Archive for the ‘Kon Satoshi’ Category

Der japanische Film hat einen seiner wichtigsten, kreativsten und innovativsten Regisseure verloren – Satoshi Kon starb gestern im Alter von nur 46 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Als ich die Nachricht heute morgen las, war ich schlicht fassungslos, konnte und wollte es nicht glauben. So wird es uns allen gegangen sein, die wir seine der Zahl nach geringen, dafür aber umso bewundernswerteren Werke schätzten, verehrten, liebten. Für ihre psychologische Tiefgründigkeit, ihre überbordende Fantasie und ihren Detailreichtum, ihre atemberaubenden Perspektivenwechsel, ihren trockenen und feinsinnigen Humor, ihre technische Perfektion und ihre tiefe Menschlichkeit.

Was seinen Tod so tragisch, so unbegreiflich macht, sind nicht nur sein noch junges Alter und der Gedanke an die vielen genialen Momente, die er Filmliebhabern auf der ganzen Welt noch hätte bescheren können. Es ist auch das Wissen, dass er ein so einzigartiger, kompletter Künstler war, dass er unersetzbar ist. Niemand sonst könnte Filme machen, wie er sie gemacht hat. Satoshi Kon war nicht nur ein begnadeter Animationskünstler, oder ein intelligenter Drehbuchautor – er hatte die Fähigkeit, mit jedem seiner Werke eine geschlossene, durchdachte und neue Wege beschreitende Vision zu verwirklichen. Er war ein verdammtes Genie! Sein Tod ist ein dramatischer Verlust für die Animewelt und alle Liebhaber anspruchsvoller Filme.

Einem von ihm verfassten Abschiedsbrief, der heute auf seiner persönlichen Webseite veröffentlicht wurde, können wir entnehmen, dass er offenbar erst vor wenigen Monaten von den Ärzten die erschütternde Botschaft bekam, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hat. Trotzdem sorgte er sich offenbar um die Fertigstellung seines nächsten, gerade in Arbeit befindlichen Werks – ein Perfektionist und im positiven Sinne vom Filmemachen Besessener.

Eine auszugsweise englische Übersetzung dieses Briefs kann bei ANN nachgelesen werden, aber um die Überschrift zu verstehen, brauche ich keine Hilfe: さようなら – sayonara.

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Nachtrag: Eine komplette, exzellente Übersetzung des Abschiedsbriefs ins Englische findet sich bei Makiko Itoh.

Vier Filme, einer besser als der andere. Und eine Serie, die noch weit über das hinausgeht, was in einem Film möglich wäre. Am Wochenende habe ich Paranoia Agent endlich gesehen und war komplett hin und weg.  Ich bin ja eigentlich eher kein Animeserien-Gucker und ziehe normalerweise Filme vor. In diesem Fall ist aber ganz klar, dass das Serienformat Dinge möglich macht, die in einem Film niemals funktionieren würden. Dazu und zu Paranoia Agent als solches demnächst noch ausführlichere Gedanken, heute gehts mir nur um das Opening, das regelmäßig als eines der besten Openings aller Zeiten genannt wird:

Das Ding ist schlicht ein massiver Knaller und wurde und wird in Foren und Blogs hoch und runter diskutiert und interpretiert, was eigentlich schon Beleg genug wäre für die Genialität des Meisters Kon. Wenn man sich allerdings dann noch vor Augen führt, mit welch einfachen Mitteln hier beeindruckende emotionale Effekte erzielt werden (laut Aussage des Regisseurs im Audiokommentar wurden weniger als 100 Cels für das gesamte Opening benötigt!) wird einem erst so richtig klar, was ein verdammtes Genie dieser Satoshi Kon doch ist!

Zu den ganzen Debatten und Spekulationen um das Opening und dessen tiefere Bedeutung sagte er übrigens: „Je mehr man analysiert und interpretiert, ohne über die vollen Informationen zu verfügen, um so mehr entfernt man sich vom Kern der Wahrheit.“

Noch so ein Fünkchen Genialität.

Perfect Blue

Original: Perfect Blue (1998) von Satoshi Kon

Mima, Mitglied einer halbwegs erfolgreichen Teenie-Pop-Band, entscheidet sich, die Band zu verlassen und den nächsten Schritt in ihrer Karriere zu machen: Eine Nebenrolle in einer Krimi-Serie soll ihr den Einstieg ins Filmbusiness ermöglichen. Wie vielen ihrer Fans fällt auch ihr dieser Rollenwechsel nicht leicht. Doch sie ist wild entschlossen, das zuckersüße Popsternchen-Dasein hinter sich zu lassen und sich weiterzuentwickeln. So nimmt sie für größere Auftritte in der Serie sogar eine provokante Vergewaltigungsszene in Kauf und lässt Nacktfotografien für Magazine anfertigen.

Doch Mimas zunehmender Erfolg wird überschattet von merkwürdigen Vorgängen: Eine Webseite namens „Mimas Room“ gibt minutiös intime Details ihres Lebens wieder. Ein fanatischer Fan folgt ihr auf Schritt und Tritt. Drohbriefe gehen im Fernsehstudio ein. Sie beginnt, eine zweite Mima zu sehen, die behauptet, die „wahre“ Mima zu sein. Unter dem Stress verschwimmen in ihrem Bewusstsein ihre Rolle in der Krimi-Serie und ihr Leben immer mehr. Als plötzlich mehrere Mitglieder des Filmteams grausam ermordet werden, scheint Mima den Verstand zu verlieren… hat sie die Morde selbst begangen?

Abgesehen von der etwas einfach gehaltenen Animation (wohl dem Umstand geschuldet, dass für den Film kein großes Budget zur Verfügung stand) deutet nichts darauf hin, dass es sich hier um den Debutfilm von Satoshi Kon handelt. Die Story nimmt langsam Fahrt auf, reisst uns Zuschauer dann aber wie in einem Mahlstrom mit sich fort und zieht uns ganz in ihren Bann. Mimas Charakter, der zwischen wilder Entschlossenheit und wachsenden Selbstzweifeln hin- und hergerissen ist, ist sehr reif angelegt und glaubwürdig. Die verschiedenen Handlungsfäden und psychologischen Ebenen sind virtuos miteinander verwoben und gehen stellenweise so fließend ineinander über, dass man auch nach mehrfachem Sehen dem Film immer noch auf den Leim geht und sich dem Verwirrspiel nicht entziehen kann.

Dieses Verflechten verschiedener Realitäten ist inzwischen zu einem regelrechten Markenzeichen Kons geworden (siehe Paprika oder Millennium Actress), und auch wenn er dies in seinen späteren Filmen sehr viel aufwändiger in Szene setzen konnte, ist seine Handschrift hier schon unverkennbar.

Dazu gehört beispielsweise das Spiel mit Technologien, die uns alternative Realitäten vorgaukeln: Die Webseite „Mimas Room“ ebenso wie die TV-Serie. Gerade die Auseinandersetzung mit dem eigenen Medium Film (bzw. TV) ist auch in Millennium Actress und Paprika von zentraler Bedeutung. Dabei verwischt Kon die Übergänge zwischen TV-Serie und Realität mit großer Kreativität: Mal sind diese so fließend, dass erst in der nächsten Szene klar wird, auf welcher Ebene man sich bewegt, mal sind sie bewusst in Szene gesetzt, etwa indem das Geschehen durch die Kamera des Filmteams gezeigt wird.

Ein immer wieder auftauchendes Motiv sind Reflexionen und Spiegelbilder, welche die charakterlichen Brechungen der Hauptakteure – und allen voran Mimas – unterstreichen. Paradebeispiel dafür ist der Höhepunkt der Dreharbeiten an der Vergewaltigungsszene, die eine Schlüsselszene sowohl für Mima selbst (sie bricht damit endgültig mit ihrer Vergangenheit als Popsternchen) als auch für ihren Charakter in der Fernsehserie ist. Aus der Perspektive des Regisseurs sehen wir einen Wust von Monitoren, auf denen die verschiedenen Bilder der eingesetzten Kameras simultan zu sehen sind, mit immer anderen Blickwinkeln auf Mima.

Doch Perfect Blue ist nicht nur ein packender Psycho-Thriller sondern auch ein durchaus kritischer Blick auf die Mechanismen der Unterhaltungsindustrie und den harten Weg, den eine junge Frau zurücklegen muss, um sich in der Branche zu etablieren. Von der – teilweise fanatischen – Fanszene über das Klinkenputzen der Agenten bis hin zum kalkulierten Nackt-Shooting ist alles drin. Naive Fans, die ihre Stars vergöttern und darüber den Bezug zur Realität verlieren kriegen ebenso ihr Fett weg wie eiskalte Produzenten, denen es nur um die Quote geht.

So hat eben auch Mima ihre Probleme, sich in diese neue Umgebung und die veränderte Rolle, die sie darin spielt, einzufinden. Einerseits trauert sie noch der idealisierten, unschuldigen Zeit als Teenie-Star nach, andererseits will sie sich ihre Sporen in der rauhen Welt des Films erarbeiten. Und irgendwo dazwischen auch noch sie selbst sein. So ist die Charaktere Mima auch ein Symbol für das Erwachsenwerden, den schmerzhaften Abschied von der sorglosen Jugend, den Kampf mit der eigenen Identität und dem Sich-Etablieren in der Welt der Erwachsenen.

Roger Corman schrieb über Perfect Blue: „If Alfred Hitchcock partnered with Walt Disney they’d make a picture like this.“ An Hitchcock erinnert in diesem spannungsgeladenen psychologischen Verwirrspiel voller überraschender Wendungen in der Tat sehr viel, mit Disneys Werken hat es dagegen eigentlich nur gemein, dass es ebenfalls ein Zeichentrickfilm ist. Und wer immer noch behauptet, Zeichentrick wäre was für Kinder, den wird dieser Psycho-Thriller mit unerwartetem Tiefgang garantiert eines besseren belehren!

Original: Tokyo Godfathers (2003) von Satoshi Kon

Am Weihnachtsabend entdecken drei Tokyoter Obdachlose ein ausgesetztes Baby. Während der mürrische Gin das kleine Ding möglichst bald der Polizei übergeben will, entdeckt Hana, ein alternder schwuler Transvestit, die Berufung zur Mutter und will die Eltern des Kindes suchen. Widerwillig schließt sich auch Miyuki, eine 16jährige Ausreißerin, dieser Suche an.

Im eingeschneiten Tokyo verfolgen die drei die Spur des Kindes zurück, zu Bahnhofsschließfächern, verlassenen und abgerissenen Häusern, werden sogar in einen Bandenkrieg hineingezogen und riskieren bei Kämpfen mit Jugendlichen und wilden Verfolgungsjagden Kopf und Kragen. Vor allem stoßen die drei aber auf eine Reihe menschlicher Schicksale und Tragödien und nicht zuletzt entdecken sie ihre eigene familiäre Vergangenheit ganz neu.

So bringt das Findelbaby die drei zunächst dazu, sich mit ihrem Versagen und ihren familiären Problemen auseinanderzusetzen und wird dann zum Heilsbringer.

Familie steht im Kern des Films und findet sich überall wieder. Gin als „Vater“, Hana als „Mutter“ und Miyuki als „Tochter“ bilden die typische Drei-Personen-Familie unserer postindustriellen, alternden Gesellschaft, wenn auch in einer sehr ungewöhnlich-grotesken und zweckgebundenen Ausformung. Alle drei sind in dieser Zweckfamilie zusammengekommen, weil sie die Konflikte und die Verantwortung in ihrer echten Familie nicht mehr (er)tragen konnten oder – Hanas Fall – nie eine echte Familie hatten und nun verzweifelt nach einer suchen. Aus diesem Grund ist es auch Hana, der/die sich unbedingt auf die Suche nach den Eltern des Babys machen will: Sie will diese stellvertretend für ihre eigenen Eltern konfrontieren.

Wie sich im dritten Akt des Films herausstellt (Achtung, mächtige Spoiler in diesem Absatz!) wurde das Baby jedoch gar nicht von seinen echten Eltern ausgesetzt sondern aus dem Krankenhaus entführt. Hinter dieser Entführung steckt die nächste menschliche Tragödie, deren Spur die drei auf verschlungenen Pfaden – zunächst Fotos aus glücklichen Zeiten, dann ein zerstörtes Heim und letztlich eine Fehlgeburt und ein Selbstmordversuch – folgen. Doch auch dieser kaputten Familie bringt das Baby Hoffnung und einen Neubeginn.

Das Baby als Erlöser, als Heilsbringer – meine Wortwahl kommt nicht von ungefähr. Tokyo Godfathers ist voller christlicher Symbolik, beginnend mit der ersten Szene, in der ein Krippenspiel aufgeführt wird und dem uns aus der Krippe anlächelnden Jesuskind, das wenig später ein Echo in dem zwischen Mülltüten und Zeitungen versteckten Findelkind findet (siehe erster Screenshot). Dazu kommen Anspielungen auf Engel, Auferstehung und natürlich die drei Könige aus dem Morgenland, welche von Gin, Hana und Miyuki verkörpert werden.

Die Verknüpfung des auch in Japan als Fest der Familie wahrgenommenen Weihnachten mit der Suche nach und dem Wiederfinden von Familie macht den universalen Charakter und die Symbolkraft, den dieses Fest auch außerhalb der christlichen Kultur und losgelöst vom biblischen Hintergrund angenommen hat, deutlich. So transzendiert Regisseur Satoshi Kon durch seine vom christlichen kulturellen Erbe unbelastete Herangehensweise und das Spiel mit der Weihnachtsgeschichte all das, was Weihnachten im Kern ausmacht und fasst dies in eine dem auch in kultureller Hinsicht globalisierten 21. Jahrhundert angemessene Form.

Neben dem Spiel mit der christlichen Symbolik und dem Thema Familie gibt es in Tokyo Godfathers noch ein weiteres wichtiges Element, das im Hintergrund allgegenwärtig ist und die Stimmung des Filmes mitprägt: Die Architektur.

Bereits während der Opening Titles folgen wir den drei Protagonisten mit dem Baby durch die Straßen Tokyos, und die Titel der Mitwirkenden des Films tauchen im Hintergrund auf, als Botschaft auf Werbeplakaten, als Name eines Restaurants, auf Schaufensterscheiben und LKWs.

Auch dass Tokyo schon im Filmtitel präsent ist, ist kein Zufall: Die wichtigsten, das Stadtbild prägenden und jedem Japaner (und Japanbegeisterten) bekannten Wahrzeichen wie die Doppeltürme des Tokyoter Rathauses, die mit Neonwerbung gepflasterten, belebten Straßenzüge und natürlich der Tokyo Tower sind im Film nahezu allgegenwärtig. Aber auch das Gewirr der kleinen Nebenstraßen, Parkanlagen und das Meer der schneebedeckten Dächer tragen entscheidend zur Atmosphäre des Films bei und dazu, ihn zu einer bezaubernden Liebeserklärung an Tokyo zu machen, inklusive mehrerer eingestreuter Haikus.

Das Spiel mit Architektur als Bedeutungsträger geht aber noch viel weiter. In einer Szene, in der Gin von einer Bande Jugendlicher zusammengeschlagen wird, flackern im Hintergund in der Fensterfront eines Gebäudes beleuchtete Fenster der Reihe nach auf bzw. verlöschen, je nach Gins Gesundheitszustand. Die Macher des Films spielen damit auf die in Computerspielen wie Street Fighter übliche Darstellung des Kräfteverhältnisses zwischen den Kontrahenten an.

Quer durch den ganzen Film tauchen außerdem immer wieder im Hintergrund Gebäude auf, die an menschliche Gesichtszüge erinnern: Fensterreihen bilden Augen und Nasen, Vordächer oder Türen stehen für Münder. Typische Beispiele wären etwa die Szene, in der Miyuki in einer Telefonzelle vor einem Gebäude mit zwei horizontalen und einer dazwischenliegenden vertikalen Fensterreihe und einer großen Doppeltür als Eingang steht sowie natürlich der Schluss des Films: Die Außenansicht des Krankenhauses, in dem sich alle nach dem Finale wiederfinden, mit ihrem Smiley-Gesicht.

Meisterhaft fügt Satoshi Kon die moderne Metropole Tokyo, die in allen Industriegesellschaften auftretende Problematik der sich auflösenden Familien und die mit Weihnachten verbundenen kulturell-religiösen Aspekte zusammen und formt daraus eine zeitgemäße Variante der Weihnachtsgeschichte. Gewissermaßen ist Tokyo Godfathers somit das Pendant zu Charles Dickens A Christmas Carol, das im 19. Jahrhundert gesellschaftliche Entwicklungen und Missstände unter Verwendung der Weihnachtsgeschichte thematisierte.

Dass dies ausgerechnet einem Japaner in einem Anime gelingt, ist in meinen Augen keineswegs Zufall. Die japanische Alltagskultur der Gegenwart ist wie kaum eine andere ein Amalgam aus den unterschiedlichsten kulturellen Einflüssen, und Anime sind inzwischen zu einem der wichtigsten Mittel geworden, mit denen Japan sich artikuliert.

So ist ausgerechnet der japanische Anime Tokyo Godfathers einer der schönsten und die Bedeutung dieses Familienfestes am besten aufgreifenden Weihnachtsfilme überhaupt. Für die anstehenden Feiertage wärmstens zu empfehlen!

Paprika

Original: Paprika (2006) von Satoshi Kon

Gegen 0.30 Uhr endete die Vorführung von Paprika, und obwohl es mein vierter Film an diesem Tag gewesen war hätte ich ihn mir am liebsten gleich noch einmal angesehen! So mitreißend ist die intelligente Geschichte dieses neuen Meisterwerks von Satoshi Kon, in dem er mit den Gegensätzen von Wirklichkeit und Traum spielt, die sich letztlich in Filmen auflösen. Absolut genial!

Namensgeberin des Films ist die überaus wandelbare Traumfigur Paprika, alter Ego der Psychologin Chiba, die fließend zwischen den beiden Welten wechseln kann. Diese Fähigkeiten nutzt sie, um dem Polizisten Konagawa bei der Überwindung eines Traumas zu helfen. Ermöglicht wird ihr dies durch das DC Mini, ein Gerät, mit dem Psychiater Träume ihrer Patienten wie einen Film aufzeichnen, analysieren und sogar an diesen teilhaben können.

Als eines der Geräte gestohlen und missbraucht wird, um in die Träume der Menschen einzudringen, sie zu manipulieren und ihr Unterbewusstsein zu zerstören, begibt sich Paprika auf die Suche. Diese führt sie in die Traumwelten verschiedener Menschen, die unter dem Einfluss des DC Mini immer mehr miteinander, aber auch mit der Wirklichkeit verschmelzen. Dabei bekommt sie überraschend Hilfe von Konagawa, der so der Überwindung seines Traumas näher kommt. Doch auch Paprika/Chiba muss sich ihrem eigenen, zwischen zwei Welten bzw. Persönlichkeiten schwankenden Unterbewusstsein und ihren Gefühlen stellen.

Der Film beginnt mit Konagawas Traum, einem Zaubertrick in einem Zirkus, und so wie ein Zauberer kleine Kinder in seinen Bann zieht, so bezaubert auch Satoshi Kon mit diesem Film. Das Tempo von Paprika ist in den Traumsequenzen geradezu halsbrecherisch, die Fantasie der Animateure scheint keine Grenzen zu kennen und der exzellente Soundtrack trägt ebenfalls dazu bei, dass man sich dem Bann dieses Films nicht entziehen kann.

Die Geschichte ist sehr komplex, bietet reihenweise überraschende Wendungen – allein durch die fließenden Wechsel von Traum und Realität- sowie reichlich Hinweise auf die Rollen der Charaktere und die Entwicklung der Handlung. Diese sind so dicht und doch zugleich fast unmerklich eingewoben, dass vieles beim ersten Sehen unbemerkt bleibt. Das gilt gerade auch für das erste der beiden dominanten Motive des Films, die ich hier erwähnen möchte, die Ähnlichkeit von Traum und Film.

Bereits in der Auftaktsequenz mit Konagawas Traum wird das Thema Film als Äquivalent zum Traum etabliert: In kurzen Momentaufnahmen saust er als Tarzan durch den Dschungel und kämpft a la James Bond in einem Zugabteil (diese Szenen werden später noch mehrfach aufgegriffen). Dann berichtet er Paprika, dass er Filme nicht ausstehen könne. Im weiteren Verlauf stellt sich jedoch heraus, dass er in seiner Jugend von Filmen begeistert war und selbst einen gedreht hatte. Immer wieder sieht er sich mit Filmplakaten konfrontiert und mehrere Szenen spielen in einem Kinosaal, wo er Paprika auch erklärt, wie ein Achsensprung über die 180°-Grad-Linie sich auf einen Film auswirkt. Dabei trägt er die für Akira Kurosawa typische Mütze und Sonnenbrille (eine grandiose Idee und – wenig überraschend – eine meiner Lieblingsszenen).

Das zweite immer wieder auftretende Motiv ist die scheinbar grenzenlose Wandlungsfähigkeit von Paprika, die auch im Trailer schön zum Ausdruck kommt. Allein während des Vorspanns wechselt sie fast im Sekundentakt ihr Aussehen und springt zwischen komplett verschiedenen Kontexten und Bildebenen hin und her. Damit wird ihr eine allgegenwärtige Agilität, ja Macht zugewiesen, die ihren Höhepunkt im Showdown des Films findet (mehr werde ich nicht verraten). Diese Macht durch Wandlungsfähigkeit steht für die in Animes häufig anzutreffende implizite Überlegenheit von Frauen gegenüber Männern, die Susan Napier in der japanischen Kultur verwurzelt sieht: „The transformative power of the female body is an important convention in both high and folk culture in Japan.“

Aber bevor ich mich jetzt komplett in Details verliere, empfehle ich einfach jedem, sich diesen Film anzusehen. Gelegenheit dazu gibt es schon bald, denn laut twitch soll am 20. Juni die französische DVD erscheinen, die auch englische Untertitel enthält und die jetzt schon bei Amazon vorbestellt werden kann. Und auch auf die deutsche Ausgabe muss man dann hoffentlich nicht mehr lange warten.

Update: Bei twitch gibt’s jetzt auch einen ausführlichen Bericht zur japanischen Limited Edition DVD von Paprika.