte Kamera, die Beschäftigung mit der (japanischen) Familie oder die besondere Nutzung des Raums welche im Widerspruch mit Hollywood-Konventionen steht. Zu diesen Markenzeichen gehören jedoch auch ganz simple, wiederkehrende Motive, von denen ich heute ein Weiteres vorstellen möchte.
Zugfahrten spielen in fast allen Filmen Ozus eine mehr oder weniger große Rolle. In Story of Floating Weeds werden Züge und Zugfahrten zu einem sehr zentralen Element: Der Film beginnt mit der Ankunft von Kihachis Theatertruppe am Bahnhof, dort werden die wichtigen Figuren eingeführt. Am Ende steht wieder eine Zugfahrt, diesmal Kihachis Abreise und die Versöhnung mit seiner Geliebten Otaka im Zugabteil. Die Mobilität symbolisierende Zugfahrt wird so zum Ort geistig-emotionaler Mobilität. Doch mit diesem Versprechen der Mobilität sind auch Sehnsüchte und Hoffnungen verbunden, auf die in einer anderen Szene angespielt wird, nämlich als ein heimliches Liebespaar die Unmöglichkeit der Beziehung beklagt und dann sehnsüchtig einem vorbeifahrenden Zug hinterhersieht, der ihnen als einziger Ausweg erscheinen mag.
In Tokyo Story sind Shukichi und Tomi ständig mit Zügen unterwegs und es wird dauernd über Zugfahrten geredet, man sieht die beiden aber nur einmal am Bahnhof. Erst ganz am Ende des Films, als Noriko nach Tomis Beerdigung wieder nach Tokyo zurückfährt, sieht man tatsächlich einen Zug und wie sie darin – eine Taschenuhr in den Händen – mutmaßlich über die Vergänglichkeit der Dinge nachdenkt und darüber, wie die Zeit die Menschen und ihr Leben verändert.
Verschiedene Formen der Fortbewegung und Mobilität spielen in Flavor of Green Tea over Rice eine ganz zentrale Rolle. Gleich in der Auftaktszene sehen wir die beiden Hauptdarstellerinnen gemeinsam bei einer Taxifahrt und wie die Stadt an ihnen vorbeihuscht. Gegen Ende des Films werden dann der Flughafen und ein Flug nach Uruguay zu wichtigen Handlungselementen. Dazwischen steht die Zugfahrt von Taeko, als sie aus Frustration angesichts ihrer Ehekrise Hals über Kopf aus Tokyo abreist.
In anderen Filmen dagegen sind Zugfahrten normaler Bestandteil des alltäglichen Lebens, häufig etwa beim Pendeln zur Arbeit. Ein Beispiel dafür wäre Später Frühling, in dem Shukichi mit dem Vorortzug in die Stadt zur Arbeit fährt. Da er dabei manchmal auch von seiner Tochter begleitet wird, nutzt Ozu diese gemeinsamen Fahrten, um das innige Verhältnis der beiden zueinander zu beleuchten.
Das Pendler-Szenario wird manchmal aber gar nicht durch die Zugfahrten selbst visualisiert sondern etwa mittels der Bahnhöfe, wartender Pendler oder von Gleisanlagen. Ein Beispiel dafür findet sich beispielsweise in Early Spring:
Züge und Zugfahrten stehen kulturhistorisch symbolhaft für vielerlei in Filmen: Das Reisefieber, die Sehnsucht nach der Ferne, Kraft und Veränderungen (man denke an Once Upon a Time in the West), Flucht oder Selbstfindung (siehe The Darjeeling Limited). Ozu machte in seinen Filmen sehr unterschiedlichen Gebrauch von Zügen und nutzte dabei all die verschiedenen Assoziationen und Hintergründe gleichermaßen, wie es nur ein Meister seines Fachs kann.
Weitere Markenzeichen Ozus:
Teil I – Sackleinen
Teil II – Trocknende Wäsche
Mal wieder bietet uns Mark Schilling einen interessanten Überblick zum Zustand der Filmindustrie (mit Schwerpunkt auf Indie-Produktionen) in Japan, das mit fast genau 2 Mrd. US-$ Umsätzen an den Kinokassen der zweitgrößte Filmmarkt der Welt ist. 163,2 Mio Kinokarten wurden dort 2007 verkauft, rein statistisch gesehen geht also jeder Einwohner 1,28 Mal im Jahr ins Kino. Doch wie war das vor einem halben Jahrhundert, in der goldenen Ära des japanischen Kinos?
Vergleichen wir den Schilling-Artikel also mit den Zahlen1 aus den späten 1950er Jahren: Damals ging der Normal-Japaner 12 Mal im Jahr im Kino, zehnmal so oft wie heute! Das Fernsehen hat unübersehbar seine Spuren hinterlassen… Nur vergleichsweise gering zurückgegangen ist dagegen die Anzahl der japanischen Filme, die in den Kinos gezeigt wurden: Stolze 407 heimische Werke liefen 2007, vor 50 Jahren schwankte dieser Wert noch um die 500.
Jedoch finden nicht alle in Japan produzierten Filme auch den Weg auf die Leinwand, besonders kleine, unabhängige Labels haben massive Schwierigkeiten, Kinos zu finden, die ihre Filme spielen. Das hängt nicht zuletzt mit den Besonderheiten des Distributionssystems in Japan zusammen. Die großen Studios, allen voran Toho, besitzen eigene Kinoketten, während kleine Studios Verträge mit unabhängigen Kinos aushandeln müssen. Das war vor einem halben Jahrhundert genauso, doch lag damals die Zahl der Kopien für die „großen“ Filme viel niedriger als heute: 50 Kopien wurden damals durchschnittlich von einem Film angefertigt, bei großen Produktionen 70 bis 100 (bei ca. 7000 Kinos im Land). Heute dagegen startet kaum noch eine größere Produktion mit weniger als 100 Kopien, die „Blockbuster“ kommen locker auf 300 bis 400. Dementsprechend weniger Slots in den Kinos bleiben für die kleinen Fische.
Die Bedeutung ausländischer Filme nahm zudem in den letzten Jahrzehnten deutlich zu, auch wenn diese im internationalen Vergleich noch immer bemerkenswert gering ist. Fast genau die Hälfte der in japanischen Kinos gezeigten Streifen kommt heute aus dem Ausland (und das entspricht auch in etwa ihrem Umsatzanteil), in den guten alten Zeiten war es nur ein Viertel. Dennoch ist der japanische Filmmarkt in guter Verfassung, Studios sind nicht auf Export ihrer Filme angewiesen und können die Finanzierung ihrer Projekte ganz aus heimischen Mitteln decken, meist über verschiedene Partner wie TV-Sender, Verlage oder Sponsoring.
Die Industrie kann es sich also leisten, sich ganz auf ihr heimisches Publikum zu konzentrieren, daran hat sich in den letzten Jahrzehnten trotz der dramatisch gesunkenen Zuschauerzahlen wenig geändert. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass unmittelbar nach der goldenen Ära, etwa ab Mitte der 1960er Jahre, der durch die Verbreitung des Fernsehens verursachte Rückgang der Zuschauerzahlen die Filmindustrie schwer traf und diese in eine tiefe Krise schickte. Aber diese Geschichte erzähle ich ein andermal.
1 Die Angaben stammen aus Joseph L. Anderson/Donald Richie: The Japanese Film. Art and Industry
Das traditionsreiche Filmstudio Shochiku setzt auf Online-Vertrieb seiner Filme: Ab 21. Mai sollen über einen neuen Streaming-Dienst (Shochiku Online) Filme aus dem umfangreichen Katalog des altehrwürdigen Studios verfügbar werden. Zum Start kann der Kunde aus rund 100 Filmen auswählen, monatlich sollen 10 bis 20 weitere hinzukommen so dass am Ende des Jahres die Film-Bibliothek schon etwa 200 Filme umfassen soll. Der Preis für einen einzelnen Film soll bei 367 Yen (derzeit etwa 2,30 Euro) für eine Woche liegen, das Monats-Abonnement soll ca. 6,50 Euro kosten.
Das klingt zunächst sehr interessant, besonders weil sich in den Archiven von Shochiku allerlei Klassiker wie Filme von Yasujiro Ozu, Keisuke Kinoshita, Masaki Kobayashi, Shohei Imamura und (etwas aktueller) auch von Yamada Yoji oder Takeshi Kitano tummeln. Leider liegen keine Informationen zu Untertiteln vor, möglicherweise ist das Angebot nur auf den japanischen Heimatmarkt ausgerichtet. Und dann ist da noch die Frage der begrenzten Nutzung: So wie es sich im Moment anhört, stehen die einmal gestreamten Filme dem Kunden nicht dauerhaft zur Verfügung sondern nur für einen bestimmten Zeitraum.
Wenn dem wirklich so ist, wird das in meinen Augen ein massives Hindernis für den Erfolg des neuen Dienstes. Das Scheitern von DRM bei Musik hat bereits gezeigt, dass die Kunden nicht bereit sind, für Medien zu bezahlen, die ihnen dann nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehen. Zudem sehe ich bei dem Preismodell dann eine hochproblematische Konkurrenz mit der DVD: Wer den Film wirklich „besitzen“ will, kann für ein paar Euro mehr die DVD kaufen, die dann wahrscheinlich auch noch Hintergrundinfos, Kommentare etc. enthält und zusätzlich mit einer besseren Qualität aufwarten kann als die übers Internet ausgelieferte Version.
Grundsätzlich macht Shochiku in meinen Augen aber trotz der noch offenen Fragen definitiv einen Schritt in die richtige Richtung. Es macht für so ein Studio einfach Sinn, billig-DVDs durch Online-Streaming zu ersetzen, da es so auf Zwischenhändler verzichten kann und mit einem einzigen „Shop“ ein weltweites Publikum bedienen kann. Zudem lassen sich ganz im Sinne des Long Tail so auch Ladenhüter monetarisieren, die normalerweise mangels Nachfrage nie auf DVD erschienen wären. Das Hochpreissegment qualitativ hochwertiger DVD-Ausgaben à la Criterion mit Making-Of, Booklet, Kommentaren, Storyboard usw. dagegen wird davon imho nicht beeinträchtigt, da diese sich an die echten Fans, Cineasten und Sammler richten.
Via VarietyAsia
20 Apr
Anlässlich meines Hinweises auf die Ausstrahlung von Mein Nachbar Totoro auf SuperRTL habe ich angemerkt, mir wäre es lieber, der Film liefe auf arte. Was mir dann von Charon den berechtigten Hinweis einbrachte, es sei doch egal, auf welchem Sender der Film liefe, solange er überhaupt gezeigt wird. Außerdem sei es doch zu begrüßen, wenn Kindern dieser wunderbare Film gezeigt werde und nicht nur Bildungsbürgern.
Charon, da bin ich ganz bei dir! Nach Möglichkeit sollte jedes Kind diesen Film gesehen haben, deshalb habe ich mich natürlich auch über diese Ausstrahlung gefreut. Aber dass der Film auf dem ausgemachten Kinder-Sender SuperRTL läuft, und eben nicht auf arte, beweist jedoch mal wieder, dass Anime von den meisten Leuten und vor allem von Programmverantwortlichen als Kinderfilme wahrgenommen werden – siehe auch die Ausstrahlung von „Das wandelnde Schloss“ auf der ARD am Ostersonntag morgens um 8 im Kinderprogramm. Die alternative Einstellung besteht in der Regel dann daraus, Anime für durchgeknallte, semi-perverse Unterhaltung für Freaks zu halten.
Einige Filmliebhaber beginnen jedoch so langsam, das Genre ernst zu nehmen und es gab auch tatsächlich 2005 einen Themenabend Anime auf arte. Aber auch arte ist ja nur ein kleiner Spartensender, genau wie SuperRTL. Somit ist dieser Themenabend letztlich ein weiterer Beweis dafür, wie weit Anime vom Massenmarkt und der damit verbundenen Relevanz und Aufmerksamkeit entfernt sind. Aber vielleicht ändert sich das ja eines Tages, wenn die ganzen Kinder, die auf SuperRTL wunderschöne Klassiker von Miyazaki gesehen und liebgewonnen haben, dann erwachsen sind. Bis Anime zur besten Sendezeit auf ARD oder Prosieben kommen, müssen wir uns eben noch etwas gedulden…
Eigentlich ist die Debatte um den Yasukuni-Schrein in Tokyo, die in schöner Regelmäßigkeit aufpoppt und die Beziehungen Japans zu seinen Nachbarn belastet, durch und durch politisch. Aber jetzt ist auch das Filmbusiness davon betroffen: Ein großes Kino in Tokyo hat die Aufführung des bereits auf der Berlinale gezeigten Dokumentarfilms Yasukuni wegen Drohungen rechter Extremisten abgesagt.
Der Film, der u.a. von einem Förderprogramm der japanischen Regierung mitfinanziert wurde und bereits vorab in einer Spezialvorführung von 80 Abgeordneten der Regierungspartei LDP gesehen wurde, soll am 12. April in die japanischen Kinos kommen und hätte ursprünglich auch im neuen Renommier-Multiplex Shinjuku Wald9 der Firma T-Joy gezeigt werden sollen. Diese Vorführungen wurden nun abgesagt, mit widersprüchlichen Begründungen:
„T-Joy told us that it was due to a problem in its screening schedule,“ said an official of Argo Pictures [die Verleih-Firma]. „But the other three theatres still plan to show the movie.“ A T-Joy official contacted by AFP declined to comment. But Kyodo News quoted a T-Joy official as saying the film may cause ‚trouble.‘ „The film is talked about so much that it may create trouble and we don’t want to cause inconvenience to building tenants,“ the official was quoted as saying.
Mit „inconveniece“ dürften wohl Proteste, Aktionen und Drohungen rechter Extremisten gemeint sein. Denn bereits seit einiger Zeit werden der seit 1989 in Japan lebende chinesische Regisseur Li Ying (der zuerst mit Dokumentationen über Tibet auf sich aufmerksam machte) und sein Team mit Morddrohungen eingeschüchtert. Li, der seit 1997 an der Dokumentation gearbeitet hatte, will sich davon aber nicht beeindrucken lassen:
While he is taking precautions to protect himself and his team, Li said he is going ahead with the film’s Japanese release through distributor Nai Entertainment. „I have spent 10 years making this movie,“ he said. „The issues in the film are key to many of the problems Japan faces in dealing with the war and dealing with the rest of Asia. Compared to that (my personal safety) is unimportant.“
Wenn man sich in die Ereignisse rund um die Absage des Kinos etwas einliest, wird einem schnell bewusst, wie sehr Japan heute noch von seiner Geschichte und insbesondere von der mangelnden Auseinandersetzung mit dieser Geschichte und der daraus erwachsenden Verantwortung geplagt wird. Kein Vergleich mit der Situation hierzulande!
Was nun das Filmgeschäft betrifft: Eigentlich müssten sich die Kinos, die planen den Film zu zeigen, angesichts all der kostenlosen Publicity schön die Hände reiben und diese nach Möglichkeit ausnutzen, um Leute in die Vorstellungen zu locken. Insofern ist die Absage wirtschaftlich auch nicht wirklich nachvollziehbar. Im speziellen Fall dieses wohl brandneuen Multiplexes könnte ich mir vielleicht noch vorstellen, dass man seinen Namen nicht in Zusammenhang mit eventuellen Ausschreitungen bringen will, weil das die Zielgruppe (Familien, Teens) abschrecken könnte und schlecht fürs Image wäre. Das wäre die „positive“ Interpretation.
Die weniger schöne Vermutung wäre, dass in Japan bezüglich der eigenen kriegerischen Vergangenheit und speziell des Yasukuni-Schreins bereits ein gesamtgesellschaftliches Klima vorherrscht, welches das Thema tabuisiert und gewissermaßen einen vorauseilenden Gehorsam notwendig macht. Das wäre natürlich fatal und würde nichts Gutes ahnen lassen für die immer noch problematische Aussöhnung mit Korea und China! Vielleicht wissen dazu Leser in bzw. aus Japan mehr?
Einen sehr ausführlichen Bericht über den Film selbst, der die Geschichte und besondere Bedeutung des Schreins aus dem Blickwinkel des letzten noch lebenden Schmieds der Yasukuni-Schwerter beleuchtet, sowie seine Hintergründe findet ihr bei asahi (der Zeitung, nicht dem Bier). Und eine wie immer lesenswerte Kritik bei Thomas.
Via ryuganji
Jedesmal wenn wir ihn ansehen, führt er anderes Wasser.
Eine sehr interessante Frage hat Girish Shambu auf seinem Blog aufgeworfen: Wie verändert sich unsere Wertschätzung eines Films bei mehrfachem Ansehen desselben über eine längere Zeit? Ändern wir unsere Wahrnehmung eines Films, wenn wir ihn zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal sehen? Wenn wir mehr über den Film und seine Hintergründe wissen, etwa durch Kritiken, Zusatzmaterial auf DVDs oder einfach weil wir älter geworden sind und mehr Lebenserfahrung haben? Er stellt dabei sehr auf den analytischen, diskursiven Wert ab:
I find that the €˜value€™ of a film (and by this I mean not some €˜objective value€™ but a subjective determination of the value to a particular viewer) is a complex, mutating entity. Let€™s say that on a given day, I watch a film, think about it, and arrive at a determination of its €˜value€™. As time passes, my thoughts of this film don€™t stay fixed but are instead joined with all the discourse (watching, talking, writing), both about this film and cinema in general, that I encounter from then on.
Im Gegensatz zu Girishs Ansatz (der natürlich auch sehr spannend ist, keine Frage!) sehe ich für mich aber mehr den rein persönlichen Zugang, die individuelle Rezeption losgelöst von wohl überlegtem und analysierten Wert im Vordergrund. Also wie sich etwa meine persönliche Lebenssituation geändert hat oder dass ich den Film in einer komplett anderen Stimmung ansehe und dadurch ein anderes Seherlebnis habe.
Das erste Mal, dass man einen Film sieht, ist immer etwas ganz Besonderes und wann immer man ihn sich noch einmal ansieht, es wird nie wieder so sein wie beim ersten Mal. Bei manchen Filmen kommt Enttäuschung auf, weil man inzwischen erfahren hat, dass er stark auf früheren Werken anderer Künstler aufbaut. Oder weil die Faszination der Geschichte, das Entgegenfiebern der Auflösung wegfällt.
Genausogut kann es sein, dass man es erst bei einem späteren Wieder-sehen richtig funkt. Mir ging das beispielsweise mit Once Upon a Time in the West so. Als ich den das erste Mal gesehen habe, bin ich irgendwann als mal wieder nichts passierte eingeschlafen. Ein paar Jahre später, beim zweiten Ansehen, war ich komplett von den Socken.
Für mich persönlich ist dabei auch die Stimmung sehr wichtig, und zwar nicht nur meine eigene sondern auch die erweiterte Stimmung einer Situation. Was ich damit meine? Wenn du dir einen Film mit deiner Freundin/deinem Freund zusammen anschaust, mag er wunderbar zu eurem Verliebtsein, eurer Zweisamkeit passen und dir bzw. euch etwas ganz besonderes geben. Wenn du ihn dir aber später allein ansiehst, ist er einfach nur stinklangweilig. Oder im schlimmsten Fall, wenn ihr euch inzwischen getrennt habt, weckt er Erinnerungen an die Umstände des ersten Sehens und ruft Schmerz oder Ablehnung hervor, die mit dem Film selbst überhaupt nichts zu tun haben.
Bei mir ist es inzwischen auch so, dass manche Filme die mir sehr gefallen und die ich schon oft gesehen habe eine gewisse Aura entwickeln, weil ich mit ihnen bestimmte Ereignisse, Erinnerungen oder Stimmungen verbinde. Und so schaue ich mir diese Filme nicht nur wegen des Films an sich nochmal an, sondern auch, um in diese ganz eigene Aura einzutauchen.
Wie geht dir das?
Eva 1.0, Hero, Hero, Hero, Hero, Hero, Hero, Hero, Crows Zero, Resident Evil: Extinction, Koizora, Koizora, Always 2, Always 2.
Das waren die Spitzenreiter der japanischen Kinocharts in den letzten 4 Monaten, seit ich diese regelmäßig über twitch verfolge. Was fällt auf? Alles sind japanische Filme, bis auf den dritten Teil der Resident Evil-Reihe, der genau eine Woche lang den Spitzenplatz besetzte. Und das, obwohl in dieser Zeit Hollywood-Blockbuster wie Fantastic Four, Ocean’s Thirteen, Rush Hour 3 oder The Bourne Ultimatum liefen. Auf Grund der beeindruckenden Performance der einheimischen Produktionen gehe ich davon aus, dass es auch in diesem Jahr wieder ein ganz enges Rennen zwischen US-Importen und japanischen Filmen um die Vorherrschaft an den Kinokassen gibt.
In Deutschland sind wir von einer so starken heimischen Filmindustrie natürlich meilenweit entfernt, wenn deutsche Filme einen Marktanteil von über 20% schaffen, ist das schon bemerkenswert. Von den anderen europäischen Ländern mit großer Filmtradition sind mir nur Zahlen von Frankreich bekannt, dort können die heimischen Filme den US-Importen Paroli bieten. Zahlen zu Italien oder Spanien liegen mir leider nicht vor, weiss jemand mehr? Meine Vermutung wäre, dass hier eher deutsche als französische Verhältnisse herrschen.
Wie auch immer, ich habe mich gefragt welche die Gründe sein könnten, dass die Japaner gerne japanische Filme gucken. OK, jetzt könnte man einfach pauschal auf die großen kulturellen Differenzen abheben, die zwischen den USA und Europa sehr viel weniger ausgeprägt sind. Aber das führt natürlich nicht wirklich zu neuen Erkenntnissen. Mir sind aber drei Tendenzen aufgefallen, welche die Verbundenheit der Japaner zu ihrer eigenen Filmkultur vielleicht etwas besser erklären, aber auch mit historischen und kulturellen Besonderheiten zusammenhängen:
Aber vielleicht liegt es ja doch einfach daran, dass japanische Filme nun mal etwas ganz besonderes sind und ein Flair an sich haben, das sie oft interessanter macht als importierte Mainstream-Blockbuster?