17 Okt
Original: Jōiuchi: Hairyō tsuma shimatsu (1967) von Masaki Kobayashi
Fünf Jahre nach dem grandiosen Harakiri wandte sich Regisseur Kobayashi wieder dem Chambara-Genre zu und machte direkt dort weiter, wo er aufgehört hatte: Wieder eine Geschichte aus der Tokugawa-Zeit, wieder ein Vater der von einem barbarischen System zum Einsatz von Gewalt getrieben wird, wieder spielt Architektur eine zentrale Rolle bei der Vermittlung der Botschafts des Films. Trotz all dieser Parallelen fügte Kobayashi doch ein zentrales, neues Element hinzu, das Samurai Rebellion eine ganz andere Note gibt als Harakiri: Eine starke Frau.
1725, der Fürst Matsudaira verstößt seine Konkubine Ichi (Yoko Tsukasa), die ihm widerwillig einen Sohn geboren hatte, und zwingt sie in eine Ehe mit dem Samurai Yogoro (Go Kato). Dessen Vater Isaburo (Toshiro Mifune) ist zwar Aufseher der Wache und bester Schwertkämpfer des Clans, stand aber sein ganzes Leben unter der Fuchtel seiner Frau und hat nie aufgemuckt. Doch nun fürchtet er, dass seinem Sohn dasselbe Schicksal einer lieblosen Ehe droht und lehnt die Hochzeit ab. Unter dem Druck des Hofes ist es schließlich Yogoro, der in die Hochzeit einwilligt. Tatsächlich erweist sich Ichi als perfekte Ehefrau und zwischen den beiden erwächst eine innige Liebe. Überglücklich überlässt Isaburo die Führung der Familie Yogoro, um sich ganz seiner ersten Enkeltochter zu widmen.
Doch die Freude dauert nicht lange: Der erstgeborene Sohn des Fürsten stirbt, Ichis Sohn aus der Beziehung mit dem Fürsten ist plötzlich legitimer Nachfolger. Da die Mutter des Thronfolgers unmöglich mit einem normalen Samurai verheiratet sein kann, erfordert das Protokoll die Rückkehr Ichis an den Hof und ihre Scheidung von Yogoro. Die beiden weigern sich jedoch, ihr Glück wegen protokollarischer Erfordernisse und dem Dünkel des Fürsten aufzugeben und bekommen von Isaburo volle Rückendeckung. Als Yogoros eigener Bruder seine Schwägerin Ichi mit einem Trick an den Hof und damit in die Gefangenschaft lockt, greift Isaburo zu den Waffen.
Ganz wie in Harakiri unterlegt Kobayashi die Opening Titles wieder mit beeindruckenden Ansichten großartiger Architektur, diesmal der Burg des Fürsten. Diese starren, symmetrischen und abweisenden Formen stehen bildhaft für die menschenverachtenden, absoluten Gehorsam einfordernden Machtstrukturen und die Logik des Protokolls, derer sich der Fürst nach Lust und Laune bedient: Zunächst, um die junge Ichi zu seiner Konkubine zu machen und sie dann wieder loszuwerden, als sie nach der Geburt seines Sohnes unbequem wird. Später, um sie als Mutter des Thronfolgers zurück an den Hof zu holen, damit er sein Gesicht wahren kann.
Bei all diesen Parallelen entsteht jedoch eine völlig andere Atmosphäre. Wo Harakiri über weite Strecken ein Duell zweier Männer ist, bei dem erst nach und nach die Grausamkeit des Systems ans Licht kommt und das fast überwiegend mit Worten und erst ganz am Ende mit dem Schwert geführt wird, ist in Samurai Rebellion schnell klar, dass hier drei aufrechte Menschen einen aussichtslosen Kampf gegen ein unmenschliches System führen. Diese Klarheit nutzt Kobayashi, um das traditionelle, tyrannische Wertesystem gnadenlos und bis ins Kleinste zu sezieren. So baut sich mit jedem neuen, skrupellosen Akt der Unterdrückung und der willenlosen, kriecherischen Zustimmung aus den Reihen der Verwandtschaft eine Welle der Empörung auf, die Isaburo schließlich stellvertretend für den Zuschauer in Aktion umwandelt.
Dieses Finale hat wenig mit der recht kurzen Eruption der Gewalt am Ende von Harakiri gemein. Wie von Tatewaki (Tatsuya Nakadai), Isaburos einzig ebenbürtigem Gegner und guten Freund angekündigt, veranstaltet der Meisterschwertkämpfer Isaburo ein regelrechtes Massaker unter den Truppen des Fürsten. Über gut 20 Minuten zieht sich das Gemetzel hin, unterbrochen von der Begegnung und dem Duell mit Tatewaki, der aber erkennen muss, dass auch er machtlos ist gegen Isaburos gerechten Zorn.
Dieses Duell auf freiem Feld unter offenem Himmel greift die erste Szene des Films auf, in der die beiden im Auftrag des Fürsten ein Schwert an einer Strohpuppe testen: Ausdruck des Hochmuts und der Selbstüberschätzung der Beamten und ihres Machtapparats. Dieses Duell symbolisiert aber auch das Ausbrechen aus dem Machtgefüge, denn praktisch der gesamte Film zwischen diesen beiden Szenen am Anfang und ganz am Ende spielt in einengenden, klar strukturierten Räumlichkeiten.
Die Gespräche zwischen Vater und Sohn, zwischen Mann und Ehefrau sowie zwischen der Familie und den Abgesandten des Hofes werden in streng komponierten Einstellungen gezeigt, eingerahmt von Wänden und Schiebetüren. Immer wieder ragen Balken ins Bild oder trennen die Menschen visuell. Der nach schlichten aber strengen geometrischen Prinzipien angelegte, das Haus umgebende Steingarten, verstärkt diesen Eindruck des Gefangenseins in Strukturen noch.
Eine eigentlich unscheinbare, aber sehr aufschlussreiche Szene voller Symbolkraft findet in diesem Steingarten statt: Ichi steht allein im Garten, während die Familie drinnen über den Umgang mit ihrer Weigerung, an den Hof zurückzukehren, debattiert. Dann tritt Isaburo zu ihr hinzu, doch er folgt nicht den vorgegebenen Wegen, er zerstört die mühsam aufgebaute Struktur des Gartens und läuft über den säuberlich hergerichteten Kies. Als Yogoro und Isaburo ihr Haus in Vorbereitung der Kämpfe schließlich in seine Einzelteile zerlegen, ist dies ein symbolischer Akt der Befreiung von den rigiden, ihnen aufgezwungenen Strukturen.
In den anschließenden Kämpfen gegen immer größer werdende Scharen von Gegnern steigert sich Isaburos Wut und Siegeswille ins Übermenschliche, nicht einmal Gewehrkugeln scheinen ihn stoppen zu können. Kobayashi deutet in den letzten Minuten von Samurai Rebellion an, in welche Richtung sich Chambara in den folgenden Jahren entwickeln würde: Immer überdrehtere Gewaltexzesse, in denen comichaft verzerrte, unbesiegbare Helden die Grenzen der Realität hinter sich lassen.
Samurai Rebellion wird wohl für immer und ewig im Schatten des berühmteren Harakiri stehen, muss den Vergleich mit seinem Vorgänger aber keineswegs scheuen. Das zentrale Element des familiären Glücks sowie die gegenüber Harakiri weniger verschachtelte und damit leichter nachvollziehbare Struktur des Films machen ihn eingänglicher und für ein größeres Publikum interessant – weshalb ich ihn Einsteigern in die Materie sogar eher empfehlen würde. Jedenfalls wieder mal ganz ganz großes Kino von Masaki Kobayashi!
27 Aug
Original: Seppuku (1962) von Masaki Kobayashi
Japan im 17. Jahrhundert, einer Phase des Friedens, in der tausende Samurai zu herrenlosen Ronin werden und sich mehr schlecht als recht über Wasser halten. Für manche ist Harakiri, der traditionelle Selbstmord, der einzige Weg zu einem ehrenvollen Tod. So taucht eines Tages auch Hanshiro (Tatsuya Nakadai) beim Klan der Iyi auf und bittet um die Gewährung von Harakiri. Doch in Wirklichkeit ist er auf Rache aus, Rache für seinen Schwiegersohn Motome (Akira Ishihama) und dessen Familie.
Motomes Geschichte wird in der ersten Hälfte des Films in vielen langen Flashbacks erzählt. Wie er ins Haus Iyi kam, um Harakiri bittend aber auf eine milde Gabe hoffend. Wie das stolze Samuraigeschlecht an ihm, dem Verarmten, Wehrlosen ein Exempel statuierte und ihn zu einem grausamen Selbstmord mit einem Bambusschwert zwang. Dann wechselt der Fokus zu Hanshiro, dem Niedergang seiner Familie und dem Kampf gegen die Armut, die Motome schließlich zu seiner Verzweiflungstat zwang.
Aus Hanshiros Erzählung wird nun eine Anklage der aus Anlass seines Harakiri versammelten Granden des Hauses Iyi, mit dessen Vertreter Saito (Rentaro Mikuni) er sich regelrechte Rededuelle liefert. In einer weiteren Reihe von Flashbacks schildert Hanshiro seine ersten Schritte zur Rache, bevor schließlich genug der Worte gewechselt sind und er seine Rache mit dem Schwert vollendet.
Die zentralen Themen Ehre und Tradition werden in Harakiri von Anfang an durch Architektur symbolisiert: Die weiten Hallen, langen Gänge und dicken Mauern der Residenz des Hauses Iyi beeindrucken während der Eröffnungssequenz durch ihre Strenge und elegante Schlichtheit. Doch dieses Symbol wird zugleich ins negative verkehrt, denn die Gänge und Hallen sind leer. So leer wie die Werte und Traditionen, die sie verkörpern und auf die sich die Mächtigen heuchlerisch berufen, wenn dies zweckdienlich ist, ohne aber selbst nach ihnen zu leben.
So ist der Film über weite Strecken eine Anklage, bei der aber Ankläger und Angeklagter wechseln: Ist es zunächst das edle und mächtige Haus Iyi, das zu Gericht sitzt über die bettelarmen Ronin, die den Ruf und die Ehre des Samuraistandes beschmutzen, gelingt es Hanshiro dann, den Spieß umzudrehen. Er offenbart die Feigheit und Heuchelei und wird aus einer Position der scheinbaren Schwäche und Demut zum erbarmungslosen Ankläger, der schonungslos die Fassade der Ehrbarkeit einreisst und sich am Ende selbst zum Richter und Henker aufschwingt und den Klan der Iyi für den Missbrauch dieser Werte und die seiner Familie angetane Ungerechtigkeit bluten lässt.
Dabei fällt es nicht schwer, zu erraten, an wen sich die Kritik des Films richtet: Die Machenschaften von Politik und Wirtschaft zur Sicherung und Erweiterung ihrer Macht waren in den rebellischen 60er Jahren auch in Japan ein großes Thema. Und wie schon Filmemacher einige Jahrzehnte zuvor bedient sich nun auch Kobayashi des historischen Films, um seine Kritik an Staat und Gesellschaft zu artikulieren.
Dass Harakiri bei all den vielen Flashbacks und den langen Rededuellen eine stetig steigende Faszination udn Spannung ausübt, liegt zu einem guten Teil an Tatsuya Nakadai. Sein Charakter strahlt vom ersten Moment an eine grimmige Entschlossenheit aus, die anfangs besonders im Zusammenspiel mit der zur Schau gestellten Demut gegenüber den Mächtigen des Hauses Iyi etwas zutiefst rätselhaftes und verstörendes an sich hat, sich dann aber aller Zurückhaltung entledigt und in einem waren Gefühlsausbruch gipfelt. Dazwischen, in den Flashbacks, zeigt er Hanshiro dagegen als liebenden und sorgenden Familienvater.
Harakiri ist keine leichte Kost und verlangt dem Zuschauer – zumal uns westlichen – einiges an Auseinandersetzung ab und stößt viele Gedanken an. Dass der Film trotzdem von der ersten Sekunde an fasziniert und uns magisch in seine Welt hineinzieht, verdankt er neben Nakadai den exquisiten, wagemutigen schwarz-weiss Bildern, einer fesselnden, intelligent verwobenen Geschichte die nach und nach den Kern des Films freigibt und dem eindringlichen Soundtrack. Ein großes Meisterwerk eines außergewöhnlichen Regisseurs.